Simplicius Simplicissimus a dextra

 

aus Sezession 60 / Juni 2014

Die Frage, wer sich hinter Raoul Thalheim verberge, beantworten wir nicht.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Wenn, dann soll er selbst sei­nen wirk­li­chen Namen preis­ge­ben und auch den Zeit­punkt für sein »coming out« fest­le­gen. Wir über­schla­gen: ein Drit­tel der Sezes­si­on-Leser wüß­te mit die­sem Autor sofort etwas anzufangen.

»Thal­heim«: Kennt er die »neu­rech­te«, »kon­ser­va­ti­ve«, »kern­bü­ger­li­che« Sze­ne, die sich hier mit all die­sen Eti­ket­ten unzu­frie­den zeigt, weil sie knapp dane­ben­lie­gen, ein­engen, zur Aus­gren­zung füh­ren? Kennt er das Milieu wirk­lich, das zum Schau­platz die­ses Romans wird? Von innen oder von außen? Er kennt, das wird für Innen­sei­ter klar, sogar Anek­do­ten aus den frü­hen Jah­re jener Wochen­zei­tung, die in sei­nem Roman Frei­geist heißt und vom Leser leicht mit einem real­exis­tie­ren­den Medi­um wird ver­wech­selt wer­den kön­nen. Wer sich an die Auf­bau­jah­re die­ser Zei­tung erin­nern kann, fin­det in Thal­heims spie­gel­la­by­rin­thi­schem Roman Entzifferbares.

Vor allem aber sind es die Debat­ten um Pseud­ony­me, har­te The­men und Gast­au­toren, die zei­gen, daß sich Thal­heim in die Wider­bors­tig­keit und den Drang nach Nor­ma­li­tät einer nicht wohl­ge­lit­te­nen Redak­ti­on sehr genau hin­ein­den­ken kann. Da ist die Haupt­per­son Mar­cel Mar­tin: Gab oder gibt es sie wirk­lich? Die­sen ambi­va­len­ten Held, bes­ser: Anti­held mit Anlei­hen eines Sim­pli­ci­us Sim­pli­cis­si­mus? Mar­cel arbei­tet als Chef­re­por­ter der nicht voll­ends rand­stän­di­gen, aber doch vom Haupt­strom skep­tisch beäug­ten Wochen­zei­tung Frei­geist. Die­ses Blatt gilt als »rechts« – einer­lei, daß »El Jefe«, der Eigen­tü­mer des Blat­tes, die­se Selbst­be­zeich­nung vehe­ment ablehnt – und wird mehr ins­ge­heim rezi­piert, jeden­falls von den Mei­nungs­ma­chern und deren Mit­seg­lern im Windschatten.

Im Dienst die­ses Blat­tes trägt Mar­cel eine »pro­fes­sio­nel­le Rüs­tung«: Sei­ne Repor­ta­gen gel­ten als her­vor­ra­gend. In Wahr­heit sind sei­ne sou­ve­rän wir­ken­den Berich­te Resul­ta­te eines lang­wie­ri­gen, von schmerz­haf­ten Skru­peln durch­drun­ge­nen Vor­gangs: »Zu Mar­cels Grund­sät­zen gehör­te es, ehr­lich zu schrei­ben. Ohne fal­sche Sei­ten­la­ge. (…) Er woll­te sein wie eine Waa­ge. Ein Gerät, das still steht, das sorg­sam geeicht ist und sei­ne Scha­len bereit­hält. Oder allen­falls, dies als äußers­tes, wie der stil­le Pas­sa­gier auf dem Boot, der sein Gewicht behut­sam back­bord neigt, wenn steu­er­bord leck zu gehen droht.«

Mar­cel schreibt unter Krämp­fen. Sein Leben jen­seits der Redak­ti­ons­tä­tig­keit erscheint ihm ähn­lich ver­zwickt. Wes­halb zeigt aus­ge­rech­net Agnes Inter­es­se an ihm, die­se offen­sicht­lich durch-und-durch lin­ke, den­noch anbe­tungs­wür­di­ge Radio­frau? Wie­so mel­det sich Doreen nicht mehr, das pro­pe­re Fräu­lein mit dem gesun­den Men­schen­ver­stand, das Mar­cel von sei­nem Freund und Kol­le­gen Ben­ja­min ver­mit­telt bekam? Ben­ja­min reüs­siert mun­ter als Schü­ler diver­ser Pick-up-Semi­na­re, wen­det sei­ne Auf­rei­ßer-Tricks flei­ßig an und fährt nicht schlecht dabei.

Und dann ist da Eugen. Eugen Röss­ler, der Ex-Redak­teur und alte Schul­ka­me­rad, der Mar­cel einst zum Frei­geist ver­mit­telt hat­te. Der hat kei­ne Pro­ble­me mit Frau­en und auch kei­ne mit Bauch­ge­füh­len und Hirn­im­pul­sen, aber offen­sicht­lich mit sei­nem Namen. Röss­ler heißt jetzt Rosen­baum, brauch­te er einen Neu­an­fang bei goog­le? Aber war­um? War­um aus­ge­rech­net unter einem Namen mit solch »hm … mosai­schem« Bei­klang? Und war­um sind rech­te Leser und Den­ker eigent­lich über­pro­por­tio­nal oft schwul, wie Back­hohl, die Frei­geist-Edel­fe­der, unter Ver­weis auf redak­ti­ons­in­ter­ne Sta­tis­ti­ken ver­kün­det? Oder macht er bloß Witze?

Viel­leicht spie­len über­haupt alle falsch, viel­leicht nimmt kei­ner die Sache so ernst wie Mar­cel, der eigent­lich kei­nen Dienst­schluß kennt. Mar­cel ver­sucht jeden­falls nach Kräf­ten, sei­nen Mann zu ste­hen. Gegen­über Maman, der immer noch domi­nan­ten allein­er­zie­hen­den Mut­ter, gegen­über Agnes, der lie­ben, ver­irr­ten Lin­ken, gegen­über Back­hohl, die­ser schil­lern­den Emi­nenz und gegen­über den Objek­ten sei­ner Repor­ta­gen, hier vor allem die »ziga­nen Gesell­schaf­ten«, die am Ort des Gesche­hens – Dres­den – eine Blei­be gefun­den haben.

Mar­cel will kein fal­sches, unge­rech­tes Wort schrei­ben. Doch ihm schwin­delt, und das ist fol­ge­rich­tig. Mar­cel ist sen­si­bel, über­sen­si­bel. Der Redak­ti­ons­psych­ia­ter (»Frei­geistleser der ers­ten Stun­de«) kennt die­se Zusam­men­hän­ge: Wer auf­grund sei­ner Wach­heit stets die Posi­tio­nen ver­tre­te und begrün­de, die gera­de nicht anschluß­fä­hig sei­en im heu­ti­gen Welt­be­trieb (also die »rech­ten«), von des­sen Sub­stanz wer­de gezehrt.

Hirn­hun­de ist kein Schlüs­sel­ro­man, und doch ist er wahr. »Thal­heim« ver­steht sein Hand­werk, zwei­fel­los: Sein Roman ist span­nungs­ge­la­den, luzi­de, vol­ler Witz und Anspie­lun­gen. Daß er sprach­lich gelun­gen und lite­ra­risch auf Könn­er­ni­veau durch­kom­po­niert ist, macht ihn zu einem klei­nen, über­aus unter­halt­sa­men Meisterwerk.

Raoul Thal­heim: Hirn­hun­de, Schnell­ro­da 2014. 354 S., 21 € – hier bestellen!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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