Marquard, Mohler, Metapolitik, Masseneinwanderung – Sezession 67

Und dann war da dieser Anrufer, der Kubitschek sprechen wollte und schier nicht glauben konnte,...

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

daß der sich beim Zeit­schrif­ten­ver­sand »selbst die Hän­de dre­ckig macht«: Pünkt­lich zum Monats­an­fang sind in einem Kraft­akt sämt­li­che Abon­nen­ten beschickt wor­den. Die neue Aus­ga­be der Sezes­si­on ist da und ver­eint als offe­nes Heft auf 62 Sei­ten ein brei­tes Spek­trum an Themen.

+ Den Anfang macht Götz Kubit­scheks Gespräch mit André Licht­schlag von eigen­tüm­lich frei. Die Ereig­nis­se rund um die Hay­ek-Gesell­schaft und ihre per­so­nel­le Posi­tiv­aus­le­se ste­hen sym­pto­ma­tisch für einen auf­kei­men­den Wider­wil­len: Es muß und soll nicht mehr über jedes hin­ge­hal­te­ne Stöck­chen gesprun­gen wer­den, was Lip­pen­be­kennt­nis­se und eil­fer­ti­ge Distan­zie­run­gen angeht. Vor knapp zwei Mona­ten sprach bereits Dr. Dr. Thor v. Wald­stein (auch) darüber.

+ Es folgt ein Autoren­por­trät des “Tran­szen­den­tal­bel­le­tris­ten” Odo Mar­quard, der im Mai die­ses Jah­res ver­stor­ben ist. Juli­us Möl­len­bach spürt dem Denk­stil des Gie­ße­ner Sozi­al­phi­lo­so­phen nach, der sich ins­be­son­de­re auch kri­tisch mit der Geschichts­phi­lo­so­phie sei­ner Zeit aus­ein­an­der­setz­te und als Ange­hö­ri­ger der Rit­ter-Schu­le eine deut­li­che Gegen­po­si­ti­on zum kun­ter­bunt-wohl­fühl­lin­ken Ein­heits­brei der Fort­schritts­den­ker einnahm.

+ In den 1960er Jah­ren war es – noch – kein gro­ßes Pro­blem, als dis­si­den­ter Den­ker sei­nes­glei­chen zu unter­stüt­zen und einen Funk­tio­närs­club wie die CSU nach­ge­ra­de zu kapern: Das kurz­wei­li­ge Zusam­men­wir­ken von Armin Moh­ler, Franz Josef Strauß und dem jun­gen, anti­kom­mu­nis­ti­schen Heiß­sporn Mar­cel Hepp ist Betrach­tungs­ge­gen­stand des Bei­trags »Alter Rech­ter, jun­ger Rech­ter, kein Rech­ter« aus der Feder mei­ner Wenigkeit.

+ Nicht nur kann man bei Face­book (ganz im Sin­ne der »gen­der­fe­mi­nis­ti­schen Psy­cho­pa­tho­lo­gie«) frei aus allen nur irgend denk­ba­ren Spiel­ar­ten geschlecht­li­chen Rol­len­spiels wäh­len: Schon lan­ge vor­her war es dem geneig­ten Selbst­dar­stel­ler mög­lich, neben Ehe oder Ver­lo­bung auch eine ggf. vor­han­de­ne “offe­ne Bezie­hung” bekannt­zu­ge­ben. Was der auch von Spie­gel und NEON rege beför­der­ten Schein­nor­ma­li­tät der Poly­amo­rie zugrun­de­liegt, hat Ellen Kositza erforscht und dabei fest­ge­stellt, wie anstren­gend das Lais­sez-fai­re tat­säch­lich ist:

Unter Poly­amo­ren muß viel gere­det, geklärt und ver­bind­lich gere­gelt wer­den: mit dem aktu­el­len Haupt­ge­gen­über, mit Drit­ten und sich selbst (»sexu­el­le Selbst­fin­dung«), so daß vie­le Poly­amo­re ein­ge­ste­hen, ihre Erwerbs­tä­tig­keit zuguns­ten der Fei­lung ihres Lie­bes­pro­fils zurück­ge­steckt zu haben.

+ Dr. Erik Leh­nert beschäf­tigt sich mit einer Art Ahnen­rei­he der Meta­po­li­tik, die weit hin­ter Auf­klä­rung und Moder­ne zurück­greift sowie einer selbst­be­wuß­ten »Beur­tei­lung der Lage« das Wort redet.

