Vor dem Bücherschrank (V): Pirinçci und Jünger, Céline und Pound

PDF der Druckfassung aus Sezession 60 / Juni 2014

»Abwürgen! Abwürgen! Abwürgen!« schrie der »Mann im Ohr« der ZDF-Moderatorin zu. Es hatte keine fünf Minuten gedauert, bis die Regie des »Mittagsmagazins« angesichts Akif Pirinçcis Auftritt in Panik geriet und das Interview mit dem Autor des Bestsellers Deutschland von Sinnen vorzeitig abbrach. Aus der Netz-Mediathek war es anschließend zeitweise ganz verschwunden, bis es in einer gekürzten Fassung veröffentlicht wurde. Dies sei kein Akt der »Zensur«, beteuerte das ZDF gegenüber der Wochenzeitung Junge Freiheit.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Viel­mehr sei­en recht­li­che Beden­ken aus­schlag­ge­bend gewe­sen, etwa ange­sichts von Aus­sa­gen wie »Die Kin­dersex­par­tei, die Grü­nen haben das Land kaputtgemacht«.

Kurz dar­auf strich das »Früh­stücks­fern­se­hen« von SAT1 ein bereits auf­ge­zeich­ne­tes Gespräch mit Pirin­çci aus dem Pro­gramm. In der Fol­ge zogen wei­te­re Sen­der den Schwanz ein. Am 23. April berich­te­te Pirin­çci auf sei­ner Face­book-Sei­te: »Nach sage und schrei­be drei Vor­ge­sprä­chen, die sum­ma sum­ma­rum zwei­ein­halb Stun­den gedau­ert haben, hat mich heu­te die Redak­ti­on des SWR-Talks ›Das Nacht­ca­fé‹ wie­der aus­ge­la­den. So wie vor­her ›Gün­ther Jauch‹ und ›3nach9‹ in den letz­ten Wochen.«

An sei­nem Hang zur def­ti­gen Spra­che kön­ne das wohl kaum gele­gen haben, denn »bei Char­lot­te Roche hat man Schlim­me­res über sich erge­hen las­sen«. Der Grund müs­se woan­ders lie­gen: »Wenn der die Grü­nen als eine Kin­dersex­par­tei bezeich­net, dann meint der das auch so. Noch schlim­mer, das kommt beim Zuschau­er auch so an! Und über­haupt redet er haar­ge­nau so, wie er die Din­ge in sei­nem Buch auch dar­ge­stellt hat, und nimmt über­haupt kei­ne Rück­sicht auf die Talk-Etikette.«

Das ängst­li­che Ver­hal­ten der Sen­der ist in der Tat auf­schluß­reich. Als Schmutz­spra­che gel­ten heu­te weni­ger aus­ge­mach­te Unflä­tig­kei­ten, son­dern viel­mehr alles, was Kri­tik am »Kult um Schwu­le, Ein­wan­de­rer und Frau­en« for­mu­liert oder auch nur von Deutsch­land in einem empha­ti­schen Ton­fall spricht.

Will man heu­te wahr­haft scho­cken und den Bun­des­hüh­ner­stall auf­scheu­chen, braucht man bloß uniro­nisch »dir­ty words« wie die­se zu schrei­ben: »Deutsch­land, o du gol­de­nes Ely­si­um! Du kraft­vol­ler Stier! Du bist die Macht, die ganz Euro­pa trägt! Du bist das schöns­te aller schö­nen Länder!«

Allein die­se Over­tü­re zu der Punk­rock­oper Deutsch­land von Sin­nen muß vie­len der ton­an­ge­ben­den Mei­nungs­ma­cher wie ein sur­rea­ler Witz erschie­nen sein. Bei Pirin­çci haben sie es mit einem weit­aus zähe­ren Bro­cken als mit Sar­ra­zin zu tun. Er hat­te bereits im Vor­feld signa­li­siert, daß es ihm völ­lig gleich­gül­tig ist, ob er als »Nazi oder Klo­bürs­te« beschimpft werde.

