Martin Heideggers »Schwarze Hefte«

PDF der Druckausgabe aus Sezession 60 / Juni 2014

Martin Heideggers Werk und Person sind ein Ärgernis. Seit bald vierzig Jahren ist er tot – und bestimmt immer noch, wie und wann wir seinen Nachlaß zur Lektüre vorgelegt bekommen. Der Plan der hundertbändigen Gesamtausgabe ist sein Vermächtnis, bis heute wird nicht von ihm abgewichen. So hat Heidegger auch dafür gesorgt, daß wir erst jetzt die Schwarzen Hefte zu Gesicht bekommen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik.

Es han­delt sich um die Bän­de 94 bis 96 der Gesamt­aus­ga­be (Frank­furt a. M.: Klos­ter­mann 2014). Vier­zehn »Hef­te« sind in ihnen abge­druckt, sie sind zwi­schen 1931 und 1941 ent­stan­den und tra­gen den Titel »Über­le­gun­gen«. Die­se Schwar­zen Hef­te sind ein beson­de­rer Bestand­teil des hand­schrift­li­chen Nach­las­ses, in ihnen notier­te Heid­eg­ger ab 1930 Gedan­ken­gän­ge und woll­te sie erst publi­ziert wis­sen, wenn die Vor­le­sun­gen vorlägen.

Laut Nach­wort des Her­aus­ge­bers Peter Traw­ny gibt es 34 oder 36 die­ser in schwar­zes Wachs­tuch gebun­de­nen Hef­te, die im DLA Mar­bach lie­gen (bei zwei­en ist die Zuord­nung unklar). Es exis­tier­ten min­des­tens zwei wei­te­re Hef­te, von denen eines ver­schol­len ist (»Über­le­gun­gen I«) und eines sich in Pri­vat­be­sitz befin­det (»Anmer­kun­gen I«). Daher beginnt Band 94 der Gesamt­aus­ga­be mit »Über­le­gun­gen II«, und Band 97 wird mit »Anmer­kun­gen II« einsetzen.

Für den Ange­hö­ri­gen des Infor­ma­ti­ons­zeit­al­ters ist die­ses stu­fen­wei­se Vor­an­schrei­ten einer Gesamt­aus­ga­be eine Qual, weil er die stän­di­ge Ver­füg­bar­keit gewohnt ist. Eben­so ist er gewohnt, daß sich jeder stän­dig selbst kommentiert.

Daß Heid­eg­ger die­ses Spiel nach 1945 nicht mit­mach­te, brach­te ihm den blei­ben­den Haß des Feuil­le­tons ein, das ihn seit­her mit einer bei­spiel­lo­sen Aus­dau­er ver­folgt (selbst Carl Schmitt wird mitt­ler­wei­le mil­der behan­delt). Das ein­zi­ge Ziel die­ser Ver­fol­gung ist der Beweis, daß Heid­eg­ger ein Nazi gewe­sen sei, womit sei­ne gan­ze Phi­lo­so­phie in Fra­ge stün­de. Dem­entspre­chend tri­um­phie­rend waren die Reak­tio­nen, als die erwähn­ten Bän­de erschie­nen und sich dar­in eini­ge Äuße­run­gen fan­den, die das Juden­tum betreffen.

Das Auf­at­men des Feuil­le­tons war nicht zu über­hö­ren. End­lich lie­ge schwarz auf weiß vor, was man bis­lang ver­mu­ten muß­te: Heid­eg­ger war nicht nur ein Nazi, son­dern gar ein Anti­se­mit. Die Schluß­fol­ge­rung war sim­pel: »Die Juden­feind­schaft in den Schwar­zen Hef­ten ist kein Bei­werk; sie bil­det das Fun­da­ment der phi­lo­so­phi­schen Dia­gno­se … nun hel­fen auch die stil­echt auf­ge­rüsch­ten Fleiß­ar­bei­ten natio­na­ler Selbst­ver­söh­ner nicht mehr, die Heid­eg­ger als spi­ri­tu­el­le Deckungs­re­ser­ve für kapi­ta­lis­ti­sche Sinn­kri­sen ins Schau­fens­ter stel­len.« (Tho­mas Ass­heu­er in Die Zeit)

Jür­gen Kau­be stand die­sem Dik­tum in der FAZ in nichts nach. Er schrieb, daß die Schwar­zen Hef­te »in enor­mer Fül­le das intel­lek­tu­el­le Desas­ter des Phi­lo­so­phen« doku­men­tier­ten: »Wir lesen, wie er Maß­lo­sig­keit in Grö­ße umdeu­tet, Iso­la­ti­on in Vor­aus­sein, Ahnungs­lo­sig­keit in Dar­über­ste­hen und pure Ein­bil­dung­in gedank­li­che Radikalität.«

Bei Kau­be fin­det sich der mit­lei­di­ge Blick des­sen, der Heid­eg­ger nicht mehr ernst neh­men muß. Für Kau­be ist der der Anti­se­mi­tis­mus zwar kein »zen­tra­les und durch­ge­hen­des Motiv von Heid­eg­gers Den­ken«, den­noch sei­en es »Doku­men­te der Nie­der­tracht«, weil Heid­eg­ger kon­sta­tie­re, daß der NS das Ras­se­prin­zip des Juden­tums anwende.

