Die zweifach verlorene Heimat – Ein Briefwechsel mit Hans Bergel

pdf der Druckfassung aus Sezession 56 / Oktober 2013

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

In die­sem Som­mer, der ein staub­tro­cke­ner, hei­ßer Som­mer war, been­de­te ich die Lek­tü­re eines dicken Buches: Die Wie­der­kehr der Wöl­fe von Hans Ber­gel umfaßt sie­ben­hun­dert Sei­ten und ist der bes­te Roman, den ich über das geis­ti­ge Dilem­ma gebil­de­ter, natio­nal­be­wuß­ter Krei­se wäh­rend des Drit­ten Reichs ken­ne.

Er beschreibt die Ent­wick­lung eines jun­gen Man­nes, der die (Selbst-)Zerstörung Euro­pas vom Som­mer 1940 bis zum Kriegs­en­de 1945 als Ange­hö­ri­ger der deut­schen Volks­grup­pe in Rumä­ni­en erlebt – der Schrift­stel­ler Hans Ber­gel (Jahr­gang 1925) ist selbst ein Sie­ben­bür­ger Sach­se, stammt aus Rose­nau bei Kron­stadt im Kar­pa­ten­bo­gen und lebt erst seit 1968 in Deutschland.

Ber­gel war einer jener fünf Schrift­stel­ler, die im gro­ßen Schau­pro­zeß von 1959 in Kron­stadt zu lang­jäh­ri­gen Haft­stra­fen nebst Zwangs­ar­beit ver­ur­teilt wur­den. Er hat über­lebt, hat den Cha­rak­ter und die poli­ti­sche Bedeu­tung des Pro­zes­ses in Zusam­men­ar­beit mit Kol­le­gen und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lern auf­ge­ar­bei­tet und vor allem Erzäh­lun­gen und Roma­ne über die­se Zeit ver­öf­fent­licht (rezen­siert in Sezes­si­on 49/August 2012 und 53/April 2013).

Auf Ber­gel gesto­ßen bin ich über einen Umweg: Der eben­falls aus Sie­ben­bür­gen stam­men­de und noch immer dort leben­de Schrift­stel­ler Egi­nald Schlatt­ner hat in den ver­gan­ge­nen fünf­zehn Jah­ren drei Roma­ne ver­öf­fent­licht, von denen der berühm­tes­te (Rote Hand­schu­he, 2000) den Kron­städ­ter Schrift­stel­ler-Pro­zeß aus der Sicht des jun­gen, unsi­che­ren Kron­zeu­gen schil­dert. Die­ser Kron­zeu­ge war Schlatt­ner selbst, ich besuch­te ihn vor zwei Jah­ren und schrieb danach ein Por­trait über die­sen eben­so eit­len wie sprach­ge­wand­ten, gro­ßen Erzäh­ler (Sezes­si­on 47/April 2012). Schlatt­ner brach danach den Kon­takt ab, weil ich sei­ner Ver­si­on nicht gefolgt war, son­dern sei­nen im Roman kaum ver­hüll­ten Spott über die ver­ur­teil­ten Schrift­stel­ler mehr­fach und sehr kri­tisch ange­spro­chen hatte.

Es war dann ein Sezes­si­on-Leser, der Hans Ber­gel nach einer Lesung in Ras­tatt die­ses Schlatt­ner-Por­trait sowie einen Text über eine Wan­de­rung in die Kar­pa­ten gab (Sezes­si­on 16/Februar 2007): Hans Ber­gel reagier­te prompt, seit­her ste­hen wir im Aus­tausch. In sei­ner Offen­heit über­rascht hat mich der aus­führ­li­che Brief vom 2. Juli 2012, in dem Ber­gel von sei­ner rasch begra­be­nen Hoff­nung auf eine neue Hei­mat nach sei­ner Aus­rei­se aus Rumä­ni­en im Jahr 1968 schreibt: Jemand mit sei­nen Erfah­run­gen und sei­nem Cha­rak­ter konn­te in der BRD nicht hei­misch wer­den, und die Wen­de hat an die­ser völ­li­gen Des­il­lu­sio­nie­rung nichts geändert.

Inso­fern ist der im Fol­gen­den ver­öf­fent­lich­te Aus­zug aus dem Brief­wech­sel reprä­sen­ta­tiv für die tra­gi­sche Hei­mat­lo­sig­keit gera­de jener, die von ihrem Volk mehr hal­ten als die Zyni­ker, die es der­zeit in den Ruin trei­ben und den­noch immer wie­der gewählt werden.

 Grö­ben­zell, 19.4.2012

Sehr geehr­ter Herr Kubitschek,

ein jun­ger Mann, des­sen Namen ich mir lei­der nicht merk­te, gab mir nach mei­ner Lite­ra­tur­le­sung am 13. d. M. in Ras­tatt das Heft 47/April der Zeit­schrift Sezes­si­on und die Foto­ko­pie Ihres Tex­tes »Negoi – Eine Wan­de­rung«. Bei­des las ich mit Ver­gnü­gen. Ihr exzel­len­ter »Negoi«-Rückblick weck­te Erin­ne­run­gen an Wege, die ich oft – und zum Teil unter denk­wür­di­gen Umstän­den – ging, die Lek­tü­re Ihrer Schil­de­rung der Begeg­nun­gen mit Mihai beschwor die Bil­der mei­ner kar­pa­ti­schen Hir­ten­be­geg­nun­gen. Es drängt mich zu eini­gen – bestä­ti­gen­den – Zeilen.

Als ich im Spät­herbst 1954 als poli­ti­scher Häft­ling in einem Tran­sit­ge­fäng­nis des kom­mu­nis­ti­schen Rumä­ni­en aus einer Zel­le in eine ande­re ver­legt wur­de, fiel mir bei mei­nen Bar­fuß­wan­de­run­gen durch den über­be­leg­ten Raum ein nahe der Eisen­tür hocken­der Mann auf, der mich auf­merk­sam beob­ach­te­te. Den Rücken an die Wand gelehnt, fixier­te er mich jedes­mal, wenn ich an ihm vor­bei­ging, mit leb­haf­tem, aus­drucks­vol­lem Blick. Am drit­ten Tag bat er mich mit einer Hand­be­we­gung, mich neben ihn zu hocken. Ich bekam unge­fähr das Fol­gen­de zu hören: »Ich hei­ße Ste­fa­nes­cu, Pro­fes­sor Dok­tor Ste­fa­nes­cu. Ich sit­ze seit neun Jah­ren hin­ter Git­tern und habe noch drei abzu­sit­zen – die Stra­fe dafür, daß ich vor dem Krieg stell­ver­tre­ten­der Bot­schaf­ter Rumä­ni­ens in Paris war … Ich schlie­ße aus Ihrem Namen, daß Sie Deut­scher sind. Viel­leicht aus Sie­ben­bür­gen? … Aha, ich tipp­te also rich­tig. Ich gestat­te mir, Ihnen einen Rat zu geben: Wenn Sie wei­ter­hin wie ein Löwe im Käfig von mor­gens bis abends so auf und ab gehen, wer­den Sie die Jah­re im Gefäng­nis nicht über­le­ben. Das ist, Sie erlau­ben, typisch deutsch, typisch ger­ma­nisch: Unge­dul­dig, dyna­misch, jeden Augen­blick bereit, dem Geg­ner an die Gur­gel zu fah­ren. Nein, nein, so über­le­ben Sie das hier nicht! Die geschicht­li­che Erfah­rung mei­nes Vol­kes lehr­te mich etwas ande­res: Gedul­dig und geduckt daho­cken, den Kopf ein­zie­hen, die Stür­me dar­über hin­weg brau­sen las­sen – und sich erst wie­der auf­rich­ten, wenn sie vor­bei­zo­gen. So über­leb­ten wir Rumä­nen vie­le Jahr­hun­der­te har­ter Fremd­herr­schaft, so wer­den wir auch die Kom­mu­nis­ten über­le­ben. Und das Über­le­ben ist doch das End­ziel aller his­to­ri­schen Exis­tenz. Oder? Mit Ihren ruhe­lo­sen Wan­de­run­gen aber ver­geu­den Sie Kraft, Sie rei­ben sich auf, Sie tun das, was unse­re Pei­ni­ger wollen …«