Es ist bezeich­nend, daß aus­ge­rech­net ein sonst eher beson­ne­ner Feuil­le­to­nist wie Ijo­ma Man­gold als ers­ter die Ner­ven ver­lor, und den Hit­ler-Spring­teu­fel aus der Kis­te plat­zen ließ, indem er Deutsch­land von Sin­nen in der Zeit mit Mein Kampf ver­glich, was nicht nur ange­sichts von Pirin­çcis Hym­nen auf »die coo­le Musik der Bee Gees« und die von ihnen ange­sto­ße­ne »Kul­tur­re­vo­lu­ti­on« sau­ko­misch ist.

Caro­li­ne Fet­scher brach­te im Tages­spie­gel die dicke Brei­vik-Ber­tha in Stel­lung, wäh­rend der Vogel wie­der ein­mal vom Groß­meis­ter des Gen­res, Georg Diez, abge­schos­sen wur­de. Die­ser nann­te Deutsch­land von Sin­nen ein »Haß­buch«, das ein »Hin­ter­grund­rau­schen für ech­te Gewalt gegen Men­schen« erzeuge:

Bücher töten nicht, und Autoren sehr sel­ten, aber es ist auch nicht so, daß Gedan­ken harm­los sind und kei­ne Kon­se­quen­zen in der rea­len Welt haben. … Es ist, lei­der, nicht mal über­ra­schend, daß man­che Men­schen zu Waf­fen grei­fen in ihrem Wahn.

Dick auf­ge­tra­ge­ne Denun­zia­tio­nen die­ser Art haben vor allem die Funk­ti­on, ihre Urhe­ber in die Posi­ti­on des mora­lisch Über­le­ge­nen zu set­zen. Doch wer kauft ihnen die­se Rol­le eigent­lich noch ab?

Die Fol­gen der von ihnen ver­tei­dig­ten Poli­tik, zu denen immer­hin eine wach­sen­de Anzahl von Todes­op­fern zählt, win­ken sie, sofern sie die­se über­haupt zur Kennt­nis neh­men, als Kol­la­te­ral­schä­den ab und unter­stel­len den­je­ni­gen, die sie zur Spra­che brin­gen, nied­rigs­te Absich­ten, ver­let­zen sie in ihrer Ehre, spre­chen ihnen die Mensch­lich­keit und damit das Mensch­sein ab, ver­höh­nen sie, schlech­te Ver­lie­rer des gro­ßen Moder­ni­sie­rung­s­piels zu sein, als des­sen schlaue, prah­len­de Sie­ger sie sich inszenieren.

»So was kommt von so was« lau­tet ein alter lin­ker Slo­gan, und das Pirin­çci-Buch ist nicht von heu­te auf mor­gen vom hei­te­ren Him­mel gefal­len, son­dern auch eine Frucht des Ver­hal­tens der Die­zens und Man­golds die­ser Welt.

Bei­de Sei­ten beschul­di­gen sich in die­ser Dis­kus­si­on gegen­sei­tig des »Wahns«. »Sie spre­chen, ernst­haft, immer noch von ›poli­ti­scher Kor­rekt­heit‹: Aber schon die von Mar­tin Wal­ser in den neun­zi­ger Jah­ren erfun­de­ne ›Ausch­witz-Keu­le‹ war eine Waf­fe, die nie­mand schwang, außer der Autor und Erfin­der selbst«, schrieb Diez über »die Pirin­çcis und Sar­ra­zins die­ser Welt«.

Ob man dies nun für kras­se Ver­blen­dung oder für fre­che Dem­ago­gie hal­ten mag: An die­ser Stel­le hat das lan­des­üb­li­che Spiel­chen des »Ich seh’ etwas, was du nicht siehst« sei­ne äußers­te Zuspit­zung erfah­ren. Genau in die­sem »dead­lock« sind die Dis­kus­sio­nen in Deutsch­land fest­ge­fah­ren, und genau hier setzt Pirin­çcis Ver­bal­keu­le an.

Über all dem ste­reo­ty­pen und dum­men Gere­de über »Haß«, »Haß« und noch mal »Haß« wird über­se­hen, daß Pirin­çci aus einem star­ken mora­li­schen Impuls her­aus schreibt, den er aber lie­ber hin­ter einer schimp­fen­den Scha­le ver­birgt, als ihn zur Schau zu stel­len wie Diez und Fet­scher, die es für nicht nötig erach­te­ten, etwa den Mord an Dani­el S. in Kirch­wey­he auch nur zu erwähnen.

