“Das Heerlager der Heiligen” ist da!

Endlich ist es soweit: Ab morgen wird bei "Das Heerlager der Heiligen" ausgeliefert, (fast) pünktlich zum 90. Geburtstag von Jean Raspail. In den vergangenen Wochen hat der Übersetzer Martin Lichtmesz bereits auf die Neuausgabe dieses unter Kennern legendären, prophetischen Romans neugierig gemacht (siehe hier und hier). Zur Feier des Tages bringen wir einen "Teaser" aus dem 6. Kapitel. Bestellmöglichkeit ab sofort hier.

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»Mit­leid!« sag­te der Kon­sul. »Immer die­ses erbärm­li­che, wider­li­che, has­sens­wer­te Mit­leid! Ich weiß, Sie nen­nen es Nächs­ten­lie­be, Soli­da­ri­tät, Welt­ge­wis­sen und so wei­ter. Aber wenn ich Sie anschaue, sehe ich in jedem von Ihnen nur Selbst­ver­ach­tung und Ver­ach­tung des­sen, wofür Sie ste­hen. Vor allem, was soll das über­haupt hei­ßen? Und wohin soll es füh­ren? Beden­ken Sie doch die Kon­se­quen­zen Ihres all­zu will­fäh­ri­gen Mit­leids! Das ist doch gera­de­zu kri­mi­nell! Nur ein Wahn­sin­ni­ger oder ein Ver­zwei­fel­ter kann so blind sein wie Sie!«

Mit ver­bun­de­ner Stirn sah sich der Kon­sul in sei­nem Büro einem Dut­zend Per­so­nen gegen­über, die auf ihren Holz­stüh­len auf­ge­reiht saßen wie Apos­tel­fi­gu­ren auf der Fas­sa­de einer Kir­che. Sie hat­ten alle die­sel­be wei­ße Haut­far­be, die­sel­ben schma­len Gesich­ter und die­sel­be schlich­te Klei­dung – Shorts oder Lei­nen­ho­sen, kha­ki­far­be­ne Hem­den und San­da­len. Vor allem aber war in ihren Augen jenes gewis­se, tie­fe Fla­ckern zu sehen, wie man es von Pro­phe­ten, Schwär­mern, Welt­ver­bes­se­rern, Fana­ti­kern, Mär­ty­rern, beses­se­nen Ver­bre­chern und hal­lu­zi­nie­ren­den Visio­nä­ren kennt, oder ganz ein­fach von all jenen, die ihr Bewußt­sein gespal­ten haben, weil sie sich in ihrer eige­nen Haut nicht wohl füh­len. Unter ihnen befand sich auch ein Bischof. Er unter­schied sich jedoch in kei­ner Wei­se von dem Mis­si­ons­arzt oder von dem säku­la­ren Idea­lis­ten an sei­ner Sei­te. Auch der athe­is­ti­sche Phi­lo­soph und der abtrün­ni­ge katho­li­sche Schrift­stel­ler, der zum Bud­dhis­mus über­ge­tre­ten war, gehör­ten zum sel­ben Typus. Die bei­den letz­te­ren waren die geis­ti­gen Köp­fe der klei­nen Grup­pe. Sie alle schwiegen.

