Gottfried Benn – Versuch über einen Faschisten

pdf der Druckfassung aus Sezession 14/Juli 2006

Vor fünfzig Jahren starb der Schriftsteller Gottfried Benn. Sein Leben...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

ist hun­dert­mal erzählt wor­den und rasch skiz­ziert: Geburt 1886 in Mans­feld / Westp­ri­g­nitz als Sohn eines evan­ge­li­schen Pfar­rers, 1903 Abitur in Frank­furt / Oder, 1910 Abschluß des Medi­zin-Stu­di­ums in Ber­lin, 1912 Pro­mo­ti­on zum Dr. med.; im sel­ben Jahr Ver­öf­fent­li­chung des ers­ten Gedicht­bands: Mor­gue; als Ober­arzt 1915 im Mili­tär­gou­ver­ne­ment Brüs­sel, im sel­ben Jahr Geburt der ein­zi­gen Toch­ter; 1917 als dienst­un­taug­lich ent­las­sen, 1922 Tod der ers­ten Frau; bis 1935 Arbeit als Arzt in Ber­lin, dane­ben Lyrik, Pro­sa und Essay­is­tik, unter ande­rem Fleisch. Gesam­mel­te Lyrik (1917) und Gehir­ne (eben­falls 1917, inklu­si­ve der Rön­ne-Novel­len, die in Brüs­sel ent­stan­den waren), dann Gesam­mel­te Schrif­ten (1922), mit denen Ben­ns expres­sio­nis­ti­sche Pha­se endet; ab 1927 Essay­is­tik mit geschichts­phi­lo­so­phi­scher und nihi­lis­ti­scher The­ma­tik, 1932 Lite­ra­tur-Streit mit Johan­nes R. Becher und Egon Erwin Kisch, Beru­fung in die Preu­ßi­sche Aka­de­mie der Küns­te; 1933 Beja­hung der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung, Der neue Staat und die Intel­lek­tu­el­len (1933) und Dori­sche Welt (1934); 1935 Rück­zug in die Wehr­macht (die „aris­to­kra­ti­sche Form der Emi­gra­ti­on”), Ober­stabs­arzt in Han­no­ver, danach Ber­lin und Lands­berg / Warthe; 1938 zwei­te Ehe, Kriegs­en­de in Ber­lin, Selbst­mord der zwei­ten Frau; Publi­ka­ti­ons­ver­bot in Deutsch­land bis 1948, dann erschei­nen Sta­ti­sche Gedich­te (Zürich, 1948) und Drei alte Män­ner (Wies­ba­den, 1948); drit­te Ehe ab 1946, Arbeit als Arzt in Ber­lin bis 1953; Benn-Jahr 1949: es erschei­nen Trun­ke­ne Flut, Aus­drucks­welt und Der Pto­le­mä­er; 1950 folgt Dop­pel­le­ben, 1951 Pro­ble­me der Lyrik; Georg-Büch­ner-Preis 1951, Ehrun­gen zum 70. Geburts­tag 1956, Tod am 7. Juli im sel­ben Jahr. „Leben – nie­de­rer Wahn”, beginnt ein berühm­tes Gedicht.

