Dahrendorf und die Quadratur des Kreises

Vor zwanzig Jahren veröffentlichte der liberale Politiker und Publizist Ralf Dahrendorf einen Essay...

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

mit dem Titel „Die Qua­dra­tur des Krei­ses“. Dar­in erläu­ter­te er, war­um es unter den Rah­men­be­din­gun­gen der Glo­ba­li­sie­rung unmög­lich sei, gemein­sam wirt­schaft­li­chen Wohl­stand, sozia­len Zusam­men­halt und poli­ti­sche Frei­heit zu realisieren.

Dah­ren­dorf beschlich das Gefühl, daß die „gro­ße Zeit der libe­ra­len Ord­nung“ vor­bei sein könn­te. Obwohl er es nicht so bezeich­ne­te, wuß­te er doch ganz genau, was sich damals ankün­dig­te: Die durch halb­wegs gut funk­tio­nie­ren­de Natio­nal­staa­ten zusam­men­ge­hal­te­ne „libe­ra­le Ord­nung“ wur­de durch eine glo­ba­lis­tisch-neo­li­be­ra­le Unord­nung ersetzt.

Auf die ein­fachs­te For­mel gebracht, haben die Län­der der OECD-Welt einen Punkt erreicht, an dem die wirt­schaft­li­chen Chan­cen ihrer Bür­ger sie vor per­ver­se Ent­schei­dun­gen stel­len. Um auf wach­sen­den Welt­märk­ten kon­kur­renz­fä­hig zu blei­ben, müs­sen sie Maß­nah­men ergrei­fen, die den Zusam­men­halt ihrer Bür­ger­ge­sell­schaf­ten mög­li­cher­wei­se unwi­der­ruf­lich zerstören.

Alle Volks­wirt­schaf­ten sei­en inzwi­schen mit­ein­an­der ver­knüpft und stün­den auf einem Markt­platz in gegen­sei­ti­gem Wett­be­werb. Staa­ten könn­ten dem nicht ent­kom­men, wenn sie für wei­te­res Wirt­schafts­wachs­tum sor­gen wol­len. Wahr­schein­lich sei es daher, mut­maß­te Dah­ren­dorf, daß sie den Druck der Wirt­schaft an die „ein­fa­chen Leu­te“ wei­ter­ge­ben. Das Ergeb­nis: „Die Ent­wur­ze­lung von Men­schen wird zur Bedin­gung der Effi­zi­enz und Konkurrenzfähigkeit.“

Ver­schlei­ert wer­de dies mit Hil­fe des neu­en Zau­ber­wor­tes „Fle­xi­bi­li­tät“. Dar­un­ter ver­steht Dah­ren­dorf „die Bereit­schaft aller, tech­no­lo­gi­sche Ver­än­de­run­gen zu akzep­tie­ren und rasch auf sie zu reagie­ren“. Jeder müs­se in der heu­ti­gen Welt Chan­cen nut­zen, wann immer sie sich eröff­nen. „Magne­ten der Zuwan­de­rung“ sei­en des­halb „nicht der schlech­tes­te Index für sozia­les Wohlbefinden“.

Als Reak­ti­on auf die­se für Dah­ren­dorf unaus­weich­li­chen Ent­wick­lun­gen rech­ne­te er mit star­ken Gegen­kräf­ten. Er fürch­te­te neue Kol­lek­ti­vis­men und sah „Ele­men­te des Ver­lan­gens nach einem Regime, das weni­ger tole­rant ist“. Auf der einen Sei­te bil­de­ten sich gera­de Herr­schafts­mo­del­le her­aus, die auf „Wirt­schafts­wachs­tum und poli­ti­sche Frei­heit ohne sozia­len Zusam­men­halt“ setz­ten. Das ist bis heu­te der Weg des Wes­tens. Auf der ande­ren Sei­te ent­stün­den Staa­ten, die „Wirt­schafts­wachs­tum und sozia­len Zusam­men­halt ohne poli­ti­sche Frei­heit“ rea­li­sier­ten. Dah­ren­dorf spiel­te damit auf den asia­ti­schen Weg an – also das, was Peter Kunt­ze „Chi­nas kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on“ nennt.

Es fehlt bei die­sem Gedan­ken­gang das Modell „Poli­ti­sche Frei­heit und sozia­ler Zusam­men­halt ohne Wachs­tums­zwang“. Dah­ren­dorf wag­te es nicht, an der Grund­an­nah­me zu rüt­teln, die besagt, daß alle Volks­wirt­schaf­ten immer wei­ter wach­sen müs­sen, auch wenn sie bereits sehr hoch ent­wi­ckelt sind. Aus die­sem Grund zog er selt­sa­me Schluß­fol­ge­run­gen aus sei­ner wei­test­ge­hend rich­ti­gen Gesell­schafts­ana­ly­se: Die „Qua­dra­tur des Krei­ses“ sei zwar nicht mög­lich, müs­se aber stän­dig ange­strebt werden.

Es geht um Wohl­stand im Wort­sinn für alle, um die Bür­ger­ge­sell­schaft über­all, um poli­ti­sche Frei­heit, wo immer Men­schen leben. Das bedeu­tet, daß es am Ende nicht um pri­vi­le­gier­te Regio­nen geht, son­dern um die eine Welt und die ihr ange­mes­se­nen Institutionen.

Der in die­sen Zei­len deut­lich wer­den­de Uto­pis­mus ist das Kern­pro­blem libe­ra­len Den­kens: Wohl­wis­send, daß dies die Exis­tenz der eige­nen Gemein­schaft gefähr­den könn­te, stre­ben Libe­ra­le eine vage Uto­pie an, weil sie sich davon einen Gewinn in der Zukunft erwarten.

Ein Groß­teil der poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Eli­te denkt heu­te so und ist des­halb fel­sen­fest davon über­zeugt, daß ein­zig Mas­sen­ein­wan­de­rung lang­fris­ti­ges Wirt­schafts­wachs­tum für die per­so­nell schrump­fen­de Wohl­stands­zo­ne garan­tie­ren kann. Auch von den bis­he­ri­gen Kos­ten der Ein­wan­de­rung las­sen sich die Libe­ra­len des­halb nicht beein­dru­cken. Sie spe­ku­lie­ren auf einen Gewinn in der Zukunft, weil sie wis­sen, daß Wachs­tum nur mit immer neu­em und mög­lichst bil­li­gem „Human­ka­pi­tal“ sowie Kon­su­men­ten, bei denen sich immer neue Bedürf­nis­se her­vor­ru­fen las­sen, mög­lich ist.

Geht man davon aus, daß die­ses Gesell­schafts­expe­ri­ment ohne kul­tu­rel­le Kom­pli­ka­tio­nen über die Büh­ne geht, ste­hen am Ende die Unter­neh­men als gro­ße Gewin­ner da. Die „ein­fa­chen Leu­te“ in Euro­pa hin­ge­gen wer­den defi­ni­tiv zu den Ver­lie­rern zäh­len. Von dem Wirt­schafts­wachs­tum kommt näm­lich nichts bei ihnen an. Was sie zu spü­ren bekom­men wer­den, ist ein knall­har­ter Kon­kur­renz­kampf um schlecht bezahl­te Arbeitsstellen.

Kommt es jedoch zu kul­tu­rel­len Kom­pli­ka­tio­nen, dann wird die Glo­ba­li­sie­rung etwas anders ablau­fen, als sich das die Libe­ra­len vor­ge­stellt haben. Dann paßt sich der Nor­den an den Süden an.

Felix Menzel

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Kommentare (20)

Jacobi

25. Mai 2015 22:59

Werter Herr Menzel,

toll, daß Sie als einer der wenigen unserer Zunft (zumindest nehme ich es so wahr) den wichtigten Aspekt des Wirtschaftswachstums thematisieren.

Wirtschaftswachstum in der jetzigen Form braucht es nicht. Darauf verweisen sogar einige etablierte Wissenschaftler, von denen Meinhard Miegel mit seinen Einschätzungen den unseren wohl am gerechtesten ist. Hier verweise ich ausnahmsweise auf eine Publikation bei der BPB

Lektüre empfohlen.

Warum auch strategisch wichtig?
1. Weil es ganz wesentlich um die grundlegenden Bedingungen unserer Existenz geht,
2. weil wir nur so die Abhängigkeit des Finanzkapitals einigermaßen auflösen könnten,
3. weil es ein (Meta-)politikbereich ist, der viele Menschen bewegt, bisher scheinbar vermehrt auf der linken Seite und sich dadurch
4. Schnittmengen bilden - zwischen "links" und "rechts".
Was daraus gemacht wird, ist natürlich ein anderer Schuh, stelle es aber mal zur Diskussion.

Edewolf

25. Mai 2015 23:15

"Die" Liberalen? Wie auf jeder anderen politischen Seite gibt es auch unter den Liberalen ganz unterschiedliche Kaliber.

Vielen Dank jedenfalls für diesen schönen Hinweis auf einen interessanten Artikel. Dahrendorf könnte da recht nahe an den eigentlichen Knackpunkt herangekommen sein.

Rüdiger

26. Mai 2015 00:28

Wer gern bildlich vorgeführt haben möchte, wohin dieser wahnsinnige Zwang zur totalen Flexibilität und Selbstausbeutung am Ende führt, dem sei die ZDF-Dokumentation "Heute hier, morgen dort - Leben in der Business-WG" ans Herz gelegt, die unter diesem Namen auch auf YouTube zu finden ist.

Hier sammeln sich in einer zur Lebensgefühl-WG umgebauten Industrieanlage die angehenden Fachkräfte von morgen, bestens ausgebildet, leistungsbereit und ungebunden, deren Leben außerhalb der Arbeit praktisch nicht mehr existiert und die deshalb außer einem Zimmer für Kleiderschrank, Bett und Laptopcharger auch nichts mehr brauchen. Diese Leute haben sich mit Hochschulstudium, Praktika und jeder Menge unbezahlten Überstunden rumgeschlagen, um eine berufliche Perspektive zu erlangen, aber stehen bezüglich Lebensstandard und Planungssicherheit kaum besser da als ein Wanderarbeiter im Manchesterkapitalismus plus iPhone und Geschäftswagen, der aber beim Arbeitsplatzverlust auch sofort wegfiele. Und dann stünde man vor dem Nichts.