Daß die­se Anwen­dung in den Nürn­ber­ger Geset­zen nie­der­träch­tig war, dar­über gibt es kei­nen Zwei­fel. Dar­über, daß das Juden­tum die zwei­tau­send­jäh­ri­ge Dia­spo­ra als Juden­tum nur über­le­ben konn­te, weil es im Kern auf einem Ras­se­prin­zip fußt, besteht aller­dings eben­falls kein Zweifel.

Daher rührt auch die heu­te so uner­klär­li­che Zustim­mung, die es auf sei­ten der Zio­nis­ten für die Nürn­ber­ger Geset­ze gab. Und es war die­ses Bünd­nis von Zio­nis­ten und Anti­se­mi­ten, das Hans-Joa­chim Schoeps, einen Ver­fech­ter der Assi­mi­la­ti­on der Juden in Deutsch­land, in die Ver­zweif­lung trieb.

Es fragt sich, was an die­ser Fest­stel­lung Heid­eg­gers nie­der­träch­tig sein soll. Über­haupt scheint man an der Anti-Heid­eg­ger-Front über jede Steck­na­del froh zu sein, die der Heu­hau­fen der Gesamt­aus­ga­be her­gibt: Die drei neu­en Bän­de haben ins­ge­samt fast 1 250 Sei­ten. Auf eini­gen weni­gen fin­den sich jene Bemer­kun­gen über Juden und Juden­tum, die den Anlaß zur Skan­da­li­sie­rung boten. Rein quan­ti­ta­tiv dürf­ten die Stel­len zusam­men­ge­nom­men nicht mehr als vier Druck­sei­ten umfas­sen. Wir bewe­gen uns also im Promillebereich.

Das Merk­wür­digs­te an die­ser gan­zen Pos­se ist das Ver­hal­ten des Her­aus­ge­bers Peter Traw­ny, der sei­nen Wis­sens­vor­sprung dazu genutzt hat, die ers­te Deu­tung des Gan­zen zu ver­öf­fent­li­chen (Heid­eg­ger und der Mythos der jüdi­schen Welt­ver­schwö­rung, Frank­furt a. M.: Klos­ter­mann 2014). Das ist an sich nichts Ungewöhnliches.

Frag­wür­dig wird es allein dadurch, daß Traw­ny, der ja den gan­zen Bestand ziem­lich gut ken­nen muß, sei­ne Inter­pre­ta­ti­on auf drei Stel­len beschränkt, in denen die Juden eine Rol­le spie­len. Er hat damit eine fal­sche Fähr­te gelegt, wel­cher die Feuil­le­tons brav gefolgt sind.

Traw­ny hat einen »seins­ge­schicht­li­chen Anti­se­mi­tis­mus« ins Gespräch gebracht, was nicht weni­ger hei­ßen soll, als daß die Juden­be­mer­kun­gen kei­ne in die Zeit­um­stän­de ein­ge­bet­te­ten Mar­gi­na­li­en sei­en, son­dern Heid­eg­gers Werk, das dem Den­ken der Seins­ge­schich­te gewid­met ist, im Kern betref­fen. Dabei gibt sich Traw­ny einer­seits gene­rös, wenn er meint, daß man das Den­ken in Kol­lek­ti­ven bei Heid­eg­ger nicht kri­ti­sie­ren sol­le, weil dies ana­chro­nis­tisch sei. Ande­rer­seits ist Traw­ny offen­bar der Mei­nung, daß es kei­ne Ras­sen gebe, und greift Heid­eg­ger für den Gebrauch die­ses Wor­tes an (obwohl sich die­ser gegen eine Ver­ab­so­lu­tie­rung der Ras­se ausspricht).

Nun mag es sein, daß es heu­te kei­ne Ras­sen mehr geben darf. In Heid­eg­gers Zeit war das eben noch nicht der Fall: Ras­sen­zu­ge­hö­rig­keit war ein Merk­mal des Men­schen, das in kei­ner Anthro­po­lo­gie fehl­te. Aus die­sem völ­li­gen Man­gel an Ein­füh­lungs­ver­mö­gen in die geis­ti­ge Situa­ti­on der drei­ßi­ger und vier­zi­ger Jah­re resul­tie­ren vie­le wei­te­re Miß­deu­tun­gen durch Trawny.

Er ist bei­spiels­wei­se der Mei­nung, daß nur Natio­nal­so­zia­lis­ten die Psy­cho­ana­ly­se als jüdisch bezeich­net hät­ten und Heid­eg­ger eben einer sei, weil er es auch tue. Ein Blick in Egon Frie­dells (ein Jude!) Kul­tur­ge­schich­te der Neu­zeit hät­te genügt, ihn eines Bes­se­ren zu beleh­ren (Psy­cho­ana­ly­se sei eine »Mischung aus Tal­mud und Jung­ge­sel­len­li­te­ra­tur«, heißt es dort unter ande­rem). Aber die Kennt­nis die­ses Klas­si­kers darf man heu­te nicht mehr voraussetzen.