Das scheint mir, anders for­mu­liert, eben jene Weis­heit des Hir­ten »Mihai« zu sein, der Ihnen die Bal­la­de »Mio­ri­ta« erläu­ter­te (von der es übri­gens aus­ge­zeich­ne­te deut­sche Fas­sun­gen gibt).

Ich ant­wor­te­te dem Pro­fes­sor (der die zwölf Ker­ker­jah­re hin­ter sich brach­te und den ich, da wir gute Freun­de gewor­den waren, 1991 in Buka­rest besuch­te): »Ich sit­ze zum zwei­ten Mal im Knast, Herr Pro­fes­sor, wahr­schein­lich kom­me ich auch zum drit­ten Mal dran. Ich bewun­de­re nicht erst seit ges­tern die Art des his­to­ri­schen Über­dau­erns der Rumä­nen, deren Geschich­te ich ken­ne. Doch ist das nicht mei­ne, wie Sie sagen, ›ger­ma­ni­sche‹ Art, mit der Geschich­te umzu­ge­hen. Ich kann nicht anders. Aber ich weiß, daß wir bei­de, jeder auf sei­ne Art, auch die Kom­mu­nis­ten­herr­schaft über­le­ben wer­den.« Der Pro­fes­sor bot mir das Du an. Er starb 1995 in Buka­rest als Fünfundneunzigjähriger.

Bei­gelegt habe ich Ihnen mei­nen Auf­satz »Lite­ra­tur und Wider­stand. Zur Ent­ste­hungs­ge­schich­te der Erzäh­lung ›Fürst und Lau­ten­schlä­ger‹.« Ich wün­sche Ihnen Ver­gnü­gen und Gewinn bei der Lektüre

mit freund­li­chem Gruß,

Hans Ber­gel

Schnell­ro­da, 20.IV.2012

Sehr geehr­ter Herr Bergel,

Ich dan­ke Ihnen sehr für Ihre Zei­len und die Bei­la­ge, die ich heu­te wäh­rend einer war­men, son­ni­gen Stun­de im Gar­ten las. Ich schlug dann noch eini­ges in der Bio­gra­phie über Sie nach (»Der Mann ohne Vater­land«) und stell­te fest, daß es der 20. April war, an dem Sie 1959 ver­haf­tet wor­den waren. Nun lese ich also auf den Tag 53 Jah­re spä­ter Ihren Brief und Ihren Text.

Ich bin ja nun erst am Anfang mei­ner Lek­tü­re Ihrer Wer­ke, konn­te Fürst und Lau­ten­schlä­ger im Bücher­schrank eines Freun­des in Her­mann­stadt ent­de­cken und lesen (ver­gan­ge­nen Som­mer), eben­so den ers­ten Band Ihrer auf drei Tei­le ange­leg­ten, sicher­lich stark auto­bio­gra­phi­schen Geschich­te der Fami­lie Hen­nerth; es ist so, daß ich viel­leicht zwei Dut­zend Bücher in den bald 30 Jah­ren ernst­haf­ter Lek­tü­re zu einem unver­zicht­ba­ren Kanon zusam­men­ge­stellt habe (dar­in etwa Wer­fels Musa Dagh, Jün­gers Aben­teu­er­li­ches Herz, Klep­pers Vater, Ber­gen­gruens Groß­ty­rann, Lan­ges Leucht­ku­geln). Die­ser Kanon hat magne­ti­sche Wir­kung, immer wie­der zieht es mich zu einem der längst aus- und zer­le­se­nen Bücher, in dem ich dann nach einem bestimm­ten Kapi­tel suchen muß, um es mir erneut ein­zu­ver­lei­ben. In die­sen Kanon habe ich nun von Ihnen den Tanz in Ket­ten auf­ge­nom­men. Es sind die Ereig­nis­se an der Kolar-Schlucht und die Schil­de­run­gen aus »Fort Nr. 13 Jila­va«, die mich erschüt­ter­ten und mir greif­bar wur­den als Ver­dich­tun­gen mensch­li­cher Urszenen.

Allein dafür, für die­ses lite­ra­ri­sche Geschenk, habe ich zu dan­ken, und ich wer­de mir – wohl auch ver­knüpft mit wei­te­ren Fahr­ten nach Sie­ben­bür­gen – Ihr Werk nach und nach erschlie­ßen: nicht als Ger­ma­nist, son­dern als Leser, denn die Wis­sen­schaft hat mir mehr ver­stellt als geöffnet.

Ich kom­me dar­über zu einem wesent­li­chen Punkt, der mei­ne Arbeit und mein Leben betrifft: Ihre »Ver­dich­tun­gen« sind nicht flä­zend und lust­voll-barock (wie etwa die Schlatt­ners), son­dern so ernst und exis­ten­ti­ell, daß sie auf jeman­den wie mich (der das Leben als ernst und in sei­ner der­zei­ti­gen Bedroht­heit exis­ten­ti­ell wahr­nimmt und zu füh­ren ver­sucht) eine unschätz­bar wich­ti­ge Wir­kung ent­fal­ten. Es ist kaum mög­lich, die­se Gesin­nungs- und Stim­mungs­la­ge in einem Brief auf den Punkt zu brin­gen, daher nur soviel: Bei allem Grau­en, aller Här­te, allem per­sön­li­chen Leid, das Sie für Ihre Unbeug­sam­keit und Ihren Frei­heits­drang zu erlei­den hat­ten, hat­ten Sie den­noch einen sicht­ba­ren Geg­ner vor sich, einen unzwei­fel­haft bekämp­fens­wer­ten, mar­kier­ba­ren Gegner.

Viel­leicht kommt Ihnen mein Wort vom »heu­te leben müs­sen« läp­pisch vor, rela­tiv ange­sichts des­sen, was Sie erdul­den muß­ten: Aber ich sehe die mensch­li­che, männ­li­che, wider­stän­di­ge, mit­hin auch deut­sche Sub­stanz durch die Ver­rot­tungs­ten­den­zen unse­rer Zeit ohne sicht­ba­ren Geg­ner stark bedroht, stär­ker sogar als durch die auf phy­si­sche Ver­nich­tung ange­leg­te Zeit, die Sie durch­lit­ten. Sie schrei­ben ja zurecht, daß Sie inner­lich ab einem bestimm­ten Punkt nicht mehr erschüt­ter­bar, kor­rum­pier­bar waren, und ich sehe das abso­lut genau­so: daß die Klar­heit der eige­nen Lage eine gestalt­for­men­de, eine per­sön­lich­keits­mei­ßeln­de Kraft haben kann.

