Fußball 2006

aus Sezession 14/Juli 2006

sez_nr_145von Wiggo Mann

Nein, es war keine nationale Erhebung, wie einige vielleicht vermuteten. Die Deutschen holten ihre Fahnen raus und klebten sie an ihre Autos, denn die Welt war zu Gast bei Freunden, und so stellte man eine imponierende, schwarz-rot-gold eingefärbte Partytauglichkeit unter Beweis. Beckenbauer und Schily - mittlerweile durch Schäuble ausgetauscht - hatten gemeinsam mit der Fifa zur WM geladen, die plötzlich „Fußball-Großereignis" hieß und als Teil der Popkultur inszeniert wurde. Jeder konnte sich anschließen, konnte seine Begeisterung für den einstigen Proletensport entdecken und auf den Fan-Meilen ausleben.


Der Fuß­ball war nun nicht mehr eine schnö­de Ball­sport­art, die im
19. Jahr­hun­dert in Eng­land kul­ti­viert wur­de, son­dern völ­ker­ver­stän­di­gen­des Ele­ment, gesell­schaft­li­cher Kitt, alle und alles ver­bin­dend, die schöns­te Neben­sa­che der Welt, Gren­zen, Unter­schie­de und Unge­rech­tig­kei­ten auf­he­bend und negie­rend. Die Bot­schaft, die Kofi Annan wirk­lich ver­kün­de­te, lau­te­te: Wenn alle Fuß­ball spie­len wür­den, gäbe es kei­ne Krie­ge mehr und die gan­zen ande­ren furcht­ba­ren Din­ge, die einer schö­nen Welt im Wege ste­hen. Ideo­lo­gisch erfah­re­ne Ex-DDR-Bür­ger fühl­ten sich an das Lenin-Jahr 1970 erin­nert. Damals hat­te alles irgend­wie mit Lenin zu tun, dies­mal war es der Fuß­ball. Kri­tik, Nör­ge­lei konn­te nur aus dem fins­te­ren Antrieb her­aus kom­men, das sor­gen­freie Fest der kicken­den Völ­ker zu ver­sau­en. Kri­tik muß­te zu Recht in die Nähe anti­hu­ma­nis­ti­scher Ten­den­zen gerückt werden.
„Die Welt zu Gast bei Freun­den” – irgend­wie schien sich die­ses Mot­to der WM 2006 zu bewahr­hei­ten, schie­nen die deut­schen Orga­ni­sa­to­ren und die Fifa die Deu­tungs­ho­heit über den Fuß­ball errun­gen zu haben, schien Fuß­ball kei­ne qua­si-tran­szen­den­ta­le Sache mehr zu sein, kein orga­ni­sier­ter Rück­fall an archai­sche Stam­mes­ri­tua­le, kei­ne Män­ner­do­mä­ne mit Hang zu Ver­ro­hung, Dumm­heit und Gewalt. Viel­mehr ist eine neue Dimen­si­on des Fuß­balls erreicht: ent­schärft und noch kon­sens­fä­hi­ger, denn was den Markt stör­te, muß ver­mie­den und ver­hin­dert wer­den. Die Zeit war längst reif für den in ein Freu­den­fest ver­pack­ten tota­len Kommerz.

Das Wochen­en­de des 13. und 14 Mai die­ses Jah­res, End­spiel­tag in vie­len euro­päi­schen Ligen. Legia War­schau wird pol­ni­scher Meis­ter, 5.000 Fans fei­ern den Titel, 231 wer­den fest­ge­nom­men, 52 Poli­zis­ten sind ver­letzt. – In der Schweiz schlägt der FC Zürich den FC Basel in des­sen Sta­di­on 2:1 und wird damit in letz­ter Minu­te Meis­ter. Dut­zen­de Bas­ler Fans stür­men nach Abpfiff den Rasen und grei­fen die Gäs­te­spie­ler an. – Das Ber­li­ner Ober­li­ga­der­by zwi­schen dem BFC und Uni­on wird nach 76 Minu­ten wegen Ran­da­le auf dem Spiel­feld abge­bro­chen. 1.000 Poli­zis­ten kön­nen, trotz der bekann­ten Bri­sanz des Duells, die Kon­fron­ta­ti­on der riva­li­sie­ren­den Fan­grup­pen nicht verhindern.