Besonders betroffen machte mich die Aussage eines WG-Bewohners, er sehe das Ziel seines Lebens irgendwo in einem Häuschen mit Frau und Kind, aber das müsse wohl noch eine Weile warten, erst sei die Karriere dran. Mensch Meier, diesen vermeintlichen Endzustand haben sich meine Eltern mit Anfang 20 ohne Studium oder Erbschaft erfüllen können! Ich glaube, der jungen Generation fehlt völlig das Verständnis dafür, in welchem Maße sie eigentlich ausgebeutet wird - oder sie möchte angesichts einer allgemeinen Hilflosigkeit nicht zu lange darüber grübeln, um die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht durch psychische Beeinträchtigung zu gefährden.

Mit so einem Zombie-Malochertum als gesellschaftlichem Idealbild ist natürlich außerhalb der Wirtschaftswachstumsprognosen kein Blumentopf zu gewinnen, weswegen man inzwischen in der öffentlichen Diskussion auch gar keine anderen Metriken mehr kennt. Wofür das ganze Theater eigentlich gut sein soll, scheint sich schon lange niemand mehr zu fragen. Hier wäre ein intellektueller Austausch zwischen der globalisierungskritischen Linken und der bindungsbewussten Rechten sicherlich sehr fruchtbar.

Urwinkel

26. Mai 2015 08:51

"Hier wäre ein intellektueller Austausch zwischen der globalisierungskritischen Linken und der bindungsbewussten Rechten sicherlich sehr fruchtbar."

-> Geschwatze ist immer irgendwie "fruchtbar". Auch wenns zum Zerwürfnis führt. Geredet wurde schon so lange und so oft. Wir haben es mit einer kulturellen Krise zu tun. Die Leute, in die man vielleicht noch Hoffnung setzen könnte, drehen völlig frei: Hooliganismus, Sauferei, He.-Fischer-Fetischismus. Komplett unempfänglich für etwas, das ich etwas abgemildert als metabolischen Intellekt bezeichne. Sehr satanisch. Und ein riesiges Geldgeschäft. Beobachtet das mal. Die anstehende Ferienzeit wird wie jedes Jahr dieselben Einblicke in die Abgründe der Freizeitvermarktung geben.

Waldgänger

26. Mai 2015 10:04

Was Dahrendorf schon Mitte der 1990er Jahre schrieb, sind ja Dinge, die längst bekannt sind und insbesondere im Bereich der globalisierungskritischen Linken seit den 1990ern ausgiebig thematisiert worden sind. (Natürlich mit anderen Schlussfolgerungen als hier in der Sezession.)

Dahrendorf windet sich in seinem Essay ein bisschen, weil er womöglich doch noch gewisse Restbestände klassisch-liberaler Ethik in sich spürte ... Das Unbehagen über das, was er gleichzeitig aber als alternativlos kommen sah, ist ihm anzumerken.

Dass der "klassische" Liberalismus sich selbst den Ast absägt, auf dem er sitzt, hat Kleine-Hartlage in "Die liberale Gesellschaft und ihr Ende: Über den Selbstmord eines Systems" gut aufgezeigt.
Womit nun allerdings nicht gemeint ist, dass der Liberalismus mit dem Ast runterfällt, sondern dass sich der Liberalismus in einen (als liberal getarnten) Totalitarismus verwandelt.
Dahrendorf scheint bereit, diese Kröte zu fressen, auch wenn er das Gegenteil anmahnt.

Die von Dahrendorf damals noch gar nicht recht erkannte größere Ausweitung des Problems hat Herr Menzel herausgestellt:

"Kommt es jedoch zu kulturellen Komplikationen, dann wird die Globalisierung etwas anders ablaufen, als sich das die Liberalen vorgestellt haben. Dann paßt sich der Norden an den Süden an."

Das ist eben der Punkt: Die Liberalen erkennen in ihrer Fixierung auf das allein Ökonomische und in ihrer Erfolgsberauschtheit(!) nach 1990 selbst heute noch nicht das Kuckucksei, das sie sich selbst ins Nest gelegt haben.
Das Kuckucksei in Form von Millionen vormoderner, sehr agil-fruchtbar und letztlich überhaupt nicht so kontrollierbarer Einwanderer … nebst ihrer ebenso archaischen wie störrischen Wertmaßstäbe.
Aber ich will hier nicht Eulen nach Athen tragen!

Etwas irritierend wirkt auf mich die folgende Passage:

Es fehlt bei diesem Gedankengang das Modell „Politische Freiheit und sozialer Zusammenhalt ohne Wachstumszwang“.
Dahrendorf wagte es nicht, an der Grundannahme zu rütteln, die besagt, daß alle Volkswirtschaften immer weiter wachsen müssen, auch wenn sie bereits sehr hoch entwickelt sind.

Diese Grundannahme ist ja auch utopisch und widerspricht eben der Natur des Menschen. Vom Willen nach einem Mehr - man kann es auch Gier oder Ehrgeiz nennen - muss man einfach ausgehen, solange es sich um eine freie Gesellschaft handelt und um die Menschen, die es nun einmal gibt.
Den Wachstumszwang ausschalten könnte allein eine diktatorische (sozialistische) Regierung, doch damit wäre ja die Kategorie "politische Freiheit" verwirkt!

Bremsen (nicht ausschalten) kann kann man den ur-menschlichen Willen nach einem Mehr an Besitz, Macht, Erfolg usw. eben nur in einer unfreien Gesellschaft wie etwa jener der ehemaligen DDR.

Felix Menzel

26. Mai 2015 10:29

@ Waldgänger:

Gegen "echtes" Wachstum durch zielstrebige Unternehmen und junge, innovative Menschen ist nichts einzuwenden, aber die "Wachstumsgesellschaft" steht eben auf vier Säulen.

