Demokratische Architektur?

PDF der Druckfassung aus Sezession 60 / Juni 2014

von Norbert Borrmann

Offenheit, Transparenz, das Nichthierarchische – mit diesen oder ähnlichen Schlagworten wird eine »demokratische Architektur« belegt, in der sich die Grundwerke einer demokratischen Zivilgesellschaft sichtbar widerspiegeln sollen. In der Praxis bedeutet das nicht zuletzt viel Glas; denn wo viel Glas ist, ist augenscheinlich auch viel Transparenz.

Steht der Bür­ger etwa vor einem »demo­kra­ti­schen« – also glä­ser­nen – Par­la­ments­ge­bäu­de, so kann er anschei­nend bereits von außen ver­fol­gen, was die Par­la­men­ta­ri­er im Inne­ren trei­ben. Es herrscht Trans­pa­renz. Außer­dem hat ein »demo­kra­ti­sches Bau­werk« auf jeg­li­che ein­schüch­tern­de Sym­bol­spra­che zu ver­zich­ten. Sta­tus- und Macht­zei­chen, Hier­ar­chie, ein kla­res Oben und Unten sind zu meiden.

Kei­ner darf sich aus­ge­schlos­sen füh­len. Alles soll für alle zugäng­lich sein, Offen­heit ist ein Grundprinzip.

Wer­den die­se Vor­ga­ben umge­setzt, so ergibt sich für das »demo­kra­ti­sche Bau­en« bei­na­he zwangs­läu­fig auch eine bestimm­te For­men­spra­che, näm­lich die der Moder­ne. Doch ist eine moder­ne For­men­spra­che tat­säch­lich eine not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung für das Bau­en in einer Demo­kra­tie? Das kann allein des­halb nicht zutref­fen, weil die Demo­kra­tie viel älter ist als die Moderne.

Im klas­si­schen Grie­chen­land bau­te man weder modern noch »demo­kra­tisch«, aber dafür ent­wi­ckel­te man sowohl die Grund­la­gen der Demo­kra­tie als auch die der abend­län­di­schen Bau­kunst. Es ist daher durch­aus fol­ge­rich­tig, daß man in den ers­ten neu­zeit­li­chen Demo­kra­tien auf eine klas­si­sche For­men­spra­che zurückgriff.

So ist das Kapi­tol in Washing­ton nicht »trans­pa­rent«, son­dern klas­si­zis­tisch. Selbst­ver­ständ­lich ist das Bau­werk sym­me­trisch aus­ge­rich­tet, und die Stra­ßen der Plan­stadt Washing­ton lau­fen axi­al auf das Kapi­tol zu – glei­ches gilt für das Wei­ße Haus.

Es herrscht also eine kla­re »Hier­ar­chie« in der Archi­tek­tur und im Stadt­grund­riß vor, was nicht zuletzt der Erkennt­nis Aus­druck ver­leiht, daß sich so am ein­fachs­ten und über­zeu­gends­ten räum­li­che Wir­kun­gen erzie­len lassen.

Auch die fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­ons­ar­chi­tek­tur, die im Gefol­ge von 1789 auf dem Papier ent­stand, ist klas­si­zis­tisch, hier­ar­chisch und nicht zuletzt monu­men­tal. Aber die Demo­kra­tie kann sich genau­so­gut für das »fins­te­re« Mit­tel­al­ter als archi­tek­to­ni­sches Vor­bild ent­schei­den, wovon das neu­go­ti­sche House of Par­lia­ment in Lon­don zeugt.