Sol­che Aus­brü­che von Gewalt wer­den gern als Aus­wüch­se bekann­ter gesell­schaft­li­cher Pro­ble­me inter­pre­tiert, und das Wort von den „soge­nann­ten Fuß­ball­fans” hat sich durch­ge­setzt, weil es geeig­net scheint, die wun­der­ba­re, per­fek­te und regel­ge­rech­te Welt des Fuß­balls zu ret­ten. „Soge­nannt” ist auf kei­nen Fall „echt” und kann kaum etwas mit „wirk­li­chem” und „rich­ti­gem” Fuß­ball zu tun haben, und das stimmt inso­fern, als man sich beim Krieg auf den Rän­gen weh tut, ohne daß es um die Erobe­rung des Bal­les und das Schie­ßen von Toren geht.
„Fuß­ball ist Krieg”: Der berühm­te Satz des hol­län­di­schen Trai­ners Rinus Michels ist nicht nur pole­misch zu ver­ste­hen. Der dis­zi­plin­ver­narr­te Coach bescher­te dem nie­der­län­di­schen Natio­nal­team den bis­her größ­ten Tri­umph, den Gewinn der Euro­pa­meis­ter­schaft 1988, und das in Deutsch­land, beim ewi­gen Riva­len, des­sen Mann­schaft im Halb­fi­na­le geschla­gen wur­de. Im Anschluß an das Spiel skan­dier­ten die hol­län­di­schen Fans „Gebt uns unse­re Fahr­rä­der zurück!” ein Ver­weis auf die Kon­fis­zie­rung von Fahr­rä­dern durch die Wehr­macht wäh­rend der Besat­zungs­zeit in Hol­land. Das war schon 1988 über vier­zig Jah­re her, und unter den hol­län­di­schen Fans im Sta­di­on wer­den wohl kaum vie­le Rent­ner gewe­sen sein, die einst ein Fahr­rad ein­ge­büßt hat­ten; trotz­dem mach­ten die Anwe­sen­den sehr deut­lich, daß es sich für sie um eine Revan­che han­del­te, eine his­to­ri­sche, die nur zufäl­lig ihren Aus­druck im fuß­bal­le­ri­schen Moment hat­te. Was sie beweg­te und so emp­fin­den ließ, steckt in Michels’ Satz, der das Mehr des Fuß­balls aus­drückt. Und die­ses Mehr ist sehr oft ein bru­ta­les, gewalt­tä­ti­ges und hämi­sches: Der Geg­ner soll „ver­nich­tend” geschla­gen wer­den, und im Fal­le des Natio­nal­teams erlei­det eine gan­ze Nati­on die­se Nie­der­la­ge ihrer Trup­pe auf Gedeih und Ver­derb mit.
Wie aber ist es, wenn die Welt zu Gast bei Freun­den ist? Es scheint, als hät­te die fast lücken­lo­se Durch­leuch­tung jedes ein­zel­nen Sta­di­on­be­su­chers die gären­den Bestand­tei­le von den Tri­bü­nen fern­ge­hal­ten. Auch aus den Sta­di­en der gro­ßen Ver­ei­ne sind die Hoo­li­gans fast voll­stän­dig ver­drängt. Vor und nach dem Spiel, in den Stra­ßen der Aus­tra­gungs­or­te und am Ran­de der Fan-Mei­len bleibt die­se Sze­ne jedoch aktiv, man trifft sich zum Prü­geln nach eini­gen, strik­ten Regeln, bevor­zugt auch in den unter­klas­si­gen Ligen, wo nicht alles glä­sern ist und wo selbst Senio­ren- und Jugend­spie­le ein Anlaß für Kon­flik­te um die eige­ne Ehre und die des Ver­eins sein kön­nen. Aber selbst im Pro­fi­fuß­ball, bis hin­auf in die euro­päi­sche Cham­pi­ons League, kommt es zu archai­schen Ent­la­dun­gen: Fla­schen, Feu­er­zeu­ge, Leucht­ra­ke­ten, Han­dys, Mes­ser, Schwei­ne­köp­fe und gar Kat­zen – wie jüngst in Sevil­la – wer­den auf Spiel­feld und die geg­ne­ri­schen Spie­ler gewor­fen. Dane­ben fal­len die übli­chen Beschimp­fun­gen und Schmä­hun­gen auf den Rän­gen nicht ns Gewicht. Nur manch­mal wird aus Tät­lich­kei­ten eine Katastrophe:

Am Abend des 29. Mai 1985 fin­det das Fina­le um den Lan­des­meis­ter­po­kal im Brüs­se­ler Heysel-Sta­di­on zwi­schen Juven­tus Turin und dem FC Liver­pool statt. Noch vor Anpfiff stür­men nach diver­sen Pro­vo­ka­tio­nen meh­re­re hun­dert Liver­pool-Fans den benach­bar­ten Block, der kaum gesi­chert ist und in dem sich haupt­säch­lich ita­lie­ni­sche Fami­li­en­vä­ter und Gast­ar­bei­ter befin­den, die panisch die Flucht ergrei­fen und dabei eine Mau­er zum Ein­sturz brin­gen. Unter die­ser lie­gen die meis­ten der 39 Todes­op­fer. Das Spiel wird trotz­dem ange­pfif­fen, Juven­tus gewinnt 1:0.

Nach Heysel schloß man die eng­li­schen Clubs für ein paar Jah­re vom Euro­pa­po­kal aus, die Sicher­heit im Umfeld der Spie­le wur­de erhöht, Steh­plät­ze ver­schwan­den in den meis­ten gro­ßen Sta­di­en, Poli­zei und Ver­ei­ne ver­such­ten mit­tels Stra­fen und Sta­di­oner­bo­ten die gewalt­tä­ti­gen Fans fern­zu­hal­ten, eine Ent­wick­lung, die bis heu­te in den meis­ten euro­päi­schen Pro­fi­li­gen anhält. Nicht nur die Fuß­ball­ver­bän­de emp­fan­den die unbe­re­chen­ba­ren Fans als stö­rend, auch für die Ver­ei­ne war eine „gesäu­ber­te” Anhän­ger­schaft erstre­bens­wert, wenn man am sport­li­chen Erfolg und wirt­schaft­li­chen Wachs­tum des euro­päi­schen Club­fuß­balls teil­ha­ben wollte.
Vie­len treu­en Fans ist die­se „Kom­mer­zia­li­sie­rung” ein Dorn im Auge: Sie trenn­ten sich letzt­lich von ihrem Ver­ein und den ver­ehr­ten Spie­lern und bringt undurch­schau­ba­re finan­zi­el­le Mecha­nis­men in den Fuß­ball, bei dem doch eigent­lich immer alles so ehr­lich, durch Regeln bestimmt und trans­pa­rent wirk­te. „Ent­schei­dend ist auf dem Platz”: Die­se Wei­te von Trai­ner­le­gen­de Adi Preiß­ler muß durch Robert Hoyzer und Lucia­no Mog­gi gegen­ge­le­sen und womög­lich abge­än­dert werden.
Den Ver­ei­nen und Ver­bän­den ist ein ruhi­ges und wil­lig zah­len­des Publi­kum viel lie­ber als der emo­tio­na­li­sier­te Fan. Die sich als „wahr” ver­ste­hen­den Anhän­ger, zum Teil über Gene­ra­tio­nen mit ihrem Ver­ein ver­bun­den, befürch­ten eine Degra­die­rung zu blo­ßen Zuschau­ern, wie beim Ame­ri­can Foot­ball in den USA, eine Ent­frem­dung und letzt­lich Zer­stö­rung des Fuß­balls durch Geschäfts­in­ter­es­sen, den Zer­fall ihrer homo­ge­nen Welt, die eine siche­re Fes­tung in plu­ra­lis­ti­scher Umwelt war. So grenzt sich der har­te Kern der Fans als „Ultras” vom „gleich­ge­schal­te­ten” Publi­kum ab und reagiert mit trot­zi­ger Roman­tik auf die Ent­wick­lung des Pro­fi­fuß­balls, der man ohn­mäch­tig zuse­hen muß.

