Mohn II – eine Anspielung

von Werner Castellio

Der Waldgänger Werner Castellio hat für Friedrich Georg Jünger (der zuweilen ähnlich an seinen Landsleuten litt) Verse verfaßt, die nicht zufällig auf unseren Tagebucheintrag zum Zerfall der Lage folgen. Da wir mit der Veröffentlichung dieses Gedichts in tiefere Bildungsschichten vorstoßen, interessiert uns, ob sich unsere Leser dort unten auskennen.

Mohn­saft, du stillst uns den Schmerz, schenkst,
wenn auch kurz nur, den Schlaf.
Schär­fer als Feu­er und Stahl kränkt uns das Nie­de­re doch.
Wirft es zur Herr­schaft sich auf, befiehlt es, so flie­hen die Musen:
Klio vor allem und mit ihr die Wür­de, das Recht, die Vernunft.
Fins­ter und dumpf liegt das Land, viel­fach in Feig­heit geduckt.
Heuch­ler bestim­men den Ton, umjauchzt von Claqeuren.
His­trio­nen­ge­schmeiß spreizt sich auf hohem Kothurn.
Mario­net­ten­spie­ler faseln von Freiheit.

Selbst­lob flicht’ sich der Schnüff­ler. Schaum vorm Mund, lehrt er Moral.
„Anti­fa­schis­mus ist Pflicht!“ ruft er: „Auf denn zur täg­li­chen Schlacht!“
Fei­ert chi­mä­ri­sche Sie­ge, sprengt mit Kar­tau­nen die Luft.
Füllt Biblio­the­ken mit Gei­fer, dröhnt in Kanä­len und Netzen.
Peitscht die Zen­so­ren her­bei, wo auch nur Res­te von Zweifel.
„Nim­mer duld’ ich Gelas­se­ne. Schweig­sa­me ähneln Verrätern,
Immer trie­fe die Stirn, rin­ne vom Kotau der Schweiß.“
Kei­ner ent­geht mei­nem Blick. Hier steht der Gut­mensch als Richter.

Wid­rig ist der Tri­bu­nen Geschlecht. Kale­ku­ti­sche Hähne
Höre ich kol­lern am Markt, hör ich schar­ren am Platz.
Seht, wie sie katz­bu­ckeln, schmei­cheln und dro­hen: andern Gebrochnen.
Lau­ter als der Che­rus­ker, der Romas stol­ze Legionen
Weih­te der Nacht und dem Tod, stim­men den Jagd­ruf sie an,
Wo auch nur Kleinst­wild sie wit­tern. Habt ihr feind­li­che Hee­re geschlagen?
Ris­set ihr Ket­ten ent­zwei, die euch der Sie­ger gestückt?
Nein, sie beju­beln den Sieg, der über Brü­der erfochten.

Denun­zi­an­ten dün­ken sich hel­disch, vom Wahn Befal­le­ne wachsam.
Meu­ten von Kötern het­zen den ein­sa­men Wolf, des­sen Frei­heit sie kränkt.
Schmer­zend hallt in den Ohren der Lärm mir, mich widert der Taumel,
Widert das lau­te Geschrei hys­te­ri­scher Knech­te und Mägde.
Schar­lach­far­be­ner Mohn, ich sehe dich gern auf den Gräbern,
Wo sie am liebs­ten den letz­ten, der nicht wie sie kriecht, ehr­los verfolgen.
Tie­fer schwei­gen die Toten, schla­fen und
Hören das kin­di­sche Lied stol­zer Erbärm­lich­keit nicht.

Nichts schreibt sich
von allein!

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Kommentare (12)

Martin Lichtmesz

4. Dezember 2013 10:23

Auch dies paßt dazu:

Larven aus faulenden hirnen gekrochen
Sind nun ins leben hereingebrochen

Breiten sich dreist über alle gassen:
›Das reich ist unser: wir kommen in massen.