1. Dadurch daß wir eine Geld- statt Tauschwirtschaft haben, gibt es für das einzelne Unternehmen genauso wie für die Volkswirtschaft einen Zwang zum Wachstum, da der Unternehmer zuerst investieren muß und für dieses Risiko mit einem Gewinn belohnt werden will.

2. Ohne dieses “echte” Wachstum durch gut laufende Unternehmen gibt es für Zentralbanken und den Staat die Möglichkeit, das Wirtschaftswachstum durch eine Erhöhung der Geldmenge und damit billige Kredite anzukurbeln.

3. Die dritte Säule der Wachstumsgesellschaften besteht in der Ausbeutung der Natur. Stichwort: Peak Oil bzw. Peak Everything.

4. “Echtes” Wachstum hingegen ist nur durch die menschliche Imagination und den damit verbundenen technischen Fortschritt zu haben. Dazu braucht es viele junge (innovative) Menschen sowie ein steigendes Bildungsniveau. In Zeiten des demographischen Niedergangs können wir uns darauf also nur schwer verlassen. Daher die Bemühung um "Fachkräfte".

Ich empfehle dazu das Buch "Die Wachstumsspirale" von Hans Christoph Binswanger.

Marcus Junge

26. Mai 2015 10:40

"Etwas irritierend wirkt auf mich die folgende Passage:

Es fehlt bei diesem Gedankengang das Modell „Politische Freiheit und sozialer Zusammenhalt ohne Wachstumszwang“.
Dahrendorf wagte es nicht, an der Grundannahme zu rütteln, die besagt, daß alle Volkswirtschaften immer weiter wachsen müssen, auch wenn sie bereits sehr hoch entwickelt sind.

Diese Grundannahme ist ja auch utopisch und widerspricht eben der Natur des Menschen. Vom Willen nach einem Mehr – man kann es auch Gier oder Ehrgeiz nennen – muss man einfach ausgehen, solange es sich um eine freie Gesellschaft handelt und um die Menschen, die es nun einmal gibt.
Den Wachstumszwang ausschalten könnte allein eine diktatorische (sozialistische) Regierung, doch damit wäre ja die Kategorie „politische Freiheit“ verwirkt!"

Ich habe die Passage anders interpretiert und meine es geht Herrn Menzel um den Wachstumszwang durch das Geldsystem, den Zinseszins die daher nötige Inflation und die Kompensation durch eine zwanghaft wachsende Wirtschaft, damit dieses kranke System nicht zu früh kollabiert. Wir sind heute ja längst in der Lage viel mehr zu produzieren, als je gekauft wird (Millionen neue Pkw gehen direkt auf riesige Abstellflächen, weil sie nicht gekauft werden und werden dann nach einigen Jahren verschrottet). Trotzdem muß Wachstum her und mehr Wachstum, auch wenn den produzierten Mist keiner haben will und wenn das nicht reicht, dann werden halt Drogenhandel und Prostitution ins BIP eingerechnet, damit Wachstum da ist und die Börsen nicht abschmieren, die Staatsanleihen sich billig verkaufen.

Dieser Zwang soll weg, nicht die Natur des Einzelnen soll gebrochen werden.

Waldgänger

26. Mai 2015 12:47

@ Menzel und @ Marcus Junge

Vielen Dank für ihre Antworten und den Lesetipp!

Inuitiv möchte ich Ihnen eigentlich sogleich zustimmen - sowohl hinsichtlich des "echten" Wachstums und die üblen Wirkungen des Zinssystems als auch im Hinblick auf die Ausbeutung der Natur.

Mein Einwand betrifft die politische Machbarkeit.
Ökonomie ist ja nichts, was eine Gesellschaft sozusagen beschließt oder aus freiem Willen heraus einrichtet. Man kann nicht beschließen, die Geldwirtschaft aufzugeben, Kredite und Zinsen abzuschaffen oder Tauschhandel einzuführen.
Oder anders gesagt: So etwas ist nicht mit Mehrheitsbeschluss beschließbar, sondern allenfalls Kraft vorhandener Macht und Autorität anzuordnen.

Die tatsächlich gegebene Ökonomie - in unserem Falle also ein Kapitalismus mit Wachstumszwang - ist immer ein Ergebnis des gleichzeitigen Wirkens bestimmter Einflussgrößen:

a. die Natur des Menschen (Wunsch nach einem Mehr an Besitz und Macht),

b. die tatsächlich gegebene Knappheit an Gütern bzw. die Notwendigkeit, bestimmte Dinge unbedingt zu produzieren,

c. das Verhältnis zwischen (staatlicher oder vorstaatlicher) Zentralmacht, z.B. König, Staatspartei einerseits ...
... und andererseits den nach Zugewinn strebenden und wirtschaftlich tätigen Gruppen innerhalb der Gesellschaft andererseits,

d. der technischer Entwicklungsstand der Produktionsmittel (v. a. verfügbare Energie, Arbeitskräftebedarf, Poduktionsvolumen),

e. das Fortwirken bestimmter älterer kultureller / religiöser Auffassungen, die womöglich bremsend wirken (z.B. Zinsverbot).