„Man will kei­ne Fans, die aktiv am Spiel teil­ha­ben, man will die Art von Zuschau­ern, die man in einem Kino oder einem Thea­ter trifft. Die Ver­bän­de und Ver­ei­ne ver­ste­hen nicht, daß Fuß­ball unser Leben ist, daß wir für unse­ren Ver­ein leben, daß wir unse­re Schals und unse­re Klei­dung tra­gen, die unse­re Stadt oder Regi­on reprä­sen­tie­ren. All die ‚Kur­ven’ die­ser Welt soll­ten in die­sem Fall zusam­men­hal­ten und eine mäch­ti­ge Ein­heit gegen die Fuß­ball-Fabrik bil­den.” (aus dem „Ultra-Mani­fest”)

Das ist schon eine klei­ne Revol­te gegen die moder­ne Welt, gegen die Öff­nung des Spiels für jeder­mann. Es ist ein Ver­tei­di­gungs­ver­such ech­ten Gefühls gegen die weich­ge­spül­te, gleich­ge­schal­te­te Fuß­ball­welt, deren Per­fek­tio­nie­rung wir eben wäh­rend der WM in Deutsch­land erle­ben durf­ten: ein per­fek­tes, abschre­cken­des Bei­spiel für die All­macht des Markts, der für die „Ultras” bloß noch eine Art öko­lo­gi­scher Nische übrig­läßt. Dort wird die Tra­di­ti­on geschützt, dort wird die tran­szen­den­ta­le Kraft des Fuß­balls und sei­ner treu­en Gläu­bi­gen gewähr­leis­tet, zur Not sogar erkämpft. Jedoch wer­den der Ernst und die Inbrunst die­ser For­de­run­gen jeden Fuß­ball-Mäch­ti­gen ver­schre­cken, ja ver­stö­ren: Die Nische ist der Ort, wo im Zwei­fels­fall nicht mit­kon­su­miert, son­dern die Iden­ti­tät ver­tei­digt wird. Die frü­her wesent­lich prä­sen­te­re Wut der Fans, eine geball­te reak­tio­nä­re, gar archai­sche Kraft mit sich spon­tan orga­ni­sie­ren­der Gewalt im Umfeld des Fuß­balls, scheint aber kon­ti­nu­ier­lich abzu­neh­men, die Wut der Fans trans­for­miert sich in Anpas­sung und Resignation.

Nur Ost­eu­ro­pa hinkt hin­ter­her. In Polen muß­te die Poli­zei im letz­ten Jahr über 500 Groß­ein­sät­ze gegen Hoo­li­gans durch­füh­ren, immer wie­der kom­men Fans dabei ums Leben, bei einem War­schau­er Buch­ma­cher kann mitt­ler­wei­le auf Über­grif­fe und Ran­da­le gewet­tet wer­den. Von den geschätzt 15.000 bis 20.000 pol­ni­schen Hoo­li­gans sol­len etwa zwei Drit­tel rechts­ra­di­kal sein. In Ita­li­en ten­dier­ten anfangs vie­le der radi­ka­len Fan­grup­pen, der Ultras, zu denen sich fuß­ball­ver­rück­te Jugend­li­che in den fünf­zi­ger und sech­zi­ger Jah­ren zusam­men­schlos­sen, zur poli­ti­schen Lin­ken, bis es in den acht­zi­ger und neun­zi­ger Jah­ren zu einem Rechts­ruck kam. Eine Stu­die aus der Sai­son 2003/04 ergab, daß von 445 unter­such­ten Fan­grup­pen 1992 eine poli­ti­sche Aus­rich­tung auf­zeig­ten. Von 43.000 Mit­glie­dern bezeich­nen sich 14.500 als rechts­extrem, 15.000 als rechts, 7.500 als links, 6.000 als linksextrem.
Zwei Gali­ons­fi­gu­ren der jewei­li­gen Ulrta-Grup­pen tref­fen zwei­mal im Jahr auf­ein­an­der, wenn der AS Livor­no gegen Lazio Rom spielt. Der eine Cris­tia­no Luca­rel­li, hat des Emblem der BAL (Bri­ga­te Auto­no­me Livor­ne­se), einer inzwi­schen ver­bo­te­nen links­ra­di­ka­len Ultra-Grup­pe, auf sei­nen Unter­arm täto­wiert; der ande­re, Pao­lo Di Canio, trägt den Schrift­zug „DUX” (lat. Füh­rer) auf dem Ober­arm und steht den „Unbeug­sa­men”, den „Irri­du­ci­bi­li” von Lazio Rom nahe: einer rechts­ra­di­ka­len, gewalt­tä­ti­gen Fan­grup­pe, die mit Haken­kreuz­fah­nen und einem rie­si­gen „Rom ist faschistisch”-Spruchband durch die ita­lie­ni­schen Sta­di­en tingelt.

