Wachstumskritik (X): Die Aussteiger

Ellen Kositza hat vor einiger Zeit bereits den Gesellschaftsroman Unterleuten von Juli Zeh empfohlen.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

Das Buch hält sich fünf Mona­te nach Erschei­nen immer noch auf Platz zwei der SPIE­GEL-Best­sel­ler­lis­te, obwohl es trotz reich­lich Zünd­stoff kei­ne poli­ti­sche Debat­te aus­ge­löst hat. Ver­mut­lich haben es vie­le Leu­te auf­grund des bereits län­ger ver­nehm­ba­ren Trends der „Land­lust“ gekauft. Zeh ist ein klu­ger Schach­zug gelun­gen, indem sie die­se Leser­schicht zwar anspricht, im Roman aller­dings deren Sei­fen­bla­sen zersticht.

Unter­leu­ten ist nicht nur irgend­ein fik­ti­ves Dorf in Bran­den­burg, in dem die Bewoh­ner alle ihre Uto­pien ver­lie­ren, durch­dre­hen und sich gegen­sei­tig an die Gur­gel sprin­gen. Juli Zeh hat in ihren Inter­views immer wie­der betont, daß die ein­zel­nen Figu­ren „abso­lut stell­ver­tre­tend für die Gesell­schaft im Gan­zen“ ste­hen. Die „enga­gier­te“ Schrift­stel­le­rin erklärt selbst­ver­ständ­lich auch, was sie damit poli­tisch aus­sa­gen will. Gegen­über der Wie­ner Zei­tung sag­te sie:

Das ist eins mei­ner gro­ßen The­men: die Fra­ge, wie wir post­ideo­lo­gisch und post­re­li­gi­ös noch zuein­an­der hal­ten kön­nen. Ich habe kein schwarz­ge­färb­tes Men­schen­bild, ich glau­be nicht, dass der Mensch nur ein Wolf unter Wöl­fen ist. Ich glau­be aber schon, dass die Sei­te in uns, die empa­thisch, sozi­al, loy­al ist, immer unter Legi­ti­mie­rungs­be­darf steht. Die braucht immer Unter­stüt­zung durch eine Idee, eine Visi­on, eine Geschich­te. Wir sind jetzt in einer Pha­se, in der das alles abge­baut ist und uns die­se Geschich­ten feh­len. Des­we­gen hat das Eigen­in­ter­es­se so unge­heu­ren Stel­len­wert bekom­men und wir drif­ten in eine gro­ße Infan­ti­li­tät ab.

Zeh skiz­ziert in ihrem Roman kei­nen Aus­weg aus die­sem Dilem­ma. Viel­mehr schil­dert sie, wie alle unter dem Ver­lust der gro­ßen Erzäh­lun­gen lei­den­den und auf sehr ver­schie­de­ne Wei­se infan­ti­len Cha­rak­te­re ihre Dorf­ge­mein­schaft und damit die Gesell­schaft selbst zer­stö­ren. Die­se Selbst­zer­stö­rung – so läßt sich dies nur inter­pre­tie­ren – geht auch ohne Ter­ro­ris­mus, Über­frem­dung und staat­li­che Bevor­mun­dung von­stat­ten, weil das, was in den Köp­fen der Men­schen dekon­stru­iert wur­de, sich nun ver­spä­tet im für jeder­mann sicht­ba­ren Zer­bre­chen aller sozi­al sta­bi­len Bezie­hun­gen zeigt.

Die Figu­ren in Unter­leu­ten ver­su­chen dage­gen mit zwei von Vorn­her­ein zum Schei­tern ver­ur­teil­ten Stra­te­gien anzu­kämp­fen. Die „pro­gres­si­ven“ Cha­rak­te­re – allen vor­an Lin­da Fran­zen – ver­fal­len einem Selbst­op­ti­mie­rungs­wahn. Zeh beschreibt die jun­ge Gene­ra­ti­on in Unter­leu­ten als eine, die der „absur­den Vor­stel­lung“ anhängt, „das eige­ne Schick­sal kon­trol­lie­ren zu kön­nen“. An einer Stel­le im Roman heißt es dazu:

Man muss­te nur immer­zu alles rich­tig machen, Stra­te­gien ent­wi­ckeln, kei­ne Feh­ler bege­hen. An sich selbst arbei­ten und über­haupt alles opti­mie­ren, was bei drei nicht auf den Bäu­men war. Einer Frau wie Lin­da kam es dar­auf an, sich an die Spit­ze von Was-auch-immer zu setzen.

Das Pro­blem dabei: Umso mehr die Selbst­op­ti­mie­rung vor­an­ge­trie­ben wird, des­to mehr blei­ben per­sön­li­che Bin­dun­gen auf der Stre­cke. Wer nun aber glaubt, man kön­ne sich die­sem Per­fek­tio­nis­mus ein­fach so ent­zie­hen, aus der Gesell­schaft der Stre­ber aus­stei­gen und danach ein frei­es, selbst­be­stimm­tes Leben füh­ren, den ent­täuscht Zeh. In ihrem Roman miß­lingt sowohl das Stre­ben nach Fort­schritt als auch das Auf­hal­ten des Neu­en, weil die dif­fus kon­ser­va­ti­ven Figu­ren kei­ne Tra­di­tio­nen mehr ken­nen und an Macht­kämp­fen sowie der Dis­po­si­ti­on ihrer eige­nen Per­sön­lich­keit scheitern.

Gera­de der links­kon­ser­va­ti­ve Intel­lek­tu­el­le, Aus­stei­ger und Vogel­schüt­zer Ger­hard Fließ hat in sei­nem Leben anschei­nend nur eins gelernt: zu kri­ti­sie­ren. Im Zwei­fels­fall bekämpft er des­halb das Neue, das er ablehnt, weil dahin­ter wirt­schaft­li­che Inter­es­sen ste­cken und die Umwelt lei­det, genau­so wie das bestehen­de „Sys­tem“, da dies – von links her gedacht – kapi­ta­lis­tisch, hier­ar­chisch und tra­di­tio­nell (d.h. in sei­ner Logik: reak­tio­när) ist. Was bleibt aber dann noch? Eben nur die Uto­pie von der Land­idyl­le, nach der sich jedoch nicht lan­ge leben läßt. Leu­te wie Ger­hard Fließ besit­zen schließ­lich über­haupt nicht die Fähig­kei­ten, um sich auf dem Land zu behaupten.

Die­je­ni­gen, die sie besit­zen, läßt Zeh aller­dings auch an der Selbst­zer­stö­rung der alten dörf­li­chen Tausch­ge­sell­schaft aktiv teil­neh­men. Die Lan­ge­wei­le der Alt­ein­ge­ses­se­nen wecke die „Sehn­sucht nach Skan­da­len und Kata­stro­phen“. Auf­grund der so ver­lo­ren­ge­gan­ge­nen Einig­keit über die Zukunfts­pro­jek­te der Gesell­schaft wer­den alle Vor­ha­ben von allen Sei­ten tor­pe­diert und zer­setzt. Das Dorf Unter­leu­ten besteht – abge­se­hen vom blas­sen Bür­ger­meis­ter – nur noch aus Indi­vi­dua­lis­ten, die sich neben­säch­li­che Kriegs­schau­plät­ze suchen (z.B. den Kampf gegen von oben ver­ord­ne­te Wind­kraft­an­la­gen), um sich anstel­le einer grö­ße­ren Idee zumin­dest für irgend­et­was lei­den­schaft­lich ein­set­zen zu können.

Die Aus­stei­ger zäh­len eben­falls zu die­sen Indi­vi­dua­lis­ten, die auf dem Land eben nur irgend­ein uto­pi­sches Pro­jekt ver­fol­gen, im tiefs­ten Inne­ren aber „Men­schen ohne Erin­ne­rung“ sind. Wür­den Jour­na­lis­ten, die mit Juli Zeh spre­chen dür­fen, klu­ge Fra­gen stel­len, wür­den sie genau hier nach­ha­ken. Zeh behan­delt in ihrem Roman eini­ge Alt­las­ten des Dorfs. Über­tra­gen auf unse­re Gesell­schaft kann sie damit nur den Schuld­kult mei­nen, der es unmög­lich macht, aus der Erin­ne­rung her­aus eine Erzäh­lung vor­zu­tra­gen, die es dem Volk ermög­licht, eige­ne Tra­di­tio­nen unver­krampft fort­zu­ent­wi­ckeln und sich auf neue, gemein­sa­me Pro­jek­te zu eini­gen, oder?

Statt bei die­ser Fra­ge im Roman oder den Inter­views in die Tie­fe zu gehen, biegt Zeh aber vor­her ele­gant ab und erklärt die Selbst­zer­stö­rung der Gesell­schaft mit der „Abwe­sen­heit jeg­li­cher Moral“ und dem Feh­len von Wer­ten. Als Lösung schlägt sie allen Erns­tes vor, die „gesam­te Gesell­schaft in einen Wer­te­kurs“ zu ste­cken. Haben wir also ledig­lich die west­li­chen, uni­ver­sa­lis­ti­schen Wer­te noch nicht häu­fig genug wie­der­holt und sind des­halb Deutsch­land und Euro­pa in eine Iden­ti­täts­kri­se geraten?

Die Ant­wort dar­auf ergibt sich von selbst. Juli Zeh ist in all ihren Roma­nen und Essays unfä­hig, posi­ti­ve, sinn­stif­ten­de und nega­ti­ve, sinn­zer­stö­ren­de Tra­di­tio­nen zu erken­nen. Sie ist nur in der Lage, Kri­tik zu üben. In ihrem Roman Spiel­trieb (2004) hat sie das Wesen der Macht auf indi­vi­du­el­ler Ebe­ne aus­ein­an­der­ge­nom­men. In Cor­pus Delic­ti (2009), wo sie eine ent­ste­hen­de Gesund­heits­dik­ta­tur schil­dert, beschreibt sie hin­ge­gen sehr schön, wie ein Staat den Selbst­op­ti­mie­rungs­wahn der Gegen­wart durch Bevor­mun­dung auf die Spit­ze trei­ben kann. In Unter­leu­ten fin­den die­se bei­den The­men nun zusam­men, wes­halb es durch­aus berech­tigt ist, die­ses Buch ihren bis­her wich­tigs­ten und bes­ten Roman zu nennen.

Die Qua­li­tät ihrer Roma­ne lei­det nicht dar­un­ter, daß Zeh nur Kri­tik üben kann. Auch ihrer Gesell­schafts­kri­tik (Fle­xi­bi­li­täts­hype, staat­li­che Über­wa­chung, …) kann man in wei­ten Tei­len zustim­men, aber wo ist die Alter­na­ti­ve für das Leben der ein­fa­chen Men­schen da drau­ßen? Zeh sträubt sich gegen zwei wich­ti­ge Ein­sich­ten, ohne die man heu­te nicht vor­an­kommt, wenn man etwas ver­än­dern will. Ers­tens: Ohne eine gro­ße Erzäh­lung funk­tio­nie­ren Gesell­schaf­ten im rein tech­ni­schen Sin­ne viel­leicht noch eini­ge Jahr­zehn­te oder sogar ein bis zwei Jahr­hun­der­te. Lang­fris­tig müs­sen sie aller­dings zer­fal­len. Zwei­tens: Auch wenn wir dabei immer wie­der auf die Nase fal­len, muß wei­ter „aus­ge­stie­gen“ wer­den – und zwar nicht nur aus dem Stadt­le­ben, son­dern eben­so aus allem, was die tota­li­tä­re Moder­ne so uner­träg­lich macht: der Ver­mas­sung, der Ver­dum­mung, der Ver­ein­sa­mung, der tech­ni­schen Per­fek­tio­nie­rung (das heißt nicht gleich, daß Sie alle ihre Smart­phones und Com­pu­ter weg­schmei­ßen müs­sen), der Entortung, …

Zeh hat mit ihrer Kri­tik an den Aus­stei­gern, zu denen sie ja para­do­xer­wei­se selbst zählt, nur inso­fern recht, als die­se sich immer sehr bewußt dar­über sein soll­ten, wie müh­sam und beschwer­lich der bevor­ste­hen­de Weg ist. Es war­tet dabei kei­ne schnel­le Idyl­le auf uns. Der Aus­stieg ist viel­mehr ein lang­sa­mes Abtas­ten der eige­nen Umwelt, um auf Tra­di­tio­nen zu sto­ßen, für deren Bewah­rung und prak­ti­sche Anwen­dung wir eini­ge längst ver­ges­se­ne Kul­tur­tech­ni­ken neu erler­nen müssen.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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Kommentare (46)

Alexander Heumann

4. August 2016 11:48

"Ohne eine große Erzählung funktionieren Gesellschaften im rein technischen Sinne vielleicht noch einige Jahrzehnte oder sogar ein bis zwei Jahrhunderte. Langfristig müssen sie allerdings zerfallen."

Dostojewski sagte sinngemäß: Der Westen hat Jesus Christus verloren; nur daran wird er zugrunde gehen. Dies ist die "große Erzählung", an die Europa wieder anknüpfen muss, wenn es eine Zukunft haben will. Vorher müssen allerdings die glaubens- und volksverräterischen Pharisäer aus den Kirchen und Tempeln vertrieben werden. Jesus hätte es nicht anders gemacht.

Rheinländer

4. August 2016 12:40

@ Alexander Heumann:

Diese "große Erzählung" muß aber vorher erneuert werden.

Wie heute in den Kirchen der Glaube verkündet wird, ist eine Katastrophe. Zudem sind Zeitgeist und Medien überwiegend antichristlich eingestellt bzw. zielen auf einen "Glauben" ab, der sich nur noch als humanitär und säkular versteht.

Tatsächlich glaube ich, daß eine Wende, mit den bestehenden Amtskirchen, kollektiv nicht mehr möglich sein wird. Sie ist wohl eher kleinen Gruppen vorbehalten, die dann zur passenden Gelegenheit in Erscheinung treten werden.

Sascha

4. August 2016 13:05

"Kritik an den Aussteigern, zu denen sie ja paradoxerweise selbst zählt"

Warum paradoxerweise? Gute Literatur sollte sich dadurch unterscheiden, dass sie auch das eigene Lager von der Kritik nicht verschont.

Hartwig aus LG8

4. August 2016 15:00

Die Ursache für eine Vielzahl von Problemen, mithin des ganzen Verhängnisses unserer Epoche, könnte man lakonisch mit einem Wort beschreiben: Freizeit.

fenek

4. August 2016 15:45

Das Problem bei einem sich schnell drehenden Hamsterrad ist, daß man nicht schrittweise aussteigen kann, ohne sich zu überschlagen. Auch die Angst vor der Geschwindigkeit verleiht Stabilität, jedenfalls bis zum Zusammenbruch. Nach 200 Jahren industrieller Revolution und gut 60 Jahren intensivster Zurichtung zur Arbeits- und mehr noch Konsummonade, die durch alle Poren der Massengesellschaft gedrungen ist, ist das Verlassen der Städte das Minimum, das für einen Neuanfang notwendig ist. Henri Bergson, Oswald Spengler und viele andere, haben das früh gesehen.

Winston Smith 78699

4. August 2016 15:47

Künstler gefunden. Hier noch ein umwerfendes Foto. Die Schrift scheint geklebt, nicht gesprüht:

https://www.nikolamihov.com/wp-content/uploads/2013/11/forget_your_past_25.jpg

Stil-Blüte

4. August 2016 15:58

Geschichte/n erzählen:

Es war einmal ein Mann.
Der hatte sieben Söhne.
Die sieben Söhne sprachen: "Vater, erzähl' uns mal eine Geschichte."
Da fing der Vater an: "Es war einmal ein Mann. Der hatte sieben Söhne. Die sieben Söhne sprachen: "...

@ Alexander Heumann

Ja,

an die große Erzählung

anknüpfen. Über 2000 Jahre wurde immerfort diese große und großartige Erzählung von Jesus Christus überliefert. Wenn das so lange gelungen ist, warum sollte es uns nicht gelingen an Erzählungen der Weltliteratur 'anzuknüpfen', die nicht so weit zurückliegen? Nichts gegen neue Erzählungen, sofern sie welche sind. Hat die deutsche Klassik nicht Jahrhunderte übersprungen und an der Antike angeknüpft?

Aber in unseren Bücherschränken lagern so viele wunderbare verstaubte Schätze, die man wieder heben könnte. Wenn heutzutage die Bretter, die die Welt bedeuten, nurmehr überlieferte große Kunstwerke bis zur Unkenntlichkeit nur verstümmelt, verkrüppelt darbieten, ist es an der Zeit, die Werke der alten Meister unverbraucht sprechen zu lassen. Neuauflagen, Neubesprechungen der Überlieferungen in zwei Buchdeckeln.

Ich beginne mal:
Knut Hamsun 'Victoria'
Johannes Bobrowski ' Lewins Mühle'
Gerhard Meier 'Das dunkle Fest des Lebens'.

Schön wäre es, wenn es hier solch eine Reihe gäbe (mit Kinderbüchern gab's das doch schon mal!)

Winston Smith 78699

4. August 2016 17:13

Vergessen, Utopie und Gitarre

Von diesem Foto aus will ich die Kurve ohne Orwell, Samjatin oder Koestler zu Felix Menzels grandiosem Essay kriegen.

Das Heiligtum der bulgarischen Partei auf dem Buzludzha-Gipfel bei Sofia ist an Futurismus nur mit den Werken Oscar Niemeyers zu vergleichen, der ja mit Brasilia auch eine neue Welt inmitten einer (imaginiert gänzlich wüsten und leeren) Unwelt oder Urwelt entstehen ließ, Schöpfergott spielen durfte. Durch den utopischen Schöpferakt selbst wird per anfänglichem "logos", also jener gemäß Spinoza, Hegel und Spencer-Brown dem Denkakt grundsätzlich entsprechenden Unterscheidung (Differenz-Setzung), das "Andere" auch erst erschaffen und gleich zur wüsten Vorwelt erklärt.

Irgendjemand (Nikola Mihov) hat riesig und rot "Forget your Past" über den Eingang des BKP-Gebäudes gesetzt - und dies nicht als Übersetzung eines der quasi in Stein gemeißelten kommunistischen Gebete, sondern als eigenständigen Kommentar. Im Gegensatz zum Eintritt in Dantes Unterwelt lasse man hier nicht alle Hoffnung fahren, sondern noch fundamentaler: die ganze Identität. Hiermit benennt der Schreiber grandios jene Hybris der Auslöschung des Menschlichen als wesentlichen Teil der kommunistischen Selbstvergötzung des Menschen:

https://www.nikolamihov.com/wp-content/uploads/2013/11/forget_your_past_25.jpg

Nun muß das Vergessen nicht erzwungen sein, sondern kann auch willentlich aufgesucht werden, etwa um, wie wiederholt in den Büchern Milan Kunderas ("Leichtigkeit", "Lachen und Vergessen") eindrucksvoll gezeigt, durch Lethetrank mit dem Schrecken einer von den neuen Menschengöttern realisierten Utopie zurechtzukommen: die von der diktierten Freude Überforderten und von den Traktoren der Zukunft Niedergewalzten schleichen heimlich, innerlich in den brasilianischen Urwald zurück - in die deutsche Provinz zu den dort bereits hausenden enttäuschten Revoluzzeren, deren allmähliche Eskapie thematisch in den Kursbüchern der 70er nachvollziehbar ist.

Auch Kunderas US-amerkanisches Gegenstück, Paul Auster, feiert übrigens diese Betäubung durch das Nichts, in der Dystopie "Im Land der letzten Dinge" ebenso wie mehrfach in "Stadt aus Glas", wo er in einer Geschichte sogar dem Archetypus des durch NEW York (= Babylon, Metropolis) wandernden ewigen Juden jenes Vergessen zu gönnen scheint, welches ihm Sidney Lumet in "The Pawnbroker" noch verwehrt hatte, als er ihn noch im Limbus eines "spirituellen Todes" (als Ersatz für den realen im Lager und somit als persönliches Sühneofer fürs empfunden unverdiente eigene Überleben) gefangen hielt.

Menschen suchen die Utopie auf, um vergessen zu dürfen, auch um wiederum der Utopie zu entkommen:

Das Dorf Unterleuten besteht [...] nur noch aus Individualisten, die sich nebensächliche Kriegsschauplätze suchen (z.B. den Kampf gegen von oben verordnete Windkraftanlagen), um sich anstelle einer größeren Idee [kollektiven Utopie; Anm. W.S.] zumindest für irgendetwas leidenschaftlich einsetzen zu können. [/] Die Aussteiger zählen ebenfalls zu diesen Individualisten, die auf dem Land eben nur irgendein [individuell; Anm. W.S.] utopisches Projekt verfolgen, im tiefsten Inneren aber „Menschen ohne Erinnerung“ sind.

Streicht man etwa an einem Musikinstrument alles Traditionelle weg - eine für Instrumentenbauer immer wieder löbliche Übung -, bleibt dann reine Funktionalität oder eine befreit futuristische Formgebung, oder stellt man mit der Zeit dann immer wieder fest, dass in den Traditionen mehr unausgesprochene Sinnhaftigkeit steckt, als man vorher ahnte? Ist die Natur, auch die des Menschen und die der dinglichen Schöpfung, doch immer wieder größer als der Verstand?

Daher sind die keine Demut kennenden, kollektiven und individuellen Utopien, auch wenn zur vorübergehenden Verdrängung eigener, noch nicht lösbarer Konflikte gebraucht, ja nicht grundsätzlich verkehrt und verdammenswert, aber vielleicht eher verzweifeltes Mittel als gnadenloser Zweck an sich, was uns versöhnlich mit jenen Verdrängern vor den Windrädern stimmen darf und sie auch wieder ins Boot holen läßt: sie sind wirklich Wiedergänger des Don Quixote, der ja auch erst gänzlich austickte, als man ihm seine Vergangenheit geraubt hatte (seine romantische Bibliothek vermauert) und ihn zur Utopie erst gezwungen durch die brutale Behauptung, es habe diese Bibliothek gar nie gegeben (so interpretiere ich übeziehend das Märchen vom Zauberer, der sie geklaut habe).

Klaus-Dieter Homburg

4. August 2016 17:35

Vor 20 Jahren habe ich einmal bei einem Windkraftpionier in Sachsen das Büro leiten dürfen. Der Mann, ein ehemaliger Grüner Bundestagsabgeordneter, von der Natur her ein Anarchist mit familiären Altlasten (Vater bei der SS) brachte es fertig, die ersten Windkraftanlagen in Sachsen zu errichten. Das war ein wirkliches Abenteuer. Freihändig aus dem Handgelenk, als bunter Vogel und als einer der Innovation bringt, zog er die Gemeinden und die Genehmigungsbehörden auf seine Seite. Das war nach drei Jahren ausgereizt. Mittlerweile hatten sich die Verfahren und die Konkurrenz professionalisiert und er konnte seine Stellung nicht mehr halten. Mir ist damals sofort die Idee gekommen, dass eigentlich jede Gemeinde maßgeblich von den Erträgen profitieren sollte, d.h. als die eigentlichen Betroffenen sollten die Einwohner -nicht nur die Eigentümer der Grundstücke- einen Hauptteil an den Erträgen bekommen. Das kann natürlich die Gemeinde tun indem sie selbst als Betreiber der Anlagen die Gründung einer Genossenschaft aller Anwohner fördert. Generell ist im Verwaltungsrecht die wirtschaftliche Tätigkeit von Kommunen nur sehr schwierig durchzuführen über Umwege aber möglich.

Denn das Hauptproblem ist tatsächlich:
Windkraftanlagen aufgestellt in der ostdeutschen Provinz sind die Geldmaschinen des linksliberalen Globalisierungsgewinner der meist in den Städten sitzt und nichts mit dem Land zu tun hat. Der Grundkonflikt ist im Roman schon angedeutet aber nicht deutlich herausgearbeitet.

Stattdessen viel Gedöns und das Ausbreiten von Befindlichkeiten.
Außerdem ist mir aufgefallen, dass der Staatssozialismus der DDR sehr schlecht wegkommt und die Verhältnisse in der DDR (z.B. LPG-Gründung)
klischeehaft und oberflächlig dargestellt werden.

Insgesamt eine eher überbewertetes Buch.

eulenfurz

4. August 2016 18:38

Zeh hat mit ihrer Kritik an den Aussteigern, zu denen sie ja paradoxerweise selbst zählt ...

@Sascha, eben dies wollte ich auch monieren: Niemand kann eine Sache besser kritisieren, als jener, der sie in allen Fasern durchlebt.

... längst vergessene Kulturtechniken neu erlernen ...

Mit dem Erlernen lernen wir auch wieder zu leben: Möglichst viele Dinge selbst und selbstverantwortlich machen, von der Ernährung über den Gelderwerb, Musik, Unterhaltung und Sport (Glotze und anderen Unterhaltungskonsum streichen, das Zombiedasein ausschalten - rein in das Leben!), soziale Kontakte schaffen (sich gegenseitig helfen und mehr geben als nehmen), bewußt Bindungen eingehen und diese zu erhalten lernen (auch hier persönlich zurückstecken), dem Nanny-Staat selbstbewußt entgegentreten, aber für die Heimat einstehen ... Stolz und Demut aneignen, Selbstbewußtsein, Erhabenheit, sich seines Platzes in dieser Welt bewußt werden ...

Sunson

4. August 2016 19:45

Der innerste Kern einer echten Gemeinschaft muß spiritueller Natur sein, muß über eine absolut stimmige Metaphysik und von dieser abgeleitete Symbolik und Ritualistik verfügen.
Um eine solche zu stiften, braucht es einen vollständig Verwirklichten, einen Erleuchteten.
Damit es einen solchen gibt, muß die Not, der Notschrei der Seele, wohl noch viel größer beziehungsweise lauter werden, als dies derzeit der Fall ist.
Das wird aber kommen, so oder so.
Um diesen neuen spirituellen Kern herum kann und werden sich die Sphären der neuen Kultur, Metapolitik, Politik und Wirtschaft konzentrisch ordnen.
Ohne diesen Kern wird bis dahin alles Versuch und unzulängliches Stückwerk bleiben. Notwendig und unumgänglich, aber nicht ausreichend zielführend.
Wer nach all den Jahrhunderten des Cartesianismus immer noch rationalistische und materialistische "Lösungen" sucht, für Probleme, die die Rationalismus und Materialismus überhaupt erst verursacht haben, kann nur scheitern. Es geht ihm definitiv auch noch viel zu gut, als das er die Tiefendimension des Seins und damit auch die Komplexität der Probleme der Neuzeit überhaupt erst erkannt hätte.
Ein solches Erkennen erfolgt nur aus der dunkelsten Nacht der Seele. Dorthin muß man erst gelangen, diese muß man durchschreiten, die Nachtmeerfahrt wagen, den untersten Höllenkreis durchqueren.

niekisch

4. August 2016 20:45

"die glaubens- und volksverräterischen Pharisäer aus den Kirchen und Tempeln"

Das, verehrter Herr Heumann, hat nicht einmal der Nationalsozialismus geschafft. Im Krieg standen in vielen Kirchen - die Polizei hatte keinen Zutritt - Funkgeräte, um landesverräterische Meldungen an den Feind weiterzuleiten.

Winston Smith 78699

4. August 2016 23:33

@ Rheinländer @ Alexander Heumann @ Stil-Blüte

" die große Erzählung"

Eigentlich wollte ich gerade empfehlen, den Kindern oder unter Erwachsenen die Heimatsagen zu erzählen oder einfach vorzulesen - die tiefer deutenden Gedanken dazu und somit eine mächtige Aufwertung kommen dann von selbst.
Aber nun möchte ich fragen: sind wir als Volk oder gar Völkerschar und Kulturraum nicht geradeeben jetzt an einer solchen Schwelle, die neue Mythen gebiert: nahe an der Ausrottung, bangend und hoffend, nach Lösungen grübelnd ... und mit der Katastrophenlage viel zu beschäftigt, um auf Vor-Altes zurückzukommen. Geschichte macht eben Geschichten. Die jetzige Lage ist aber noch immer Teil der mythenerzeugenden Katastrophen der letzten ca. hundert Jahre. Um diese kommt keine ältere Erzählung herum - alles wird an diesen Prismen gebrochen und darf erst danach existieren - hier hilft kein Wünschen nach Anderem. Genau deshalb will (nach Ableben der Zeugen) der Schuldkult wohl ebendiese Katastrophen vereinnamen, konzentriert sich gänzlich auf sie. Aber die jetzige Lage ist auch im Begriff, die lückenlose Vereinnahmung ad absurdum zu führen, umso mehr vielleicht, je mehr die Medien uns das Gegenteil vormachen. Diese Entschuldung selbst könnte Teil des neuen Mythos werden, der die alten "schuldigen" Erzählungen eben nicht wiederholen braucht. Dafür scheint die Lage zwar hoffnungslos, aber umso emotional begründeter und befreiender kann dann ein Mythos auch entstehen und dann umso mächtiger werden. Alle Actionfilme spielen genau dies gegen Ende wieder und wieder durch, also muß es irgendwie in der Dramentheorie vorkommen: die hoffnungslose Lage, die Katharsis. Vielleicht sollte man momentan dieses Moment geradezu übertreiben, wie eine umgekehrte Psychologie? (dies hab ich jetzt bitte nur ganz leise vorgeschlagen)

Blauauge

5. August 2016 00:06

@ Sunson

Wer will (muß, darf, soll) denn entscheiden über die "absolut stimmige Metaphysik", die es fortan zu leben gilt? Und der Ruf nach einem "vollständig Verwirklichten, einem Erleuchteten", mithin nach einer spirituellen Führerpersönlichkeit, die dann wieder Kreise um sich schart, all' das führt doch nur wieder zu künstlichen Hackordnungen, zu Abhängigkeiten.

"Sei Dein eigenes Licht" empfiehlt das Dhammapada. Man war vor zweieinhalbtausend Jahren schon weiter...

Kaliyuga

5. August 2016 01:13

Die „Landlust“ trägt nicht weit. „Lust“ als das, was heute reichlich spießig darunter verstanden wird, war dem Menschen in bäuerlichen Gegenden Süddeutschlands noch bis in die Siebziger fremd. Es gab Höfe, die wurden zwar ans Stromnetz gelegt, hatten aber kaum Verbrauch an elektrischer oder auch „raffinierter“ Energie. Gemolken wurde per Hand, gemäht zum Teil noch mit Sense. Leben mit dem Lauf des Lichts, und in der Nacht dem Mond und den Sternen ihre Fahrt gelassen. Wenig Rede, beim Essen gar nicht. Vor demselben im Stehen und laut gesprochen ein Tischgebet.

„Lustig“ war’s aber doch und gerade auf dieser Grundlage: Beim Kartenspiel, beim Singen und Tanzen in der Stube, beim Fußball barfuß auf der frisch gemähten Wiese. Das alles nach dem Kirchgang, der wie natürlich gelang und erhob, weil der Priester redlichen Wandel hatte und sich am „oben“ statt an der Welt ausrichtete und ihr prostituierte. Wie lachten auch die Frauen leuchtenden Auges und gebaren, ohne den Stachel, den ihnen die Mär von der „Emanzipation“ schon wenig später setzen sollte. Der Fernseher hielt Einzug, das Singen ebbte langsam ab.

Vierzig Jahre später: Die meisten Höfe sind fast verlassen, die Alten gestorben, die Jungen studiert und in die Welt zerstreut. Scheidungen selbst bei denen, wo man es nie vermutet hätte. Die Bäume am Dorfrand gefällt, Bauland ausgewiesen und von „Landlust“ suchenden grußlosen Städtern aufgekauft. Den pulsierenden Glauben an das Kreuz und die Auferstehung des Christus hat die renditestarke „Solarenergienutzung“ ersetzt, mit der aktiv und aggressiv das „Klima" just von denen "geschützt“ wird, die jährlich nicht aus Not, sondern aus purer Lust bequem in Boeings sitzend den Globus tingeln und die Atmosphärenchemie mit Flugzeugabgasen belasten. Freunde eines Toten „gestalten“ nun eine Begräbnisfeier, nicht mehr der Priester. In Sichtweite der Wald, in dem Windturbinen, 180 Meter zum Himmel ragend, errichtet werden sollten. Das Projekt der „grünen“ Großstadtfirma hat das Dorf gespalten. Überraschend versandete es, weil ein Bürgermeister der Nachbargemeinde doch um künftige Wählerstimmen fürchtete. Erste Neger und Vorderasiaten im Dorf, „die grüßen so nett“ sagt eine alte Frau, deren feministische Tochter den "Flüchtlingen" Deutsch beibringt.

Nero

5. August 2016 01:47

Hmmm... ich muss bei den Ausführungen von Juli Zeh unweigerlich an das Spengler'sche Fellachentum denken.

@ Eulenfurz

Ja, viele Dinge sind schlecht für uns und wir sollten sie ersatzlos streichen.
Dann werden wir auch wieder mehr Zeit für uns haben.
Aber dahin will ich nicht zurück (auch wenn es mich beeindruckt):
https://www.youtube.com/watch?v=P73REgj-3UE

neugierig

5. August 2016 07:50

@niekisch

Im Krieg standen in vielen Kirchen – die Polizei hatte keinen Zutritt – Funkgeräte, um landesverräterische Meldungen an den Feind weiterzuleiten.

Interessant wenn auch etwas unglaubwürdig. Hätte die Staatsmacht sich so etwas tatsächlich gefallen lassen? Können Sie Quellen zu Ihrer Aussage nennen?

Sunson

5. August 2016 09:54

@Blauauge

Die spirituellen Wegweiser der Menschheit wurden immer erkannt, ihr Wesen lässt keinen Zweifel zu, bei den Menschen, die nach Wegweisung suchen.
Das Ziel besteht natürlich darin, selbst eins mit Dem Licht zu werden.
Wie das geht und wie das nicht geht, darüber brauchen die Sucher jedoch klare Aufklärung.
Diese gaben die spirituellen Meister der Menschheit, jeweils zu gegebener Zeit und in geeigneter Form für den jeweiligen Kulturraum.
"Was war, wird wieder sein!"

ene

5. August 2016 12:37

Kaliyuga

Wie lachten auch die Frauen leuchtenden Auges und gebaren

Vor der Verkitschung der Vergangenheit sollte man sich aber jedenfalls hüten. Nicht immer war das Landleben so sittig: Gewalttätigkeit, oft unter Alkoholeinfluß, prügende Väter, vor denen sich die Kinder versteckten, Frauen, die ihre Schwangerschaften weinenden Auges "begrüßten", Mißbrauch innerhalb der Familie, nicht ganz so redliche Pfarrer, die in den umliegenden Dörfern diverse Kinder hatten ... Erzählungen in vielen Familien. Die naturalistische Literatur bietet auch reichlich Material für ein etwas realistischeres Bild.

niekisch

5. August 2016 19:12

"Interessant, wenn auch etwas unglaubwürdig. Hätte die Staatsmacht sich so etwas tatsächlich gefallen lassen? Können Sie Quellen zu Ihrer Aussage nennen?"

@neugierig: Zum ersten Mal erfuhr ich vom Funken aus Kirchen für den Feind durch meine Mutter, die 1943 als junge Krankenschwester die Terrorluftangriffe "Gomorrha" in Hamburg überlebt hatte und nach Kleve zurückgekehrt war. Dort schilderte sie in der Christ - König - Kirche dem Priester die Grausamkeit dieses Luftholocaust, der dann eine unbedachte Äußerung machte und darauf verwies, das alles sei Hitlers Schuld. Ein Wort wechselte das andere, der Priester steigerte sich in Rage und ließ verlauten, er räche sich an Hitler, indem er ihm schade. Auf ihre hart- näckige Rückfrage - sie war sein Kommunionkind gewesen - das mache er über den Äther. Da war alles klar. Sie meldete den Vorgang nicht.

Bei wikipedia werden Sie diese Dinge nicht finden. Da müssen Sie schon Hans W. Hagen: die geheime Front, Bücher über die Rote Kapelle, Werke von Juan Maler lesen.

Der Verrat reichte von ganz unten bis ganz oben.

Monika

5. August 2016 19:46

Menschen auf dem Land habe ich viel weniger egozentrisch erlebt, gemeinschaftsorientierter und auch viel toleranter. Deshalb ziehen besonders viele Exzentriker aufs Land - so exotische Menschen, von denen man immer eher glaubte, die trifft man mitten in Berlin, London oder New York. Meine Erfahrung ist: Die leben in der tiefsten Provinz, weil die Städte eine ziemlich gleichgeschaltete Angelegenheit geworden sind.

Juli Zeh in einem Interview in dem Magazin "Deutsch Perfekt" .
Dort lernt man Deutsch als Fremdsprache. Und die August-Ausgabe widmet sich der deutschen Provinz:
https://bestellung.spotlight-verlag.de/aktion/toolbox/node/117/97
Die zwei Mädels auf der Titelseite könnten glatt in Schnellroda wohnen, deren Mutter intellektuell in New York.

Die Zielgruppe dieses Magazins möchte allerdings nicht in der Provinz wohnen:
https://www.unzensuriert.at/content/0021415-Afghanischen-Asylwerbern-ist-das-idyllische-Tiroler-Tannheimer-Tal-zu-wenig

Kein Sinn der Neubürger für Romantik und Exzentrik. Keine Aussteiger, sondern Einsteiger.
Woran das liegt ?

Der Ausgangspunkt des Islam ist also ein prosperierendes städtisches Zentrum; der Islam ist keine Religion der Wüste, sondern eine Religion der Städte; auch seine späteren Ausprägungen hat er immer in den Städten gefunden.

Heinz Halm, Der Islam

Monika

5. August 2016 19:48

Korrektur des links:
https://bestellung.spotlight-verlag.de/aktion/toolbox/node/117/97

Meier Pirmin

5. August 2016 20:45

@Niekisch. Selbst wenn es nicht ausgeschlossen sein mag, dass mal über eine Sakristei Spionagefunk betrieben wurde, was angesichts der Vorsicht der Kirche wenig wahrscheinlich ist und gewiss nicht die Regel war, scheint Ihre Verallgemeinerung durchgeknallt. Wenn man denkt, dass Richter Roland Freisler selbst einen Beichtvater festnehmen liess, mit dem einer der Männer des 20. Juli seine Gewissensprobleme im Zusammenhang mit dem dilettantischen Putsch und Attentat erörterte. Der Beichtvater hätte nach Roland Freislers Auffassung das Beichtgeheimnis brechen müssen! Wenn es darauf ankam, wurde ohne Rücksicht auf das Konkordat durchaus auch gegen katholische Insitutionen und Personen zugeschlagen.

Fischi

5. August 2016 20:54

Gruselig!

Immer wieder dieser romantische Mist.

Wachstum ist unser Schicksal. Die aufstrebenden Völker wie die Chinesen wissen das noch .
Wachstumskritik ist nichts anderes als das Symptom einer alternden, müden Gesellschaft.

Und ausgerechnet Oswald Spengler kann man bestimmt nicht als Kronzeugen der Wachstumsskepsis anführen. Er hätte von uns Deutschen gefordert, dieses Schicksal anzunehmen und eine Führungsrolle anzustreben.

Die Linken sind die irrationalen Traumtänzer, nicht wir.

Vorwärts!

niekisch

5. August 2016 21:38

@ Meier Pirmin:

Kann eine Verallgemeinerung durchgeknallt sein? Oder doch eher ein Mensch? Egal, schließlich habe ich ja nicht behauptet, daß a l l e von zig - zehntausenden Kirchen im Reich mit Funkgeräten ausgestattet waren, sondern viele, d.h. aus meiner Sicht mehr als 100. Ich habe die Information auch von einem Nachbarn, ehemals hoher Mitarbeiter der Abwehr, der mir sogar berichtet hat, daß aus der deutschen Botschaft in der Türkei gefunkt wurde.

Wurde der Beichtvater in einer Kirche festgenommen? Wohl kaum, denn tatsächlich durften weder die gewöhnliche noch die geheime Staatspolizei Gebetsräumlichkeiten betreten, um zu ermitteln. Und was Roland Freisler angeht, so wurde er meines Wissens zur Strafe Anfang Februar 1945 im Volksgerichtshof durch einen brennenden Balken erschlagen.

Eine eingermaßen authentische Geschichte dieser Zeit ist noch immer nicht geschrieben.

Waldgänger aus Schwaben

5. August 2016 23:40

@Kaliyuga
Ihre Schilderung treibt mir fast die Tränen in die Augen.
Es gab wohl kaum eine Epoche, die glücklicher war, als die Nachkriegsjahre von 1955 - 1975 im Westen Deutschlands.
Aber das Paradies ist verloren. Wir wurden nicht vertrieben. Wir haben es freiwillig verlassen.
Und doch es gibt keinen Weg zurück. Der hier besprochene Roman von Juli Zeh stellt dies wohl dar.

Aber das ist kein Grund jenen nach zu rennen, die meinen den Weg nach vorne zu kennen. Warum sollen gerade jene, die uns aus dem Paradies lockten, den Weg zum Gelobten Land kennen.

Die Epoche, in der wir leben, hat uns keinen geistigen Sohn geboren außer dem Zweifel. Und doch ist es unser Sohn, einen anderen haben wir nicht. Kein anderer wird unser Erbe sein.

Gustav

6. August 2016 13:56

@ Fischi

"Wachstum ist unser Schicksal."

»Ausdehnung ist alles« - Oswald Spengler hat diesen Satz zum Axiom der zivilisatorischen Epochen erklärt: »Expansion ist ein Verhängnis, etwas Dämonisches und Ungeheures, das den späten Menschen des Weltstadiums packt, in seinen Dienst zwingt und verbraucht ....«“

„Ich sehe keinen Fortschritt, kein Ziel, keinen Weg der Menschheit, außer in den Köpfen abendländischer Fortschrittsphilister“

"Immer wieder dieser romantische Mist."

„Die moderne Welt ist so kaputt, daß man keine Angst zu haben braucht, daß sie nicht untergeht.“

„Der Moderne nennt »Wandel« das immer schnellere Marschieren auf dem gleichen Weg in die gleiche Richtung. .... Der bloße Vorschlag zu einem wirklichen Wandel empört und erschreckt den Modernen.“

„Das Ideal des Reaktionärs ist keine paradiesische Gesellschaft. Es ist die Gesellschaft der Friedenszeiten in Alteuropa - vor der demographischen, industriellen und demokratischen Katastrophe.“

Nicolás Gómez Dávila

Heiko Sprang

6. August 2016 15:08

Also, ich finde "Unterleuten" ein großartiges Buch; spannend von der ersten bis zur letzten Zeile, flüssig im Duktus, prägnante Charaktere. Eine Rolle spielt vielleicht auch, daß ich selber auf dem Dorf wohne und mir auch ein bestimmtes wohlbekanntes Dorf zwischen Nauen und Neuruppin mir beim Lesen ständig vor Augen stand.
Von einer Schriftstellerin sollte man vielleicht "Die große Erzählung", jetzt auch nicht unbedingt erwarten.

Winston Smith 78699

6. August 2016 15:38

@ Waldgänger aus Schwaben @ Kaliyuga @ Fischi

Waldgänger:

Aber das ist kein Grund jenen nach zu rennen, die meinen den Weg nach vorne zu kennen.

Aber Fischi:

Vorwärts!

Nicht nachrennen, aber auch nicht stehenbleiben und nur zurückschauen in eine vermeintlich paradeisische Wunderzeit, deren geschönte Erzählung ohne Erwähnung der durch den Millionentod der Jahrzehnte vorher gerissenen Lücken, des Leids und der unsagbaren Trauer eine Verdrängung ohne Versöhnung bleiben muß. Alles soll jetzt auf den Tisch, es ist die letzte Chance.
In der Welt haben wir Angst? Aber ja, genau das ist doch das Wesen des unheimlichen, düsteren Moores, das die Ahnen so gut kannten. Selbst erste tastende Schritte ins Ungewisse gehen, am gefährlichen Rande des neuen Mythos Erkundungen starten - nicht in die Wildnis fliehen müssen wie der Mann aus dem Eis, sondern maßvoll Wege erschaffen: Fehler machen, schnell reagieren, sich wehtun, umdenken ... verlassen von den alten Göttern und ohne bekannte Pfade im Sumpfland.
Intuition zulassen, aber auch Schärfe: mit den Musen wandeln lernen, denn um Ordnungen in ungemessenes Gebiet hineinzutreiben, sind Rhythmus und Harmonie hilfreich - Beschwingtheit also einerseits, aber auch zupackende Entschlossenheit, denn spannend ist nicht nur die Geburt einer Kunst und Wissenschaft, sondern sind die ersten, noch groben, doch dabei nicht weniger hohen Leistungen ihrer gültigen Formulierung, wie sie noch Einzelnen oder romantischen Kleinzirkeln möglich sind, unbürokratisch und ohne Akademie und Tradition: die Himmelsscheibe, die ersten Satzregeln der Gesänge, die ersten Beweise.
Hier sind Mut, Experiment, Klugheit gefordert und Irrtümer und häßliche Korrekturen nötig, wie Knicke in Pyramiden, Stilbrüche in Domen. Die vorherigen Maßstäbe an langweiliger Perfektion wurden mitsamt den würdevollen Akademien von den fliehenden alten Göttern geraubt und wir im halbdunklen Nebelland alleine gelassen, mit oder ohne Pechfunzeln - darauf angewiesen, diese zu teilen, eines jeden anderen Können wieder zu schätzen und Fehler respektvoll zu erkennen und einander gleichwohl zu vertrauen.
Rettung harrt unser also nicht aus den schnöden, auf soziale Vorteile allein angelegten Fähigkeiten des Massenmenschen im Überfluß der warmen Savanne, sondern aus jenen besonderen des hier strategisch kooperierenden, da mutig einzelgängerischen und dort die Gestirne zu wahren Gesetzen lesenden Überwinders der Eiszeit: Überleben im Extremen statt Überreproduktion.
Der neue Mythos aber HAT BEREITS BEGONNEN, in einer jetzt tagtäglich zu beobachtenden erschreckenden Leistung, dem Aufwachen aus eigener Kraft eines Volkes aus einer beispiellos aufwendigen, trickreichen und langwierigen Manipulation - und es ist zweitrangig, ob das Volk dabei auch physisch überlebt. Auf dieser geistigen, im Mythos dann sprirituell zu erzählenden Leistung aufbauend, könnte gar die Versöhnung odr Integration jener guten Eigenschaften eine Chance bekommen, die im vielleicht noch immer größten psychisch-archetypischen Nationalmythos der Deutschen der Faßlichkeit halber abgespalten und auf zwei Charaktere verteilt worden sind - lacht mich hierfür aus, Freunde, sagt: dieses Idealbild ist lächerlich überhöhter Kitsch (so bunt wie die Statuen der Griechen in Wirklichkeit) und so ist der deutsche Richter und Henker und Meister des Todes ja gar nicht, aber ich frage Euch unter Tränen: IST ES DENN SO SCHLECHT, WENN ER WENIGSTENS SO SEIN WILL ? (Nachher lache ich bestimmt selbst darüber und schäme mich dieser Sentimentalität, aber gerade eben ist es nun mal so - wozu die Scham, was haben wir denn noch zu verlieren?)

Zu den Musen der ersten Gänge ins Ungewisse - sie werden mit Apoll und Dionysos genannt, zwei weiteren Abspaltungen:
https://www.theoi.com/Ouranios/Mousai2.html

Zum Vertrauen des Grenzgängers und Überschreiters auf die ästheische Intuition vor der Rationalität:
https://www.gleichsatz.de/b-u-t/can/pirsig.html

(Der Link im Text geht auf zwei Hauptfiguren bei K.M. - achtet bitte auch hier auf den Sprechtext von 1962.)

Stil-Blüte

6. August 2016 16:00

@ Kaliyuga @ Waldgänger aus Schwaben

Frühe 70er Jahre: Parallel zu den 'Flurbereinigungen' im Westen - mein Gott waren die Bauern eifrig! - wurden im Osten Straßengräben, Feldwege /
-raine, totgespritzt und Ackerflächen, die unterschiedlich waren, rigoros zu traktorgerechten Großflächen, gemäß Sowchosen, zusammengelegt. Was für ein schauerlicher Anblick, wenn mitten im schönsten Sommer die vertrauten Blumen, Kräuter, Gräser ihre Köpfchen hängen ließen und wie eine Todeszone darniederlagen.

@ Fischi
Seit wann gibt es ständig fortschreitendes Wachstum? Wächst die Erde mit? Wächst die Sonne mit? Wächst das Wasser mit? Ich konstatiere: Häuser wachsen, Menschen wachsen in die Höhe (die Niederländer sind die Größten, aber stagnieren)!und in die Breite (Bevölkerungswachstum), Müllanlagen wachsen, die Zahl der Berater, Betreuer, Psychologen, Politologen, Politiker, Experten wächst. Aber alle Jahre wieder wachsen un-gefragt Gewächse Darauf vertrauen! Sie auch im eigenen Garten seinlassen. Sie wissen es besser als wir, warum sie sich ausgerechnet an diesem Ort ansiedeln.

Kaliyuga

6. August 2016 20:54

Denn wenn wir die Zweifel nicht hätten,
wo wäre denn frohe Gewissheit?

Werter Waldgänger,

Zeitgenosse und westlich residierender Landsmann, Dank Ihnen für die Replik!

Der Zweifel und seine Schwestern wie die Irritation, die Dissonanz, die Erschütterung sind uns tatsächlich zu steten Begleitern geworden, seit Jahrhunderten, je länger freilich je mehr. