Alain de Benoist im Gespräch über sein Lebenswerk, Teil 2

Kürzlich erschien Alain de Benoists Erinnerungsbuch Mémoire vive in deutscher Fassung als Mein Leben. Wege eines Denkens (Edition JF: Berlin 2014). Anläßlich der Publikation sprachen wir mit dem französischen Denker über die Nouvelle Droite, seine Gegnerschaft zum Liberalismus und die Rechts-Links-Überwindung.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

SEZESSION: Darf man dar­aus fol­gern, daß Sie jun­ge Leu­te davor war­nen wür­den, mit akti­ver Poli­tik oder Meta­po­li­tik in Rich­tung eben­die­ses Lagers zu wir­ken, will man die für den non­kon­for­men Geist töd­li­che Umar­mung umge­hen? Der Vor­den­ker einer Neu­en Rech­ten in Deutsch­land, Karl­heinz Weiß­mann, for­mu­lier­te dies ja ähn­lich: „Hüte Dich vor jeder Ablen­kung ins ‘Libe­ral­kon­ser­va­ti­ve’, ‘Frei­heit­lich-Kon­ser­va­ti­ve’, ‘Kul­tur­kon­ser­va­ti­ve’, ‘Wert­kon­ser­va­ti­ve’ – das sind Fal­len, mit denen man Dich von der eigent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung fern­hält, denn die ist poli­ti­scher Natur und for­dert kla­re Entscheidungen.“

ALAIN DE BENOIST: Sie fra­gen mich damit im Grun­de, ob der Anti­li­be­ra­lis­mus oder, wei­ter gefaßt, die Feind­se­lig­keit gegen­über bür­ger­li­chen Wer­ten zwangs­wei­se dazu füh­ren muß, es abzu­leh­nen, sich poli­tisch in Par­tei­en oder Bewe­gun­gen zu betä­ti­gen, die die­sen Wer­ten mehr oder weni­ger gro­ße Kon­zes­sio­nen machen. Dar­auf kann ich Ihnen ledig­lich eine dif­fe­ren­zier­te Ant­wort geben. In per­sön­li­cher Eigen­schaft als Intel­lek­tu­el­ler unter­stüt­ze ich kei­ne Par­tei, denn ich sehe kei­ne, die das ver­kör­pert, was ich den­ke. Aber man kann ein sol­ches Vor­ge­hen nicht ver­all­ge­mei­nern. Nicht jeder nähert sich den Din­gen intel­lek­tu­ell, und das ist auch gut so (eine Gesell­schaft, die nur aus Intel­lek­tu­el­len bestün­de, wäre uner­träg­lich!). Man­che sind durch ihr Tem­pe­ra­ment zur poli­ti­schen Akti­on gekom­men; die­ses Ver­lan­gen ist eben­so legitim.

So wie es selbst­ver­ständ­lich wün­schens­wert ist, daß die Poli­tik nicht gleich­gül­tig gegen­über Ideen ist, so redu­ziert sie sich nie auf eine rein ideen­be­zo­ge­ne Ange­le­gen­heit. Sie hat ihr eige­nes Wesen. Sie ist eine Sache von Macht­ver­hält­nis­sen und von Prio­ri­tä­ten. Sie ist vor allem die Kunst des Mög­li­chen. Jene, die das igno­rie­ren wol­len, ver­ur­tei­len sich zur blo­ßen Idea­li­sie­rung (man träumt von einer „idea­len Poli­tik“), zum ste­ri­len Akti­vis­mus oder zum rei­nen und ein­fa­chen Extremismus.

SEZESSION: Wor­auf soll­te dann heu­te der ideen- wie real­po­li­ti­sche Fokus liegen?