***

So hat sich der Kapitalismus in Westeuropa beispielsweise nur deswegen durchsetzen können, weil die alte Zentralmacht (also das jeweilige Königtum) nicht mehr die Macht hatte, das nach Reichtum und Besitzstandsmehrung strebende Bürgertum in die Schranken zu weisen. Besonders drastisch fiel die Demütigung der Zentralmacht denn auch in England aus (Magna Charta von 1215)!

In einer funktionierenden Monarchie hat der König keinerlei Interesse, einzelne Adlige / Großbürger all zu mächtig und reich werden zu lassen - es sei denn, um sie zu schröpfen.

Das erklärt denn auch die wirtschaftliche Rückständigkeit der orientalischen Staaten und des zaristischen Russlands.
Die Zentralmacht hatte dort despotischen Charakter, was natürlich die wirtschaftliche Aktivität auch der Wohlhabenden stark einschränkte.

Auch in funktionierenden Aristokratien (z.B. frühe römische Republik) wurden dem wirtschaftlichen Erfolg Einzelner oft Grenzen gesetzt: keiner soll sich über die anderen erheben dürfen.

Ähnlich verhielt es sich in den Handwerkszünften des späten Mittelalters: technische Neuerungen wurden damals mitunter mit dem Hinweis abgelehnt, dass sie für die anderen Zunftmitglieder nachteilig sein könnten.

Der entfesselte Kapitalismus unserer neueren Zeit ist das Ergebnis zweier veränderter Rahmenbedingungen: der gesteigerten Technik einerseits und des Sieges der nach Gewinn Strebenden (Banken, Unternehmen usw.) über die alten Zentralmächte.

Dieser Sieg ist mit der Deregulierung der Finanzmärkte noch vollständiger geworden und hat im Westen praktisch zum Verschwinden einer eigenständig staatlichen Politik geführt.

Ein neues Geldsystem wäre ja nett, aber darüber werden ganz bestimmt jene beschließen und entscheiden, die zum jeweiligen Zeitpunkt die Macht haben ...

Anders gesagt:
Das tatsächliche ökonomische Geschehen entzieht sich leider unserer Willenskraft und Einflussnahme und gleicht der resultierenden Kraft in einem komplexen Kräfteparallelogramm.

CCCED

26. Mai 2015 14:45

Beim Lesen dieses Essays kam mir in den Sinn: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt. 1932, von Ernst Jünger.

Er sah die sich schon vor 80 Jahren zu beobachtenden gesellschaftlichen Veränderungen nicht kausal bedingt durch das Wirken einer vorwiegend liberal und zunehmend international denkenden Plutokratie. Er postulierte, dass es einen metaphysischen Zwang der Entwicklung zur Gestalt des Arbeiters gebe, der sich gegen alle Widerstände Bahn breche. Dies führe zur Zerstörung der bürgerlichen Welt.

Gustav Grambauer

26. Mai 2015 15:01

Rüdiger & Vertreter von "Id`s dheee iganameee, sdupeeeeeeed"

Die "Aussagen eines WG-Bewohners, er sehe das Ziel seines Lebens irgendwo (sic!) in einem Häuschen mit Frau und Kind" sind auch nur wieder Konsequenz der Verarmung und Entwurzelung im seelenzerfressenden Totalitarismus der Mumfordschen Sklavenpyramide.

"Raus aus der Postmoderne, zurück in die klassische Moderne" - Herr Darhrendorf, ich danke bestens und nehme Abstand vom Angebot.

Wer jemals glücklich werden will, muß die ganze jahrtausendealte Pyramide zerschmettern, und das beginnt in Kopf und Herz. Für den ersten wuchtigen Schlag dazu hab`ich auch noch einen Lesetipp beizusteuern, aus unserem Antaios-Schatzkästlein:

https://antaios.de/gesamtverzeichnis-antaios/reihe-kaplaken/1109/der-verlust-des-ortes

Bei wem das kleine Kaplaken-Bändchen kein Neubesinnnen in viel tieferen Schichten von Geist und Seele auslöst ...

- G. G.

Heinrich Brück

26. Mai 2015 15:04

Ein anderes Wirtschaften schmackhaft machen, damit der Feind zum Freund wird. Auch nur eine Utopie der Querfront.
Wird die menschliche Natur zur menschlichen Natur gezwungen?
Die Banken zivilisieren, den Unternehmen streßfreies Wachstum möglich machen, den Raubtierkapitalismus zähmen, und der Mensch wird
die Anständigkeit in Person?
Wachstumszwang klingt nach Zinsbefriedigung als Ausbeute
des Geldschuldensystems. Kein Wachstum würde Stagnation bedeuten, Dekadenz.
Die Entmachtung "falschgesteuerter" Banken wäre einen Versuch wert, aber nicht in diesem intellektuellen Kolonialsystem.
Sozialer Zusammenhalt hieß früher Volksgemeinschaft, oder wurde zumindest als Gemeinschaft und Volk begriffen; und wer als Opponent zu offensichtlich Grenzen verschieben wollte, wurde sanktioniert. Wer wird heutzutage sanktioniert?
Und auch deshalb die Kriege gegen Deutschland. Die Verlierer erkennen in ihrer liberalen Dekadenz nicht mehr den eigenen Volkszusammenhalt als natürlichen Lebensraum und Gesamtverteidigung an, sondern ihresgleichen nationenübergreifend ohne tiefere Beziehung. Natürlich werden diese Geldapostel langfristig nicht gewinnen können, oder?

