150. Geburtstag George Santayana

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

von Till Kinzel

Santayana war ein Denker sui generis, der verschiedene Denkströmungen zusammenbrachte, die man gemeinhin als inkompatibel betrachtet.

Er war z. B. Mate­ria­list und Athe­ist (Natu­ra­list), schätz­te aber die reli­giö­sen Tra­di­tio­nen des Katho­li­zis­mus. San­ta­ya­na kam wäh­rend sei­nes Stu­di­ums in Ber­lin in Berüh­rung mit dem Werk Scho­pen­hau­ers, über den er auch sei­ne Dis­ser­ta­ti­on schrei­ben woll­te. Dies wur­de ihm jedoch von sei­nem Dok­tor­va­ter in den USA ver­wehrt. Die star­ken ästhe­ti­schen Inter­es­sen San­ta­ya­nas wur­den aber durch die Lek­tü­re Scho­pen­hau­ers geför­dert – sein frü­hes­tes Werk, das sich auch gegen Kant rich­te­te, unter­nahm bereits eine Ver­tei­di­gung des Sinns für Schön­heit (The Sen­se of Beau­ty, 1896).

Die aka­de­mi­sche Kar­rie­re an der Har­vard-Uni­ver­si­tät, wo u. a. T. S. Eli­ot und Robert Frost zu sei­nen Stu­den­ten gehör­ten, gab er 1912 auf und sie­del­te nach Euro­pa über. Seit den zwan­zi­ger Jah­ren leb­te er nur noch in Ita­li­en. Poli­tisch hat­te San­ta­ya­na, weil er Ord­nung über Cha­os stell­te, situa­ti­ons­be­dingt durch­aus eine gene­rel­le Sym­pa­thie für das innen­po­li­ti­sche Ord­nungs­kon­zept des frü­hen ita­lie­ni­schen Faschis­mus (sie­he dazu den wich­ti­gen Brief vom 8. Dezem­ber 1950 an Cor­liss Lamont). Er hielt aber Mus­so­li­ni für einen schlech­ten Men­schen und des­sen krie­ge­ri­sche Außen­po­li­tik für fatal. San­ta­ya­na wand­te sich grund­sätz­lich gegen die poli­ti­schen Erschei­nungs­for­men der moder­nen mas­sen­po­li­ti­schen Sys­te­me, wozu sei­ner Mei­nung nach auch der Ame­ri­ka­nis­mus gehör­te. Es erschien ihm dage­gen wich­tig, aris­to­kra­ti­sche Ele­men­te in der Gesell­schaft zu bewah­ren, die für ihn mit der Ver­nunft in der Gesell­schaft unbe­dingt ver­ein­bar waren, wie er in The Life of Reason (1905–06) erklärte.

San­ta­ya­nas ambi­va­len­tes Ver­hält­nis zur Reli­gi­on läßt sich von sei­ner Ästhe­tik her auf­schlie­ßen. Denn San­ta­ya­na denkt zuerst über die Kunst nach, bevor er die Reli­gi­on aus ihrer Nähe zur Kunst her genau­er in den Blick nimmt. Dabei hat er zunächst ein star­kes Gefühl für die Not­wen­dig­keit einer »Apo­lo­gie der Kunst«, die San­ta­ya­na durch den Beweis lie­fern möch­te, daß »die Kunst zum Leben der Ver­nunft gehört«. Die­se Ver­tei­di­gung der Kunst ist not­wen­dig, weil die Kunst aufs engs­te mit etwas ver­bun­den ist, das man Ver­zau­be­rung nen­nen kann und eben des­halb auch gefähr­lich ist. Denn, so San­ta­ya­na, »Berauscht­heit ist eine trau­ri­ge Ange­le­gen­heit, zumin­dest für einen Phi­lo­so­phen «. Es ist dem­nach für San­ta­ya­na eine phi­lo­so­phi­sche Not­wen­dig­keit, sich mit der Kunst als einer poten­ti­el­len Riva­lin der Phi­lo­so­phie aus­ein­an­der­zu­set­zen. San­ta­ya­nas ästhe­ti­sche Prä­fe­ren­zen die­nen ihm als Aus­gangs­punkt für eine Refle­xi­on auf die »Ursa­chen und die Fein­de des Schö­nen«, was wie­der­um zu der poli­ti­schen Fra­ge führt, im Schut­ze wel­cher Mäch­te das Schö­ne gedei­hen kann und unter dem Ein­fluß wel­cher Kräf­te esda­hin­welkt. Posi­tiv wer­den jene Ein­flüs­se gewer­tet, die die Ent­fal­tung von Mög­lich­kei­ten för­dern, wäh­rend die nega­ti­ven Ein­flüs­se feind­se­li­ge Umstän­de hervorbringen.