»Sie sind zu weit gegan­gen«, sag­te der Kon­sul, »und Sie taten es mit Absicht, weil Sie kon­se­quent Ihren Über­zeu­gun­gen fol­gen. Wis­sen Sie, wie vie­le Kin­der des Gan­ges Sie bis­lang nach Bel­gi­en geschickt haben? Ich spre­che nicht ein­mal von Euro­pa als Gesamt­heit, wo ein­zel­ne nüch­tern den­ken­de Län­der ihre Gren­zen schon viel frü­her als wir dicht­ge­macht haben. Vier­zig­tau­send in fünf Jah­ren! Dabei konn­ten Sie auf die zer­mürb­ten See­len unse­rer bra­ven Lands­leu­te zäh­len, denen Sie sys­te­ma­tisch alle mög­li­chen Gewis­sens­bis­se ein­ge­trich­tert haben, um die christ­li­che Nächs­ten­lie­be für Ihre selt­sa­men Zwe­cke zu miß­brauchen. Vor allem in unse­ren blü­hen­den bür­ger­li­chen Mit­tel­schich­ten haben Sie ernied­ri­gen­de Kom­ple­xe gezüch­tet. Vier­zig­tau­send! Etwa soviel wie die fran­zö­si­schen Kana­di­er Mit­te des 18. Jahr­hun­derts. Sie haben im Her­zen unse­rer wei­ßen Welt ein flä­chen­de­cken­des Ras­sen­pro­blem geschaf­fen, das uns alle zer­stö­ren wird. Und das ist offen­bar Ihr Ziel. Kei­ner von Ihnen besitzt noch den Stolz sei­ner wei­ßen Haut und weiß, was sie bedeutet.«
»Weder Stolz, noch über­haupt ein Bewußt­sein dafür«, bemerk­te eine der Sta­tu­en. »Das ist der Preis für die Gleich­heit unter den Men­schen. Wir wer­den ihn bezahlen.«
»Übri­gens ist dies alles schon über­holt«, fuhr der Kon­sul fort. »Es geht längst nicht mehr um Adop­tio­nen, ob ver­bo­ten oder nicht. Ich habe mit mei­nen euro­päi­schen Kol­le­gen hier im Land tele­fo­niert. Auch sie wer­den wie ich von schwei­gen­den Men­schen­mas­sen bela­gert, die auf irgend etwas war­ten. Und sie haben nicht ein­mal Dekre­te aus­hän­gen wie wir. Die Bri­ten zum Bei­spiel haben ihre Visen stets nur tröpf­chen­wei­se ver­teilt. Und trotz­dem wird auch ihre Bot­schaft von Zehn­tau­sen­den Men­schen bela­gert. Über­all in der Stadt, wo eine euro­päi­sche Fah­ne weht, hat sich eine Men­ge ver­sam­melt, ohne ersicht­li­chen Grund. Und das ist erst der Anfang. Man hat mir gemel­det, daß im Hin­ter­land gan­ze Dör­fer auf den Stra­ßen nach Kal­kut­ta unter­wegs sind.«
»Rich­tig«, sag­te eine Sta­tue, deren Gesicht ein dich­ter blon­der Bart zier­te. »Vie­le sind aus Dör­fern, die von uns betreut werden.«
»Dann sagen Sie mir doch bit­te, was die­se Leu­te von uns wol­len! Was suchen sie? Auf was war­ten sie?«
»Offen gesagt, wir wis­sen es auch nicht.«
»Haben Sie wenigs­tens eine Ahnung?«
»Viel­leicht.«
Ein merk­wür­di­ges Lächeln husch­te über die Lip­pen der bär­ti­gen Sta­tue. War er der Bischof? Oder der konvertierte
Schrift­stel­ler? »Sie haben doch nicht etwa selbst …?« Der Kon­sul brach die Fra­ge ab und deu­te­te sei­nen Ver­dacht nur an. »Nein! Unmög­lich! So weit wür­den Sie nicht gehen!«
»Das stimmt«, sag­te eine drit­te Sta­tue (dies­mal war es wohl der Bischof), »ich selbst wäre nicht so weit gegangen.«
»Sie haben also die Kon­trol­le verloren?«
»Sieht ganz so aus. In der Tat pas­sie­ren gera­de Din­ge von außer­ge­wöhn­li­cher Bedeu­tung. Die Volks­men­ge hat davon
nur eine vage Vor­stel­lung, ohne wirk­lich zu begrei­fen, was sich da zusam­men­braut. Darf ich dazu eine Hypo­the­se vor­brin­gen? An die Stel­le der ver­ein­zel­ten Adop­tio­nen, die so vie­le die­ser armen Leu­te mit Hoff­nung erfüllt haben, ist eine noch unglaub­li­che­re, gera­de­zu irr­sin­ni­ge Hoff­nung getre­ten. Näm­lich die auf eine Gene­ral­ad­op­ti­on aller. Es braucht von hier aus nicht mehr viel, um eine unauf­halt­sa­me Dyna­mik in Gang zu setzen.«