Andreas Vonderach

26. Mai 2015 15:24

Dahrendorf war es auch, der schrieb, das Selbstbestimmungsrecht der Völker sei ein "barbarisches Recht", nur Individuen hätten Rechte.

Gustav Grambauer

26. Mai 2015 17:04

Aus der Abteilung "Wie tief sie gesunken sind":

https://www.youtube.com/watch?v=7cNDcmeVQfI

Ob der Smartie eigentlich überhaupt den subtilen Doublespeak der "Message" auf seinem sogenannten "T-Shirt" erfaßt hat?! Oder ob er von der zweituntersten Stufe der Pyramide her die allerunterste mal wieder so richtig mit Zynismus einseifen will ...

- G. G.

Waldschrat

26. Mai 2015 17:47

Die „Quadratur des Kreises“ sei zwar nicht möglich, müsse aber ständig angestrebt werden.

Eigentlich ist damit doch schon alles gesagt, oder? Ideologie aus dem Irrenhaus.

simon

26. Mai 2015 18:00

"Dahrendorf wagte es nicht, an der Grundannahme zu rütteln, die besagt, daß alle Volkswirtschaften immer weiter wachsen müssen, auch wenn sie bereits sehr hoch entwickelt sind."

Menzel entlarvt die liberale Utopie, nur um implizit eine konservative Utopie zu entwerfen, nämlich einer Gesellschaft, die selbst genügsam ist und sich mit dem zu frieden gibt, was sie hat.

DAS ist aber ein völlig unrealistisches Menschenbild. Menschen wollen von Natur aus immer höher, weiter, mehr. Mehr Geld, mehr Macht, mehr Sex, mehr Land, höhe Tempel, , Schlösser, größere Flotten. Dass ist das, was NIetzsche "Den Willen zur Macht" nennt und Spengler den "faustischen " Mensch.

Wenn wir Menschen selbstgenügsam wären, wären wir noch Jäger und Sammler. Wären wir dann glücklicher? Wahrscheinlich. Aber wir Menschen wollen und können gar nicht glücklich sein. Wir Menschen sind getriebene unserer Leidenschaften, Wünsche, Gier, Ehrgeiz.

Gerade wir Europäer werden uns niemals damit begnügen können, selbst genügsam vor uns hin zu leben. Wir wollen immer weiter. Führt uns das in Katastrophen und Konflikte? Ja!
Können wir damit aufhören? Nein.

Kleine-Hartlange schreibt, die liberale Gesellschaft wird scheitern. Natürlich wird sie das, wie jede Gesellschaft davor auch. Wir bauen den Turm immer höhere, bis er zusammenbricht. Und was tun die Menschen dann?

Sie fanden wieder an, ihn aufzubauen, bis er erneut zusammen bricht.

derherold

26. Mai 2015 18:59

Dahrendorf war es auch, der die Massenuniversität protegierte und in Konstanz ein "Harvard am Bodensee" schaffen wollte.

Das hat nicht funktioniert und deshalb ist er an die Universität-Gesamthochschule Duisburg gewechselt ... nein, doch nicht, sondern an die LSE, die bekanntlich auf Elitenbildung keinen Wert legt. ;-)

CCCED

26. Mai 2015 23:33

Im Folgenden ein (zugegeben langer) Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen Otto Wagener und Adolf Hitler, geführt 1931/32. Otto Wagener war 1931/32 Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP. (Hitler aus nächster Nähe, Aufzeichnungen eines Vertrauten, 1978). Die Aufzeichnungen wurden von O. Wagener 1936 bzw. 1946 gemacht.
Die Diskutanten gingen davon aus, dass das Wirtschaftsprogramm der NSDAP ein Erfolg werden würde. Dieser "Dritte Weg" war eine Synthese aus Sozialismus und freier Marktwirtschaft. Entscheidend war, dass man sich dem internationalen Kapital verweigern wollte (Tauschhandel statt Devisenhandel, Begrenzung des Einflusses transnationaler Konzerne u.a.). Ob dieses Modell langfristig Erfolg gehabt hätte, sei dahingestellt, es wurde gegen Ende der dreißiger Jahre in eine Kriegswirtschaft überführt. Jedenfalls ahnten die Diskutanten die internationalen Widerstände zutreffend voraus.