Die Ver­bin­dung von Archi­tek­tur und »Moral« und damit auch von »Demo­kra­tie« ist weit­ge­hend ein neue­res Gewächs und ent­wi­ckel­te sich in die­ser Form erst mit dem Auf­kom­men der Moder­ne in den 1920er Jah­ren. Man beschwor Ehr­lich­keit, Wahr­heit der Kon­struk­ti­on, Wahr­heit des Mate­ri­als, Zweck­mä­ßig­keit, Funk­tio­na­li­tät, Stan­dar­di­sie­rung, Demo­kra­ti­sie­rung, Licht, Luft, Son­ne, Trans­pa­renz – und immer wie­der rück­te man das Glas in den Mit­tel­punkt des neu­en Bau­ens, als Brin­ger von Licht und Transparenz.

So reim­te Paul Scheer­bart 1920 in sei­nen (ernst­ge­mein­ten) »Sprü­chen für das Glas­haus« unter ande­rem: »Glück ohne Glas – / wie dumm ist das! … Ohne einen Glas­pa­last / ist das Leben eine Last. … Das Glas bringt alles Hel­le / Ver­baut es auf der Stelle.«

Und der Bau­häus­ler und Kom­mu­nist Han­nes Mey­er erläu­ter­te sei­nen Wett­be­werbs­ent­wurf für den Gen­fer Völ­ker­bund­pa­last (1926) mit fol­gen­den Wor­ten: »… kei­ne säu­len­ge­spick­ten emp­fangs­räu­me für müde sou­ve­rä­ne, son­dern hygie­ni­sche arbeits­räu­me für täti­ge volks­ver­tre­ter. kei­ne win­kel­gän­ge für die win­kel­zü­ge der diplo­ma­ten, son­dern offe­ne glas­räu­me für die öffent­li­chen unter­hand­lun­gen offe­ner menschen.«

Ethi­sches Pathos und mis­sio­na­ri­scher Eifer sind kenn­zeich­nend für die Archi­tek­ten der Moder­ne. Doch hin­ter ihrer »Moral« stand von Anbe­ginn ein unge­heu­er­li­cher Macht­an­spruch: Wer die­sen auf­ge­la­de­nen Weg in die Moder­ne nicht mit­ging, ver­trat nicht ein­fach nur eine ande­re Mei­nung, son­dern war statt modern reak­tio­när, statt ehr­lich ver­lo­gen, statt ver­nünf­tig unver­nünf­tig, statt Licht­brin­ger nur ein Statt­hal­ter von Hin­ter­halt und Finsternis.

Der The­ma­tik »demo­kra­ti­sche Archi­tek­tur« gab nach dem Zwei­ten Welt­krieg ein Fach­frem­der, der Jurist und Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Adolf Arndt, neue Nah­rung. 1960 hielt er in der Aka­de­mie der Küns­te in West-Ber­lin eine Rede mit dem Titel »Demo­kra­tie als Bau­herr«, die in der Archi­tek­ten­schaft eine brei­te Reso­nanz fand, bald im Druck vor­lag und immer wie­der neu auf­ge­legt wurde.

Zwar ver­wies Arndt auf die Schwie­rig­keit, dem Gedan­ken der Demo­kra­tie archi­tek­to­nisch Gestalt zu ver­lei­hen, zumal Par­la­men­ta­ri­er und Behör­den zumeist weit weni­ger kla­re Bau­vor­stel­lun­gen haben als ehe­dem Fürs­ten und Kir­chen­obe­re, gleich­wohl zeig­te Arndt sich opti­mis­tisch in der Annah­me, daß demo­kra­ti­sche Ver­hält­nis­se – posi­tiv – mit­tels Archi­tek­tur abge­bil­det wer­den könnten.

Der Nicht­fach­mann Arndt ver­zich­te­te dar­auf, kon­kre­te Form­vor­stel­lun­gen zu ent­wi­ckeln, aber er sprach davon, daß die Archi­tek­tur in der Demo­kra­tie neben Mit­mensch­lich­keit auch Durch­sich­tig­keit und Zugäng­lich­keit aus­drü­cken solle.