Hät­te ein lin­ker Autor, etwa Deniz Yücel, eine ähn­li­che Num­mer gegen Sar­ra­zin und die soge­nann­ten »Rech­ten« ver­faßt, hät­te sich das­sel­be Feder­vieh vor Ver­gnü­gen die Schen­kel rot geklopft und statt von »Haß« von gerech­tem »Zorn« und ähn­li­chem gespro­chen. »Has­sen« kann in ihrer Welt­sicht bekannt­lich nur der »Rech­te«.

Hier wird kein Zen­ti­me­ter preis­ge­ge­ben, weil es um nack­ten Macht­er­halt geht. Lin­ke Jour­na­lis­ten sind heu­te die stramms­ten »Sys­tem­kon­ser­va­ti­ven«, und ihre Spra­che hat den sat­ten Sound derer, die sich auf der Sie­ger­sei­te der Geschich­te wäh­nen und nichts ande­res mehr zu tun haben, als etwa­ige Insur­rek­tio­nen gegen den Sta­tus quo nie­der­zu­schla­gen und auf­kom­men­des Gemur­re in den Kajü­ten zu ersticken.

Pirin­çcis Spra­che dage­gen ist die klas­si­sche Waf­fe der Under­dogs, der Out­si­der, der Oppo­si­tio­nel­len, der Macht­lo­sen, denen nur mehr die Pro­vo­ka­ti­on bleibt, um Gehör zu fin­den. Vor ihrem Auf­stieg ins Estab­lish­ment hat auch die deut­sche Lin­ke reich­lich Gebrauch von Obs­zö­ni­tä­ten, Tabu­brü­chen, Fäkal­wör­tern gemacht, die als »pro­gres­siv« und abso­lu­tes Muß im Kul­tur­kampf galten.

Nun, da sie eine sys­tem­er­hal­ten­de Funk­ti­on inne­hat, haben sich die Vor­zei­chen geändert.

Richard Geb­hardt mein­te in der Zeit, eine beson­de­re Poin­te dar­in zu erken­nen, daß die Rech­ten und Kon­ser­va­ti­ven, die er als vor­gest­ri­ge Tugend­bol­de kari­kier­te, nun soweit auf den Hund gekom­men sei­en, einem Stra­ßen­kö­ter wie Pirin­çci zu applau­die­ren. Die Wirk­lich­keit ist frei­lich komplizierter.

»Das ist Bukow­ski-Sound, Céli­ne-Gepö­bel und Kurt-Hil­ler-Flu­chen, ein Wut­an­fall im Stra­ßen­jar­gon«, schrieb der Ver­le­ger Tho­mas Hoof im Vor­wort zu Deutsch­land von Sin­nen, viel­leicht, um das Buch auch lite­ra­risch aufzuwerten.

Ob Pirin­çci es ver­dient, mit sol­chen Namen in einem Atem­zug genannt zu wer­den, sei dahin­ge­stellt. Anzu­mer­ken ist, daß es in der Tat einen nicht uner­heb­li­chen kon­ser­va­ti­ven Vor­be­halt gegen­über dem Ver­lust der Manie­ren und der Infla­ti­on der Fäkal­spra­che gibt.

Dazu ein klei­ner lite­ra­ri­scher Exkurs: Ernst Jün­ger notier­te am 20. April 1948: »Man druckt jetzt auch in Deutsch­land Bücher, in denen obs­zö­ne Wor­te im Klar­text ste­hen – ich mei­ne Wor­te, die man frü­her nur an den Wän­den schlecht­be­leuch­te­ter Bahn­hofs­ab­trit­te las. Das Aus­land ist uns dar­in vor­aus­ge­gan­gen, grob­schläch­ti­ge Ame­ri­ka­ner und Pari­ser Ver­bre­cher­cli­quen, die den Argot in die Lite­ra­tur ein­führ­ten. Ein Zei­chen der Aus­lö­schung, des Schwun­des mehr. Zugleich ein unheil­vol­les Signal, das auf­ge­zo­gen wird.«

Wen hat­te Jün­ger hier im Kopf? Hen­ry Mil­ler? Jean Genet? Lou­is-Fer­di­nand Céli­ne? Die­ser publi­zier­te im sel­ben Jahr eine Replik auf einen Text von Jean-Paul Sart­re, die etwa so klang:

Die­ses ver­damm­te ver­kom­me­ne Arsch­loch! Was wagt er da zu schrei­ben? ›Wenn Céli­ne die sozia­lis­ti­schen The­sen der Nazis unter­stützt hat, dann des­halb, weil man ihm Geld dafür gege­ben hat.‹ Zita­ten­de. Sieh an! Und das hat die­ser klei­ne Mist­kä­fer ver­zapft, wäh­rend ich im Gefäng­nis saß und fast auf­ge­hängt wur­de! Dre­cki­ger klei­ner Bas­tard, rand­voll mit Schei­ße, du kommst aus mei­nen Arsch­ba­cken gekro­chen, um mich von außen zu beschmut­zen! Anus-Kain pfuip­fui! Was willst du eigent­lich? Daß man mich umbringt! Da ist der Beweis! Komm, laß dich zer­quet­schen! Ja! … Ich schaue mir sei­ne Fotos an, die­se Glotz­au­gen … die­ser Gift­zahn … die­ser gei­fern­de Saug­napf … er ist ein Bandwurm!

Jün­ger hat­te eine herz­haf­te Abnei­gung gegen Céli­ne, den er in sei­nen Tage­bü­chern als aus­rot­tungs­lüs­ter­nen Nihi­lis­ten zeich­ne­te. Er sah einen Zusam­men­hang zwi­schen der Ver­ro­hung der Spra­che und dem Abglei­ten der Zivi­li­sa­ti­on in die Barbarei:

Der nie­der­träch­ti­ge Stil beschränkt sich nicht auf das Buch. Das hie­ße Ord­nung in einer Stadt erwar­ten, in der man Brun­nen und Märk­te mit infa­men Denk­mä­lern schmückt. … Bei Sade schließt sich der Zote unmit­tel­bar die Gewalt­tat an. Sie gibt das Stich­wort; der ers­te Tabu­bruch zieht alle ande­ren nach. Ver­mut­lich hat man in unse­ren Schin­der­hüt­ten ähn­li­ches erlebt. Erst kommt die Ent­wür­di­gung durch die Wor­te, dann durch die Tat. Wo der Libe­ra­lis­mus sei­ne äußers­ten Gren­zen erreicht, schließt er den Mör­dern die Türe auf.

Sät­ze wie die­se liest man im Jah­re 2014 mit einem selt­sam zwie­späl­ti­gen Phan­tom­schmerz. Wie­viel Fein­ge­fühl, wie­viel Inten­si­tät der Wahr­neh­mung ist uns ver­lo­ren­ge­gan­gen! Wie sehr haben wir uns an die Tri­via­li­sie­rung und Vul­ga­ri­sie­rung aller Din­ge gewöhnt! Wie vie­le Wör­ter, die in pas­sen­den Umstän­den, im Bett oder an der Bar, wie Dyna­mit zün­den sol­len, sind heu­te ihres Pul­vers beraubt, mit dem Was­ser der infla­tio­nä­ren Ver­nut­zung ver­schnit­ten wor­den! Wie schön waren doch man­che Tabus, die bestimm­te Nischen und Kam­mern des Daseins in ste­ti­ger Span­nung hielten!

Jün­ger hat­te ein fei­nes Ohr für die Macht und Magie der Spra­che, die es ver­bie­ten, das gedruck­te wie gespro­che­ne Wort zu unter­schät­zen. Sein »aben­teu­er­li­ches Herz« wuß­te dabei durch­aus um die Genüs­se der Unter­welt. 1929 hat­te er sich noch fas­zi­niert über Sade geäu­ßert: »Dies ist der Erd­wolf, der heu­lend durch die Kloa­ken jagt, mit feuch­tem, kleb­ri­gem Fell und dem uner­sätt­li­chen Fleisch­hun­ger, der end­lich Blut säuft und die Abfäl­le des Lebens frißt.«

Nach der Orgie und dem Tabu­bruch kommt jedoch der Kat­zen­jam­mer, und selbst in der Höl­le akkli­ma­ti­siert man sich rasch, bis man kein Gefühl mehr dafür hat, wie­viel von sei­ner See­le man ver­lo­ren hat: »Und end­lich«, so Jün­ger, »artis­tisch gespro­chen, wel­cher Abstieg in die plat­te Gemein­heit, wel­cher Man­gel an Phantasie.«

