Im Zwischenreich – Sedlaceks »Stadt«

aus Sezession 60 / Juni 2014

Wer sich als Liebhaber einschlägiger Gewächse in die Welt des Malers und Graphikers Franz Sedlacek begibt, wird trotz oder gerade wegen aller Seltsamkeiten, die ihm dort begegnen, rasch vertrautes Gelände entdecken. Nämlich die spezifiche Mischung aus Phantastik und Satire, Beklemmung und makabrem Humor, Kauzigkeit und Grusel, die man auch aus den Werken anderer altösterreichischer Artverwandter kennt:

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

etwa Alfred Kubin, Gus­tav Mey­rink, Franz Kaf­ka, Leo Perutz oder Fritz von Herz­ma­novs­ky-Orlan­do. Sedlaceks düs­te­re Stadt- und Land­schafts­bil­der, auf denen der Him­mel stets ver­han­gen oder stür­misch umweht ist und nur ein­zel­ne mar­kan­te Licht­fle­cken oder ‑punk­te her­vor­glü­hen, ste­hen an der Kip­pe zwi­schen Traum und Alp­traum. Ist das Schö­ne schon schreck­lich oder umgekehrt?

Wie Püpp­chen oder Zinn­fi­gu­ren in über­di­men­sio­nier­ten Spiel­zeug­mo­del­len bewe­gen sich dar­in die Men­schen gleich Schlaf­wand­lern und gehen zwie­lich­ti­gen bis rät­sel­haf­ten Tätig­kei­ten und Lei­den­schaf­ten nach. Sedlacek lieb­te auch noc­turne Gespens­ter­er­schei­nun­gen, gro­tesk-anthro­po­mor­phe Pflan­zen und Tie­re und hoff­man­nes­ke Sze­nen mit skur­ri­len Wis­sen­schaft­lern in ihren trü­ben Studierstuben.

Er selbst pfleg­te wie vie­le Öster­rei­cher eine ent­spre­chen­de Dop­pel­exis­tenz: im zivi­len Berufs­le­ben war der 1891 in Bres­lau gebo­re­ne, in Linz auf­ge­wach­se­ne und in Wien hei­mi­sche Künst­ler Che­mi­ker und stell­ver­tre­ten­der Direk­tor eines Tech­ni­schen Muse­ums. Der Karo­lin­ger-Ver­lag lei­te­te 1990 mit einem präch­ti­gen Bild­band – ver­se­hen mit einem Vor­wort von Erik von Kueh­nelt-Led­dihn! – die Renais­sance des inzwi­schen halb­ver­ges­se­nen Meisters ein.

Nun ist ein lan­ge unter Ver­schluß gehal­te­nes Roman­frag­ment Sedlaceks erschie­nen, ange­rei­chert mit schö­nen Bild­bei­ga­ben: Die Stadt schil­dert ähn­lich wie Kubins Die ande­re Sei­te eine Rei­se in ein Zwi­schen­reich, in dem die Logik des Trau­mes herrscht, ange­legt als Wan­de­rung durch meh­re­re Sedlacek-Gemäl­de, die detail­liert beschrie­ben wer­den. Die titel­ge­ben­de »Stadt« bleibt unge­nannt, ist aber unver­kenn­bar das dämo­nisch-gemüt­li­che Wien, in dem der Erzäh­ler gefan­gen ist wie die Figu­ren in Kaf­kas Erzäh­lun­gen: »So war mir nun klar gewor­den, daß es mir bestimmt sei, in die­ser Stadt aus­zu­har­ren, bis ich auf irgend­ei­ne Wei­se aus ihr weg­ge­ru­fen oder fort­ge­führt wer­den würde.«

Unver­meid­lich waren wohl die Sei­ten­hie­be auf die kaka­ni­sche Büro­kra­tie: so wird der Leser in die Mys­te­ri­en des Abbaus von »Akten-Gestein« in ent­spre­chen­den Berg­wer­ken und die Fließ­band­pro­duk­ti­on von Beam­ten, »Regie­rungs- und Minis­te­ri­al­rä­ten« in spe­zia­li­sier­ten Fabri­ken ein­ge­weiht. Die Rei­se endet abrupt und ver­läuft eben­so im Nichts wie Sedlaceks Leben: sei­ne Spur ver­liert sich Anfang 1945 bei der Ver­tei­di­gung der Fes­tung Thorn in Westpreußen.

Franz Sedlacek: Die Stadt. Eine phan­tas­ti­sche Erzäh­lung, Wien und Leip­zig 2014, 160 S., 24 €.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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