Ich hin­ge­gen tre­te gegen »unsicht­ba­re Geg­ner« an, gegen ein schlei­chen­des Gift, und manch­mal möch­te ich mei­nen Kin­dern doch einen Feind zei­gen kön­nen, einen Zer­stö­rer, einen zu Unrecht nach oben gekom­me­nen, nach oben gespül­ten, eben­so unfä­hi­gen wie gefähr­li­chen Mann, dem die Stirn zu bie­ten aller Ehren wert wäre.

Ich weiß nicht, ob Sie ver­ste­hen kön­nen, was ich mei­ne, aber Sie begrei­fen sicher­lich, war­um mich bei­spiels­wei­se der von Ihnen geschil­der­te Par­ti­sa­nen-Kampf gegen die sowje­ti­schen Besat­zer so sehr inter­es­siert und fas­zi­niert. Es soll seit etwa einem Jahr einen Spiel­film dar­über geben, ich muß ihn irgend­wo auf­trei­ben. Ich hät­te auch gern einen sicht­ba­ren, einen ein­deu­ti­gen Gegner.

Es dankt und grüßt

Götz Kubit­schek

Grö­ben­zell, 27.4.2012

 

Sehr geehr­ter Herr Kubitschek,

dan­ke für Ihre Post­sen­dung nebst Brief vom 20. d. M.! Da ich mor­gen für län­ge­re Zeit ver­rei­se, die Eile die­ser Ant­wort – sie erfolgt nicht in Form eines Briefs, weil dazu kei­ne Zeit ist, son­dern mit­tels der bei­geleg­ten Auf­sät­ze (Kopien) und der Tai­fun-Geschich­ten. Der eine Auf­satz (»›Der wei­ße Mann‹ …«) ist das kurz­ge­faß­te Ergeb­nis meh­re­rer Nord­ame­ri­ka­rei­sen und ‑auf­ent­hal­te, der ande­re (»Arro­ganz der Pro­vinz …«) wur­de im Zorn geschrie­ben. Gering­fü­gig­kei­ten sehe ich heu­te anders, da ja unter­des­sen Ent­wick­lun­gen stattfanden.

Ich wün­sche Ihnen schö­ne Tage,

herz­lich,

Hans Ber­gel

 

Schnell­ro­da, 12.VI.2012

Sehr geehr­ter Herr Bergel,

viel­leicht sind Sie schon zurück­ge­kehrt von Ihrer Rei­se, viel­leicht noch nicht: Ich möch­te mich jeden­falls herz­lich bedan­ken für Ihre Sen­dung vom 27. April, für die dar­in ent­hal­te­nen bei­den Auf­sät­ze und den Vor­abend des Tai­funs. Ich habe die Lek­tü­re been­det, mit beson­de­rer, exis­ten­ti­el­ler Berüh­rung natür­lich Ihre Schil­de­run­gen aus der Zeit, da Sie als jun­ger Mann Kurier­diens­te aus­führ­ten, Men­schen­le­ben ret­te­ten, einen Roman auf Fet­zen schrie­ben und wie­der ver­lo­ren und lan­ge Jah­re im Gefäng­nis verbrachten.

Ganz beson­ders dan­ke ich natür­lich für die bei­den poli­ti­schen Auf­sät­ze »Der ›wei­ße Mann‹ und das Pro­blem sei­ner Zukunft: die Migra­ti­on« und die »Anmer­kun­gen zum Buch Die selbst­be­wuß­te Nati­on«, des­sen Autoren ich fast alle ken­ne oder kann­te. Ich war damals enger Mit­ar­bei­ter der Wochen­zei­tung Jun­ge Frei­heit und besprach mit ande­ren jun­gen Redak­teu­ren und eini­gen älte­ren Publi­zis­ten, ob es not­wen­dig sei, den Kopf hin­zu­hal­ten, oder klü­ger, Camou­fla­ge zu betreiben.

Was für eine Fra­ge­stel­lung! Sie ist einem jun­gen Offi­zier (der ich damals war) gar nicht bei­zu­brin­gen: Er lehnt sie von vorn­her­ein ab, hört erst beim drit­ten Mal zu, wirft sich in die Pose des Auf­hal­ters, des Revo­lu­tio­närs, des Schöp­fers einer Gegen-Bewe­gung, zumal es nicht um Leben und Tod, son­dern bloß um ein Mehr oder Weni­ger an Kar­rie­re, sofor­ti­gem Ver­dienst, Ein­fluß und Par­kett-Zutritt ging.

Als mein Blut ein wenig abge­kühlt war, im Über­gang vom Stu­di­um ins Examen, lehn­te ich die Fra­ge­stel­lung nicht mehr aus Stolz, son­dern aus intel­lek­tu­el­ler Über­heb­lich­keit ab: Ich war mir sicher, daß ich jedem, wirk­lich jedem, der mit mir über die Statt­haf­tig­keit mei­ner welt­an­schau­li­chen Par­tei­nah­me wür­de dis­ku­tie­ren wol­len, mit den BRD-imma­nen­ten Argu­men­ten eine Lek­ti­on über die Frei­heit des Geis­tes und der Rede wür­de ertei­len kön­nen – und daß wie­der­um fast jeder die Wirk­lich­keits­nä­he mei­ner Sicht akzep­tie­ren und zuge­ste­hen müßte.

Von die­ser Nai­vi­tät bin ich längst geheilt, der Preis der welt­an­schau­li­chen und publi­zis­ti­schen Frei­heit ist hoch, aber ich bin mir sicher, daß dies nicht die schlech­tes­te Rol­le ist, die man heu­te über­neh­men kann: ein Zei­chen zu sein, ein leben­des Expe­ri­ment für den Grad an Nor­ma­li­tät oder all­täg­li­chem Wahn­sinn in einem Land, das ex nega­tivo immer noch von Hit­ler geführt wird.

Heu­te rate ich jun­gen Män­nern, die in mei­ner Zeit­schrift schrei­ben möch­ten, sich die Fol­gen einer end­gül­ti­gen Kon­ta­mi­na­ti­on mit den Begrif­fen »kon­ser­va­tiv«, »rechts«, »faschis­tisch« mög­lichst plas­tisch aus­zu­ma­len, und dazu gehört eine Vor­stel­lung von der völ­li­gen Mar­gi­na­li­sie­rung des Denk- und Wahr­neh­mungs­mi­lieus, dem ich ange­hö­re. Die Selbst­be­wuß­te Nati­on ent­stand ja in einer Pha­se, als für ein paar Jah­re die Mög­lich­keit auf­schien, »unse­ren« Leu­ten inner­halb der Ull­stein-Ver­lags­grup­pe und der Tages­zei­tung Die Welt so etwas wie ein mate­ri­el­les Auf­fang-Netz zu knüp­fen und das per­sön­li­che Risi­ko einer Ent­schei­dung für die »fal­sche« Sei­te zu mini­mie­ren. Sie wis­sen, daß dies miß­lun­gen ist: Etli­che der Sam­mel­band-Autoren sind gera­de noch recht­zei­tig in die freie Wirt­schaft gesprun­gen oder haben sich los­ge­sagt, um sich zu ret­ten. Ich bin mir aller­dings, nach­dem ich über die Jah­re doch den ein oder ande­ren von ihnen ab und an traf, nicht sicher, ob sie sich auf dem Feld, auf das es letzt­lich ankommt, wirk­lich geret­tet haben.

Es grüßt

Götz Kubit­schek

Cos­ter­ma­no, 2. Juli 2012

 Sehr geehr­ter Herr Kubitschek,

die­se Ant­wort auf Ihren Brief vom 12. Juni – nebst Pro­vo­ka­ti­on – schrei­be ich mit Ver­spä­tung und aus unse­rem Refu­gi­um in Ita­li­en, wohin ich wegen drin­gen­der und umfang­rei­cher Arbei­ten kam. Natür­lich öff­nen Ihre Fest­stel­lun­gen und Gedan­ken Schleu­sen in mir und ver­set­zen mich in die Stim­mung, all dem frei­en Lauf zu las­sen, was sich seit mei­ner Ein­rei­se in dies Land, 1968, in mir stau­te. Ich wer­de mich zurück­hal­ten, eini­ges den­noch aber nie­der­schrei­ben. In Ihrem Bänd­chen Pro­vo­ka­ti­on, das Sie mir sand­ten, strich ich mir zwei Dut­zend For­mu­lie­run­gen an. Es könn­ten auch mei­ne sein, Ihre Erfah­rung ist auch mei­ne. Es ist eine Erfah­rung, die so schwer ins Gewicht fiel – wozu es frei­lich eini­ger Jahr­zehn­te bedurf­te –, daß ich mich heu­te nur dem Rei­sepaß oder Per­so­nal­aus­weis nach als Deut­scher ver­ste­hen kann. Der Weg bis zu die­sem Punkt ist eine Ket­te aus Ernüch­te­rung, Fas­sungs­lo­sig­keit, Wut, Ekel, Ver­ach­tung und schließ­lich Selbst­iso­la­ti­on. Seit fünf­zehn Jah­ren zie­he ich mich immer wie­der hier­her zurück – Kon­se­quenz aus der Erkennt­nis der Ver­geb­lich­keit: Mir wur­de bewußt, daß die Ent­wick­lun­gen und Erschei­nun­gen, die ich im Blick auf die Deut­schen im höchs­ten Gra­de für alar­mie­rend hal­te, his­to­risch ange­legt und ergo unauf­halt­sam sind. Als Ein­zel­ner gegen den Nie­der­gang einer Gesell­schaft anzu­ren­nen, hal­te ich für sinn­lo­sen Selbst­mord. Ich nei­ge nicht dazu.

Als ich im frü­hen März 1968 nach (West-)Deutschland kam, hat­te ich ein knap­pes Vier­tel­jahr­hun­dert erbit­ter­ten, z. T. toll­küh­nen Wider­stands auf meh­re­ren Ebe­nen gegen das kom­mu­nis­ti­sche Sys­tem hin­ter mir. Ich hat­te weder mich noch mei­ne Fami­lie geschont in der Vor­stel­lung, es unse­rer Lebens­wür­de schul­dig zu sein. Von nie­man­dem in der Fami­lie hat­te ich dafür je ein tadeln­des Wort gehört. Als ich in Mün­chen ein­traf, rann­ten kom­mu­nis­ti­sche Losun­gen brül­len­de Stu­dent­chen mit den Por­trät­bil­dern von Mao Tse-tung, Ho Chi Minh, Lenin und Marx durch die Stra­ßen – die Namen jener Män­ner, in deren »Auf­trag« in den Län­dern des Ostens, aus denen ich kam, Mil­lio­nen Men­schen umge­bracht wor­den waren und ande­re Mil­lio­nen in Gefäng­nis­sen und Lagern saßen. Ich ver­such­te – nai­ver Sim­pli­cis­si­mus –, mit eini­gen der Schmud­del­bur­schen ins Gespräch zu kom­men, um ihnen zu erklä­ren, war­um sie die Ers­ten wären, die nach der Rea­li­sie­rung ihrer Gesell­schafts­zie­le hin­ter Schloß und Rie­gel kämen. Ich merk­te aber bald, daß sie gar nicht infor­miert sein woll­ten, daß ihnen ihr gotts­er­bärm­li­cher und ver­ant­wor­tungs­lo­ser Polit-Jux mehr bedeu­te­te als das Argu­ment der Vernunft.

Nun, ich ken­ne alle die Theo­rien zur Erläu­te­rung der Grün­de »des Jah­res ’68« von Rudi Dutsch­ke über Mar­cu­se und Ador­no bis Hork­hei­mer. Sie mögen ihre Rich­tig­keit haben. Ich weiß es nicht, da ich die rea­len Vor­aus­set­zun­gen »vor Ort« – in Deutsch­land – aus eige­nem Mit­er­le­ben nicht erfuhr. Ich weiß aber sehr wohl, war­um ich mit ihrer Ziel­set­zung nicht ein­ver­stan­den sein durf­te: als Reak­ti­on auf die NS-Ver­gat­te­rung der Väter eine ande­re Dik­ta­tur zu errich­ten. Ich ging zu Ordi­na­ri­en, ich ging zum Rek­tor der Münch­ner Uni – damals ein Mann aus einem bekann­ten böh­mi­schen Adels­haus, des­sen Name mir im Augen­blick ent­fällt – und bot mich an, mit den ver­wöhn­ten Söhn­chen und Töch­ter­chen aus gut bis sehr gut gestell­ten Fami­li­en Infor­ma­ti­ons­dis­kus­sio­nen zu füh­ren; mir fehl­ten, sag­te ich, weder die Argu­men­te noch der Hin­weis auf Selbst­er­fah­re­nes. Nein, Sie kön­nen sich die Aus­ma­ße an stu­den­ti­schem Row­dy­tum, an frat­zen­haf­ter Roheit und an Gewalt­po­ten­ti­al der Ableh­nung, einen Dis­put im Namen der Ratio zu füh­ren, nicht aus­ma­len. Ich hat­te im Alter jener Wirt­schafts­wun­der­spröß­lin­ge jah­re­lang – von den Inter­ven­ti­ons-Batail­lo­nen der Secu­ri­ta­te gejagt – in Hoch­ge­birgs­bi­waks, auf­ge­las­se­nen Senn­hüt­ten, in Höh­len gehaust, hat­te sehen müs­sen, wie Gleich­ge­sinn­te – Philosophie‑, Theologie‑, Medi­zin­stu­den­ten, Bau­ern, Leh­rer, Ärz­te, Inge­nieu­re, Hir­ten – neben mir auf bes­tia­li­sche Wei­se abge­schlach­tet wur­den, ohne ihnen hel­fen zu kön­nen, und sah mich jetzt einer Jugend gegen­über, die jene Toten schal­lend aus­lach­te und mich in Sprech­chö­ren als »Faschist« beschimpf­te (nota bene: ohne zu wis­sen, was das eigent­lich ist).

1991 hielt ich im Rah­men eines Ger­ma­nis­ten-Kon­gres­ses an der Uni Graz einen Vor­trag »Zen­sur im kom­mu­nis­ti­schen Osten, Zen­sur im frei­en Wes­ten«. Da ich bei­de Gesell­schafts­for­men auch als Buch­au­tor ken­nen­ge­lernt hat­te, wuß­te ich, war­um die con­clu­sio mei­ner Aus­füh­rung lau­ten muß­te: Die pri­va­te Zen­sur bei west­li­chen Ver­la­gen ist rigo­ro­ser, als es die staat­li­che Zen­sur in öst­li­chen (kom­mu­nis­ti­schen) Häu­sern war. Wäh­rend wir näm­lich alle – auch der Ver­lags­lek­tor und Ver­lags-Chef – im Osten wuß­ten, wer unser Geg­ner war – das staats­ideo­lo­gi­sche Dik­tat –, begeg­ne­te mir die Zen­sur von pri­va­ter Hand im Wes­ten ungreif­bar: Ihre nie­der­träch­ti­ge Geschmei­dig­keit, ihr fle­xi­bles Ver­hal­ten zum Zweck, mich aus­zu­trick­sen oder »her­um­zu­krie­gen« (weil mein Skript ver­lo­ckend gut war), die Unred­lich­keit des Ableh­nungs­ar­gu­ments – ich erklär­te es in mei­nem Vor­trag, der zu allem ande­ren auch gedruckt erschien und mir in der Fol­ge den ent­spre­chen­den Undienst erwies. Hat­ten die »Jung­in­tel­lek­tu­el­len« von ’68 gesiegt? Ja, sie saßen in den Ver­la­gen, Redak­tio­nen, Gerich­ten, Schu­len etc.

Ich muß­te zu dem Ergeb­nis kom­men (was ich all­zu­lan­ge nicht wahr­ha­ben woll­te), daß ich in kei­nem Gesell­schafts­sys­tem des vori­gen und die­ses Jahr­hun­derts unbe­las­tet und frei wür­de leben kön­nen. Unse­re »freie« Gesell­schaft ist eine Lüge, bei allen Lor­bee­ren, die ihr angeb­li­che Ken­ner umhän­gen mögen. Es ist auch das Fazit Joa­chim Fests in der 2006 erschie­ne­nen Auto­bio­gra­phie Ich nicht … Hält man sich Fests bedach­te und abwä­gen­de Art vor Augen, ist das ein ver­nich­ten­des Urteil. Unse­re Auto­in­dus­trie kann noch so welt­weit füh­rend, unser Gesund­heits­we­sen so vor­bild­lich in Euro­pa und unse­re Infra­struk­tur noch so benei­dens­wert sein – der Wurm sitzt tie­fer. Die meis­ten wis­sen es. Nichts war mir in mei­nem Leben wider­li­cher als über­hitz­ter Natio­na­lis­mus! Doch für die der­zei­ti­ge Rui­nie­rung der Grund­po­si­tio­nen, deren eine Gemein­schaft – mei­net­hal­ben: eine Gesell­schaft – für ihre Zukunft bedarf, ist die Maß­lo­sig­keit ideo­lo­gi­scher Arro­ganz verantwortlich.

In die­sem Kon­flikt­be­reich war die Bun­des­ebe­ne zu groß für mich. Wer war ich schon? Aber ich woll­te die Exis­tenz des Kom­mu­nis­mus nicht taten­los hin­neh­men. Ich beob­ach­te­te, daß die falsch ange­leg­te Buka­rest-Poli­tik mei­ner in Deutsch­land leben­den Lands­leu­te hin­sicht­lich derer in Rumä­ni­en der Kor­rek­tur bedurf­te. Als ich mich 1970 ein­zu­grei­fen ent­schloß, lei­te­te mich die Erfah­rung, daß kom­mu­nis­ti­sche Reprä­sen­tan­ten nur eines am Geg­ner schätz­ten: Här­te – Höf­lich­keit galt ihnen als Grund zum Geläch­ter. Was mich zum Han­deln bewog, waren die Ent­rech­tun­gen und Ent­eig­nun­gen bis in die ererb­ten Kul­tur­spe­zi­fi­ka hin­ein, ein men­schen­recht­li­cher Skan­dal reih­te sich an den ande­ren: Die klei­ne Eth­nie war all­dem schutz­los aus­ge­setzt. Es hät­te hun­dert Grün­de für ein ent­spre­chen­des Obhuts­ver­hal­ten der Regie­rung in Bonn gege­ben, doch außer höf­li­chen Anfra­gen in Buka­rest geschah soviel wie nichts.

Als ich dann mit mei­nen Kennt­nis­sen der gan­zen Ska­la kom­mu­nis­ti­scher Kodi­zes – vom unter­ir­di­schen Ker­ker­häft­ling bis zum hofier­ten Poe­ta lau­rea­tus – im Zei­chen der Men­schen­rech­te zuguns­ten der im Kom­mu­nis­ten­staat bedroh­ten Eth­nie einen unge­wohn­ten Ton Buka­rest gegen­über anschlug, fiel die bun­des­deut­sche Jour­nail­le mit dem hier­zu­lan­de »töd­li­chen« Vor­wurf »Natio­na­list!« über mich her. In Abspra­che mit Buka­rest?, fra­ge ich mich (wo zur glei­chen Zeit eine gewal­ti­ge Medi­en­kam­pa­gne gegen mich ein­setz­te) – als ob es sich nicht um gequäl­te, gede­mü­tig­te Men­schen, son­dern um eine Hor­de gemein­ge­fähr­li­cher Rabau­ken gehan­delt hät­te, bloß weil die Men­schen dort in chau­vi­nis­ti­scher Umge­bung ihr Deutsch­sein behaup­te­ten. Wäre ich für eine fran­zö­si­sche, kam­bo­dscha­ni­sche oder india­ni­sche Min­der­heit auf die Bar­ri­ka­den gegan­gen, hät­te mich die­sel­be Jour­nail­le mit Jubel­or­gi­en gefei­ert. Trotz ein­schlä­gi­ger Erfah­run­gen war ich scho­ckiert. Sind die­se Leu­te per­vers oder bezahlt?, frag­te ich mich. Nein, sag­te ich mir, es sind Deut­sche, der­lei ist bei kei­ner ande­ren Nati­on denk­bar. Ceausescu wur­de in die­sem Lager für den »Weih­nachts­mann« im kom­mu­nis­ti­schen Osten gehal­ten. Daß mich die Geschich­te spä­ter auf das Genau­es­te bestä­tig­te, ver­an­laß­te kei­nen zu einem Wort der Entschuldigung.