+ Mar­tin Licht­mesz hat an Pfings­ten die jähr­li­che Wall­fahrt von Not­re Dame nach Char­tres mit­ge­macht und einen nach­denk­lich-aura­ti­schen Rei­se­be­richt dar­über ver­faßt. Sei­ne Fahr­ten­lek­tü­re umfaß­te Hou­el­le­becq, Péguy, Huys­mans und – natür­lich – Jean Ras­pail.

+ Tho­mas Schmidts Lage­ana­ly­se »Bevöl­ke­rungs­aus­tausch in Euro­pa: Ursa­chen – Stand – Per­spek­ti­ven« ist in erwei­ter­ter Form und um einen Bild­teil zur dies­be­züg­li­chen Kam­pa­gne der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung Öster­reich ergänzt im Heft enthalten.

+ Felix Men­zel hat »Die Pro­fi­teu­re der Mas­sen­ein­wan­de­rung« unter die Lupe genom­men und anhand ein­schlä­gi­ger Sta­tis­ti­ken deren Geschäfts­mo­dell Asyl demaskiert.

+ Sieg­fried Ger­lich hat sich ein­ge­hend mit einer der schil­lernds­ten Per­sön­lich­kei­ten des rech­ten Lagers seit der Wen­de befaßt: Dr. Rein­hold Ober­ler­cher, Natio­nal­mar­xist, »Ham­burgs Dutsch­ke« (so der Spie­gel 1967) und Voll­ender des Marx­schen Kapi­tals. Außer­dem Ver­fas­ser des berüch­tig­ten 100-Tage-Pro­gramms der natio­na­len Not­stands­re­gie­rung sowie der Kano­ni­schen Erklä­rung zur Bewe­gung von 1968. Wie dies alles in einem ein­zi­gen Den­ker zusam­men­geht – Ger­lich ver­sucht, den »letz­ten Hege­lia­ner« zu fassen.

+ Am 6. und 9. August jäh­ren sich die US-ame­ri­ka­ni­schen Atom­bom­ben­ab­wür­fe auf Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki zum sieb­zigs­ten Mal. Aus die­sem Anlaß hat Prof. Dr. Yoshit­a­ka Fukui von der Tokio­ter Aoya­ma-Gaku­in-Uni­ver­si­tät einen Arti­kel über die volks­psy­cho­lo­gi­sche Wir­kung die­ser Städ­te­ver­nich­tun­gen ver­faßt – und sie pas­sen­der­wei­se in einen Sinn­zu­sam­men­hang mit der Aus­lö­schung Dres­dens vor eben­falls 70 Jah­ren gebracht.

+ Daß taz-Che­fin Ines Pohl im ver­gan­ge­nen Monat ihren Wech­sel zur Deut­schen Wel­le bekannt­gab, wird viel­leicht noch eini­ge Leser ver­wun­dert haben. Daß zur Ver­wir­rung kei­ner­lei Anlaß besteht, weist Bene­dikt Kai­ser in sei­nem Text über »Links­li­be­ra­les Stüh­le­rü­cken« nach: Lin­ke bis anti­deut­sche Medi­en wie Jungle World oder eben die taz tau­schen fröh­lich ihr Per­so­nal mit der nur schein­bar ver­haß­ten Sprin­ger-Pres­se und den Öffent­lich-Recht­li­chen aus. Das Bin­de­glied über alle ideo­lo­gi­schen Gren­zen hin­weg stellt hier­bei die trans­at­lan­ti­sche Gesin­nung dar. In unse­rer main­stream-Medi­en­land­schaft fin­det sich damit eine direk­te Per­p­etu­ie­rung der Nach­kriegs-Mario­net­ten­be­richt­erstat­tung, der Dr. Ste­fan Scheil ein kun­di­ges Buch gewid­met hat.

+ Zuletzt hat sich Dr. Micha­el Rie­ger mit den »Wei­ma­rer Schüt­zen­grä­ben« befaßt, das heißt einem Über­blick über lite­ra­ri­sche Stim­men zum und aus dem Ers­ten Welt­krieg. Sei­ne lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Her­an­ge­hens­wei­se ergänzt dabei her­vor­ra­gend Gün­ter Scholdts Stu­die über die »gro­ße Autoren­schlacht« und stellt die Bedeu­tung des Dich­ters für die Eta­blie­rung eines Geschichts­bilds heraus.