ALAIN DE BENOIST: Die Prio­ri­tät läge dar­in, die herr­schen­den, vom Volk abge­trenn­ten Klas­sen zu stür­zen, das im Dienst der Ban­ken und Kapi­tal­märk­te ste­hen­de Estab­lish­ment zu desta­bi­li­sie­ren, oder wie es kürz­lich Eric Zemm­our sag­te: jene „Eli­ten ohne Vater­land, die die Volks­sou­ve­rä­ni­tät nie akzep­tiert haben, und die der wirt­schaft­li­chen Glo­ba­li­sie­rung eher treu sind als den Inter­es­sen der Nati­on“. Dafür sind alle Mit­tel recht: eben auch den Front Natio­nal in Frank­reich, die Pode­mos-Par­tei in Spa­ni­en, Syri­za in Grie­chen­land oder die AfD in Deutsch­land zu unter­stüt­zen. Man muß nur dar­auf ach­ten, sich von Illu­sio­nen frei zu machen und sich des­sen bewußt zu sein, daß das Wesent­li­che anders­wo liegt.

Anstatt die jun­gen Leu­te zu ermu­ti­gen oder zu ent­mu­ti­gen, sich in der einen oder ande­ren poli­ti­schen Rich­tung zu engan­gie­ren, scheint es mir wich­ti­ger, sie dazu zu ver­an­las­sen, ihren Dis­kurs zu erneu­ern, indem man sich einer tat­säch­li­chen Denk­ar­beit wid­met. Seit fünf­zig Jah­ren höre ich die fran­zö­si­sche Rech­te die­sel­ben ste­ri­len und über­hol­ten For­meln wie­der­ho­len. Seit fünf­zig Jah­ren höre ich in Deutsch­land die gan­ze Zeit die­sel­ben Wör­ter, wie­der­holt jeweils wie ein Man­tra: „Kriegs­schuld“, „Grund­ge­setz“, „Natio­nal­staat“ und jetzt „Isla­mi­sie­rung“.

Mit einem sol­chen Gepäck kommt man nicht weit. Wo ist die Vor­stel­lung von der Welt? Wo ist die all­ge­mei­ne Phi­lo­so­phie? Wer denkt ernst­haft über Kon­zep­te der Moder­ne und der Post­mo­der­ne nach? Über die Art und Wei­se, wie der Han­dels­wert dazu neigt, alle ande­ren Wer­te zu ver­drän­gen? Über neue For­men gesell­schaft­li­chen Zusam­men­le­bens (der socia­li­té)? Über die Gren­zen des Wachs­tums? Anstatt sich lei­den­schaft­lich den nächs­ten Wah­len zu wid­men oder sich ein­zu­bil­den, daß unse­re Iden­ti­tät ohne Immi­gran­ten weni­ger pro­ble­ma­tisch wäre, wäre es bes­ser, Lou­is Dumont, Jean Bau­dril­lard, Chris­to­pher Lasch, Ser­ge Latou­che, Karl Pol­anyi, Her­vé Juvin, Régis Debray, Jean-Clau­de Michéa, Mois­he Pos­tone, Hart­mut Rosa oder Robert Kurz zu lesen…

SEZESSION: Schön, daß Sie auch an die­ser Stel­le Jean-Clau­de Michéa auf­füh­ren. Sie neh­men ja mehr­fach Bezug auf die­sen Theo­re­ti­ker, der die Lin­ke vom Libe­ra­lis­mus lösen möch­te, um eine volks­na­he, «popu­lis­ti­sche» Lin­ke zu for­mie­ren. Ver­kör­pern Sie – über­spitzt gesagt – so etwas wie das Pen­dant zu Michéa, indem Sie die (Neue) Rech­te vom Libe­ra­lis­mus lösen wol­len? Pierre Drieu la Rochel­le, den Sie zitie­ren, sprach hier von der «lin­ken Poli­tik mit rech­ten Men­schen», die ihm vorschwebte.