Das ereig­ne­te sich wäh­rend der Jahr­zehn­te 1970/80, es hängt mir bis heu­te bei den Medi­en an. Nun kam es aber nach 1989/90 zur Gro­tes­ke, daß mir in Rumä­ni­en aus­drück­lich für eben jene bei­den Jahr­zehn­te öffent­li­che Ehrun­gen zuteil wur­den und gera­de jetzt wie­der wer­den. »Für stand­haf­te Bekämp­fung der Dik­ta­tur auch nach Ihrer Emi­gra­ti­on« ist u. a. in der Urkun­de ver­merkt, die mir bei der Ver­lei­hung des Dr. h.c. der Uni­ver­si­tät Buka­rest über­reicht wur­de. Der Rek­tor ergänz­te: »Sie haben in jenen Jahr­zehn­ten mit Ihren Inter­views im Radio ›Free Euro­pe‹ allen Men­schen in unse­rem Land Mut gemacht.« Ich war nahe dar­an, ihm zu ant­wor­ten: »O ja, aber gegen den Trend der west­li­chen Intel­li­gen­zi­ja.« Das hal­te ich für entlarvend.

Ich bin es leid, mir über die­se Din­ge den Kopf zu zer­bre­chen, es sei denn, ich ent­schlös­se mich, ein Buch dar­über zu schrei­ben. Doch cui bono?, fra­ge ich mich in einer Gesell­schaft, die aus ihrer Kul­tur­de­fi­ni­ti­on die Grund­wer­te Fami­lie und Kind strich und sich sel­ber damit ad acta legt? Stimmt es nicht nach­denk­lich, daß ich mich in Isra­el im Kreis deutsch­spre­chen­der und trotz allem deut­scher Kul­tur anhän­gen­der hoch gebil­de­ter Juden offe­ner, frei­er über unse­re Befind­lich­kei­ten äußern kann als unter Deut­schen? Aus mei­ner Kor­re­spon­denz mit dem deutsch-hebräi­schen Lyri­ker Man­fred Wink­ler geht man­ches dar­über her­vor. Nir­gend­wo in Deutsch­land erfuhr ich seit mei­ner Aus­wan­de­rung ’68 die Hoch­ach­tung vor deut­scher Kul­tur­leis­tung, zu der die­se geschei­ten Juden bereit sind, nir­gends die­se wache Luzi­di­tät der Argu­men­ta­ti­on wie bei die­sen Juden des »Lyris-Krei­ses«, die mich wie­der­hol­te Male mit schie­rem Ent­set­zen nach den »Anoma­lien deut­scher Intel­lek­tua­li­tät« frag­ten. Mei­ne Rei­sen nach Isra­el – die bis­her letz­te im Herbst v. J. – die­nen mei­ner Rege­ne­ra­ti­on, und ich hör­te dort mehr als ein­mal auch die Fra­ge: Wie lan­ge noch die­se »edle« deut­sche Selbst­kas­tei­ung?, wir glau­ben sie den Deut­schen mitt­ler­wei­le nicht mehr …

Ich habe in mei­nen Roma­nen Wenn die Adler kom­men (1996) und Die Wie­der­kehr der Wöl­fe (2006) – Gott sei’s geklagt – mit eini­gen sakro­sank­ten deut­schen Unrich­tig­kei­ten in der Dar­stel­lung der Geschich­te des 20. Jahr­hun­derts andeu­tungs­wei­se auf­zu­räu­men ver­sucht, die längst auf dem gan­zen Glo­bus, nur nicht in Deutsch­land klar­ge­stellt wur­den – und habe auch dafür bezahlt. Doch das fing schon mit dem Roman Der Tanz in Ket­ten (1. Aufl. ’77) an. Bedeu­ten­de deut­sche Tages­zei­tun­gen lehn­ten eine Rezen­si­on ab, weil – so wur­de mir aus ers­ter Hand über­mit­telt – der Roman lin­ke Tabus deku­vrie­re (allein die FAZ, die damals noch eini­ges wert war, ver­öf­fent­lich­te eine Bespre­chung). Dabei schrieb ich alles ande­re als einen poli­tisch ten­den­ziö­sen Roman! Ich berich­te­te erzäh­lend von Fak­ten, vom Rea­len. Das muß­te ich als der Bote mit der bösen Nach­richt bezah­len. Und die­ser sel­be Roman, den man in der Bun­des­re­pu­blik als stö­rend emp­fand – er könn­te das gute Ver­hält­nis zu Ceau­ses­cu beein­träch­ti­gen, er über­trei­be die nega­ti­ve Zeich­nung, er stif­te Unfrie­den – wur­de knapp drei­ßig Jah­re spä­ter von der gro­ßen Ana Blan­dia­na, Rumä­ni­ens welt­be­rühm­ter Lyri­ke­rin, als (wört­lich) »der ers­te, der kennt­nis­reichs­te, der bis heu­te bes­te Roman über die sta­li­nis­ti­sche Ära in Rumä­ni­en« bezeich­net. Was hilft es ihm? Die Fest­stel­lung kommt ein paar Jahr­zehn­te zu spät – die Jour­nail­le von der Süd­deut­schen bis zur Zeit ver­hin­der­te die öffent­li­che Kennt­nis­nah­me eines authen­ti­schen bel­le­tris­ti­schen Berichts über ein damals fast zu Tode gequäl­tes Land. Und mach­te sich damit schuldig.

Gele­gent­lich drängt sich mir ohne Dazu­tun auf, ob die über sie­ben Jah­re Gefäng­nis, dazu die Par­ti­sa­nen-Jah­re und der pau­sen­lo­se ver­deck­te Wider­stand gegen die Dik­ta­tur sinn­voll, d.h. der rich­ti­ge Weg waren. Ich ging – wie vie­le ande­re! – die­sen Weg in der Vor­stel­lung, ihn mei­nem Bild von einer frei­en Welt, die wir im Wes­ten rea­li­siert sahen, schul­dig zu sein. Nun, die »freie Welt« der Deut­schen mach­te mir den Irr­tum sofort bewußt: Als ich weni­ge Tage nach mei­ner Ankunft in Mün­chen beim Kul­tur­de­zer­nen­ten der Stadt, Dr. Her­bert Hohen­em­ser, mit der Bit­te vor­stel­lig wur­de, mir even­tu­ell bei einer Arbeits­su­che behilf­lich zu sein, und ihm wunsch­ge­mäß einen Zwei-Minu­ten-Abriß mei­nes Lebens vor­ge­tra­gen hat­te – wobei ich die Knast­jah­re wegen anti­kom­mu­nis­ti­scher Akti­vi­tä­ten nicht umging –, wur­de ich kühl ange­schaut und muß­te von dem Her­ren hören: Das ver­stün­de er nicht – er sel­ber sym­pa­thi­sie­re »mit dem kom­mu­nis­ti­schen Gedan­ken­gut«. Ich sah mich zurück­ver­setzt in ein Ver­hör bei der Secu­ri­ta­te, als mir ein Gene­ral­ma­jor den stein­rei­chen, in der Schweiz leben­den Char­lie Chap­lin und den in Ost-Ber­lin leben­den Bert Brecht als Bei­spie­le »hoher fort­schritt­li­cher Intel­lek­tua­li­tät« unter die Nase rieb, um mir mei­ne »fal­sche poli­ti­sche Ein­stel­lung« deut­lich zu machen.