Vor ein paar Jah­ren errang Benn den ers­ten Platz in einer Umfra­ge: „Wer ist der bedeu­tends­te deut­sche Lyri­ker des 20. Jahr­hun­derts?”, frag­te die Zeit­schrift Das Gedicht. Benn ran­gier­te vor Celan und Ril­ke, Brecht und Enzens­ber­ger. Gleich dane­ben war eine zwei­te Umfra­ge abge­druckt: „Wer ist der bedeu­tends­te nicht-deut­sche Lyri­ker des 20. Jahr­hun­derts?” Der Sie­ger war Ezra Pound, und es gab einen kur­zen Text in einer Zei­tung, der das Ergeb­nis der Umfra­gen auf einen lapi­da­ren Nen­ner brach­te: „Zwei Faschis­ten vorn”. In der Tat.
An die­sem Fak­tum kom­men die Leser und Deu­ter Gott­fried Ben­ns, des­sen 50. Todes­tag am 7. Juli 2006 in allen Feuil­le­tons began­gen wur­de, natür­lich nicht vor­bei. Natür­lich: Ben­ns expres­sio­nis­ti­sche Aus­wür­fe haben vor, sei­ne Sta­ti­schen Gedich­te nach 1945 sei­nen Ruf als Lyri­ker begrün­det, und neben sei­ner Dich­tung steht als eige­ne künst­le­ri­sche Aus­drucks­form der Essay: Ben­ns poe­to­lo­gi­sche Tex­te Pro­ble­me der Lyrik sowie Soll die Dich­tung das Leben bes­sern? ver­hal­fen dem moder­nen Dich­ten über­haupt und dem sei­ni­gen im Beson­de­ren zu einer eli­tä­ren Theo­rie. Man kann sagen, daß die Ben­n­sche Gegen­über­stel­lung von „Kul­tur-Schaf­fen­dem” und „Kunst-Schaf­fen­dem” bis heu­te als radi­ka­le künst­le­ri­sche Anthro­po­lo­gie unüber­trof­fen ist. Die Rück­sichts­lo­sig­keit, mit der Benn argu­men­tier­te (oder ein­fach fest­stell­te), hat ihn berühmt gemacht. Berüch­tigt hin­ge­gen ist er, weil er zwi­schen Janu­ar 1933 und Mai 1934 im neu­en Staat der Natio­nal­so­zia­lis­ten das Gesamt­kunst­werk sah, von dem er geträumt hat­te und das er – wie anders – rück­sichts­los her­bei­schrei­ben wollte.

Daß er ein­mal so geträumt und sich für die Mög­lich­keit einer mas­sen­kom­pa­ti­blen Umset­zung sei­ner Kunst­theo­rie so geirrt hat­te, ist Benn für sei­nen wei­te­ren Lebens­weg als Dich­ter nur in der unmit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit zum Pro­blem gewor­den. Ein paar Jah­re lang konn­te er nicht publi­zie­ren. Spä­tes­tens Anfang der fünf­zi­ger Jah­re war er aber der Mono­lith unter den deut­schen Lyri­kern, des­sen radi­ka­ler Nihi­lis­mus ein­sam gegen das enga­gier­te Schrei­ben einer „Grup­pe 47″ stand.
Es fehl­te auch jetzt, zum 50. Todes­tag, nicht an Ver­su­chen, Ben­ns Hal­tung zum noch jun­gen Drit­ten Reich als eine Mischung aus Ver­blen­dung und man­geln­der Zurech­nungs­fä­hig­keit zu deu­ten. Glück­li­cher­wei­se fehlt bei allen drei Bio­gra­phen (Gun­nar Decker, Joa­chim Dyck, Hel­mut Lethen), die zum Jubi­lä­ums­jahr eine Gesamt­deu­tung anbie­ten, die­se bil­li­ge Argu­men­ta­ti­on. Benn wuß­te natür­lich, was er tat, und 1949 schrieb er an sei­nen Ver­le­ger Max Nie­mey­er: „Auch heu­te bin ich der Mei­nung, daß der N.S. ein ech­ter und tief­an­ge­leg­ter Ver­such war, das wan­ken­de Abend­land zu ret­ten. Daß dann unge­eig­ne­te und kri­mi­nel­le Ele­men­te das Über­ge­wicht beka­men, ist nicht mei­ne Schuld und war nicht ohne Wei­te­res vor­aus­zu­sehn.” Auch wenn man alle Affek­te abzieht, durch die sich Benn hin und wie­der zu beson­ders gro­ben und bös­ar­ti­gen Urtei­len hin­rei­ßen ließ: Man soll­te die Nähe von Ben­ns Kunst­theo­rie zum Geist der faschis­ti­schen Epo­che nicht ver­tu­schen oder leug­nen, die The­se lau­tet vielmehr:

„Benn hat­te gefor­dert, daß der Staat in Zukunft mehr für die Kunst tun soll. Also Benn sah in der Tat in die­sem neu­en Staat die Mög­lich­keit, die Kunst stär­ker zur Gel­tung zu brin­gen, weil er der Schil­ler­schen Mei­nung war, daß die ästhe­ti­sche Erzie­hung den Men­schen ver­än­dern wür­de. Das erwar­te­te er vom Nationalsozialismus.”