Der geht noch aufrecht – reisset ihn um
Der hat noch ein antlitz – zerret es krumm!

Der schreitet noch – er schleiche und hinke
Der schaut noch – macht dass er schiele und zwinke!

Kein arm: wir brauchen nur taster und greifer
Kein blut: wir brauchen nur gallert und geifer.

Hinweg mit seelen mit höhen und himmeln
Wir brauchen nur staub: wir die kriechen und wimmeln.‹

Wilhelm Mayrhuber

4. Dezember 2013 12:59

"stolze Erbärmlichkeit" - schönes Oxymoron! Ein Gedicht das zur Zeit passt.

Klaus F.

4. Dezember 2013 13:33

Ich kenn' mich leider weder oben noch unten genug aus um etwas profundes beizusteuern, außer vielleicht einer Platitüde aus der Physik, nämlich daß die Bedeutsamkeit der Begriffe „oben" und „unten" überhaupt davon abhängt, daß man sich in einem Schwerkraftfeld bewegt. Dieses zieht per Definition nach unten, und jeder Widerstand ist mit Energieaufwand verbunden. Mir kommt es vor, als könne man das eins zu eins auf die Welt der geistigen (und daraus folgend gesellschaftlichen) Verfassung übertragen. Können wir der Schwerkraft je entfliehen?

Positive Nebenwirkung: Der nebulösen Erinnerung geschuldet war mir momentan die Assoziation des Waldgängers nicht gegenwärtig, aber sowas behebt sich ja glücklicherweise heutzutage mit wenigen Klicks. Dadurch stieß ich auf die soeben druckfrisch erschienene, seit langem überfällige englische Übersetzung jenes Standardwerks (https://www.ernst-juenger.org/2013/12/praise-for-new-english-translation-of.html). Das wird ein treffliches Weihnachtsgeschenk für einige meiner überseeischen Freunde. Daher schönen Dank für den Tip!

kolkrabe

4. Dezember 2013 13:55

FG Jünger braucht nun wirklich kein Update. Das Original spricht nach wie vor sehr deutlich - deutlicher und ernster als jeder Versuch einer tagespolitischen Aktualisierung.

So auch in den letzten beiden Strophen vom "Abschiedslied":

Lass die abgegriffenen Leiern
Selbst im Wind sich preisen.
Besser ist, du fliehst die Feiern,
Fliehst die hohen Weisen.

Ruhm nicht bringt es, eure Schlachten
Mitzuschlagen.
Eure Siege sind verächtlich
Wie die Niederlagen.

(enthalten in FG Jünger Sämtliche Gedichte Bd. 1, S. 61f)

Raskolnikow

4. Dezember 2013 14:54

"Schließ Aug und Ohr für eine Weil
vor dem Getös der Zeit."
(F.Gundolf)

"Unmengen,

an Dominosteinen und billigen Lebkuchen" sowie Harsdörffers "Mordgeschichte" beschäftigen mich zwar zur Zeit über alle Maßen, trotzdem lassen die von Kubitschek geschilderten Vorfälle gemeiner Art allerlei unziemliche Begierden aufkommen. Man fragt sich, warum man eigentlich all die Jahre in den Kellerkasematten einen Tatzelwurm hält, wenn nicht dazu anderes Gewürm zu zernichten ... Nur um die Bäuerinnen und Milchmädchen zu erschrecken?

Nun ja, diese unfeinen Gedanken beiseiteschiebend, muss ich doch auf ein straffendes Lied unseres Friedrich Gundelfinger verweisen, Ihr wisst schon: der sympathische jüdische Nacktbadeenthusiast aus der George-Gang (Prost in den totgesagten Park!). Auch so ein Lied, das wir uns von den Erbärmlichen haben stehlen lassen ...

"Schließ aug und Ohr"

(Potzblitz, man findet ja wirklich alles in diesem Internet ...)

"... und in das Feuer das verraucht
wirf dich als letztes Scheit!"