Außer­dem lehn­te er jeg­li­che Bau­ver­klei­dung und dadurch auch das Orna­ment und die über­lie­fer­te Archi­tek­tur­spra­che als etwas Ver­schlei­ern­des ab; denn, so Arndt: »Die archi­tek­to­ni­sche Bau­ver­klei­dung ent­stamm­te einer Zeit, die viel ver­barg und viel zu ver­ber­gen hat­te. Die archi­tek­to­ni­sche Ver­klei­dung der Bau­ten war nicht funk­ti­ons­los; sie hat­te die poli­ti­sche Funk­ti­on des Ver­heim­li­chens. Soll­te es nicht einen Zusam­men­hang geben zwi­schen dem Öffent­lich­keits­prin­zip der Demo­kra­tie und einer äuße­ren wie inne­ren Durch­sich­tig­keit und Zugäng­lich­keit ihrer öffent­li­chen Bauwerke?«

Schaut man sich die seit­her gebau­te Umwelt an, fällt es aller­dings schwer, Arndts Opti­mis­mus zu tei­len. Das gilt auch gera­de für die eins­ti­ge Bun­des­haupt­stadt Bonn; denn »demo­kra­ti­sches Bau­en« drückt sich natur­ge­mäß am sicht­bars­ten in öffent­li­chen Bau­ten aus und hier­von am deut­lichs­ten in den Bau­ten, die sich die »Volks­ver­tre­ter« errich­tet haben.

Zwar wur­de Bonn zunächst nur als pro­vi­so­ri­scher Regie­rungs­sitz betrach­tet, doch spä­tes­tens ab den 1970er Jah­ren hat­ten die meis­ten Poli­ti­ker die Wie­der­ver­ei­ni­gung ad acta gelegt und betrach­te­ten Bonn als dau­er­haf­ten Regie­rungs­sitz des west­deut­schen Rumpfstaates.

Ohne die Vil­la Ham­mer­schmidt und das Palais Schaum­burg als his­to­ri­sche Bau­ten hät­te der Bun­des­bür­ger wahr­schein­lich kaum eine visu­el­le Vor­stel­lung mit dem Regie­rungs­sitz Bonn ver­bin­den kön­nen. Die Par­tei­zen­tra­len der CDU (1965) und SPD (1976) oder das Bun­des­kanz­ler­amt (1976) sind in ihrer Bana­li­tät kaum zu übertreffen.

Auch das Abge­ord­ne­ten­haus, der »Lan­ge Eugen« (1968) von Egon Eier­mann, der 2005 als »Zeug­nis für poli­ti­sche Kul­tur und demo­kra­ti­sches Bau­en« unter Denk­mal­schutz gestellt wur­de, hat neben sei­ner »Län­ge« und Höhe nur wenig ein­präg­sa­me Züge. Am prä­gnan­tes­ten war noch der von Hans Schwip­pert errich­te­te Ple­nar­saal (1949) des Bun­des­hau­ses in Bonn, der an ein vor­han­de­nes Gebäu­de, näm­lich die Päd­ago­gi­sche Aka­de­mie (1930–1933), ange­fügt wurde.

Doch aus­ge­rech­net die­ser, noch bewußt als Pro­vi­so­ri­um gebau­te Ple­nar­saal muß­te wei­chen, als die bun­des­deut­schen Poli­ti­ker glaub­ten, sich für immer in Bonn ein­rich­ten zu kön­nen. Für sei­nen Neu­bau wur­de ein Archi­tekt beauf­tragt, der als Expo­nent des demo­kra­ti­schen Bau­ens galt und gewis­ser­ma­ßen den demo­kra­ti­schen »Mus­ter­bau« errich­ten soll­te: Gün­ter Behnisch.

Beh­nisch (1922–2010), der im Zwei­ten Welt­krieg bereits in sehr jun­gen Jah­ren zum U‑Boot-Kom­man­dan­ten auf­ge­stie­gen war, erlang­te vor allem mit dem Bau des Olym­pia­ge­län­des (1967–1972) für die Olym­pi­schen Som­mer­spie­le in Mün­chen Berühmt­heit. Beson­ders das mit Frei Otto ent­wi­ckel­te »schwe­ben­de Dach« sorg­te für Furore.

