Messen

Wer so lebt wie wir, einsam und fernsehlos unter Tieren, also abgeschnitten,...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

hat kei­ne Chan­ce, ein Auf­merk­sam­keits­de­fi­zit­syn­drom zu ent­wi­ckeln. Wenn ein jäher Wind­stoß die letz­ten Blät­ter von der Oxel­bee­re fegt, wenn die Kür­bis­blät­ter mor­gens rauh­be­reift her­ab­hän­gen wie Leder­fli­cken, wenn die Hup­me­lo­die des Bäcker­wa­gens meh­re­re Aus­set­zer hat, so, daß sie nach einem ato­na­len Musik­stück klingt, dann sind das hier die Sen­sa­tio­nen, über die es nach­zu­sin­nen gilt. Zwei­und­drei­ßig Wes­pen, die an einem Fall­ob­st­rest nagen: Wahn­sinn, Kin­der, kommt gelaufen!

Wenn Put­je, das Zick­lein, wie­der einen Holz­zaun umrammt, der sie vom Euter der Mut­ter trennt, dann ist der­glei­chen ein Knal­ler, der uns beschäf­tigt. Die Uhren ticken hier anders, ohne mensch­li­che Stör­ge­räu­sche, ohne Wer­be­pla­ka­te, ohne Gerü­che, die man nicht auf Anhieb iden­ti­fi­zie­ren kann. Man mag das als reiz­voll emp­fin­den oder als reiz­los, je nach Verfaßtheit.

Ein paar mal im Jahr kommt das groß­städ­ti­sche Kon­trast­pro­gramm zum Auf­ruf, dies­mal in Form eines Buch­mes­sen­wo­chen­en­des. An einem ein­zi­gen Tag so vie­len Leu­ten begeg­nen wie sonst im Lauf eines gan­zes Jah­res nicht!

Ich fah­re schwarz mit mei­nem Sohn in der S‑Bahn, auch wenn man das heu­te sicher anders aus­drü­cken soll­te. „Ille­gal“ ist auch nicht der rich­ti­ge Ter­mi­nus,  kein Mensch ist ille­gal. Wir rei­sen also fahr­schein­los, weil die Auto­ma­ten unse­ren klei­nen Schein nicht akzep­tier­ten. Es war kein Pas­sant und kein Kiosk in der Nähe, die hät­ten wech­seln kön­nen. An der nächs­ten Sta­ti­on stei­gen Uni­for­mier­te ein, wir ent­wi­schen nach drau­ßen. Nach zwei Sta­tio­nen mit der nächs­ten Bahn stei­gen erneut Uni­for­mier­te ein, es sind die­sel­ben Män­ner. Wir kön­nen nicht mehr aus­stei­gen, mein Herz flat­tert, es ist mir unbe­greif­lich, daß ich sol­che Spiel­chen, Jahr­zehn­te ist´s her, mal sport­lich genom­men habe. Das Pro­vinz­le­ben scheint sen­si­bi­li­sie­rend zu wirken.

Am Haupt­bahn­hof wird das Gedrän­ge so dicht, daß wir uns aus­zu­at­men erlau­ben. Hier kann kein Kon­trol­leur durch. Wir sind auf­ge­stan­den, für Älte­re und Hin­fäl­li­ge. Auf unse­ren frei­ge­ge­be­nen Platz setzt sich eine jun­ge Dun­kel­blon­de mit Dre­ad­locks und Ohrstöpseln.

Mein Sohn betrach­tet von oben die Pracht. Er ist auf­grund sei­ner Kör­per­grö­ße deut­lich näher dran als ich. Fra­gend, ich möch­te nicht sagen: erschüt­tert schaut er mich an. Ich schaue hin­un­ter. So stel­le ich mir einen frem­den Pla­ne­ten vor, feind­se­li­ge Bio­to­pe. Sind die ers­ten ein, zwei Zen­tim­ter über der Kopf­haut eines Dre­ad­lock-Trä­gers je lite­ra­risch in Wor­te gefaßt wor­den? Mei­nes Wis­sens nicht, und auch mei­ne Wor­te zer­fal­len zu Staub, Schup­pen und Unsag­ba­ren. Ich begrei­fe:  Hier, an die­ser bor­ki­gem Fleck­chen Mensch, ist der Unter­gang des Abend­lands leib­haf­tig geworden.