6. Janu­ar 2005, Lazio Rom spielt im Sta­di­on Olim­pi­co gegen den AS Rom, eines der hit­zigs­ten Stadt­der­bys in Euro­pa, bei dem es immer wie­der zu Aus­schrei­tun­gen zwi­schen Fans und der Poli­zei kommt. Lazio gewinnt §:1, Pao­lo Di Canio ist Kapi­tän sei­ner Mann­schaft, schießt ein Tor und prä­sen­tiert den Lazio-Fans nach sei­ner Aus­wech­se­lung den „römi­schen Gruß” der ita­lie­ni­schen Faschis­ten, für die Anhän­ger des AS Rom und gro­ße Tei­le der Öffent­lich­keit eine Pro­vo­ka­ti­on. Aller­dings erklär­te Di Canio nach sei­ner Akti­on beim Römer Der­by, als er posi­ti­ve Reso­nanz sei­tens der Alle­an­za Nazio­na­le erhielt: „Mei­ne Freu­de über den Sieg hat nichts mit Poli­tik zu tun.” Ein ander­mal äußer­te er, daß er Faschist sei und Mus­so­li­ni ver­eh­re, auch wenn die­ser sein Volk im Stich gelas­sen habe. Luca­rel­li mach­te aus sei­ner lin­ken Gesin­nung nie einen Hehl, bedach­te beim Tor­ju­bel die Livor­no-Anhän­ger mehr­fach mit der kom­mu­nis­ti­schen Faust und wur­de dafür, wie auch Di Canio, vom Ver­band mit einer Geld­stra­fe belegt.

Luca­rel­li und Di Canio sind Stür­mer, seit Kind­heits­ta­gen mit ihrem Ver­ein und den radi­ka­len Fan­grup­pen ver­bun­den und nach einer Odys­see durch diver­se aus­län­di­sche und ita­lie­ni­sche Ver­ei­ne beim Club ihres Her­zens tätig. Bei­de sind Ultras auf dem Platz und wis­sen um die Kraft der Pro­vo­ka­ti­on, die sie für Ver­ein und Anhän­ger­schaft nut­zen, deren poli­ti­sche Fun­die­rung aber nur flach und neben­säch­lich ist. Sta­lin-Fah­nen im Livor­no Block und der Satz „Ausch­witz ist eure Hei­mat” auf einem Lazio-Spruch­band beim Der­by trei­ben die­se Pro­vo­ka­ti­on auf die Spit­ze: Wer wie Di Canio und Luca­rel­li eine vor­han­de­ne poli­ti­sche Ten­denz im Club ver­stärkt und als Kohä­si­ons­kraft nutzt, wird frü­her oder spä­ter samt sei­ner Anhän­ger­schaft extrem. Mag ihre jewei­li­ge Ideo­lo­gie anwi­dern: Ihre Ehr­lich­keit rührt, im Gegen­satz zu den komi­schen Gegen-Gewalt-Initia­ti­ven von Fan-Grup­pen, die sich zuletzt auch noch über den Sieg eines Geg­ners freu­en und ein Fuß­ball­spiel mit einer Vor­abend­se­rie verwechseln.

Di Canio betont übri­gens, daß er Faschist, aber kein Ras­sist sei, und darf sich sicher sein, daß ihn kei­ner ver­steht. Die ras­sis­ti­sche oder zumin­dest aus­län­der­feind­li­che Ges­te bleibt, trotz diver­ser Anstren­gun­gen sei­tens einer kri­ti­schen Pres­se und der Ver­bän­de, ein fast all­täg­li­ches Phä­no­men in den Sta­di­en und auf den Fuß­ball­plät­zen Euro­pas, ob beim Spaß­tur­nier auf einem Asche­platz in Kopen­ha­gen oder im Vier­tel­fi­na­le des Euro­pa­cups. Vor allem Spie­ler aus Schwarz­afri­ka haben eine Men­ge einzustecken.