So for­mu­liert das der Bre­mer Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Joa­chim Dyck in sei­ner Deu­tung der Denk­be­we­gun­gen Gott­fried Ben­ns, und sein Zugriff ist bes­ser als der von Hel­mut Lethen bei­spiels­wei­se: nicht so glatt und vir­tu­os, son­dern hin­ein­hor­chend und beschei­den und in kei­nem Fall eine Selbst­dar­stel­lung, und etwas ande­res kommt ange­sichts der Schwe­re der Pro­blem­stel­lung auch gar nicht in Frage.
Wer einen faschis­ti­schen Text von Gott­fried Benn lesen will, soll­te zu den Essays Der neue Staat und die Intel­lek­tu­el­len oder Dori­sche Welt grei­fen sowie die recht kur­ze Rede auf Mari­net­ti lesen, die er hielt, als der Begrün­der des Futu­ris­mus aus dem faschis­ti­schen Ita­li­en zum Staats­be­such ins natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsch­land kam. Zwei Kostproben:

Die Geschich­te ver­fährt nicht demo­kra­tisch, son­dern ele­men­tar, an ihren
Wen­de­punk­ten immer ele­men­tar. Sie läßt nicht abstim­men, son­dern sie schickt den neu­en, bio­lo­gi­schen Typ vor, sie hat kei­ne ande­re Metho­de, hier ist er, nun han­de­le und lei­de, baue die Idee dei­ner Gene­ra­ti­on und dei­ner Art in den Stoff der Zeit, wei­che nicht, han­de­le und lei­de, wie das Gesetz des Lebens es befiehlt. Und dann han­delt die­ser neue bio­lo­gi­sche Typ, und natür­lich wer­den dabei zunächst gewis­se Gesell­schafts­ver­hält­nis­se ver­scho­ben, gewis­se ers­te Rän­ge frei­ge­fegt, gewis­se Geis­tes­gü­ter weni­ger in Schwung gehalten.

Gro­ße, inner­lich geführ­te Jugend, der Gedan­ke, der not­wen­di­ge Gedan­ke, die über­ir­dischs­te Macht der Welt, mäch­ti­ger als das Eisen, mäch­ti­ger als das Licht, gibt dir recht: die Intel­li­genz, die dir schmä­hend nach­sieht, war am Ende; was soll­te sie dir denn ver­er­ben; sie leb­te ja nur noch von Bruch­stü­cken und Erbre­chen über sich selbst. Ermü­de­te Sub­stan­zen, aus­dif­fe­ren­zier­te For­men, und dar­über ein kläg­li­cher, bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­scher Behang. Eine Vil­la, damit ende­te für sie das Visio­nä­re, ein Mer­ce­des, das still­te ihren wer­te­set­zen­den Drang. Hal­te Dich nicht auf mit Wider­le­gun­gen und Wor­ten, habe Man­gel an Ver­söh­nung, schlie­ße die Tore, baue den Staat!