»Der Weltkrieg hat mit sich gebracht, daß, soweit der Kapitalismus herrscht, Amerika die Vorherrschaft hat. Und da Amerika an industrieller Überproduktion leidet, wird es diese Vorherrschaft für den Absatz dieser Überproduktion
ausnützen Das geht alle an, Deutschland, wie Frankreich, England wie Südamerika, China und Japan. Nur wo der Kapitalismus gebrochen, abgeschafft, durch etwas Neuer ersetzt ist, hört die Macht Amerikas auf.
Hier liegt unsere große Aufgabe und zugleich unsre Chance! Hier ist Untergrund, in dem wir ankern können. Von da aus kann eine Antindustrialistische Welt aufgebaut werden.«
Da Hitler einen Augenblick verhielt, fragte ich: »Wie könnte diese aussehen?«
Worauf Hitler fortfuhr:
»Daß das Kapital in den Dienst der Arbeit gestellt werden muß, wie Ihre Büros das zur Zeit ausarbeiten, das ist die Vorbedingung. Gleichzeitig muß aber auch die Wirtschaft, und damit in erster Linie die Industrie, in den Dienst des Volkes gestellt werden. Das werden wir durch den wirtschaftlichen Selbstverwaltungsaufbau und die planende Aufsicht des Staates erreichen. Dann haben erst einmal wir eine geschlossene Sozialwirtschaft, eine national-sozialistische Wirtschaft. Damit hätten wir bereits England überholt. Denn England hat zwar auch
eine Nationalwirtschaft, sogar die älteste. Aber seine Wirtschaft ist nicht sozialistisch, und deshalb durch den Amerikaner angreifbar.
Dann müssen wir mit den Ländern um uns herum wirtschaftliche Interessengemeinschaften bilden, mit Polen, der Tschechei, Österreich, Ungarn, dem Balkan, ferner mit Dänemark und Holland, und vielleicht auch mit Belgien und Luxemburg und mit der Schweiz. So würde ein mitteleuropäischer Wirtschaftsblock entstehen, der diese Staaten allein schon durch die Vorteile, die er allen bietet immer fester und enger zusammenfügen würde. Hand in Hand damit ginge eine Währungsunion und dann die Zollunion. Mit ihr würden die lächerlichen Zollschranken fallen, die bei uns in Europa jeder Vernunft ins Gesicht schlagen, und die Schaltung eines auch politischen Staatenbundes wäre die Folge. So würde Europa endlich ein starkes kräftiges Herz bekommen, das die Grundsätze unserer Sozialwirtschaft ganz oder teilweise übernehmen würde und zwar um so eher, je erfolgreicher diese Wirtschaftsform sich bei uns auswirkt, und je stärker einerseits der kommunistische Druck aus dem Osten und andererseits der wirtschaftsimperialistische Druck aus Amerika ist. Wenn wir so weit sind, dann müßte der Augenblick gekommen sein, auch an England und dann wohl auch an die übrigen europäischen Staaten außer Rußland heranzutreten, um nun ganz Mittel-‚ West- und Südeuropa zu einer großen Union zusammenzuschließen. Ich weiß, was Sie mir sagen wollen, England wird uns schon vorher in die Arme fallen -«.
»Nein« rief ich. „Wenn wir’s so machen, dann nicht! Was wirtschaftlich zusammenwächst, kann auch der Engländer nicht auseinanderreißen! Es ist sogar eine alte englische Erkenntnis: die Flagge folgt dem Handel! In 2 bis 3 Jahrzehnten kann dieses Ziel auf diesem Wege mit Sicherheit erreicht werden.
Als ich 2 bis 3 Jahrzehnte sagte, kniff Hitler die Augen zu und verzog etwas das Gesicht. Dann fuhr er fort:
»Es wird schneller gehen. Es muß schneller gehen. Der Russe läßt uns nicht so lange Zeit.«
»Ich glaube, das ewige Rußland hat Zeit und läßt uns Zeit. Und wenn wir unsre Sozialwirtschaft durchführen, wird sie auch auf Rußland überspringen und abfärben.«
»Lassen Sie mich doch einmal meine Gedanken weiterspinnen. Wenn dieses Europa geschaffen ist, dann hat es zwar ganz Afrika, Indien, Australien und das holländische Inselreich mit im Bunde, aber es ist trotzdem noch nicht autark in Bezug auf Lebensmittel. Es sollte noch die Ukraine dazugehören! Nur dann wäre außerdem auch das östliche Mittelmeer endgültig für Europa gesichert. Es kann sogar sein, daß wir die Ukraine schon in den mitteleuropäischen Bund mit hineinnehmen müssen. Sonst kann Mitteleuropa doch noch ausgehungert werden. Denn Mitteleuropa ist ein Komplex von 140 bis 160 Millionen Menschen höchsten Lebensstandards. Weder die Vereinigten Staaten von Amerika noch Rußland bringen mehr Menschen ins Gewicht. Aber der Raum ist zu eng, um die Ernährung sicherzustellen. Deshalb wäre es zweckmäßig, auf die Ukraine so früh wie möglich die Hand zu legen. England würde uns dabei gegen Amerika decken und dann, im Bunde mit uns, sich die unbestrittene Seeherrschaft zurückerobern können.
Sie schütteln schon wieder den Kopf, Wagener. England muß doch einsehen, daß das sein eigenes Interesse ist. So kurzsichtig können doch seine Politiker nicht sein, daß sie lieber als Großmacht von der Weltbühne abtreten und Amerika und Rußland die Zukunft überlassen, als ihre sture und nunmehr überholte
Gleichgewichtspolitik aufrechtzuerhalten.«
»Herr Hitler, England denkt anders! Wenn wir gegen Rußland marschieren sollten, was Gott verhüten möge, dann fällt England uns in den Rücken. Denn es will keinen starken Festlandsstaat in Europa, auch nicht in Mitteleuropa. Es kann ihn vielleicht nicht verhindern, wenn er rein wirtschaftlich und friedlich
aufgebaut wird. Aber es wird ihn verhindern können, sobald die Waffen gezückt werden. Sie schreiben in >Mein Kampf< schon von der Notwendigkeit der Raumgewinnung nach Osten. Vorhin entwickelten Sie so ganz in meinem Sinn die wirtschaftliche Zusammenfügung Mitteleuropas. Warum sollte es nicht möglich sein, wirtschaftliche Verträge auch noch weiter nach Osten hin auszudehnen, zumal wenn wir mit unsrer Sozialwirtschaft das große Sozialproblem gelöst haben, nach dessen Lösung Sowjetrußland doch auch mit allen Mitteln sucht! Mit Waffen kann man nur zerstören, was die Wirtschaft aufgebaut hat. Waffengänge zu vermeiden, wenigstens solche, in die wir verwickelt werden, das ist unsre Aufgabe und der Weg groß zu werden! Deshalb bin ich auch, genau wie Sie es mir sagten, als ich Stabschef der S.A. war, gegen die militärische Aufrüstung.«
»Ich bin in dieser Auffassung unsicher geworden. Sehen Sie. Als Dr. Curtius* mit Österreich eine Zollunion abschließen wollte, da fiel ihm Frankreich in die Arme. Hätte er vorher 30 Divisionen aufgestellt, dann hätte Frankreich sich das überlegt! Gerade wenn wir unsre Wirtschaftsverträge machen wollen, mit dem Ziel eines engeren Zusammenschlusses, dann laufen wir Gefahr, daß uns Frankreich wiederum in die Arme fällt. Entweder müssen alle andern auch abrüsten, wie wir abgerüstet sind, oder wir müssen ebenso aufrüsten, wie sie aufgerüstet sind. Diese Tatsache wird mir immer klarer, je mehr ich mich in diese Fragen hinein arbeite. Und glauben Sie, daß Frankreich freiwillig abrüsten wird, oder Polen, oder die Tschechei?
Also um die Aufrüstung werden wir wohl nicht herumkommen. Nicht weil wir einen Krieg führen wollten, sondern weil die andern uns zur Aufrüstung zwingen, und weil ohne militärische Macht jeder Versuch auch der wirtschaftlichen Vertragspolitik ein Schlag ins Wasser wäre wie bei Curtius.«
Hitler machte eine Pause. Ich mußte ihm innerlich beipflichten. Es war wirklich eine Tragik, daß immer wieder in der Weltgeschichte eine deutsche Friedenspolitik nur unter dem Schutz und Schirm einer starken Rüstung möglich war, und daß diese Rüstung dann meist der Anlaß zu Kriegen wurde, bei denen im allgemeinen alle Nachbarn über Deutschland herfielen.
So kam mir immer wieder der Gedanke, daß nur ein Zusammengehen mit Rußland die friedliche Entwicklung garantieren könne, und ich entschloß mich, diese Möglichkeiten, wirtschaftlich wie politisch, einmal näher zu studieren.