»Da haben Sie ja gan­ze Arbeit geleis­tet, Hoch­wür­den«, sag­te der Kon­sul. »Sie sind mir ein Pracht­ex­em­plar eines römisch-katho­li­schen Bischofs. Auf­ge­stie­gen zum Kond­ot­tie­re der Hei­den. Sie haben sich den Zeit­punkt gut aus­ge­sucht. An Armen fehlt es nicht. Sie zäh­len Mil­lio­nen! Das Jahr ist noch kei­ne drei Mona­te alt, und schon ist die Hälf­te die­ser Pro­vinz von Hun­gers­nö­ten heim­ge­sucht. Die Regie­run­gen die­ser Gebie­te sind völ­lig über­for­dert. Was auch kom­men mag, sie wer­den sich die Hän­de in Unschuld waschen. Das haben sie uns heu­te mor­gen unmiß­ver­ständ­lich mit­ge­teilt. Und was machen Sie unter­des­sen? Sie ›legen Zeug­nis ab‹. So nennt man das doch in Ihren Krei­sen, nicht wahr? Sie legen Zeug­nis ab. Von was eigent­lich? Von Ihrem Glau­ben? Ihrer Reli­gi­on? Ihrer christ­li­chen Kul­tur? Kei­nes­wegs. Sie legen Zeug­nis ab wider sich selbst. Sie sind zu einem Ver­äch­ter des Abend­lan­des geworden.

Glau­ben Sie denn, daß die armen Teu­fel, die ihnen nach­lau­fen, das nicht mer­ken? Blas­se Haut und blas­se, schwäch­li­che Über­zeu­gun­gen, das ist in ihren Augen eins. Sie wit­tern deut­lich, daß Sie sich selbst auf­ge­ge­ben haben, und Sie haben sie auch noch auf die­se Spur geführt. Von all Ihren Pre­dig­ten haben die­se Leu­te nichts wei­ter behal­ten, als daß das Abend­land stink­reich ist. Und in Ihnen sehen sie einen sym­bo­li­schen Ver­tre­ter die­ses Über­flus­ses. Sie reprä­sen­tie­ren den Reich­tum einer ande­ren Welt, und durch Ihre blo­ße Anwe­sen­heit ver­mit­teln Sie Ihren Schäf­chen, daß Sie ein schlech­tes Gewis­sen haben, wenn Sie die­sen nicht mit ihnen tei­len. Das ist ja sehr hübsch, wie Sie alle die Aske­ten spie­len und den Cur­ry mit der Hand essen, wie Sie das Land mit Exper­ten über­zie­hen, die ihre Weis­hei­ten ver­brei­ten und leben wie die Bauern.

Aber Sie sind für die­ses Land nichts wei­ter als eine per­ma­nen­te Ver­su­chung. Das müs­sen Sie doch wis­sen. Nach all unse­rer Ent­wick­lungs­hil­fe, nach all unse­rer ärzt­li­chen Ver­sor­gung und all unse­rer tech­ni­schen Bera­tung haben die Armen her­aus­ge­fun­den, daß es ein­fa­cher ist, Sie anzu­fle­hen: ›Nimm mei­nen Sohn, nimm mei­ne Toch­ter, nimm mich selbst und mei­ne gan­ze Fami­lie, und füh­re uns in dein Land.‹ Die­se Idee hat sich rasch ver­brei­tet, und flugs ist sie Ihnen über den Kopf gewach­sen. Eine Flut, eine unkon­trol­lier­ba­re Flut­wel­le bahnt sich an. Gott sei Dank liegt noch ein Meer zwi­schen die­sem Land und unse­rem Europa!«