Pro­ble­me nicht zu lösen, Ent­schei­dun­gen nicht zu tref­fen, son­dern an run­de Tische zur „Lösungs­fin­dung” wei­ter­zu­ge­ben und ihnen dadurch aus­zu­wei­chen; den Ein­druck einer „ermü­de­ten Sub­stanz” zu hin­ter­las­sen und sich trotz der Sta­gna­ti­on im Lan­de „mit Wider­le­gun­gen und Wor­ten” auf­zu­hal­ten; stets auf das Ver­ständ­nis ande­rer zu hof­fen und sie dafür heim­lich aus­zu­la­chen: Gegen sol­che Ten­den­zen oder Para­dig­men sind Ben­ns Wor­te vom „Man­gel an Ver­söh­nung” gerich­tet, in ihnen steckt etwas vom Recht der Ent­schie­den­heit, vom Recht des­sen, der han­delt. Sie sind der Schluß­punkt unter das ewi­ge Gere­de, und sol­che radi­ka­len Set­zun­gen kön­nen auf frucht­ba­ren Boden fal­len, wenn die Zeit reif ist und die Poli­tik ihre Haus­auf­ga­ben nicht gemacht hat.
Gott­fried Benn hielt am 24. April 1933 die Zeit für reif und sprach sei­ne zeit­lich doch auch unge­bun­de­nen Sät­ze aus Der neue Staat und die Intel­lek­tu­el­len im Radio, die bei­den eben zitier­ten Pas­sa­gen sind die­sem Vor­trag ent­nom­men. Drei Mona­te zuvor war tat­säch­lich die von vie­len als unent­weg­tes Gere­de wahr­ge­nom­me­ne Poli­tik der Wei­ma­rer Repu­blik an ihr Ende gekom­men: Die Ernen­nung Adolf Hit­lers zum Reichs­kanz­ler brach­te nach Ita­li­en und Spa­ni­en das drit­te tota­li­tä­re Sys­tem in Euro­pa an die Macht. Was zunächst aus­se­hen konn­te wie der aber­ma­lig hek­ti­sche Wech­sel des Per­so­nals an der Spit­ze eines bank­rot­ten Staats, ent­pupp­te sich in weni­gen Wochen als der Ver­such, das „Ich” des Par­tei­en­staats in ein „Wir” der Volks­ge­mein­schaft und des Füh­rer­staats zu über­füh­ren und einen neu­en Men­schen zu züchten.
Bevor die­ser gro­ße Auf­bruch in Etzels Saal ende­te, unter­stell­ten sich Tei­le der deut­schen Intel­li­genz dem neu­en Gebot. Berühmt gewor­den sind die Ver­stri­ckun­gen des Phi­lo­so­phen Mar­tin Heid­eg­ger, des Anthro­po­lo­gen Arnold Geh­len, des Kom­po­nis­ten Richard Strauss, der Regis­seu­rin Leni Rie­fen­stahl, des Bild­hau­ers Arno Bre­ker und eben des Schrift­stel­lers Gott­fried Benn in die Macht­po­li­tik des NS-Staats. Sie alle tra­ten ab 1933 in die selt­sa­me Rea­li­sie­rungs­pha­se ihrer künst­le­ri­schen oder wis­sen­schaft­li­chen Pro­jek­te ein, selt­sam des­halb, weil die Boden­be­rüh­rung so durch und durch poli­tisch war mit einem Schla­ge, wil­lent­lich pro­pa­gan­dis­tisch sogar bei man­chen. Und gera­de dies wider­sprach doch dem Selbst­bild die­ser Künst­ler, die das sozia­lis­ti­sche Enga­ge­ment ihrer lin­ken Kol­le­gen stets als das Ende der Kunst ange­se­hen hatten.