Ein klei­nes Mäd­chen steht neben mei­nem Sohn. Wie er hält sie ihren Mund leicht geöff­net, die nasa­le Atmung scheint aus­ge­setzt. Sie fragt ihre Mut­ter lei­se, was das denn sei, auf dem Kopf da. Die bei­den haben anschei­nend einen wei­ten Weg hin­ter sich, sie spre­chen schwä­bisch. Sie ent­stam­men einer rei­chen, groß­zü­gi­gen Regi­on. „Des isch a gaanz kunscht­vol­le Fri­sur“, sagt die Mut­ter, Aner­ken­nung schwingt in den Wor­ten mit. „Du, des isch a Mords­auf­wand. Da brauchscht Geduld und a waahn­sin­ni­ges Gschick“, sagt die Mutter.

„Aber wie genau geht das“, flüs­tert die Toch­ter.  „Des weiß ich au net. Desch­ja a Kunscht­werk! Aba weischt was?“, die Stim­me wird unter­neh­mungs­lusch­tig, „mir fra­ge die Dame oifach!“ Im Aus­stei­ge­ge­wim­mel ent­zieht sich das Fra­ge­spiel unse­ren Ohren.

Ich war noch nie zu den soge­nann­ten Besu­cher­ta­gen auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se. “Rund eine Mil­li­on”, schätzt  mein Sohn die Menschenmassen.

Ich ent­las­se ihn in Hal­le 3.0 , der Kin­der- und Jugend­buch­hal­le. Wir haben als Treff­punkt den Stand mit der Maus ver­ein­bart. Der Sohn kommt nicht.

Der Stand ist grö­ßer als der Radi­us mei­nes Blick­win­kels. Ich fra­ge eine Stand­be­treue­rin, ob sich ein klei­ner blon­der Jun­ge gemel­det habe. Hat er nicht. „Geht er nicht ans Han­dy?“ – „Wir sind eine han­dy­lo­se Fami­lie.“ Die Stand­be­treue­rin rügt mich. Das sei ver­ant­wor­tungs­los, heutzutage.

Ich kom­me mir kühn vor und lese Lite­ra­tur­bei­la­gen. Muß von der stand­ei­ge­nen Bank mit buko­li­schem Flair wei­chen, weil sich im Minu­ten­takt Eltern mit ihren Kin­der vor der Hin­ter­grund­wand mit „Shaun, das Schaf“ pho­to­gra­phie­ren las­sen wollen.

Der Sohn braucht noch eine Wei­le, er trägt schwer. Er habe nur eine ein­zi­ge Rei­he geschafft, und an jedem Stand, der sein Inter­es­se fand, habe es gehei­ßen: „Das ist so nied­lich, wie ver­sun­ken du liest, weiß du was, wir wol­len dir das Buch schen­ken.“ Der Sohn sagt, nach dem zwei­ten inter­es­san­ten Buch habe er dar­aus eine Tak­tik ent­wi­ckeln wollen.

Aus­führ­lich und kom­pli­ziert berich­tet er, wie er erfolg­reich geschei­tert ist: „Ich woll­te dann nur so tun, als ob ich ein Buch ganz inten­siv lese, aber dann hab ich das ver­ges­sen und ein­fach wei­ter­ge­le­sen, und immer wei­ter, und dann kam wie­der so eine Frau und hat gesagt: Na, das Buch scheint dir ja wirk­lich zu gefal­len, wir beob­ach­ten dich schon län­ger, weißt du was, wir schen­ken es dir“

Der Sohn hat wah­re Pracht­bän­de in sei­nem Stoff­sack, sein Geschmack freut mich.