ALAIN DE BENOIST: Ich bin weder das Pen­dant zu Jean-Clau­de Michéa noch den­ke ich gänz­lich wie er. Michéa (dem man in Frank­reich zu ver­dan­ken hat, die Gedan­ken von Geor­ge Orwell und Chris­to­pher Lasch popu­la­ri­siert zu haben), hat den gro­ßen Ver­dienst gehabt zu zei­gen, daß sich der wirt­schaft­li­che Libe­ra­lis­mus (von rechts) und der kul­tu­rel­le oder gesell­schaft­li­che Libe­ra­lis­mus (von links) von ein und der­sel­ben ideo­lo­gi­schen Matri­ze ablei­ten. Man begreift gleich­zei­tig bes­ser, wes­we­gen jene, die im Mai 68 „ohne Ein­schrän­kun­gen genie­ßen“ und „ver­bie­ten woll­ten zu ver­bie­ten“ (zwei typisch libe­ra­le Slo­gans), heu­te mehr­heit­lich zum Kapi­ta­lis­mus und zur Markt­ge­sell­schaft kon­ver­tiert sind. Michéa erin­nert dar­an, daß der frü­he Libe­ra­lis­mus ein Pro­dukt der Lin­ken ist, und daß Ende des XIX. Jahr­hun­derts die sozia­lis­ti­sche Bewe­gung und die Arbei­ter­be­we­gung sowohl die­ser Lin­ken als auch der gegen­re­vo­lu­tio­nä­ren Rech­ten und den Reak­tio­nä­ren, die davon träum­ten, das Anci­en Régime zu restau­rie­ren, kon­trär gegen­über stan­den. Marx, Proudhon oder Sor­el wäre es nie in den Sinn gekom­men, sich als „Män­ner der Lin­ken“ zu begreifen.

Die Wahr­heit ist, daß es immer meh­re­re Lin­ken und meh­re­re Rech­ten gege­ben hat, und daß eini­ge von die­sen Lin­ken und eini­ge von die­sen Rech­ten mehr Affi­ni­tä­ten zuein­an­der als zu jenen ihres Lagers hat­ten. Sich heu­te „links“ oder „rechts“ zu ver­or­ten, ist eine beque­me Art und Wei­se, die Din­ge zu betrach­ten. Wenn jemand zu mir sagt, er sei „links“ oder „rechts“, erzählt mir das nichts über sei­ne Vor­stel­lun­gen. Es gibt eine libe­ra­le Rech­te und eine anti­li­be­ra­le Rech­te, eine revo­lu­tio­nä­re Rech­te und eine gegen­re­vo­lu­tio­nä­re Rech­te, eine Rech­te, die für die Euro­päi­sche Uni­on optiert, und eine Rech­te, die ihr feind­se­lig geson­nen ist, eine pro-ame­ri­ka­ni­sche Rech­te und eine anti-ame­ri­ka­ni­sche Rech­te usw. Und selbst­ver­ständ­lich ver­hält es sich auf der lin­ken Sei­te genauso.

Was die sozio­lo­gi­schen Spal­tun­gen betrifft, so sind auch sie selbst auf­ge­bro­chen (in Frank­reich ist die ers­te Par­tei der Arbei­ter nun der Front Natio­nal). Der heu­ti­ge Klas­sen­kampf setzt der Neu­en (trans­na­tio­na­len und glo­ba­li­sier­ten) Klas­se die Gesamt­heit der Mit­tel­schich­ten und der Volks­klas­sen ent­ge­gen. Drieu la Rochel­le ist nicht der ein­zi­ge, der über eine «lin­ke Poli­tik mit rech­ten Men­schen» gespro­chen hat. Die poli­ti­sche Umwelt­be­we­gung (natür­lich gänz­lich ver­schie­den vom Wahl­op­por­tu­nis­mus der Grü­nen), könn­te eben­so als ein revo­lu­tio­nä­rer Neo­kon­ser­va­tis­mus ange­se­hen wer­den. Man hat mich selbst manch­mal als einen «Rech­ten von Links» oder einen «Lin­ken von Rechts» genannt, der den Wer­ten der Rech­ten und den Ideen der Lin­ken nahe­stün­de. Aber um ehr­lich zu sein, mache ich mir aus sol­cher­lei Eti­ket­tie­rung nichts.