*Dr. Julius Curtius, Außenminister des dt. Reiches zum Zeitpunktes des Projektes der deutsch-österreichischen Zollunion (1930-1931).

Chris

27. Mai 2015 02:21

Deutsche sind Ordnungsliberale, was im Kern Ökonomie nach Kantlektüre meint.

Im Beispiel Griechenland manifestiert sich der kulturelle Konflikt, mit einem populistischen strukturellen Antisemitismus, der sich gegen die Troika oder alternativ die deutschen Gläubiger richtet. Ähnliches in Spanien.

Aus diesem Konflikt wird die Seite der Ordnung siegreich hervor gehen und dem Hühnchen den Kopf abschlagen. Ich glaube nicht mehr an den Ordnungsverlust durch die Regionalisierung Europas.

Den geistigen Abstieg der USA als Hegemonialmacht durch Selbstmontage, und Großbrittaniens und Frankreichs durch Führungsschwäche seiner politischen Klasse konnte Dahrendorf nicht voraus sehen. In der multipolaren Welt wird es spannend für Deutschland. Hier kann eine Souveränitätsdividende eingefahren werden.

Noch gibt es mit TTIP, dem vom Zaun gebrochenenen Ukrainekonflikt, und ähnlichem nach dem Schema divide et impera den Versuch die US-Macht zu konsolidieren. Das wird nicht mehr gelingen.

enickmar

28. Mai 2015 04:24

Dieser Artikel behandelt genau die Thematik, die für uns wichtig ist. Das alles müßte hier viel mehr diskutiert werden. Der Erste/Zweite Weltkrieg ist insofern wichtig, als daß er uns die Gegenwart verstehen hilft. Aber wir müssen den damaligen Krieg nicht mehr gewinnen. Wir müssen die Gegenwart und die Zukunft gewinnen. Und zwar mit völlig anderen Konzepten und (gewissermaßen) auch mit völlig anderen Zielen ...

Nemo Obligatur

28. Mai 2015 23:15

warum es unter den Rahmenbedingungen der Globalisierung unmöglich sei, gemeinsam wirtschaftlichen Wohlstand, sozialen Zusammenhalt und politische Freiheit zu realisieren.

Hervorragender Beitrag, Herr Menzel!
Weniger, weil ich allen Ihren Äußerungen zustimme, sondern weil die Überlegungen von Dahrendorf heute schon Realität sind oder kurz davor sind, es zu werden. Die anschwellende Masse der illegal Einreisenden könnte man darunter fassen. Oder die laufenden Verhandlungen zu TTIP und ähnliche Veranstaltungen. Selbstredend auch die Versuche, die Eurozone gegen jedwede politische und wirtschaftliche Vernunft beisammen zu halten. Kurz gefasst: Für unseren momentanen Wohlstand werden wir einen sehr hohen Preis zahlen und in dem Moment wo das einer hinlänglich großen Masse des Volkes klar sein wird, ist es zu spät.

Einige haben es schon bemerkt, andere werden es bald bemerken und dann gibt es noch die, die nicht wollen, dass es der einfache Bürger bemerkt...

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