Die Würde der Unbeugsamen

Auf dem eben zu Ende gegangenen Berliner Kolleg des IfS sprach mich in einer Pause Karlheinz Weißmann auf meinen Eintrag zu Harlans "Kolberg" an, ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

… und mein­te, ich wür­de die Wir­kungs­kraft des Films, damals wie heu­te, ziem­lich unter­schät­zen. Er habe den Film ein­mal kom­bi­niert mit der the­ma­tisch ver­wand­ten DDR-Pro­duk­ti­on “Lüt­zower” (1972) sei­nen Schü­lern zur kri­ti­schen Betrach­tung vorgeführt.

Harlans Film habe dabei, trotz allem Bescheid­wis­sen über die his­to­ri­schen Hin­ter­grün­de, auf die Schü­ler einen erheb­li­chen Ein­druck gemacht und bei wei­tem bes­ser abge­schnit­ten als der ideo­lo­gisch um eini­ges plum­per ope­rie­ren­de DEFA-Film.

Weiß­mann bemerk­te fer­ner, daß sei­ne Schü­ler zum Teil posi­tiv oder min­des­tens beein­druckt auf man­che Sze­nen in “Der Unter­gang” (2004) reagiert hät­ten: die HJ/BDM-uni­for­mier­ten Jugend­li­chen, die sich selbst per Gra­na­te in die Luft spren­gen; der ver­schanz­te Waf­fen-SS-Trupp gegen Ende des Films, der noch in aus­sichts­lo­ser Lage ver­bis­sen kämpft und zum bit­te­ren Ende sich selbst richtet.

In den US-Gangs­ter­fil­men der Drei­ßi­ger Jah­re ver­lang­ten die Zen­so­ren, daß die von James Cagney, Paul Muni oder Edward G. Robin­son gespiel­ten Mobs­ter sich im letz­ten Akt, von der Poli­zei umzin­gelt, in wei­ner­li­che, wür­de­lo­se, um ihr Leben fle­hen­de Feig­lin­ge ver­wan­deln soll­ten. Sie durf­ten nicht auf­recht ster­ben, sie muß­ten in letz­ter Sekun­de Abscheu in den Zuschau­ern wecken, die bereits gefähr­lich nahe dran waren, sich von den Schur­ken fas­zi­nie­ren zu las­sen. Noch 1998 ließ Ste­ven Spiel­berg, wohl mehr aus Rach­sucht als aus päd­ago­gi­scher Absicht, in sei­nem D‑Day-Dra­ma “Saving Pri­va­te Ryan” einen gefan­ge­nen deut­schen Sol­da­ten vor Tom Hanks und sei­nem Stoß­trupp hün­disch im Staub krie­chen. Hanks läßt ihn lau­fen, aber am Ende taucht der­sel­be Sol­dat im Stra­ßen­kampf wie­der auf, dies­mal in Waf­fen-SS-Uni­form; er wird erneut gefan­gen und ange­sichts der vor­ge­hal­te­nen Pis­to­le bie­dert er sich erneut unter­wür­fig sei­nen Fein­den an. Ange­ekelt erschießt ihn dies­mal der (auch noch jüdi­sche!) GI, und das zurecht, wie wir als Zuschau­er empfinden.

Wer aber eher stirbt, als zu Kreu­ze zu krie­chen, bewahrt sich eine eige­ne, aura­ti­sche Wür­de, die ihm kei­ne Gewalt der Welt neh­men kann. Im selbst­ge­wähl­ten Tod gibt es kei­ne “rich­ti­ge” oder “fal­sche” Sache mehr, zumin­dest kei­ne, die dem Urteil der Men­schen unterläge.