Wir wech­seln zu Hal­le 4.1., müs­sen dafür ein Bis­tro durch­que­ren. Die Men­schen­mas­sen sto­cken. Dort lich­ten sie sich. Ich sehe von fer­ne einen schma­len blon­den Zwei­me­ter­mann, der einen ande­ren eskor­tiert, klein und gebeugt. Ein bizar­res Rau­nen geht durch die lei­ser wer­den­de Men­ge, sein Fort­gang läßt sich meter­wei­se ver­fol­gen, wie eine rasche, stil­le oder halb­lau­te Post. „SS-ss-ss-ss!“, eine akus­ti­sche La-Ola-Wel­le auf Zisch­lau­te: Es ist Gün­ter Grass, der am Stock durch den Gang schrei­tet, „der Grass !-, Grass!, ‑ass,-ss,-ss.“

Ich sage mei­nem Sohn, daß der gebeug­te Mann ein welt­be­rühm­ter deut­scher Schrift­stel­ler sei. Er über­legt und fragt dann: „Wenn jetzt die Frau Mer­kel hier ent­lang­gin­ge, dann wür­den man­che hin­ter­her­schimp­fen, oder?“

Als wir uns dann gemein­sam durch Hal­le 4.1. schlän­geln, ist mir mein Sohn ein biß­chen pein­lich. Den schwe­ren Stoff­sack schlep­pe ich, er schleu­dert einen wei­te­ren, noch lee­ren her­um. Ich hat­te ver­ges­sen, daß das Kind ein Quar­tals­na­scher ist. Da in unse­rem Hau­se jen­seits der Oster- und Weih­nachts­zeit außer Äpfeln und Bir­nen kein Zucker­zeug gereicht wird, fühlt er sich hier im Süßig­kei­ten­pa­ra­dies. Ein Stand hat Gum­mi­tie­re auf den Tischen, der nächs­te Kek­se, der über­nächs­te Scho­ko­la­de. Der Sohn hat in der Kin­der­buch­hal­le erfah­ren, daß man zugrei­fen darf. Er nimmt sich reich­lich, über­all, eine Hand in den Mund, eine in den Stoff­sack. Ich fin­de das dreist und ermah­ne ihn zur Zurück­hal­tung, aber die Mes­se­leu­te ermun­tern ihn freund­lich. Bald wird auch mal mit bei­den Hän­den zugegriffen.

Ich recke das Kinn und set­ze einen kin­der­lo­sen Blick auf, tue, als sei­en der blon­de Jun­ge und ich nur flüch­ti­ge Bekannte.

Es gibt, wen wundert´s, zahl­rei­che schö­ne, gute, inter­es­san­te Bücher und ein Über­zahl von bes­ser-nicht-Gedruck­tem. Es gibt defi­ni­tiv mehr Kitsch als Wah­res, defi­ni­tiv mehr Schund als Lite­ra­tur, und im Sach­buch­be­reich defin­tiv mehr Lin­kes als Kon­ser­va­ti­ves. Man könn­te sagen, die­se Buch­mes­se hat aber­mals „Schlag­sei­te“. Die WfD hält aber­mals mit.Vermutlich, ohne den ideo­lo­gi­schen Impe­tus radi­kal­l­in­ker oder radi­kalan­ti­christ­li­cher oder radi­kal­per­ver­ser Stän­de mit­tra­gen zu kön­nen. Wie das mora­lisch so geht? Kei­ne Ahnung.

Am rie­si­gen Stand von Respekt! Kein Platz für Ras­sis­mus in Sicht­wei­te der WfD – es ist der Gang für Ver­la­ge mit außer­ge­wöhn­li­chen Posi­tio­nie­run­gen, außer der WfD sind hier fast nur sehr lin­ke Aus­stel­ler – ist eine klei­ne Tor­wand auf­ge­baut. Mein Sohn bal­lert wie manisch. Es ist der Zuckerschock.

antiidiotikum

Als eine Stand­be­treue­rin ner­vös auf ihn zukommt, fragt er sie, ob er einen der schö­nen Respekt!-Bäl­le haben kön­ne. Ich gucke weg. Die Dame sagt: „Jaaa – grund­sätz­lich schon, aber die kos­ten gaa­anz viel Geld.“ Ich sehe aus den Augen­win­keln mei­nen Sohn sich schüch­tern abwen­den. Der Blick der Dame folgt ihm. Er krallt sich eine Hand­voll Süßig­kei­ten. Der Damen­blick ruht noch immer auf ihm. Mein Sohn wird rot und tut, als wären die Schman­kerl nicht für ihn bestimmt. Er läßt ein paar Päck­chen auf­fäl­lig unauf­fäl­lig in den Beu­tel glei­ten und drückt der Frau zwei Tages­do­sen “Anti­idio­ti­ka” in die Hand. „Für sie!“

Der nächs­te Tag ist Sonn­tag, und es soll früh­mor­gens zu einer ande­ren Mes­se gehen, der Tür­ken­mes­se, von der mein Vater seit vie­len Mona­ten schwärmt: Mußt du dir angu­cken! Jeden zwei­ten Sonn­tag im Monat fin­det der Tür­ken­markt auf dem rie­si­gen Park­platz­are­al des Offen­ba­cher „Ring-Cen­ters“ statt. Die umlie­gen­den Stra­ßen sind in wei­tem Are­al abge­sperrt, deut­sche Ord­ner in Neon-Wes­ten über­wa­chen jede ein­zel­ne Stich­stra­ße. Ohne die­se Maß­nah­men wäre „hier die Höl­le los“, sagt ein Neonmann.

Mein Papa ist ein guter Kun­de bei den Tür­ken: Dusch­ar­ma­tu­ren, Bat­te­rien, Leder­schu­he, „das wer­fen die dir qua­si hin­ter­her“. Dies­mal braucht er einen neu­en Pho­to­ap­pa­rat, sein alter tut´s nur noch so halb­wegs. Um halb neun ist noch wenig los. Die auf­ge­stell­ten Schil­der kün­den vom „Schnäpp­chen­markt“, aber mein Vater hat schon recht: Es ist ein Tür­ken­markt, ein fast rei­ner. Ich spre­che ein paar Aus­stel­ler an. Woher sie kämen: Kre­feld, Duis­burg, Wesel, Göt­tin­gen. Und eigent­lich? Tür­kei. Wie­so sich aber hier fast aus­schließ­lich Tür­ken ein­fän­den? „Sonn­tag schlech­te Zeit für Deut­schen: Da sind Kir­che.“ Ich lache herz­haft. Der Tür­ke stimmt ein, schallend.

Kubit­schek ist ent­täuscht. Er hat Dat­teln erwar­tet, Was­ser­pfei­fen und flie­gen­de Tep­pi­che. Statt­des­sen wer­den Head and Should­ers-Fla­schen zu zwei fuff­zisch ange­bo­ten, grell­grü­ne Pul­lis mit der Auf­schrift „Why dont you try it?“ und Bett­wä­sche mit Öko­sie­gel. Das Are­al umfaßt mehr Stän­de als eine Buch­mes­sen­hal­le, es ist gigan­tisch. Um zehn hat sich der Markt gefüllt. Gemäß unse­rer Her­kunft sind wir eine ver­schwin­den­de Min­der­heit am Plat­ze. Es ist ein Kurz­ur­laub in der Exil­tür­kei; dage­gen ist die Offen­ba­cher Innen­stadt all­tags eine reindeut­sche Erscheinung.

Unse­re Töch­ter sind begeis­tert. Otto und ebay haben so gut wie kei­ne schö­nen lan­gen Röcke im Ange­bot, hier fin­det man sie in Mas­sen. Lei­der aus­schließ­lich 100% Poly­es­ter. Wir haben wun­der­ba­re Pho­tos geschos­sen. Kubit­schek mit einer „Lea­der-Jacke, 10 Euro“, die Schil­der mit den Warn­hin­wei­sen vor Taschen­die­ben, Par­fum-Fla­kons in Form eines weib­li­chen Tor­sos, der Koran als hei­li­ges Dau­men­ki­no, sol­che Sachen. Lei­der war der Kauf einer neu­en Kame­ra erst die letz­te Tat auf die­ser beson­de­ren Mes­se. Das alte Ding streikt im Moment, mein Vater will die Auf­nah­men in den nächs­ten Tagen nach­rei­chen. Ich wer­de sie wei­ter­rei­chen, versprochen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (19)

Unke

15. Oktober 2013 11:21

Ich mag diese Kurzgeschichten. Oder nennt man das Vignetten? Keine Ahnung. Wie auch immer, aber genau für so etwas wurde die Gattung Blog erfunden ;-)

Eine Überlegung etwas abseits der geschilderten Aktualitäten: es ist mir schon bei den letzten Schilderungen in Sachen Familie Kositzka/Kubitschek (wenn das mal keine progressive Benamsung ist!) in den Sinn gekommen, dass keine Erziehung und auch nicht das Aufwachsen in einer bestimmten Umgebung garantiert, dass sich die eigenen Kinder später einmal gegen die Eltern wenden. Vielleicht nur zeitweise. Vielleicht grundlegend.
Damit widerspreche ich Mitforisten, die diesbezüglich einen optimistischen Blick in die Glaskugel getan hatten. Dagegen kann ich nur sagen: man steckt nicht drin (OK, 3 Euro ins Phrasenschwein!). Schilderungen des Familienalltags sind Momentaufnahmen, und wieviel kulturelle und gesellschaftliche Einstellungen der Eltern von den Kindern später einmal übernommen werden ist ungewiss. Immerhin: alleine schon die Gene, also das biologische Erbe -was gewisse Verhaltensmuster, z.B., mit einschließt-, bleibt. Damit müssen sich die Kinder später als Erwachsene arrangieren, ob sie wollen oder nicht ;-)

Am erwähnten Sonntag morgen war ich übrigens auch in OF. Allerdings direkt am Main, zum gleichnamigen Uferlauf ;-)

Ein letztes noch: Handys samt Verträge kosten heutzutage nicht die Welt. Wirklich!

Kositza: Sie sind einer derjenigen, die mich auch beim zwischentag mit "Kositzka" angesprochen haben, stimmt´s? Macht nichts.
Handy: Ich bin in der glücklichen Lage behaupten zu können - hoffentlich vergesse ich jetzt nichts... -, daß es nichts gibt, was ich aus finanziellen Gründen tue oder unterlasse. Ein Handy kommt mir nicht in die Tasche. Steht mir nicht. Da bin ich hoffnungslos retro. Noch teilen die Kinder meinen Geschmack.

Karl Eduard

15. Oktober 2013 11:30

Schön. Hat mir Spaß gemacht, zu lesen.

Inselbauer

15. Oktober 2013 11:55

Den Kubitschek in der Synthie-Lederjacke könnte man als gefährlichen Rocker noch in Kauf nehmen, aber die schönen langen Plastikröcke (...?) Eine fesche Frau mit ihren blonden Töchtern gehört in deutsche Mode, z.B. "Rene Lèzard". Türken werden mir immer sympathischer, als Linker habe ich sie noch gehasst, aber nach gemeinsamen Kanalarbeiten mit Karl Heinz Hoffmann bin ich geheilt.
Wird das "Familienprojekt" eigentlich irgendwie dokumentiert, abseits des Gelegenheitsfeuilletons? Für den Vertrieb des Buchs würde ich mich glatt als Messe-Laufbursche zur Verfügung stellen.

Martin

15. Oktober 2013 13:46

gehört in deutsche Mode, z.B. „Rene Lèzard“

Was ist daran noch großartig deutsch? Die Firma gehört mittlerweile Italienern und die Ware an und für sich wird wohl zum großen Teil weis-Gott-wo produziert, was ja auch nichts ungewöhnliches in der noch in Deutschland ansässigen Textilindustrie ist. Entwurf, Vertrieb und ggf. noch die Musterkollektion hierzulande, der Rest von irgendwo ...

Darf Edition Antaios auf die Buchmesse?

antwort kubitschek:
ja, darf sie, könnte dort sogar das ein oder andere podium mitgestalten. indes: wer will schon an einer messe teilnehmen, auf der unter anderem christof wackernagel, ehemaliges mitglied der raf, seine traumtagebücher präsentiert - das schwerste buch aller hallen.

Inselbauer

15. Oktober 2013 14:23

@ Martin

Es soll Aussagen geben, die nicht hundertprozentig ernst gemeint sind. Aber wenigstens bleiben Sie deutsch, indem Sie das mit einem gewissen Misstrauen zur Kenntnis nehmen.

Unke

15. Oktober 2013 14:33

Oh, also dieses Interview hier finde ich interessant. Sein Buch ist wahrscheinlich strunzlangweilig.

Kositza: Ja, das Buch - rund 250 €, wenn ich nicht irre - ist so langweilig, wie es langatmige Schilderungen von Träumen nun mal sui generis sind.
Logisch ist es aber nicht in Wahrheit hochproblematisch, wenn ein Verlag (noch dazu ein ziemlich guter) das Buch eines langjährig inhaftierten Terroristen publiziert; soll sein.
Kubitscheks Kommentar zielte wohl darauf ab, daß es Verlage gibt, die in ihren Publikationen schneidende Berichte über den zwischentag verfassen und sich echauffieren, daß dort einer sprach, der mal in Verdacht stand, mit terroristischen Gruppen in Berührung zu stehen. Und daß diese empfindlichen Verlage andererseits auf Messen präsentieren, wo kiloschwere Bücher von Ex-Terroristen ausgestellt werden. Zugegeben - ein etwas komplizierter Gedankengang.

ene

15. Oktober 2013 14:34

@ Unke

Mein Vorschlag: Miniaturen.

Ja, man kann sich gegen die Eltern wenden - aber man wird sie nicht los...
Ab einem gewissen Alter entdeckt man frappierende Ähnlichkeiten. Bis in die Gestik hinein. Ein weites Feld: Keiner von uns ist jemals in der Lage, seine frühe Kindheit hinter sich zu lassen (Christiane Olivier, Psychologin)

Willi Wiemold

15. Oktober 2013 15:51

Endlich wieder ein Kositza. Immer wieder köstlich.

Martin Lichtmesz

15. Oktober 2013 16:02

Ein weites Feld: Keiner von uns ist jemals in der Lage, seine frühe Kindheit hinter sich zu lassen (Christiane Olivier, Psychologin)

Heimito von Doderer hat es am schönsten gesagt (in: "Ein Mord, denn jeder begeht."):

Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will.

stegmüller

15. Oktober 2013 16:09

Die helle Aufregung, die die Rastafrau auslöst, ist geradezu rührend. Feindselige Biotope und Untergang des Abendlandes weil sich da jemand die Haare verzwirnt hat. Bei aller Koketterie in der Tat fremde Planeten.

Antwort Kositza: Ach, alles nichts gegen die helle Aufregung, die sich im romantisch verschnarchten Schnellroda ergibt, wenn man ein nichtgesetztes Komma entdeckt!

Nihil

15. Oktober 2013 17:24

ad Erziehung: Naja, wer an das Wundermittel "Erziehung" glaubt, ist der nicht Behaviorist? Also irgendwo links oder liberalistisch? Ich würde meinen, ja. Da und dort eingreifen, aber die "Natur" bannt sich schon ihren weg. Das ist doch eine schöne und unheimliche entlastende Botschaft - Institution "Natur".

ad Schnellroda/Berlin: Tut mir leid, aber das hier immer wieder geschilderte Leben in der Pampa kann mir niemand schmackhaft machen. Ich habe größte Vorbehalte gegen neoromantische Anwandlungen. Und deshalb gefällt mir, dass die Einöde Sachsen-Anhalts in den Schilderungen von Kubitschek und Kositza wenigstens thematisiert wird. Das ist keine Rechtfertigung der Großstadthöllen, aber dort ist nun mal die "HKL", wenn man das so frei formulieren darf.

Noah

15. Oktober 2013 19:01

Eine Sonderausgabe der Sezession mit Ellen Kositzas Erzählungen wäre wunderbar! Denkt mal drüber nach... :)

Weltversteher

15. Oktober 2013 21:41

Da muß der Türke aber gerade aus Anatolien gekommen sein, daß er glaubt, die Ungläubigen wären wirklich in der Kirche.
Wir mögen wirklich manchmal auf Teile unserer Stammesbrüder spucken wollen wegen ihrer Doofheit, ihrem Hedonismus oder was auch immer. Aber gegenüber einem Fremden?! Zumal der höchstwahrscheinlich nicht ihre philosophische Art teilt. Und wenn Sie beide auch im Lachen sich vereint fühlen, vermutlich doch jeder etwas anderes meint.

Kositza: Ja, sie haben recht. Das meine ich ernst. Über einen solchen Markt zu wandeln, ist ohnehin ein Balanceakt. Da kommt man leicht ins Straucheln. Man flaniert da ja nicht haßerfüllt oder herablassend, sondern mit einem ernsthaften Interesse. Findet aber wenig Interessantes, wenig "Mentalität", keine wachen Augen, nur Markttreiberei, und dies auch im übertragenen Sinne. Warum sind diese Leute hier? Bei fünf Grad Celsius, mit den von ihnen feilgebotenen Antizahnsteintuben und Autositzschonern auf einem Betonparkplatz? Sind die hier glücklicher als sie dort wären, wo ihre Großeltern begraben sind? Muß man Mitleid haben? Mit wem? Man kann sehr zynisch werden, und dann lacht man halt dumm.

Jens

15. Oktober 2013 22:32

Wirklich gelungen, der "Messenachlese-Bericht". Auf der Buchmesse war ich auch, in Berlin neulich leider nicht. Dieser seltsame "Respekt"-Stand war schon lustig. Habe da einen Südländer gesehen, der sich, mit JF-Tasche unterm Arm, mit einem der Standinhaber unterhielt und vernahm da Fetzen wie "Nee nee, die Zeitung finde ich auch nicht gut, das ist nicht meine Richtung..." Bei der Buchvorstellung von Prof. Hankel meinte ein ganz Schlauer im Vorbeigehen auch, das ganze mit dem schlagfertigen wie enorm geistreichen Ausruf "Ihr seid ja gar nicht jung!" kommentiern zu müssen. Überhaupt gibt es auf der Buchmesse immer allerhand Kuriositäten, da muss man sich nicht erst in den Comic-Bereich vorwagen.

Leo

16. Oktober 2013 01:07

Ja, liebe Ellen Kositza, diese Betrachtungen aus der Sicht der habituellen Nicht-Städtebewohnerin erfreuen auch immer wieder mein Herz. Das Land-Leben muss doch ein deutlich anders sein als das meine - das eines normalen Berliner Großstadtneurotikers... Kompliment dafür, dass diese ganz andere Betrachtung des Da-Seins so gut formuliert wird!
(Hätte ich am 5.10. am Antaios-Stand eigentlich mal direkt loswerden wollen, aber... Na, im nächsten Jahr dann, ohne Kind---!)

Axel Wahlder

16. Oktober 2013 04:50

Wundervolle Lektuere. Danke.

Carsten

16. Oktober 2013 09:11

Der kleine Seitenhieb gegen die »WfD« war wohl unverkneifbar?

yes

Albert

16. Oktober 2013 11:20

Sehr schöner Text. Ein Lesegenuß.

Besonders die Passagen mit dem Sohn fand ich anrührend... Schade, daß Ellen Kositza so selten schreibt.

Und ein Foto von G.K. auf dem Türkenmarkt mit Leaderjacke - das würde ich zu gern mal sehen...

Andrenio

19. Oktober 2013 07:29

Je weniger "verkopft", je mehr nah am wirklichen Leben, desto größer der Lesegenuss.
Warum schreiben in diesem Forum nicht mehr Leute direkt aus ihrem Leben und nicht über irgendwelche Theorien, die weit an der Realtität vorbeigehen?
Ansonsten: Qualität ist gefragt. Weder Sänger noch Künstler konnte auf dem Zwischentag diesbezüglich überzeugen. Dann lieber "ohne"...

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.