Man fei­er­te Beh­nisch als »Bau­meis­ter der Demo­kra­tie« und »Ver­fech­ter des demo­kra­ti­schen Bau­ens ohne jede Sta­tus- und Macht­sym­bo­lik«, der der Welt »Frei­heit in glä­sern-luf­ti­gen For­men« schenke.

Als 1992 der neue, von Beh­nisch ent­wor­fe­ne Ple­nar­saal ein­ge­weiht wur­de, hat­te der sich bezüg­lich sei­ner Funk­ti­on bereits über­lebt: 1989 war die Mau­er gefal­len, 1990 hat­te die deut­sche Wie­der­ver­ei­ni­gung statt­ge­fun­den, 1991 hat­te der Bun­des­tag – mit knap­per Mehr­heit – beschlos­sen, in die alte und neue Haupt­stadt Ber­lin umzuziehen.

Gleich­wohl avan­cier­te der Bau, des­sen Pla­nung bereits bis zum Jahr 1976 zurück­reich­te, zum Pro­to­typ des »demo­kra­ti­schen Par­la­ments­ge­bäu­des«, des­sen »trans­pa­ren­te«, »offe­ne« und ein­schüch­tern­de Sym­bo­lik mei­den­de Archi­tek­tur Vor­bild­cha­rak­ter haben sollte.

Um das zu unter­strei­chen, erschien gleich­zei­tig mit der Eröff­nung des neu­en Ple­nar­be­rei­ches im Bon­ner Bun­des­haus und ver­se­hen mit einem Vor­wort der dama­li­gen Prä­si­den­tin des Deut­schen Bun­des­ta­ges, Rita Süss­muth, die Publi­ka­ti­on Archi­tek­tur und Demo­kra­tie.

Die Kano­ni­sie­rung des »demo­kra­ti­schen Bau­ens« beginnt dort bereits mit dem Vorwort:

Trans­pa­renz und Zugäng­lich­keit des Ple­nar­saals ver­deut­li­chen demo­kra­ti­sche Grund­wer­te der Frei­heit und Offen­heit, Viel­falt und Tole­ranz. Dem Indus­trie­bau ent­lehn­te archi­tek­to­ni­sche Gestal­tungs­ele­men­te ver­mit­teln ein Bild des Ple­nar­saals als ›Werk­statt der Demo­kra­tie‹. … Ich ver­ste­he es als eine Ermu­ti­gung für unse­re künf­ti­gen Auf­ga­ben, daß der Deut­sche Bun­des­tag vor sei­nem Umzug nach Ber­lin mit dem neu­en Ple­nar­be­reich in Bonn ein archi­tek­to­ni­sches Bei­spiel für demo­kra­ti­sche Gesin­nung und Bau­kul­tur ver­wirk­li­chen konnte.

Die Kano­ni­sie­rung »demo­kra­ti­scher Archi­tek­tur« bedeu­tet de fac­to eine Ver­en­gung auf weni­ge Begrif­fe wie Trans­pa­renz, Offen­heit, Durch­läs­sig­keit oder Zugänglichkeit.

Die­se Schlag­wor­te möch­ten signa­li­sie­ren, daß bei »demo­kra­ti­scher Archi­tek­tur« kei­ne Schwel­len­angst für den Bür­ger auf­kom­men muß. Es soll viel­mehr ein Milieu der Kom­mu­ni­ka­ti­on und zwang­lo­sen Begeg­nung erzeugt wer­den. Bau­lich umset­zen will man dies mit viel Glas und moder­ner Archi­tek­tur. Eine tra­di­tio­nel­le For­men­spra­che mit Sym­me­trie, Axia­li­tät oder gar Säu­len­ord­nung ist hin­ge­gen Tabu, da sie angeb­lich aller Offen­heit und auch dem Werk­statt­cha­rak­ter einer Demo­kra­tie widerspricht.