Mehr bleibt uns wohl nicht!

Seid umarmt,

R.

dazu kubitschek:
lieber R., 1. hat uns das gesindel dieses lied nicht geraubt, wir singens hier ab und an, und daß es das lieblingslied des hj-führers hans scholl war (der nur deswegen flugblattwiderstand zu leisten imstande war, weil er überall der verwegenste sein wollte), wissen Sie eh, oder? 2. ich brachte mal einen überbündischen kalender raus, war vor rund 20 jahren, der hieß tatsächlich "das letzte scheit", woraus intern während der nervraubenden stunden "der letzte scheiß" wurde. Sie sehen: Sie schließen mit simplen versen türen in die vergangenheit auf; 3. gundolf: werde ich wieder mal verlegen, vor allem sein grandioses goethe-buch, das ich in einer ausgabe mit linksdrehendem hakenkreuz besitze (welches eines der symbole des weit vor 1933 bereits agierenden bondi-verlages war).
kommen Sie mir also demnächst bitte mit fundstücken, die selbst mich überraschen könnten, nicht mit lesesteinen der ersten schicht.

Waldgänger

4. Dezember 2013 17:55

Schon eine Weile nicht mehr
in so schöner Sprache
über so Übles gelesen.

Danke!

79 Jahre später...
Friedrich Georg hätte es gefallen.

Martin

4. Dezember 2013 21:20

bondi-verlages

Oh ja - Die schönen "Blätter für die Kunst" ...

Rumpelstilzchen

4. Dezember 2013 21:48

@ Klaus F.
Ich kenn mich leider weder oben noch unten aus....

Da wo die Nüchternheit dich verläßt, da ist die Grenze deiner Begeisterung. Der große Dichter ist niemals von sich selbst verlassen, er mag sich so weit über sich selbst erheben, als er will. Man kann auch in die Höhe fallen, so wie in die Tiefe. Das letztere verhindert der elastische Geist, das erstere die Schwerkraft, die in nüchternem Besinnen liegt. Das Gefühl ist aber wohl die beste Nüchternheit und Besinnung des Dichters, wenn es richtig und warm und klar und kräftig ist. Es ist Zügel und Sporn dem Geist.

Carsten

5. Dezember 2013 09:34

Lieber Herr K., sein Sie nicht so grob mit dem liebenswerten Herrn R.

antwort kubitschek:
der ist weder schwul, noch liest er paulo coelho, der kann das ertragen.

Rumpelstilzchen

5. Dezember 2013 11:29

@kubitschek

"der kann das ertragen",
ja mit Unmengen von Dominosteinen und Billiglebkuchen und minderwertigem Fusel.
Mich hat das Fundstück jedenfalls gefreut, ich kannte es nicht.
Bleibt nur zu klären, warum sich mein Herz bei diesem Lied weitet und nicht bei Paul Coelho, der doch auch dazu anhält, im "Tag die Ewigkeit zu sehen".
Dazu braucht es einen elastischen Geist und ein nüchternes Gefühl.

H. M. Richter

5. Dezember 2013 18:32

Auch Haeckers Worte bleiben gültig:

Ich habe nicht die Macht zu verhindern, daß heute das Gesindel die Welt regiert, aber gegen eines kann ich mich Gott sei Dank doch wehren, so schwach ich auch bin, daß mir nämlich das Gesindel die Welt erklärt. Hier bin ich nicht wehrlos.

Sara Tempel

9. Dezember 2013 15:42

"Da wir mit der Veröffentlichung dieses Gedichts in tiefere Bildungsschichten vorstoßen, interessiert uns, ob sich unsere Leser dort unten auskennen."
Den Mohnsaft habe ich zwar noch nicht genossen, wohl aber fand ich - jenseits dieses "Ich"- Zugang zum chthonisch-dionysischen Reich der Mutter Natur, deren tiefe Höhlen mich magisch anziehen.

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