+ Rezen­sio­nen und Ver­misch­tes run­den die Aus­ga­be ab; bespro­chen wer­den etwa Gior­gio Agam­bens Das Geheim­nis des Bösen. Bene­dikt XVI. und das Ende der Zei­ten und Macht in der Mit­te. Die neu­en Auf­ga­ben Deutsch­lands in Euro­pa von Her­fried Münkler.

Abon­nen­ten soll­ten das Heft die­ser Tage erhal­ten; Ein­zel­be­stel­lun­gen und die Ein­sicht in das Inhalts­ver­zeich­nis sind hier mög­lich. Ein Jah­res­abon­ne­ment inner­halb Deutsch­lands und Öster­reichs kos­tet 50 Euro, ermä­ßigt für Nicht­ver­die­ner 35 Euro (jeweils inkl. Por­to). Drei älte­re Hef­te gibt es zudem als Prämie.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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Kommentare (6)

Andrenio

4. August 2015 13:27

Ist angekommen! Schon auf den ersten Blick ein weiteres Qualitätsprodukt.

RL

4. August 2015 18:42

Ganz großes Lob, war am 01. August im Briefkasten.

Isarpreiß

4. August 2015 21:24

Schade nur, wenn man einige Artikel schon kennt -- das Editorial war ja, soweit ich mich erinnern kann, eine Rede von Kubitschek? Kositzas Rezension von "Alles Licht ..." war hier schon zu lesen, dazu Thomas Schmidts Artikel, das Gespräch mit Lichtschlag und Lichtmesz' Rezension von Michael Ley.

Vielleicht könnte man in Zukunft mehr Artikel erst in der Sezession, dann im Internet veröffentlichen?

kommentar kubitschek:
manchmal MUSS es einfach rasch ins netz, selbst dann, wenn es die substanz einer glücklicherweise recht ruhig angelegten zwei-monats-zeitschrift ist.

enickmar

5. August 2015 01:03

@ Isarpreiß

Vielleicht könnte man in Zukunft mehr Artikel erst in der Sezession, dann im Internet veröffentlichen?

Es wird doch dadurch niemandem etwas vorenthalten (im Gegenteil), und es steht jedem frei, Artikel nur in der Printausgabe zu lesen. Oder ist es die Angst davor, für etwas gezahlt zu haben, was jemand anderes gratis bekommen könnte ? Mich stört es jedenfalls nicht, wenn ich das eine oder andere auch nochmal gedruckt bekomme.

Rafael Wedel

5. August 2015 05:20

Ich weiß nicht, wo ich das teilen soll, deshalb entschuldige ich mich für's Offtopic.
In der ARD-Mediathek ist die sehr sehenswerte Dokumentation "Geschichte im Ersten: Nagasaki - Warum fiel die zweite Bombe?" noch bis zum 10.08. abrufbar. Man beachte, dass es nur täglich ab 20 Uhr abrufbar ist.

Hier der Infotext:

Am 6. und 9. August 1945 detonierten im Pazifikkrieg über Hiroshima und Nagasaki die beiden einzigen Atombomben der Kriegsgeschichte. Seitdem hält sich weltweit die These, dass diese Waffe auch den Zweiten Weltkrieg beendet habe. Diese Behauptung sei jedoch immer falsch gewesen, beklagen internationale Historiker in dieser Dokumentation von Klaus Scherer. In Wahrheit hätten die Angriffe lediglich Japans Großstädte Nummer 67 und 68 zerstört, sagen sie. Der Eintritt der Sowjetunion in den Pazifikkrieg am 8. August 1945 und der Bruch des gültigen Neutralitätspaktes hätten wesentlich mehr als die Atombombe dazu beigetragen, dass Japan kapitulierte.

Hugo

5. August 2015 12:40

@Rafael Wedel, besagter Klaus Scherer ist auch in diesem äußerst bemerkenswerten Interview zu hören gewesen:

https://www.deutschlandfunk.de/70-jahre-hiroshima-und-nagasaki-natuerlich-war-da.694.de.html?dram:article_id=327186

Und was ich noch sagen sollte "das alles ist natürlich nicht mit der Singularität des Holocaust zu vergleichen" oder ähnlich dämlich abgedroschen "ceterum censeo Carthaginem esse delendam".

Ach was soll's Truman war ein Kriegsverbrecher, der über einen anderen Kriegsverbrecher gesiegt hat, weshalb er davongekommen ist.

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