Daß man Benn, Rie­fen­stahl, Heid­eg­ger und ande­ren nach dem Krieg Ver­sa­gen in sitt­li­chen, mora­li­schen, ethi­schen, zivi­li­sa­to­ri­schen Fra­gen vor­warf, gehört zum Schick­sal der Ver­lie­rer. Nur hat die­ses mora­li­sche Tri­bu­na­li­sie­ren, das neben­bei auf dem bol­sche­wis­ti­schen Auge blind zu sein schien, nie – und vor allem nicht in Bezug auf Benn – die rich­ti­gen Fra­gen gestellt, und die Ver­tei­di­ger Ben­ns haben dadurch, daß sie sei­nen Rück­zug in die inne­re Emi­gra­ti­on in den Vor­der­grund rück­ten, eine eben­so unzu­tref­fen­de mora­li­sche Ant­wort gebas­telt. Dabei wer­fen die Denk­be­we­gun­gen der Mit­ma­cher doch zual­ler­erst die Fra­ge auf, wie sich Kunst und Macht zuein­an­der verhalten.
Benn hat 1934 den bereits erwähn­ten Essay Dori­sche Welt. Eine Unter­su­chung über die Bezie­hung von Kunst und Macht vor­ge­legt. Die­ser Text ist eine Sum­me, an ihm las­sen sich ver­blüf­fen­de Beob­ach­tun­gen machen: Wenn Benn den Faschis­mus als Gegen­macht begrüßt und sei­ne Dyna­mik fei­ert, drückt er Stim­mun­gen und Bedürf­nis­se einer gan­zen Gene­ra­ti­on aus. Wenn Benn das Rabia­te und Rück­sichts­lo­se der Macht­er­grei­fung theo­re­tisch recht­fer­tigt und prak­tisch sogar an einer Stel­le voll­zieht, bleibt er inner­halb sei­ner Auf­fas­sung von Ver­laufs­ge­setz und Sinn­haf­tig­keit eines geschicht­li­chen Moments. Wenn Benn den faschis­ti­schen Staat begrüßt, ver­tritt er auf poli­ti­scher Ebe­ne das, was er in sei­ner eige­nen Poe­to­lo­gie, sei­ner Theo­rie vom Dich­ten, For­men, Kunst­werk-Erschaf­fen, längst vor­her immer radi­ka­ler her­aus­ge­ar­bei­tet hat. Und zuletzt: Wenn Benn spä­tes­tens Ende 1934 in die inne­re Emi­gra­ti­on abtaucht, dort wei­ter­dich­tet und nach 1945 sei­ne Sta­ti­schen Gedich­te und den Roman des Phä­no­typ aus der Schub­la­de zieht, hat er sei­ne Cha­os-Form-Theo­rie wie­der nicht ver­än­dert, son­dern nur kon­se­quent wei­ter­ent­wi­ckelt, oder: rest­los des­il­lu­sio­niert, oder: den Faschis­mus im Sin­ne eines Anspruchs an den Ein­zel­nen als Eli­ten-Phä­no­men begrif­fen und ihn gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus abgeschirmt.
Frag­wür­dig mag es klin­gen, daß Gott­fried Benn mit sei­ner Beja­hung der faschis­ti­schen Macht­über­nah­me die Bedürf­nis­se einer gan­zen Gene­ra­ti­on aus­ge­spro­chen haben soll. Man konn­te aber nicht bloß über das Res­sen­ti­ment, son­dern auch mit einem beträcht­li­chen intel­lek­tu­el­len Auf­wand und am Ende eines lan­gen Denk­we­ges beim Faschis­mus ankom­men. Nicht nur, aber vor allem in Deutsch­land wur­de die demo­kra­ti­sche Ver­fas­sung, wur­de die Schwä­che des Sys­tems, sei­ne Unent­schie­den­heit, sei­ne Deka­denz, vor allem aber: sei­ne Unfä­hig­keit eine Visi­on zu for­mu­lie­ren als Recht­fer­ti­gung dafür ange­se­hen, den Libe­ra­lis­mus und den Par­la­men­ta­ris­mus bald zu über­win­den. Ableh­nung des Bestehen­den also.
„Den gro­ßen Ver­nei­nun­gen”, schrieb Eber­hard Straub in sei­nem Auf­satz Die Ursprün­ge des Faschis­mus, Sezes­si­on 3, Okto­ber 2003, „ste­hen die gro­ßen Beja­hun­gen zur Sei­te: Ein neu­er Mensch, eins mit einer wahr­haf­ten natio­na­len Kul­tur, die ihn befreit von den lebens­feind­li­chen Mäch­ten tro­cke­ner Ratio­na­li­tät und Funk­ti­ons­tüch­tig­keit, die viel­mehr die Lei­den­schaf­ten wie­der in ihr Recht setzt, den Enthu­si­as­mus weckt, die Sin­ne reha­bi­li­tiert und alle in ein natio­na­les Leben hin­ein­zieht, das jedem zu einer gestei­ger­ten Exis­tenz ver­hilft, das Indi­vi­du­um hin­ter sich las­send, in sei­ner Per­son die Nati­on, deren mythi­sche Vita­li­tät, zu verkörpern.”