Die­ses Kon­zept, das auch auf die neu­en Bun­des­län­der über­tra­gen wur­de, fin­det sich in bei­spiel­haf­ter Form in dem von Peter Kul­ka ent­wor­fe­nen Säch­si­schen Land­tag in Dres­den wie­der (1994). Dabei war »Trans­pa­renz« der unter­ge­gan­ge­nen DDR kei­nes­wegs fremd, wie sie ins­be­son­de­re in dem 1976 eröff­ne­ten und mitt­ler­wei­le abge­ris­se­nen Ost­ber­li­ner »Palast der Repu­blik« vor­ge­gau­kelt wurde.

Auch die neu­en Ber­li­ner Regie­rungs­bau­ten posau­nen ihre »Trans­pa­renz« laut hin­aus. So heißt es zu der Pro­jekt­be­schrei­bung (2005) von Braun­fels Archi­tek­ten zu ihren bei­den Bun­des­tags­bau­ten, dem Paul-Löbe-Haus und dem Marie-Eli­sa­beth-Lüders-Haus: »Trans­pa­rent und offen prä­sen­tie­ren sich die Abge­ord­ne­ten und Aus­schüs­se des Deut­schen Bun­des­ta­ges im neu­en Regie­rungs­vier­tel. … Die Archi­tek­tur soll die demo­kra­ti­sche Hal­tung und den Anspruch des Deut­schen Bun­des­ta­ges an Offen­heit und Trans­pa­renz vermitteln.«

Selbst die neue Glas­kup­pel, die der bri­ti­sche Archi­tekt Sir Nor­man Fos­ter 1999 dem von Paul Wal­lot gebau­ten Reichs­tag (1884–1894) auf­setz­te, soll­te nicht ein­fach nur die zer­stör­te Glas­kup­pel erset­zen, son­dern zugleich ein Zei­chen demo­kra­ti­scher »Trans­pa­renz« sein.

Um das zu unter­strei­chen, wur­de um die Kup­pel eine Dach­ter­ras­se ange­legt, die offen für Besu­cher ist. Außer­dem befin­det sich im begeh­ba­ren Kup­pel­in­ne­ren ein trich­ter­för­mi­ges Licht­um­lenk­ele­ment mit Spie­geln, das Tages­licht in den zehn Meter tie­fer gele­ge­nen Ple­nar­saal führt, so daß »Innen« und »Außen« sym­bol­träch­tig ver­eint werden.

»Eine demo­kra­ti­sche Archi­tek­tur kann es genau­so­we­nig geben wie eine demo­kra­ti­sche Sup­pe«, äußer­te der Archi­tek­tur­theo­re­ti­ker Vitto­rio Magna­go Lam­pug­na­ni. Archi­tek­tur kann abwei­send oder ein­la­dend, gut oder schlecht, tra­di­ti­ons­ge­bun­den oder modern, entor­tet oder ver­or­tet sein, aber kann sie auch demo­kra­tisch sein?

Wenn der Bau­stoff Glas per se Trans­pa­renz und eine Ver­bin­dung mit inne­rem und äuße­rem Gesche­hen bewir­ken könn­te, müß­ten dann nicht die Glas­pa­läs­te der Hoch­fi­nanz Mus­ter­bei­spie­le von Trans­pa­renz, Offen­heit und Demo­kra­tie sein? Oder kann Glas auch ver­schlei­ern, indem es eine Offen­heit sug­ge­riert, die gar nicht existiert?

Hin­zu kommt, daß die heu­ti­gen Sicher­heits­be­stim­mun­gen an Regie­rungs­bau­ten die stän­dig beschwo­re­ne »Offen­heit« und »Trans­pa­renz« stark ein­schrän­ken. Tat­säch­lich waren die stei­ner­nen Par­la­ments­bau­ten des 19. Jahr­hun­derts zu ihrer Zeit für das Publi­kum weit offe­ner und trans­pa­ren­ter, ein­fach weil sie leich­ter zugäng­lich waren.