Der von Ihnen ver­ehr­te Dr. Armin Moh­ler, des­sen Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on mir ehe­mals von einem Bekann­ten nach Rumä­ni­en gebracht wor­den war, schrieb 1977 nach dem Erschei­nen mei­nes Romans Der Tanz in Ket­ten in Cri­ticón: »Wäre der Roman Der Tanz in Ket­ten von einem Exil­rus­sen geschrie­ben wor­den, er hät­te sei­nen Autor in Deutsch­land berühmt gemacht – Ber­gels Pech ist es, ein Deut­scher zu sein.« Ich blieb dem muti­gen und unbe­irr­ba­ren Mann, der mir zum ers­ten öffent­li­chen Auf­tritt in Deutsch­land ver­half (Sie­mens-Stif­tung: »Süd­ost­eu­ro­pa als poli­ti­sches Rät­sel«), bis zu sei­nem Tod ver­bun­den, wenn auch dank sei­ner Ner­ven­er­kran­kung zuletzt ohne Kom­mu­ni­ka­ti­on. Ich schä­me mich für den Umgang unse­rer ton­an­ge­ben­den Intel­lek­tu­el­len mit ihm: Ihr unmün­di­ger und ver­wirr­ter Ori­en­tie­rungs­be­griff ließ sie auch schon zu Hit­ler-Zei­ten auf der fal­schen Sei­te ste­hen. – Genug davon! Ruhe und Muße in mei­ner Cos­ter­ma­no-Ein­sam­keit ver­lei­te­ten mich zu all­zu­brei­ter Aus­las­sung; sehen Sie es mir nach.

Bes­te Wün­sche und Grüße,

Hans Ber­gel

 

Schnell­ro­da, 22.X.2012

Sehr geehr­ter Herr Bergel,

ich ant­wor­te sehr spät auf Ihren aus­führ­li­chen und für mich sehr wich­ti­gen Brief vom 2. Juli, des­sen Inten­si­tät und Offen­heit mich ehrt. Ich reagier­te nicht gleich, da Sie in Ihrem süd­li­chen Refu­gi­um nicht erreich­bar sei­en, wie Sie schrie­ben. Viel­leicht sind Sie nun schon aus Ita­li­en zurück­ge­kehrt oder sogar schon wie­der dort, den Novem­ber mei­dend, der zumin­dest in Sach­sen-Anhalt einer der min­der schö­nen Mona­te ist. Jeden­falls hof­fe ich, daß mein Brief Sie bald erreicht.

Es hat mich erschüt­tert, daß jemand wie Sie (der als Deut­scher im Aus­land unsäg­lich litt) nach vier Jahr­zehn­ten im Kern­land nur noch qua Paß sich als Deut­scher begreift und den Rück­zug in eine Art »inne­res Reich« ange­tre­ten hat. Das Selt­sa­me ist, daß mich Ihr Bericht von all Ihrem Ekel und Ihrer Fas­sungs­lo­sig­keit über die Zustän­de in unse­rem Land erschüt­ter­te, obwohl ich solch ein Bekennt­nis ahn­te. Denn es ist eher so, daß ich die Nai­vi­tät oder die Blind­heit, die Lebens­lü­ge oder die Angst nicht begrei­fen kann, mit der so vie­le unse­rer Lands­leu­te sich um einen kla­ren Blick auf die deut­sche Lage brin­gen. Im intel­lek­tu­el­len Milieu tritt nicht sel­ten neben die Lebens­lü­ge eine klar­sich­ti­ge, böse Absicht, gespeist aus einer Art kul­tu­rel­lem Selbst­haß, der sich als Wunsch nach flä­chen­de­cken­der Iden­ti­täts­zer­stö­rung äußert.

Die »Sche­re im Kopf«, die in der »offe­nen Gesell­schaft« nicht als sol­che erkannt wird, ist jeden­falls ein nor­mie­ren­des Moment ers­ter Güte. Selbst­zen­sur, Fol­gen­ab­wä­gung, Sprach­tar­nung und der Auto­ma­tis­mus der Schwei­ge­spi­ra­le (die Noel­le-Neu­mann beschrieb) sind die Fol­gen der Anwe­sen­heit eines Auges, das jeder selbst auf sich ruhen läßt. Wir selbst über­neh­men die Arbeit des »Amtes«, die unfrei­wil­lig-frei­wil­li­ge Über­wa­chung qua face­book und­so­wei­ter leis­tet wei­te­res, und ganz zuletzt (das setz­te viel­leicht vor zehn bis zwölf Jah­ren so rich­tig ein) ist die anony­me Denun­zia­ti­on in den Rang einer Pfand­fin­der­tu­gend erho­ben wor­den: auf­pas­sen, beob­ach­ten, mel­den – so eine Art Wild­hü­ter­job, ein Wald­brand­früh­warn­sys­tem. Einer der bes­ten Autoren mei­nes Ver­lags hat das bei­na­he para­no­ide Gefühl der Unfrei­heit unse­ren »Kampf gegen unsicht­ba­re Geg­ner« genannt – er ist mit die­ser Deu­tung viel wei­ter vor­ge­sto­ßen, als das jede Extre­mis­ten-Defi­ni­ti­on des Ver­fas­sungs­schut­zes je vermöchte.

Ein Wort noch zu Moh­ler, von des­sen Rol­le in Ihrem Leben ich freu­dig las: Ich war sein letz­ter Ver­le­ger, hielt sei­ne Grab­re­de und tele­fo­nie­re ab und an mit sei­ner Frau, die in Otto­brunn in einem Alters­heim lebt. Ich lege Ihnen die Bio­gra­phie bei, die in mei­nem Ver­lag erschien, viel­leicht haben Sie Muße und kön­nen einen Blick hineinwerfen.

Gruß aus Schnellroda,

Götz Kubit­schek

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (6)

eulenfurz

14. Oktober 2013 09:44

Wer Schlattner einmal kennengelernt hat, wird von dessen ungewöhnlicher Selbstgefälligkeit, ja, von seinem Narzißmus, beeindruckt sein. Als siebenbürger Pfaff und kontinental renommierter Schriftsteller ist er weder Fisch noch Fleisch: Im Gegensatz zur engstirnigen BRD-Hautevolee hat er wenigstens noch einen Blick über Völkerschaften und Geschichtshorizonte hinweg, zwischen den "dagebliebenen" Sachsen mit ihren zerfurchten Gesichtern und rauhen Händen ist er aber ein skurriler Paradiesvogel.

Johannes Schmalenberg

14. Oktober 2013 11:24

Ich habe lange Jahre über die so genannten Volksdeutschen und ihre Geschichte gearbeitet. Klagen, wie Sie Hans Bergel erhebt, sind Standard und waren es "immer". Schon eine Verständigung zwischen Volksdeutschen und so genannten Reichsdeutschen war kaum möglich. Kaum waren die Volksdeutschen "heim ins Reich" geholt, gab es von volksdeutscher Seite beinahe nur noch Klagen über Missachtung und Geringschätzung und Benachteiligung.

Ich sage das, um darauf hin zu weisen, dass die zum Teil Jahrhunderte lange getrennte kulturelle und sonstige soziale und politische Entwicklung reale kulturelle und sonstige Folgen hatte. Das unter den Volksdeutschen hoch gehaltene oder im "Deutschtumskampf" kämpferisch behauptete "Deutschtum" stand und steht in erheblicher Differenz zu den in Deutschland, wann und wo auch immer, ob im "Dritten Reich" oder in de BRD oder in der DDR, gelebten Selbstverständlichkeiten und Nicht-Selbstverständlichkeiten.