In der Regio­nal­li­ga Süd am 25. März die­ses Jah­res, beim Spiel des Hal­le­schen FC gegen Sach­sen Leip­zig ist der Nige­ria­ner Ade­bo­wa­le Ogung­bu­re, der als Ver­tei­di­ger bei Leip­zig kickt, ein­mal mehr Ziel­schei­be ras­sis­ti­schen Spotts. Er wird von Tei­len der Hal­len­ser Fans der­art belei­digt und atta­ckiert, daß er, um den Mob eine Ant­wort zu geben, sei­nen Arm zum Hit­ler­gruß aus­streckt und mit der lin­ken Hand ein Hit­ler­bärt­chen andeu­tet. Kurz­zei­tig ist die Öffent­lich­keit ver­wirrt, ein ange­grif­fe­ner Spie­ler wehrt sich mit einer pole­mi­schen Ges­te, die zudem ver­fas­sungs­wid­rig ist. Die Poli­zei lei­te­te zunächst auch nur Ermitt­lun­gen gegen Ogung­bu­re ein, nicht gegen das ent­gleis­te Publikum.

Der gha­nai­sche Fuß­ball­pro­fi Antho­ny Baf­foe riet kurz vor der WM afri­ka­ni­schen und tür­ki­schen Spie­lern davon ab, im Osten Deutsch­lands zu spie­len. Aber auch in höhe­ren Spiel­klas­sen ver­schafft sich ein pro­vo­ka­ti­ons­be­gab­ter Mob Gehör, er kann zum Leid­we­sen der orga­ni­sier­ten Fuß­ball­welt­be­glü­cker von Uefa und Fifa nicht klar vom rest­li­chen Publi­kum getrennt wer­den. In Spa­ni­en wird der kame­ru­ni­sche Stür­mer­star des FC Bar­ce­lo­na, Samu­el Eto’o, immer wie­der mit Beschimp­fun­gen und fast schon obli­ga­to­ri­sche Affen­ge­heul bedacht. Der Geg­ner und die geg­ne­ri­schen Fans sind als Fein­de so hef­tig wie mög­lich zu schmä­hen. Hier kommt jede Fremd­heit gera­de recht. Die Gemenge­la­ge ist schwie­rig: Ange­pö­belt wird immer nur der Aus­län­der der ande­ren Mann­schaft, nie der eige­ne. So kommt es zu bizar­ren Situa­tio­nen wenn als recht und gewalt­tä­tig gel­ten­de Fan­grup­pen von Ener­gie Cott­bus ihre Club-Ehre ver­tei­di­gen und dabei einer Mann­schaft zuju­beln, in der kein ein­zi­ger Deut­scher mehr spielt, geschwei­ge denn ein Spie­ler aus der Regi­on, also aus dem Dorf neben­an. Mit Bana­nen wer­den nicht bloß Afri­ka­ner bewor­fen: Auch Oli­ver Kahn sam­mel­te wochen­lang Dut­zen­de davon aus sei­nem Strafraum.

Aber es geht noch här­ter: Tei­le der hol­län­di­schen Fans pfle­gen bei Spie­len gegen Ajax Ams­ter­dam sei auf­grund sei­nes Erfolgs ein „Juden­ver­ein”. Zuwei­len ist, wenn Spie­ler von Ajax in Ball­be­sitz sind, aus den geg­ne­ri­schen Fan­blö­cken ein Zischen zu hören, wel­ches das Geräusch von ein­strö­men­dem Gas imi­tie­ren soll. Die Ajax-Fans wie­der­um beschimp­fen den Schieds­rich­ter ab und an als „Nazi” wenn er gegen ihr Team pfeift. Spa­ni­ens Natio­nal­trai­ner Ara­go­nes bezeich­ne­te im Gespräch mit sei­nem Spie­ler José Anto­nio Reyes des­sen Ver­eins­ka­me­ra­den Thier­ry Hen­ry als „Scheiß­ne­ger”, und wer ein­mal in einem Zug etwas Zeit mit Fans, auf dem Weg zu einem Spiel, ver­bracht hat, konn­te sich viel­leicht von der Beliebt­heit eines Gesan­ges über­zeu­gen, bei dem es dar­um geht, daß eine U‑Bahn von St. Pau­li (einem Ver­ein mit links-alter­na­ti­vem Image) bis nach Ausch­witz gebaut wird.