In Wirk­lich­keit ist »demo­kra­ti­sche Archi­tek­tur« nicht ein­mal so demo­kra­tisch, wie die Deut­sche Demo­kra­ti­sche Repu­blik demo­kra­tisch war – immer­hin fan­den in der DDR wenigs­tens Schein­wah­len statt, wäh­rend die »demo­kra­ti­sche Archi­tek­tur« höchst auto­ri­tär und unter voll­kom­me­nem Aus­schluß des Demos von der Archi­tek­ten­schaft und ihren Unter­stüt­zern in Poli­tik und Medi­en pro­kla­miert wurde.

Bezeich­nen­der­wei­se ist »demo­kra­ti­sche Archi­tek­tur« ein bun­des­deut­sches Phä­no­men, das in die­ser Form in ande­ren Län­dern nicht vor­zu­fin­den ist. Sie ist ein Kind der BRD-Gesell­schaft. Der unaus­ge­spro­che­ne Antrieb dürf­te der sein, daß man aller Welt zei­gen möch­te, wie man nach erfolg­tem »Lern­pro­zeß« aus der Geschich­te jetzt alles »rich­tig« macht. – Es ist der Mus­ter­schü­ler, der »demo­kra­ti­sche« Mus­ter­häu­ser baut.

Dane­ben gedie­hen – gewis­ser­ma­ßen als Aus­fluß »demo­kra­ti­scher Archi­tek­tur« – aller­lei Nar­re­tei­en. Adolf Arndt sprach sich in sei­nem Vor­trag »Demo­kra­tie als Bau­herr« gegen die »archi­tek­to­ni­sche Bau­ver­klei­dung« als Relikt einer über­wun­de­nen, vor­de­mo­kra­ti­schen Epo­che aus.

Ein Resul­tat einer sol­chen Sicht­wei­se war bei­spiels­wei­se, daß sich der West­ber­li­ner Senat dazu ent­schloß, Haus­be­sit­zer zu hono­rie­ren, die den Stuck von ihrer Grün­der­zeit­fas­sa­de abschlu­gen, galt die­ser doch als die ver­lo­ge­ne Deko­ra­ti­on einer bereits zu ihrer Zeit über­leb­ten, feu­dal gepräg­ten Gesell­schafts­form. Außer­dem war der Stuck »dis­kri­mi­nie­rend« ange­bracht, da nur die Stra­ßen­sei­ten damit her­aus­ge­putzt waren, wäh­rend die Hof­sei­ten stuck­frei blieben.

Die Nar­re­tei des Stuck­ab­schla­gens wur­de erst ein­ge­stellt, als ohne­hin nicht mehr viel zu ret­ten war und sich die einst reich­ge­schmück­ten Stra­ßen­zü­ge kahl und öde zeigten.

»Gegen Dis­kri­mi­nie­rung« lau­tet auch das unaus­ge­spro­che­ne Mot­to »anti­hier­ar­chi­scher« Archi­tek­tur. Ein Mus­ter­bei­spiel dafür stellt die soge­nann­te, zur Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin gehö­ren­de »Rost­lau­be« dar. Die Archi­tek­ten Can­di­lis, Josic und Woods woll­ten mit der von 1967–1972 errich­te­ten Rost­lau­be eine »anti­hier­ar­chi­sche Raum­ord­nung« demonstrieren.