Unse­re Gegen­wart nun ist auf bei­spiel­lo­se Wei­se durch­tränkt mit Obs­zö­ni­tä­ten und Fäkal­aus­drü­cken. Allein im all­täg­li­chen Umgang wur­de wohl nie so epi­de­misch geflucht wie heu­te. Figu­ren des öffent­li­chen Lebens, von Pop­stars bis zu Poli­ti­kern, wer­fen mit Kraft­aus­drü­cken um sich. Song­tex­te und Film­dia­lo­ge sind gesät­tigt davon. In Kino und Fern­se­hen sind Sex- und Gewalt­dar­stel­lun­gen expli­zi­ter als je zuvor, wäh­rend die Abstump­fung zuge­nom­men hat.

In der Erzie­hung gilt es bei­na­he schon als lächer­lich, Kin­der zu einer gezü­gel­ten Spra­che zu ermah­nen. Heu­te kom­mu­ni­zie­ren bereits die Acht­jäh­ri­gen auf der Stra­ße im Por­no­sprech, wäh­rend zehn­jäh­ri­ge Mäd­chen auf Kon­zer­te von Sido gehen, um den »Arsch­fick­song« zu hören. In all dem gleicht unse­re Zeit eher einer fau­len­den, regres­siv-infan­ti­len Sup­pe als einem sade­schen oder céline­sken Wüten. Sie ist auf ihre Wei­se aller­dings nicht weni­ger nihilistisch.

In genau die­sem Kon­text tritt nun ein Pirin­çci auf, der von die­sen Exzes­sen durch­aus ange­ekelt ist und dafür zahl­rei­che Bei­spie­le nennt.

Ich kann mich nicht genau ent­sin­nen, aber so vor sie­ben oder acht Jah­ren war das über­haupt nicht talen­tier­te und allein wegen sei­ner Schwu­len­pro­pa­gan­da von öffent­li­chen Gel­dern exis­tie­ren­de Jun­ger-deut­scher-Film-Relikt Rosa von Praun­heim bei der Harald-Schmidt-Show ein­ge­la­den, und das ers­te, was der sicht­lich Geal­ter­te dem lus­ti­gen Harald und dem Publi­kum total pro­vo­kant mit­zu­tei­len hat­te, war, daß er gera­de aus der ›Sau­na‹ käme. Dann knall­te er ein von ihm voll­ge­spritz­tes Kon­dom auf den Tisch. Wor­auf­hin sowohl der lus­ti­ge Harald als auch das debi­le Publi­kum in ein ver­stän­dig dre­cki­ges Lachen, vor allem aber in einen tosen­den Applaus ver­fie­len. War­um eigent­lich? Hat­te Rosa gesagt, ich habe den Dra­chen getö­tet oder ein für alle­mal den Krebs besiegt?

Die­se Epi­so­de ist treff­lich und mit fühl­ba­rer Abscheu geschil­dert. Pirin­çci in einem gesell­schaft­li­chen Kli­ma wie die­sem vor­zu­wer­fen, sich unfein aus­zu­drü­cken, ist wie Straf­zet­tel für zu schnel­les Fah­ren auf der Ral­lye Mon­te Car­lo aus­zu­tei­len. Pirin­çci nennt das Kind beim Namen, ohne alle Schön­fär­be­rei. Über die Zur­schau­stel­lun­gen der Schwu­len-Para­den schreibt er:

Es ist, als hät­te man die­sen Leu­ten jene Hirn­re­gi­on weg­ope­riert, die für Scham und Erkennt­nis zustän­dig ist, und dafür, daß wir, egal wel­cher Ver­an­la­gung, kei­ne Tie­re sind und unser sexu­el­les Geschäft tun­lichst im Pri­va­ten ver­rich­ten. Ist mir scheiß­egal, ob das spie­ßig klingt.