Die Unter­schei­dung zwi­schen die­sen bei­den For­men im poli­ti­schen Leben erweist sich als die zen­tra­le Auf­ga­be der poli­ti­schen Phi­lo­so­phie im Sin­ne San­ta­ya­nas, die vor allem in sei­nem Werk Domi­na­ti­ons and Powers (1951) nie­der­ge­legt ist. San­ta­ya­na steht inso­fern in der Nach­fol­ge Spi­no­zas, als er die Geschi­cke der Mensch­heit unter der Per­spek­ti­ve der Ewig­keit, sub spe­cie aeter­ni­ta­tis, betrach­tet. Er dach­te dabei auch inten­siv über den Wan­del der poli­ti­schen Ereig­nis­ge­schich­te und der poli­ti­schen Sys­te­me nach, die er mit einer gewis­sen Distanz beob­ach­te­te, was ihn deut­lich von den auf kla­re prak­ti­sche Zie­le aus­ge­rich­te­ten moder­nen Phi­lo­so­phen unter­schied. Er lehn­te des­halb auch ent­schie­den die Pro­jek­te­ma­che­rei von moder­nen Pro­phe­ten à la Ezra Pound ab. Pla­to­nisch war San­ta­ya­nas Ein­sicht, daß eine unein­ge­schränk­te Ernst­haf­tig­keit in mensch­li­chen Din­gen immer unan­ge­bracht sei. Eine gro­ße lite­ra­ri­sche Dar­stel­lung sei­ner Welt­an­schau­ung jen­seits von Tra­gö­die und Komö­die bie­tet San­ta­ya­nas Bil­dungs­ro­man The Last Puri­tan (Der letz­te Puri­ta­ner, 1936).

San­ta­ya­nas poli­ti­sche Phi­lo­so­phie gehört in die skep­tisch-rea­lis­ti­sche Tra­di­ti­on von Aris­to­te­les über Mon­tai­gne, Locke und Hume bis zu Oakes­hott, die sich um ein Ver­ständ­nis der Grund­la­gen einer frei­heit­li­chen Poli­tik bemüh­ten. Auch wenn er Machia­vel­lis Ansatz ablehn­te, aner­kann­te er des­sen genui­ne Ein­sich­ten in die Welt der Poli­tik und lob­te ihn dafür, daß er den Tat­sa­chen ins Auge sah und sie frei­mü­tig zum Aus­druck brach­te. San­ta­ya­na teil­te die­se Sicht und sah selbst sehr scharf­sich­tig, wel­ches Gefah­ren­po­ten­ti­al z. B. in jenen »sen­ti­men­ta­len Ban­di­ten « schlum­mert, die sich einem falsch ver­stan­de­nen Huma­ni­ta­ris­mus ver­schrei­ben: »Er raubt und mor­det nicht zu sei­nem eige­nen Nut­zen, son­dern für die Grö­ße sei­nes Lan­des oder die Befrei­ung der Armen.«

San­ta­ya­na stand dem Libe­ra­lis­mus sehr kri­tisch gegen­über, da die­ser sich wei­ger­te, alles das zur Kennt­nis zu neh­men, was es über Poli­tik und Kul­tur zur Kennt­nis zu neh­men gebe. Die Libe­ra­len erschie­nen nach San­ta­ya­na auf der Bild­flä­che, wenn »eine Kul­tur ihre Kraft ver­aus­gabt hat und rasch absinkt«. Die Libe­ra­len wür­den in ihrem Bestre­ben, die Kul­tur zu refor­mie­ren, unter einer spe­zi­fi­schen Blind­heit lei­den, da sie die (nicht­li­be­ra­len) Grund­be­din­gun­gen des­sen, was sie wert­schätz­ten, näm­lich geis­ti­ge und künst­le­ri­sche Errun­gen­schaf­ten, nicht erfaßten.

Schrif­ten: The Sen­se of Beau­ty, New York 1896; The Life of Reason, 2 Bde., Lon­don 1905-06; Scep­ti­cism and Ani­mal Faith, New York 1923; Der letz­te Puri­ta­ner, Mün­chen 1936; Die Span­ne mei­nes Lebens, Ham­burg 1950; Die Chris­tus-Idee in den Evan­ge­li­en, Mün­chen 1951; The Let­ters of Geor­ge San­ta­ya­na, hrsg. v. Dani­el Corey, New York 1955; Domi­na­ti­ons and Powers. Reflec­tions on Liber­ty, Socie­ty and Govern­ment, Clif­ton 1972; Inter­pre­ta­ti­ons of Poet­ry and Reli­gi­on, Cam­bridge, Mass. 1989; The Essen­ti­al San­ta­ya­na. Sel­ec­ted Wri­tin­gs, hrsg. v. Mar­tin A. Cole­man, Bloo­ming­ton 2009.

Lite­ra­tur: Tho­mas L. Jef­fers: App­ren­ti­ce­ships. The Bil­dungs­ro­man from Goe­the to San­ta­ya­na, New York et al. 2005; Till Kin­zel: The Tra­ge­dy and Come­dy of Poli­ti­cal Life in the Thought of Geor­ge San­ta­ya­na, in: Lim­bo 29 (2009); John McCor­mick: Geor­ge San­ta­ya­na. A Bio­gra­phy, New York 1987; Paul Arthur Schilpp (Hrsg.): The Phi­lo­so­phy of Geor­ge San­ta­ya­na, Evan­s­ton 1940; Irving Sin­ger: Geor­ge San­ta­ya­na. Lite­ra­ry Phi­lo­so­pher, New Haven 2000.

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