SEZESSION: Geg­ner könn­ten Ihnen gleich­wohl ent­geg­nen, Ihr Stre­ben nach einer Syn­the­se aus ent­täusch­ten (revo­lu­tio­nä­ren und anti­li­be­ra­len) Lin­ken mit ent­täusch­ten (revo­lu­tio­nä­ren und anti­li­be­ra­len) Rech­ten kor­re­lie­re mit der (frü­hen) Faschis­mus-Defi­ni­ti­on des israe­li­schen For­schers Zeev Stern­hell. Womit wir indes bei der alten Pole­mik geis­tig wenig beweg­li­cher Anti­fa­schis­ten wären, die in der Nou­vel­le Droi­te nichts ande­res als das moder­ne und intel­lek­tu­el­le Gesicht des Neo­fa­schis­mus zu erbli­cken glauben.

ALAIN DE BENOIST: Die The­sen von Zeev Stern­hell sind mei­ner Mei­nung nach sehr wohl anfecht­bar. Und sie wur­den und wer­den ja bestrit­ten (von Ray­mond Aron, Jac­ques Jul­li­ard, Jean-Marie Dome­n­ach, Michel Winock, Ser­ge Bern­stein, Stan­ley Hoff­mann, Paul Thi­baud, Emi­lio Gen­ti­le usw.). Stern­hell gibt vom „Faschis­mus“ eine so umfas­sen­de Defi­ni­ti­on, daß sie rück­bli­ckend auf Män­ner Anwen­dung zu fin­den glaubt, die aber tat­säch­lich reso­lu­te Geg­ner des rea­len Faschis­mus waren. Stern­hell spricht über den „Faschis­mus“, als ob es sich um ein essen­tia­lis­ti­sches Phä­no­men han­del­te, das von der kon­kre­ten Geschich­te los­ge­löst war. Der Faschis­mus war, übri­gens genau­so wie der Kom­mu­nis­mus, ein rei­nes Pro­dukt der Moder­ne, das heißt ein Pro­dukt eines abge­schlos­se­nen Zeit­al­ters. Das dringt nur nicht zu den Dino­sau­ri­er-Zwil­lin­gen namens „Anti­fa“ und Neo­na­zis: die einen wie die ande­ren irren sich im Zeit­al­ter. Sich heu­te auf den Faschis­mus zu bezie­hen, heißt, kei­nen Sinn für den his­to­ri­schen Moment zu haben, der einen umgibt.

Und zu glau­ben, daß die revo­lu­tio­nä­re Syn­the­se aus „Ent­täusch­ten von Links“ und „Ent­täusch­ten von Rechts“ einer neu­en Art des „Faschis­mus“ ent­spre­chen wür­de, läuft dar­auf hin­aus, sich zu ver­bie­ten, zu sehen, was es unver­kenn­bar Neu­es durch die Spal­tun­gen gibt, die sich heu­te in den meis­ten euro­päi­schen Län­der andeu­ten. Die­se Spal­tun­gen haben im Augen­blick noch kei­nen Namen, aber sie sind schon gut sicht­bar. Geschich­te ist defi­ni­ti­ons­ge­mäß offen, sag­te Domi­ni­que Ven­ner. Die Zukunft auf die Ver­gan­gen­heit zurück­zu­füh­ren heißt wahr­lich den Beweis eines ernst­haf­ten Man­gels an Vor­stel­lungs­kraft zu erbringen.

Lite­ra­tur­hin­wei­se:

  • Alain de Benoist: Mein Leben. Wege eines Den­kens, 432 S., 24.95€.
  • Micha­el Böhm: Alain de Benoist. Den­ker der Nou­vel­le Droi­te, 160 S., 5 €.
  • Zudem hat der Ver­lag Antai­os auf sei­ner Netz­sei­te einen Bücher­schrank ein­ge­rich­tet, der alle der­zeit in deut­scher Spra­che erhält­li­chen Bücher Benoists versammelt.

 

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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