Am 21. April 2006 läuft bei Arte die Sen­dung „Ball­ver­liebt. Die lan­ge Nacht der Fuß­ball-Kul­tur”. Durchs Pro­gramm führt Dani­el Cohn-Ben­dit, der schein­bar auch schon immer Fuß­ball­fan war und mit sei­nen Gäs­ten elo­quent über Fuß­ball und Kul­tur, schwu­len Fuß­ball, Frau­en­fuß­ball und Ras­sis­mus im Fuß­ball plau­dert. Dem Zuschau­er wur­de nach meh­re­ren Stun­den schließ­lich die Bunt­heit und Groß­ar­tig­keit des Sports und des bevor­ste­hen­den Events, der Welt­meis­ter­schaft, klar: Beim Fuß­ball betrei­ben tol­le Men­schen einen tol­len Sport, bei dem ande­re tol­le Men­schen für eine tol­le Stim­mung sor­gen. Pao­lo Di Canio und Ade­bo­wa­le Ogung­bu­re waren nicht zu Gast.

In Ita­li­en nennt man ein­ge­fleisch­te Fans „tifo­si”. Die­se Bezeich­nung lei­tet sich vom Typhus-Fie­ber ab, „tiro­si” ist, wer vom Fuß­ball-Fie­ber befal­len wur­de. Der Fan wie­der­um ist der „fana­ti­cal”, und nicht der Kon­su­ment, der ges­tern wegen ein paar toten Hüh­nern mit Atem­schutz­mas­ke zur Arbeit zieht, heu­te in der „schwarz-rot-gei­len” (Bild) Wel­le ver­sinkt und mor­gen dem nächs­ten hype, der nächs­ten Hys­te­rie auf­sitzt. Wie­der in den Vor­der­grund wer­den jene rücken, die sich an jedem Wochen­en­de in die Nische ihrer Män­ner­welt zurück­zie­hen, archa­isch anmu­tend: Dann geht es um Spaß und Wut, um Lei­den­schaft, um eine reli­giö­se Inbrunst und die eigen­tüm­li­che Frei­heit, dabei auch Din­ge und Men­schen zu Scha­den kom­men zu las­sen. Sie sind es, die die Fes­tung des „alten” Fuß­balls bis zum let­zen Mann ver­tei­di­gen wer­den. Mag die Schlei­fung auch kurz bevor­ste­hen, Becken­bau­er wird es wohl nicht mehr erle­ben und sich sei­ne kris­tall­kla­re Visi­on einer Welt des kor­rekt orga­ni­sier­ten Fuß­balls bis ans Ende sei­ner Tage als Wunsch bewah­ren müssen.

Zwan­zig Jah­re nach der Heysel-Kata­stro­phe tref­fen der FC Liver­pool und Juven­tus Turin in der Cham­pi­ons League wie­der auf­ein­an­der. In Liver­pool ver­su­chen die eng­li­schen Fans, sich mit einer Schwei­ge­mi­nu­te beim Turi­ner Anhang zu ent­schul­di­gen. Vie­le im Block der Ita­lie­ner dre­hen ihnen demons­tra­tiv den Rücken zu. – Pao­lo Di Canio erhielt in Eng­land, als er für West Ham United spiel­te, 2001 den FIFA Fair Play Award. Im Spiel gegen den FC Ever­ton hat­te er die Chan­ce, ins lee­re Tor zu schie­ßen, nahm jedoch, als er sah, daß der geg­ne­ri­sche Tor­wart ver­letzt am Boden lag, den Ball in die Hand und unter­brach damit das Spiel, wofür er die gel­be Kar­te erhielt. Bei Spie­len der ita­lie­ni­schen Liga wie­der­hol­te er sei­nen „römi­schen Gruß” noch zwei­mal. – Ade­bo­wa­le Ogung­bu­re wird sei­nen Ver­tag bei Sach­sen Leip­zig wohl verlängern.

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