Erinnerungen an Mircea Eliade

pdf der Druckfassung aus Sezession 16/Februar 2007

pdf der Druck­fas­sung aus Sezes­si­on 16/Februar 2007

sez_nr_168von Moham­med Rassem

Von Mir­cea Elia­de habe ich schon in den vier­zi­ger Jah­ren wäh­rend mei­nes Stu­di­ums gehört und zwar von Kul­tur­his­to­ri­kern, die an ver­glei­chen­der Reli­gi­ons­wis­sen­schaft inter­es­siert waren. Der jun­ge Pro­fes­sor aus Buka­rest war dem engs­ten Kreis der Fach­leu­te in der Schweiz, in Ita­li­en usw. schon damals wohl bekannt. Einer von die­sen Pro­fes­so­ren, der Wie­ner Ger­ma­nist Otto Höf­ler, war es wohl auch, der Anfang der fünf­zi­ger Jah­re dem Salz­bur­ger Ver­le­ger Otto Mül­ler vor­schlug, Elia­des fran­zö­sisch vor­lie­gen­de Reli­gi­ons­ge­schich­te in deut­scher Spra­che her­aus­zu­brin­gen und mir die Über­set­zung anzu­ver­trau­en. Es kam tat­säch­lich dazu; ich saß dann am Chiem­see an die­ser Über­tra­gungs­ar­beit, weit ent­fernt von allen reli­gi­ons­wis­sen­schaft­li­chen Biblio­the­ken. Nach jedem Kapi­tel sand­te ich einen Fra­ge­bo­gen an Elia­de, der in Paris leb­te. Er schrieb die Ant­wor­ten immer gleich auf mei­nen Brief drauf, mit einer fei­nen, prä­zi­sen, aber doch schwung­vol­len Hand­schrift. Im Inhalt kurz, dezi­diert, genau – nicht zu wenig und nicht zu viel. Mir gefiel das gut, man spür­te einen Gelehr­ten von umfas­sen­den Kennt­nis­sen, der sich hell­wach jeder momen­tan wich­ti­gen Ein­zel­heit zuwand­te, mit gro­ßer Sorg­falt, aber auch mit Arbeits­öko­no­mie. Er war weder zer­streut, noch geschwät­zig, er wuß­te die Über­fül­le, das wis­sen­schaft­lich Über­la­de­ne zu ver­mei­den. – Man­che Ein­zel­hei­ten waren komisch, so etwa, wenn er mei­ne unter­tä­ni­ge Fra­ge nach dem Sinn einer Stel­le, in sei­nem Buch, mit dem tro­cke­nen Hin­weis beant­wor­te­te, dies sei ein kapi­ta­ler Druck­feh­ler – énor­me fau­te typo­gra­phi­que.
Ich erzäh­le das, um zu beleuch­ten, mit wel­chen Schwie­rig­kei­ten die­ser Mann zu rin­gen hat­te, des­sen ers­te Bücher aus einem rumä­ni­schen Manu­skript von ande­ren in Fran­zö­si­sche über­tra­gen wur­den, die viel­leicht nicht all­zu viel von Reli­gi­ons­wis­sen­schaft ver­stan­den, aber eben Rumä­nisch konn­ten. Und all das spiel­te sich in den Wir­ren des Krie­ges und der ers­ten Nach­kriegs­zeit ab. Irgend­wie gelang es dem Emi­gran­ten Elia­de, sich ohne fes­te Ein­künf­te am Leben zu erhal­ten und über­dies, sich in dem geis­ti­gen Hexen­kes­sel Paris durch­zu­set­zen. Eini­ge gut eta­blier­te Pro­fes­so­ren hal­fen ihm, gewiß, trotz­dem war das schon ein Kunst­stück, denn so vie­le For­schungs­auf­trä­ge, Gast­pro­fes­su­ren, Sti­pen­di­en wie heu­te gab es damals nicht. Ich weiß nicht, ob die Geschich­te der rumä­ni­schen Intel­lek­tu­el­len in Frank­reich von irgend jeman­dem geschrie­ben wor­den ist, sie wäre nicht nur in Bezug auf die Uni­ver­si­täts­wis­sen­schaft, son­dern auch in Bezug auf das Ver­lags­we­sen usw. sehr interessant.
Per­sön­lich lern­te ich Mir­cea Elia­de erst Mit­te der fünf­zi­ger Jah­re in Mün­chen ken­nen, wo er einen Vor­trag in der Aka­de­mie der Schö­nen Küns­te hielt. Ein unver­geß­li­cher Ein­druck, wie die­ser Mann, der eigent­lich nicht deutsch sprach, aber natür­lich enorm viel in deut­scher Spra­che gele­sen hat­te, sein von irgend­je­man­dem über­setz­tes Manu­skript vor­las. Wir saßen vor­her ein Vier­tel­stünd­chen zusam­men und er notier­te sich nur die rich­ti­ge Beto­nung eini­ger Wör­ter, bei denen er unsi­cher war. Dann trug er das gan­ze vor einem gro­ßen, höchst anspruchs­vol­len Publi­kum mit nacht­wand­le­ri­scher Sicher­heit vor. Irgend­wie hat­ten wir den Ein­druck, daß er nicht nur über Yoga­tech­ni­ken Bücher geschrie­ben hat­te, son­dern auch sel­ber das Geheim­nis besaß, sich im gege­be­nen Augen­blick voll zu kon­zen­trie­ren, ohne des­we­gen irgend­wie ver­krampft zu wirken.