Wer den »com­mon sen­se« hin­ter Pirin­çcis Pole­mik nicht spürt, hat ihr Anlie­gen nicht rich­tig ver­stan­den. Sei­ne Spra­che ver­sucht, Feu­er mit Feu­er zu bekämp­fen. Kraft­aus­drü­cke sind das Voka­bu­lar spon­ta­ner und inten­si­ver Emotion.

Es gibt medi­zi­ni­sche Stu­di­en, die behaup­ten, daß Flu­chen einen schmerz­lin­dern­den Effekt habe. Daß das stimmt, weiß jeder­mann aus Streß­si­tua­tio­nen. Es geht hier aller­dings nicht bloß dar­um, auch mal »Aua« schrei­en zu dür­fen, wofür Anlaß genug besteht. Die Fra­ge ist viel­mehr, wie man Zustän­de, die der­art ver­kom­men, absurd und per­vers sind wie die herr­schen­den, adäquat benen­nen und kon­tern soll.

Wel­che Spra­che ist nötig in einer Welt, in der nichts mehr scho­ckiert und die Wör­ter ver­braucht schei­nen? Dávila spricht von den Schwei­nen, die müde lächeln, wenn einer den Schlamm kri­ti­siert. Wie bereits ange­deu­tet: Wer schon so weit akkli­ma­ti­siert ist, daß er die Per­ver­si­tät und Absur­di­tät der Zustän­de nicht mehr wahr­nimmt, mit dem ist kei­ner­lei Dis­kus­si­on mehr mög­lich. Man muß an die­ser Stel­le auch ein Schwein ein Schwein nen­nen dürfen.

Im Grun­de ist hier bereits, zumin­dest ideell, die Gren­ze zum Bür­ger­krieg erreicht. Diez hat ein Körn­chen Wahr­heit auf sei­ner Sei­te, wenn er bei Pirin­çci so etwas wie »Gewalt« wahr­nimmt. Es han­delt sich dabei aller­dings um eine ver­ba­le »Gewalt«, die, im lin­ken Jar­gon gespro­chen, auf eine struk­tu­rel­le Gewalt ant­wor­tet, um die Ulti­ma ratio derer, die nicht nur eine Lage beschrei­ben, son­dern sich weh­ren und die fest­ge­fah­re­nen Ver­hält­nis­se «zum Tan­zen brin­gen« wollen.

Die obs­zö­ne Spra­che ist in einem sol­chen Fall Aus­druck einer lei­den­schaft­li­chen Indi­gna­ti­on, eines legi­ti­men Zorns auf Heu­che­lei, Lüge und bigot­te Posen. »Allen die­sen Leu­ten müß­te ein­mal ein Schwär­mer in den Arsch gesteckt und abge­brannt wer­den, damit sie sprin­gen ler­nen und schrei­en, wie ihnen der Schna­bel gewach­sen ist«, schrieb Ernst Jün­ger 1928 in einem Brief über all­zu gestelz­te Exem­pla­re der Jugend­be­we­gung, denen er außer­dem einen »gesun­den Fick« empfahl.

Ein Bukow­ski oder ein Céli­ne oder ein Léon Bloy kann­ten Armut, Krank­heit, Schmutz, Elend, Aus­beu­tung, Häß­lich­keit, Kor­rup­ti­on aus nächs­ter Nähe und such­ten dafür einen scho­nungs­los ehr­li­chen und wider­stän­di­gen, radi­kal indi­vi­dua­lis­ti­schen Aus­druck; und selbst wenn etwa Céli­ne oft in den nihi­lis­ti­schen Rausch abge­glit­ten ist, so kann man kaum sagen, daß sei­ne ursprüng­li­chen Impul­se inhu­man waren: Bücher wie Rei­se ans Ende der Nacht und Tod auf Kre­dit zeu­gen davon.

Eine solch radi­ka­le Ehr­lich­keit muß­te auch Ijo­ma Man­gold bei Pirin­çci aner­ken­nen: »Ein sol­ches Buch kann man nur auf­rich­ti­gen Her­zens schrei­ben. In die­ser Auf­rich­tig­keit und Authen­ti­zi­tät aber liegt die bei­spiel­lo­se Ent­hemmt­heit die­ses Buchs, das eine Rau­bei­nig­keit an den Tag legt, die auch für das Gen­re des Pam­phlets Neu­land betritt.«

Georg Diez behaup­te­te, Pirin­çci und Sar­ra­zin wür­den sich in der Rol­le der »Ernied­rig­ten und Belei­dig­ten« gefal­len, auf die sie als »erfolg­rei­che Män­ner, die genug Geld ver­die­nen«, kein Anrecht hätten.