»Ja, das Meer ist noch da! In der Tat, es ist noch da«, sag­te eine vier­te Sta­tue, die die­sen Gedan­ken offen­bar erst durch­si­ckern las­sen muß­te. »Für Leu­te Ihres Schlags«, füg­te der Kon­sul hin­zu, »gibt es einen alt­her­ge­brach­ten Namen: Ver­rä­ter. Der Fall ist nicht neu. In der Geschich­te gab es oft genug Bischö­fe, Gene­rä­le, Minis­ter und Intel­lek­tu­el­le, die Ver­rat begin­gen. Die­se Sor­te Mensch scheint in Euro­pa um so üppi­ger zu gedei­hen, je mehr es zusam­men­schrumpft. Eigent­lich soll­te es genau umge­kehrt sein, aber der Geist ver­fällt und das Herz wird unsi­cher. Gewiß, da kann man wohl nichts mehr machen. Auch ich bin macht­los. Aber selbst wenn ich mich über sei­ne Fol­gen täu­schen soll­te: Ich miß­bil­li­ge Ihr Han­deln zutiefst. Ihre Päs­se wer­den nicht mehr erneu­ert. Dies ist das ein­zi­ge Mit­tel, das ich noch habe, um mei­ner Miß­bil­li­gung offi­zi­el­len Aus­druck zu ver­lei­hen. Mei­ne euro­päi­schen Kol­le­gen tun im Augen­blick das Glei­che mit ihren eige­nen Verrätern.«

Die Sta­tue, die vom Meer gespro­chen hat­te, erhob sich. Dies­mal war es der athe­is­ti­sche Phi­lo­soph, der hier­zu­lan­de unter dem Namen Ballan bekannt ist. »Päs­se, Natio­nen, Reli­gio­nen, Idea­le, Ras­sen, Gren­zen und Mee­re – alles Quatsch!« sag­te Ballan. Ohne ein wei­te­res Wort ver­ließ er den Raum. »Ich dan­ke Ihnen dafür, daß Sie mir zuge­hört haben«, sag­te der Kon­sul. »Wir wer­den uns wohl nicht mehr wie­der­se­hen. Mein Amt hat kei­ner­lei Bedeu­tung mehr für Sie. Ich neh­me an, daß Sie des­halb so gedul­dig waren. Wie mit einem Sterbenden.«
»Irr­tum«, sag­te der Bischof, »wir wer­den bei­de ster­ben, auch wenn wir auf gegen­über­lie­gen­den Sei­ten ste­hen. Ich
wer­de Indi­en nicht mehr verlassen.«

Nach­dem Ballan durch das Git­ter­tor des Kon­su­lats gegan­gen war, hat­te er sich einen Weg durch die Men­ge gebahnt.
Ein paar beson­ders mons­trö­se Kin­der klam­mer­ten sich an sei­ne Bei­ne und sab­ber­ten auf sei­ne Hosen. Ballan und die
Miß­ge­bur­ten zogen sich gegen­sei­tig magisch an. Er stopf­te kleb­ri­ge Bon­bons, die er stets bei sich trug, in ihre unför­mi­gen Mäu­ler. Als er den gro­ßen Fäka­li­en­fürs­ten erblick­te, auf des­sen Schul­tern immer noch das scheuß­li­che Totem saß, rief er ihm zu: »Und du, Kot­kne­ter, was suchst du hier?«
»Nimm uns mit, ich bit­te dich.«
»Heu­te noch wirst du mit mir im Para­die­se sein.«
»Heu­te noch?« stieß der arme Teu­fel ungläu­big hervor.
Ballan lächel­te ihn lie­be­voll an. Viel­leicht ist dies eine Erklärung?

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