Obwohl es nun drei­ßig Jah­re her ist, erin­ne­re ich mich gut an eini­ge Bemer­kun­gen, die Elia­de bei die­sem Besuch mach­te. Zum Bei­spiel kam die Rede auf einen Schwei­zer Gelehr­ten, bei dem ich gehört hat­te und mit dem ich befreun­det war, er hat­te Jah­re zuvor eine klei­ne Schrift über die kel­ti­sche Krie­ger­re­li­gi­on ver­faßt; dies war nur als eine Art Pri­vat­druck erschie­nen und daher kaum jeman­dem auf der Welt bekannt. Elia­de wuß­te ganz genau, was in die­sem Schrift­chen stand und sag­te: Mir gefal­len die The­sen die­ser Arbeit sehr, gleich­gül­tig ob der Ver­fas­ser sel­ber heu­te noch Gefal­len dar­an hat oder nicht.
Elia­de war also ein Mann, der sozu­sa­gen alles wuß­te und das gelehr­te Hand­werk beherrsch­te wie kaum jemand. Aber das war nur die Vor­aus­set­zung, nicht der tie­fe­re Grund für das Ver­trau­en und die Wert­schät­zung, die wir ihm ent­ge­gen­brach­ten. Der Wert sei­ner ver­glei­chen­den Reli­gi­ons­ge­schich­te, die 1954 bei Otto Mül­ler unter dem Titel Die Reli­gio­nen und das Hei­li­ge erschien, lag ganz ein­fach dar­in, daß hier ein Gelehr­ter die Tat­sa­che, das Phä­no­men Reli­gi­on ganz ernst nahm. Die Reli­gi­ons­wis­sen­schaft war ja damals noch sehr von der Manie der Wis­sen­schaft­ler des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts geprägt, die auf der Suche nach der trei­ben­den Kraft der Reli­gio­nen immer nur den Irr­tum und die Angst der Men­schen ent­deck­ten. Vie­le beschäf­tig­ten sich mit die­sem Gegen­stand eigent­lich nur noch aus his­to­ri­schem Inter­es­se, um die selt­sa­me Ver­gan­gen­heit der inzwi­schen ganz ver­nünf­tig gewor­de­nen Mensch­heit zu regis­trie­ren. Elia­de sah die Din­ge anders. Er sag­te auf der letz­ten Sei­te des eben erwähn­ten Buches: „Die Geschich­te kann die Not­wen­dig­keit reli­giö­sen Erle­bens nie end­gül­tig auf­he­ben. Das Hei­li­ge, die Hiero­pha­nie, erlaubt eine spon­ta­ne und inte­gra­le Wie­der­ent­de­ckung aller reli­giö­sen Wer­te, wel­che es auch sei­en und auf wel­cher geschicht­li­chen Ebe­ne sich auch die Gemein­schaft oder das Indi­vi­du­um befin­det, die die­se Ent­de­ckung rea­li­sie­ren. Die Geschich­te der Reli­gio­nen ist im Grun­de das Dra­ma, das aus Ver­lo­ren­ge­hen und Wie­der­ent­de­cken die­ser Wer­te ent­steht, das bei­des nie end­gül­tig ist und es nicht sein kann.”

Es han­delt sich um die ers­te Ver­öf­fent­li­chung eines Typo­skripts von Prof. Dr. Moham­med Ras­sem, des­sen Text am 30. April 1986 im ORF als Nach­ruf auf Mir­cea Elia­de gesen­det wur­de. Die Vor­la­ge befin­det sich in der Hand­schrif­ten­samm­lung (Nach­laß Otto Höf­ler) der Öster­rei­chi­schen Natio­nal­bi­blio­thek. Für die Druck­ge­neh­mi­gung bedan­ken wir uns bei Frau Mag. sc. The­re­sia Rassem.

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