Pirin­çci hat aber nicht für sich selbst, son­dern für die ernied­rig­ten und belei­dig­ten Deut­schen geschrie­ben, die ihre Wür­de und ihre Selbst­ach­tung ver­lo­ren haben: »Aber was ist los, Deutsch­land, liebs­te Mut­ter? Du bist so bleich, du blu­test ja! Man hat sich an dir ver­gan­gen, sagst du? Wie denn das? Man hat dir Leid zuge­fügt, indem man dir dei­ne Zukunft gezeigt hat? Wie sah sie aus, dei­ne deut­sche Zukunft?« Und ins­be­son­de­re das Kapi­tel »Das Schlach­ten hat begon­nen« über die »sich stei­gern­de Deut­sche-Tot­schlä­ge­rei« durch bestimm­te Aus­län­der­ban­den ist ein ein­drucks­vol­les »Update« des Jün­ger­schen Sat­zes über den Libe­ra­lis­mus, der »den Mör­dern die Türe aufschließt«.

Auch Ezra Pound hat sich in sei­nen Can­tos zuwei­len eine äußerst dras­ti­sche Spra­che erlaubt; meist wohl­do­siert, um ihre Effek­te nicht zu verbrauchen.

In sei­nen dan­tes­ken Can­tos XIV und XV ließ er aller­dings die Zügel schie­ßen und ver­damm­te mit glü­hen­dem Haß die Kriegs­trei­ber und Pro­fit­ma­cher sei­ner und aller Zei­ten (er über­ließ es dem Leser, die jeweils aktu­el­len Namen ein­zu­set­zen) in Höl­len­kloa­ken aus Gestank und Exkre­men­ten. Kostprobe?

Das wei­te schrun­di­ge Arsch­loch fetzt Flie­gen / und pol­tert vor Impe­ria­lis­mus, / letz­ter Piß­ort, Jauch­gru­be, Harn­siel ohne Abfluß … Die for­schen Drauf­gän­ger / hacken mit Mes­sern auf­ein­an­der ein, / die fei­gen Scharf­ma­cher, / Wil­son mit Sound­so, von Mil­ben befal­len, / Chur­chill wie ein gequoll­ner Fötus, / die Bes­tie mit hun­dert Bei­nen, USURA, / der Rotz zum Bre­chen voll von Jasa­gern / das buckelt vor den Bon­zen des Ortes / und stellt sei­ne Vor­zü­ge rich­tig, / und die lau­da­to­res tem­po­ris acti beto­nen, / daß die Schei­ße einst schwär­zer und sämi­ger war, / und die Fabia­ner drän­gen auf die Ver­kä­sung der Ver­we­sung, / auf einen neu­en Darm­fluß, in Pas­til­len gepaßt …

Und zusam­men mit den »Wuche­rern« und Poli­ti­kern ver­damm­te er »die da die Spra­che verraten«,

Sound­so und das Zei­tungs­pack / Und wer sich zur Sprach­reg­lung ver­dingt hat; / Die Per­ver­sen, die da die Spra­che ver­dre­hen, / die Per­ver­sen, die ihre Geld­gier / Vor die Freu­den der Sin­ne stel­len; / Geschril­le wie ein Hüh­ner­hof in der Dru­cke­rei, / das Rat­tern der Pres­sen, / Schwa­den von tro­cke­nem Staub und papier­nem Abfall, / beneh­men­der Gestank, Schweiß, Oran­gen im Kahm, / Kot, letz­te Senk­gru­be auf der wei­ten Welt …

Die heu­ti­gen Äqui­va­len­te zu den hier Ange­spro­che­nen suchen über­all nach Erklä­run­gen für Phä­no­me­ne wie Deutsch­land von Sin­nen, nur nicht in der Wirk­lich­keit, nur nicht in sich selbst. Schon allein des­we­gen haben sie einen, zwei, drei, Hun­der­te Pirin­çcis ver­dient, und kein Ton­fall ist inzwi­schen zu scharf für sie.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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