Ein Dialog zwischen beiden Gruppen, will er Ernst genommen werden und soll er fruchtbar sein, muss das reflektieren und versuchen, beiden Seiten gerecht zu werden. Geschieht das nicht, werden die Volksdeutschen weiter als die ewig Zukurzgekommenen in der Jammerecke der Geschichte wahrgenommen - und früher oder später vergessen werden, soweit sie nicht schon vergessen sind.

Daniel

15. Oktober 2013 20:32

Mit geradezu existenzieller Erregung, atemlos, ja fiebernd las ich den Briefwechsel, geradezu euphorisiert währenddessen in der Wohnung auf und ab laufend, trotz mehr als zehn Stunden harter, körperlicher Arbeit zuvor! Dies ist kein Feierabendbierchen, hiernach will man sein Leben ändern! Vielleicht spreche ich für manche, die hier seit Jahren schon mitlesen, aber wie Martin Lichtmesz es die Tage schrieb, aus verschiedenen Gründen (noch) den direkten Kontakt zur "rechten Szene" scheuen, die gerade in anderen Zusammenhängen leben, bei den sich das Rechtssein eher in einer bestimmten Haltung im Alltag ausdrückt, die aber gerade von solch "persönlichen" Einblicken (die die Veröffentlichung von Briefen ja darstellen) ungeheuer angesprochen und geprägt werden. Und da, über diese Haltung von Leuten, die Sezession lesen, aber nicht sofort als "Rechte" mit allen Assoziationen und den daraus folgenden "Kontaminationsängsten" identifiziert werden, und die in ihrem privaten und beruflichen Umfeld wiederum eine anziehende Wirkung auf viele Entwurzelte, Schwache und Richtungslose erzielt haben (in der Sprache, in den Worten, ja durchaus im Davila'schen Sinne mit umgekehrten Vorzeichen), erzielt wiederum die Sezession wahrscheinlich die größte Breitenwirkung, und solcherart "wiedergeborene" Deutsche (im Mohler'schen Sinne) sorgen mittelfristig dafür, daß die im Briefwechsel geschilderten Auflösungstendenzen aufgehalten werden! Von wem sonst?

Und Eginald Schlattner, mit dem ich mich nach den Beiträgen hier damals zu beschäftigen begonnen hatte, liegt mir auch nicht. Zwei Romane Hans Bergels wurden dagegen eben geordert.

Hartwig

17. Oktober 2013 20:14

Herr Kubitschek, habe den Briefwechsel gerade in der Printausgabe gelesen, und mir ging es wie @Daniel. Eine beeindruckende, tiefgehende,und trotz aller angedeuteten Vergeblichkeit und Aussichtslosigkeit, aktivierende und euphorisierende Lektüre. Falls der Strang noch ein wenig offen bleibt, kann ich vielleicht (!) ausführlicher werden. Im Moment muss ich mich erstmal sammeln.

Hartwig

18. Oktober 2013 12:09

Nochmal ich. Was ist es, was mich am Briefwechsel, speziell an den Zeilen von Bergel aufwühlt. Es ist die Erinnerung an die Zeiten der DDR; mit Rumänien nicht vergleichbar, mit der Situation von Bergel als dortiger Deutscher auch nicht, aber es ist die schmerzvolle Bewusstmachung an die eigene Halbherzigkeit damals, und schlimmer noch, an das Fortbestehen dieser Halbherzigkeit heute.
Kleine Scharmützel, Provokationen und Verweigerungen, die ich mir damals leistete. Schon dies kostete Mut und war doch letztlich nichts. Nicht mehr, als die Möglichkeit, noch in den Spiegel schauen zu können. Nicht mehr, als einen Reststolz zu bewahren. Ohne dies ging es nicht und hätte ich es nicht ertragen, aber zu MEHR war ich dann auch nicht fähig.
Und heute? Ähnlich! Zu einer wahrhaften Aktion des Widerstandes fehlt es. Es fehlt der Mumm, und es fehlt der Mitstreiter. Stattdessen wie damals Provozierendes, das offene Wort. Zuweilen verspüre ich Fremdschämen, ... also man schämt sich für mich.
Aber was bedeutet das alles? Es ist allenfalls ein kleiner Hinweis an die Außenwelt, das der große Konsens noch nicht vollumfänglich verwirklicht ist. Und auch hier wieder das Gefühl, dass es ohne dieses bischen Aufbegehren nicht mehr geht, aber auch, dass fast jegliches nennenswerte Risiko gescheut wird. Antifa-Plakate überkleben - im Dunkeln! Antifa-Plakate überkleben in vollem Licht, unter missgönnendem Publikum?? Nein, dafür reichts nicht. Und wenn man dagegen stellt, was man, was ich zu verlieren habe, so wird die ganze Sache noch beschämender. Stehe ganz gut da, und alles gesetzlich nicht Verbotene hätte für mich nur Folgen im persönlichen Bereich.
Weiter oben schrieb ich von "aktivierender Lektüre". Wir werde sehen.

Toni München

19. Oktober 2013 22:30

Sehr geehrter Herr Kubitschek, sehr geehrter Herr Bergel,

heute am späten Nachmittag, nach des Tages Qual und Mühe, im Wohnzimmersessel beim ungestörten, zweimaligen Lesen Ihres eindrucksvollen Zweier-Briefwechsels in der jüngsten Druckausgabe der Sezession, Nr. 56, sind mir die Schiller’schen Verszeilen „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte“ in den traurigen Sinn gekommen und seitdem nicht mehr verschwunden. Ich will Ihnen sagen, warum.

Ich, als Nachkriegswestdeutscher, habe selbstverständlich (bei weitem) nicht ein Schicksal, wie Herr Bergel, und es fehlt mir auch die oppositionelle Kraft und Leistungsfähigkeit eines Herrn Kubitschek, aber ich habe, wenn ich an unser Land denke, dasselbe fassungslose, wütende Empfinden in Anbetracht der „Verrottungstendenzen“ und in Anbetracht der „niederträchtigen Geschmeidigkeit“ unserer „unsichtbaren Gegner“. Wie es ausschaut, werden wir wohl verlieren, aber dann möglichst mit Anstand und aufrecht.

Ja, die „Bürgschaft“, aus der ich oben zitiert habe, ist schon eine wunderschöne Ballade von unverbrüchlicher Freundschaft und fester Entschlossenheit. Nicht nur etwas für Jungs. Ich weiß noch, selbst meine jungen Töchter waren davon tief beeindruckt, als wir vor Jahren u.a. mit dieser Ballade unsere deutsche Sprachfertigkeit übten.

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor,
Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
Das die Menge gaffend umstehet;
An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor:
"Mich, Henker", ruft er, "erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!"

Ich hoffe, ich disqualifiziere mich nicht in den Augen des Verfassungsschutzes, wenn ich zugebe, dass ich, um meine allzu herbstliche Stimmung zu verbessern, im Anschluss an die heutige Lektüre der Sezession eine CD eingelegt habe, mit (soweit ich weiß, noch immer nicht verbotenen) Liedern von Lützows wilder verwegener Jagd, von der Wacht am Rhein (passend zu K. Weißmanns „Begrenzung des Eigenen“, Sezession, S.24) oder auch von der Sonne, die rot scheint.

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