Die­se Sehn­sucht, in einer halt­lo­sen, unüber­sicht­li­chen Lage ord­nen­de Kraft zu erfah­ren, sich einer sichern­den und weg­wei­sen­den Macht ger­ne zu unter­wer­fen, war die Stim­mungs­la­ge der brei­ten Mas­se am Wen­de­punkt zur faschis­ti­schen Epo­che. Daß die gesell­schaft­li­che, sozia­le Auf­lö­sung, unter der vie­le lit­ten, ihren Vor­lauf im Geis­te hat­te, läßt sich am bes­ten mit Nietz­sches Begrif­fen von der Ent­wer­tung aller Wer­te und dem Nihi­lis­mus fas­sen, dann mit Speng­ler in eine gro­ße Kul­tur­mor­pho­lo­gie übersetzen.
Gott­fried Benn hat – wie vie­le ande­re Künst­ler – das Pro­blem der Unver­bind­lich­keit, die Auf­lö­sungs­ten­den­zen der Moder­ne als Kri­se und Ende der Nor­ma­ti­vi­tät wahr­ge­nom­men. Die Ver­harm­lo­sung und Bana­li­sie­rung des Men­schen durch sei­ne sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Abfe­de­rung, das heißt: die Redu­zie­rung der Pro­blem­la­ge der moder­nen Welt auf Umschich­tungs­fra­gen im Zusam­men­hang mit der Ungleich­heit der Lebens­um­stän­de, kam sei­nen Vor­stel­lun­gen von dem, was der Mensch sein könn­te, nicht im min­des­ten ent­ge­gen. Er sah dar­in eher den Ver­lust des schöp­fe­ri­schen Milieus. Immer schär­fer wand­te sich Benn gegen Schrift­stel­ler, die sich und ihre Arbeit für die sozia­le Fra­ge zur Ver­fü­gung stell­ten, die sich also enga­gier­ten. Benn prall­te hart mit Egon Erwin Kisch und Johan­nes R. Becher zusam­men, als er sei­ne eige­ne Theo­rie von der Auf­ga­be des Künst­lers, des Dich­ters im beson­de­ren, noch ein­mal darstellte.
Die­se Theo­rie ist unmo­ra­lisch und aso­zi­al. Sie ist kon­se­quent künst­le­risch und voll­zieht von des­il­lu­sio­nier­ter War­te aus das nach, was Fried­rich Schil­ler in sei­ner Ästhe­ti­schen Erzie­hung des Men­schen­ge­schlechts noch mit empha­ti­schem Glau­ben an die Macht der Kunst als die neue Erzie­he­rin der Men­schen vor­for­mu­liert hat­te. Schil­ler (und Goe­the) und vor allem auch Fried­rich Höl­der­lin hat­ten die dür­re Ratio­na­li­tät der Auf­klä­rung, die Zer­stö­rung des auf Gott aus­ge­rich­te­ten Kos­mos, die auf­lö­sen­de Wir­kung des frei wil­dern­den Geis­tes zur Genü­ge stu­die­ren kön­nen. Sie hat­ten gese­hen und geahnt, was die­se Ten­den­zen für die ethisch-mora­li­sche Bin­dung des Men­schen bedeu­ten wür­de, und für sei­ne Ten­denz nach unten hin zum Haus­schwein und nicht nach oben zu den Göttern.
Schil­lers Theo­rie ver­such­te nun, für die Leer­stel­le der nor­ma­ti­ven Kraft Got­tes wenigs­tens einen Ersatz zu fin­den. Sei­nem Ver­such, das Men­schen­ge­schlecht ästhe­tisch zu erzie­hen, wohn­te der Glau­be an die nor­ma­ti­ve Kraft des Kunst­werks, an sei­ne erzie­he­ri­sche Aus­strah­lung und an die Erkennt­nis- und Wahr­neh­mungs­fä­hig­keit des Men­schen inne. Die­se Kunst­auf­fas­sung legt die ord­nen­de Form, die gebän­dig­te Spra­che, die Stren­ge, das Maß, die Pro­por­ti­on zugrun­de. Die Form rückt dadurch in ihrem Ver­hält­nis zum Inhalt in den Vor­der­grund. Das ist Klas­sik, Wei­ma­rer Klas­sik in die­sem spe­zi­el­len Fall.
Man tut Ben­ns Kunst­theo­rie kei­ne Gewalt an, wenn man sie in den ent­schei­den­den Punk­ten mit der von Schil­ler par­al­lel legt. Benn hat dies selbst getan und neben den Sturm und Drang sei­nen frü­hen Expres­sio­nis­mus, neben die Wei­ma­rer Klas­sik sei­ne Sta­ti­schen Gedich­te gestellt, um Ent­wick­lungs­li­ni­en zu kenn­zeich­nen. Von den Auf­lö­sungs­ten­den­zen der Moder­ne war bereits die Rede, und Nietz­sche hat­te zuletzt mit allen Ver­su­chen auf­ge­räumt, irgend­wo noch etwas Nor­ma­ti­ves zu set­zen. Die Zer­stö­rung des­sen, wor­auf ver­trau­end oder mit Gewiß­heit gebaut wer­den konn­te, war abge­schlos­sen. Benn lei­te­te dar­aus zunächst die Beschrän­kung sei­ner, des Dich­ters Mög­lich­kei­ten ab: Nie­mals mehr war der gro­ße Wurf im Sti­le der Wei­ma­ra­ner mög­lich, Nor­ma­ti­vi­tät von Dau­er zu schaf­fen blieb eine Uto­pie, jeden­falls für die „geschicht­li­che Welt” des All­täg­li­chen und der Politik.