Haben Eichin­ger und sein Regis­seur Hirsch­bie­gel mit die­sen Sze­nen Abscheu und Kopf­schüt­teln her­vor­ru­fen, die Absur­di­tät “des Krie­ges” anpran­gern und den irra­tio­na­len Fana­tis­mus der Ver­tei­di­ger bloß­stel­len wol­len, wie es 1959 Bern­hard Wicki in “Die Brü­cke” vor­ge­macht hat? Wie bei den meis­ten Kriegs­fil­men gehen die guten Absich­ten nach hin­ten los, ver­schwin­den hin­ter der ambi­va­len­ten Fas­zi­na­ti­on des Gezeig­ten, wes­halb es auch kaum einen wirk­lich “wirk­sa­men” Anti-Kriegs­film gib. Die aller­meis­ten von uns wären nun wohl lie­ber leben­di­ge Feig­lin­ge als tote Hel­den. Aber aller moder­nen, “auf­ge­klär­ten” (und auch berech­tig­ten!) Skep­sis gegen­über tra­di­tio­nel­len Phra­sen vom “Hel­den­tum” zum Trotz wird es wohl immer Schich­ten in uns geben, die sich von Moti­ven wie die­sen ergrei­fen las­sen: die Auf­op­fe­rung des eige­nen Lebens, “Give me Liber­ty or give me Death”,  die unbeug­sa­me Ver­tei­di­gung gegen eine Über­macht, das Hal­ten des ver­lo­re­nen Pos­tens. Klas­si­scher Stoff natio­na­ler Mythen wie Masa­da, Ala­mo, die Ther­mo­py­len, den Alca­zar von Tole­do, die “qua­t­ro gior­na­te” von Nea­pel. Epi­sche Topoi, deren Appeal nicht tot­zu­krie­gen ist, und von deren Pathos auch das Kino immer schon reich­lich und effek­tiv Gebrauch gemacht hat.

Es gibt einen Auf­satz von Wolf­gang Strauss, der in Staats­brie­fe 7–8/1998 erschien, in dem er über die Ver­tei­di­gung von Bres­lau schrieb:

Bres­lau fünf­und­vier­zig wie einen nüch­ter­nen mili­tä­ri­schen Tat­sa­chen­be­richt abzu­han­deln, erscheint unmög­lich. Der Todes­kampf der Stadt, eigent­lich ein Kapi­tel Welt­li­te­ra­tur, wofür es Bei­spie­le gibt – den “Berlin”-Roman eines Plie­vier, die Sewas­to­po­ler Erzäh­lun­gen Leo Tol­s­to­js, Wer­fels “40 Tage des Musa Dagh”. Unter­gang in Trüm­mern. Hin­ter dem Bahn­damm von Pöbel­witz liegt eine Jun­gen-Kom­pa­nie. Mit Hand­gra­na­ten und Brand­fla­schen ver­su­chen Fünf­zehn­jäh­ri­ge die T34 auf­zu­hal­ten. An ein Pad­del­boot geklam­mert schwim­men drei Bres­lau­er Mäd­chen durch die rus­si­schen Lini­en, spren­gen eine Oder­brü­cke und sich selbst in die Luft. Aus­ge­blu­tet und ohne Muni­ti­on erge­ben sich die Ver­tei­di­ger am 6. Mai. Vie­le erschie­ßen sich.

Die ent­setz­li­che Sze­ne mit den drei Mäd­chen unter dem Pad­del­boot ist mir seit­her nicht mehr aus dem Sinn gegan­gen. Wir sind heu­te kon­di­tio­niert, dar­in das sinn­lo­se Selbst­op­fer einer fana­ti­sier­ten, schänd­lich ver­heiz­ten Jugend zu sehen. Aber wür­den wir die Geschich­te nicht mit ande­ren Augen betrach­ten, wür­den wir nicht inner­lich erschau­ern, erschüt­ter­te Anteil­nah­me und Ehr­furcht emp­fin­den, wenn es sich dabei um eine Epi­so­de aus der Bela­ge­rung Lenin­grads oder aus dem War­schau­er Auf­stand han­deln würde?

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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