Die­se konn­te man bereits äußer­lich dar­an erken­nen, daß die »gleich­be­rech­tig­ten« Haupt- und Neben­ein­gän­ge nur an der Anzahl der hin­aus- und hin­ein­ge­hen­den Per­so­nen zu unter­schei­den waren, was 2006, wegen der dar­aus resul­tie­ren­den Unüber­sicht­lich­keit, zu einer Neu­ge­stal­tung des Haupt­ein­gan­ges führ­te. Im Inne­ren ist der sich groß­flä­chig aus­deh­nen­de Gebäu­de­kom­plex mit einem Netz weit­ge­hend »gleich­be­rech­tig­ter« Stra­ßen durch­zo­gen, des­sen Nume­rie­rung nicht mit »1« oder gar »1A« beginnt, hät­te das doch ein Pri­vi­leg bedeu­tet. Sie fängt viel­mehr irgend­wo mit­ten im Zah­len­be­reich an und hört eben­so mit­ten­drin wie­der auf.

Da im Inne­ren der Rost­lau­be zudem stets die glei­chen Bau­ele­men­te wie­der­keh­ren, fällt es schwer, sich in ihrer »anti­hier­ar­chi­schen« Archi­tek­tur zu ori­en­tie­ren, was nicht gera­de benut­zer­freund­lich ist. Seit 2013 kön­nen sich daher die Stu­den­ten mit­tels einer digi­ta­len Wege­lei­tung durch den Gebäu­de­kom­plex füh­ren las­sen. Offen­sicht­lich schafft erst der Mut zur Hier­ar­chie Klarheit!

Im Regel­fall wünscht sich der Bür­ger kei­ne demo­kra­ti­sche Sup­pe, son­dern eine schmack­haf­te. Ähn­lich dürf­te es sich mit der Archi­tek­tur ver­hal­ten: Er ver­langt kei­ne »demo­kra­ti­sche Archi­tek­tur«, son­dern eine, die ihn anspricht und mit der er sich iden­ti­fi­zie­ren kann. Die sieht aber offen­sicht­lich ganz anders aus, als Archi­tek­ten sich das wünschen.

Glas, Stahl und Beton, die Lieb­lings­bau­stof­fe der Archi­tek­ten, wer­den oft als abwei­send emp­fun­den. Weit anspre­chen­der sind Ele­men­te einer tra­di­tio­nel­le­ren Archi­tek­tur­spra­che wie: bau­li­che Details, Orna­ment, Sym­me­trie oder Natur­stein – kurz­um all das, was heu­ti­ge Archi­tek­ten mei­den wie die Pest. Das macht auch ver­ständ­lich, war­um die Rekon­struk­ti­ons­be­we­gung – der Wie­der­auf­bau im Krieg zer­stör­ter Bau­wer­ke – in brei­ten Bevöl­ke­rungs­krei­sen Rück­halt findet.

Dabei geht es dem »Volks­emp­fin­den« weni­ger um Denk­mal­pfle­ge oder um eine his­to­risch kor­rek­te Rekon­struk­ti­on. Es besteht viel­mehr der Wunsch, anstel­le der abwei­sen­den und belie­bi­gen Bau­ten der Moder­ne eine Archi­tek­tur mit Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fak­tor zu errich­ten. Die­ser Wunsch konn­te sich mitt­ler­wei­le sogar im Kern­be­reich »demo­kra­ti­scher Archi­tek­tur« – dem Par­la­ments­bau – durchsetzen.

Gegen den wüten­den Pro­test der Bran­den­bur­gi­schen Archi­tek­ten­kam­mer gelang es nicht zuletzt einer enga­gier­ten Bür­ger­schaft, den Wie­der­auf­bau des ehe­ma­li­gen Pots­da­mer Stadt­schlos­ses als neu­en Sitz des bran­den­bur­gi­schen Land­ta­ges, anstel­le eines »demo­kra­ti­schen« Glas­kas­tens, durchzusetzen.

»Demo­kra­ti­sche Archi­tek­tur« gibt es nicht. Soll­te es sie doch geben, dann wäre sie – nach Mei­nung der Archi­tek­ten­schaft und ihrer Ver­bün­de­ten in Poli­tik und Medi­en – von ihrer Gestalt her vor allem eines: undemokratisch.

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