Eben­so mokiert sich Traw­ny dar­über, daß Heid­eg­ger im Zwei­ten Welt­krieg »par­tei­isch« (!) gewe­sen sei, daß er den Juden das Prin­zip »Entor­tung« unter­stel­le (war­um hät­te es, wenn dem nicht so gewe­sen wäre, über­haupt Zio­nis­ten geben sol­len?) und daß er eine Bezie­hung zwi­schen Juden­tum, Ame­ri­ka­nis­mus und Bol­sche­wis­mus sehe (was seit 25 Jah­ren wis­sen­schaft­lich aus­ge­führt ist und auch zuvor nie ernst­haft in Zwei­fel gezo­gen wurde ).

Und bös­ar­tig wird Traw­ny dort, wo er Ausch­witz ins Spiel bringt, indem er Heid­eg­gers For­de­rung nach »Rei­ni­gung des Seins« auf die Ras­sen­ge­set­ze bezieht.

Daß es im Kern gar nicht um die­se Text­stel­len geht, zeigt Lutz Hach­meis­ter in sei­nem Buch Heid­eg­gers Tes­ta­ment. Der Phi­lo­soph, der Spie­gel und die SS (Ber­lin: Pro­py­lä­en 2014), das noch ohne die Kennt­nis der Schwar­zen Hef­te geschrie­ben wurde.

Hach­meis­ter geht es dar­um, eine Art Ver­schwö­rung auf­zu­de­cken, die er an den Umstän­den des berühm­ten Spie­gel-Inter­views von Heid­eg­ger fest­macht. Die­ses Gespräch wur­de 1966 geführt und erschien, das war Heid­eg­gers Bedin­gung, erst nach sei­nem Tod.

Hach­meis­ter macht dar­aus eine Räu­ber­pis­to­le, in der Heid­eg­ger als unver­bes­ser­li­cher Leug­ner der eige­nen Schuld die Spie­gel-Leu­te für sich ein­spannt und so die Deu­tungs­ho­heit über sein Leben behält. Dabei habe er mit dem natio­nal­kon­ser­va­ti­ven Her­aus­ge­ber Rudolf Aug­stein leich­tes Spiel gehabt. Der Clou besteht dar­in, daß Hach­meis­ter den Spie­gel der sech­zi­ger Jah­re als ein Sam­mel­be­cken für ehe­ma­li­ge SS- und SD-Leu­te cha­rak­te­ri­siert (exem­pla­risch per­so­ni­fi­ziert in dem für das Res­sort »Geis­tes­wis­sen­schaf­ten« ver­ant­wort­li­chen Georg Wolff).

Die­se Cli­que habe natur­ge­mäß kei­ne Inter­es­se gehabt, Heid­eg­ger die rich­ti­gen Fra­gen zu stel­len. Unter der Über­schrift »Fami­li­en­ver­hält­nis­se« zeigt Hach­meis­ter, daß sei­ner Ansicht nach die­se Ver­schwö­rung bis in die Gegen­wart rei­che. Nicht nur, daß der Sohn Her­mann Heid­eg­ger die objek­ti­ve Erfor­schung sei­nes Vaters ver­hin­de­re: Des­sen Kon­tak­te zur Jun­gen Frei­heit, zur Sezes­si­on (Beweis: sie­he Inter­view nächs­te Dop­pel­sei­te!) und zum Ver­lag Antai­os (dort erschien Her­mann Heid­eg­gers Gefan­gen­schafts­ta­ge­buch Heim­kehr 47) wer­den als Schüt­zen­hil­fe für das rechts­kon­ser­va­ti­ve Milieu gewertet.

Mit ande­ren Wor­ten: Hach­meis­ter weiß ziem­lich genau, wo Heid­eg­ger phi­lo­so­phisch und poli­tisch ein­zu­ord­nen ist (was man von Traw­ny nicht unbe­dingt behaup­ten kann).

Der Kampf gegen Heid­eg­ger zielt also auf eine ganz ande­re Stel­le. Die Zita­te über Juden sind nur Mit­tel zum Zweck. Es geht um das Ärger­nis Heid­eg­ger, der mit sei­ner Kri­tik der Moder­ne und der Kul­tur (der »Machen­schaft«) über­haupt einen wun­den Punkt getrof­fen hat. Es ist der radi­kal ande­re Blick, der die Geschich­te als einen Ver­falls­pro­zeß inter­pre­tiert und einen neu­en Anfang fordert.

Doch auch hier, wo sich man­cher Revo­lu­tio­när die Hän­de rei­ben könn­te, wird Heid­eg­ger eben gera­de ange­sichts des Natio­nal­so­zia­lis­mus skep­tisch. In den Schwar­zen Hef­ten fin­det sich Ent­schei­den­des zu Heid­eg­gers meta­po­li­ti­schem Den­ken. Die­sen Schatz zu heben ist einem Bei­trag vor­be­hal­ten, der in der nächs­ten Sezes­si­on erschei­nen wird.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik.

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