Ganz im Sin­ne der mit­tel­al­ter­li­chen Leh­re von den zwei Rei­chen (dem welt­li­chen und dem gött­li­chen) stand nun aber der „geschicht­li­chen Welt” die „Aus­drucks­welt” zur Sei­te. In ihr sei der Dich­ter „fähig, pro­duk­tiv das zu wah­ren und zu erset­zen, was an äuße­rer Welt tra­gisch und für immer ver­lo­ren­ge­gan­gen” ist (aus einem Brief 1950). Das bedeu­tet: Indem der Dich­ter den Wor­ten eine Form gibt, bil­det er im Mikro­kos­mos den Makro­kos­mos nach, der zer­stört, zer­dacht, zer­fal­len bleibt. Und die­se For­mung ist die Kon­se­quenz des Nichts und des Cha­os, das die Moder­ne übrig­ge­las­sen habe. Benn spricht von der „form­for­dern­den Gewalt des Cha­os”, und sein Dich­ter – er – wird zu einem, der ins Cha­os greift, eine Form bil­det, sie als Abglanz der vor­dem gro­ßen Ord­nung hin­stellt, zusam­men­hangs­los neben allen ande­ren so ent­stan­de­nen Gebil­den. Es ist dies: erreich­te Nor­ma­ti­vi­tät im ein­zel­nen Kunst­werk. Sta­tisch dar­an ist das Gebun­de­ne, der Ver­zicht auf Schran­ken­lo­sig­keit und die Ein­sicht, daß Beschrän­kung die Vor­aus­set­zung für Per­fek­ti­on und somit für das gül­ti­ge Abbild, den gül­ti­gen Abglanz ist.
Der Weg zum Faschis­mus ist nun nicht weit. Und es bie­tet sich an die­ser Stel­le an, die wich­ti­ge Unter­schei­dung zwi­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus und Faschis­mus dadurch vor­zu­neh­men, daß der Natio­nal­so­zia­lis­mus eher als poli­tisch-sozia­les Pro­gramm, der Faschis­mus als Ver­hal­tens­leh­re und ästhe­ti­sches Phä­no­men auf­ge­faßt wird. Benn sah im Faschis­mus sei­ne Hei­mat und nahm ihn als neu­en Stil wahr: als kal­ten Stil der ein­ge­fro­re­nen Mas­se, sta­tisch, klar, ges­tisch. Am bes­ten illus­triert dies Ben­ns Rede auf Mari­net­ti, jenen Futu­ris­ten aus Ita­li­en, der kurz nach der Macht­er­grei­fung Hit­lers in Ber­lin als Gast ein­traf und den Benn offi­zi­ell und mit einem kur­zen Text begrüß­te. Dar­in unter anderem:

„Form -: in ihrem Namen wur­de alles erkämpft, was Sie im neu­en Deutsch­land um sich sehen; Form und Zucht: die bei­den Sym­bo­le der neu­en Rei­che; Zucht und Stil im Staat und in der Kunst: die Grund­la­gen des impe­ra­ti­ven Welt­bil­des, das ich kom­men sehe. Die gan­ze Zukunft, die wir haben, ist dies: der Staat und die Kunst.”

Daß dies hoch gezielt und weit über das hin­aus­ge­schos­sen war, was der NS-Staat für einen wie Benn tat­säch­lich sein konn­te, hat Gun­nar Dek­ker in sei­ner Bio­gra­phie im Kapi­tel „Mari­net­ti oder Die Kunst der Aggres­si­on” detail­reich dargestellt.
Armin Moh­ler hat drei Jahr­zehn­te frü­her sei­ne Defi­ni­ti­on des faschis­ti­schen Stils vor allem auf die­se Äuße­run­gen Ben­ns gestützt, die das kras­se Gegen­wort zu allen Ver­su­chen einer sozia­len Nutz­bar­ma­chung der Kunst sind. Benn sah im Faschis­mus (und den frü­hen Natio­nal­so­zia­lis­mus betrach­te­te er vor allem als Faschis­mus) eine form­ge­ben­de Kraft in sei­nem kunst­theo­re­ti­schen Sin­ne und jene schöp­fe­ri­sche Anti­de­ka­denz, die den Men­schen auch ange­sichts des grau­sa­men Nichts rings­um nicht her­ab­wür­di­ge zu einem abge­si­cher­ten, warm­ge­bet­te­ten Verbraucher.
Benn sah das Milieu für Kunst­wer­ke und Form­ge­bun­gen in sei­nem Sin­ne rea­li­siert. Wie ver­hal­ten sich nun Kunst und Macht zueinander?

„Der Staat, die Macht rei­nigt das Indi­vi­du­um, fil­tert sei­ne Reiz­bar­keit, macht es kubisch, schafft ihm Flä­chen, macht es kunst­fä­hig. Ja, das ist viel­leicht der Aus­druck: der Staat macht das Indi­vi­du­um kunst­fä­hig, aber über­ge­hen in die Kunst, das kann die Macht nie.”

Auf­ga­ben­tei­lung steckt in die­sen Sät­zen aus der Dori­schen Welt: Selbst­be­gren­zung des Indi­vi­du­ums, Drang zur Stren­ge, oder mit Nietz­sches Geburt der Tra­gö­die gesagt: Zum dio­ny­si­schen Rausch hat die apol­li­ni­sche Stren­ge hin­zu­zu­tre­ten, damit Kunst ent­steht, ein Gebil­de. Das ist der Faschis­mus eines Künst­lers. Das ist Benn, der Faschist. Sich dar­über klar­zu­wer­den, daß der Natio­nal­so­zia­lis­mus die­se rei­ni­gen­de Macht nicht war, ist Ben­ns Weg bis 1934.

Götz Kubitschek

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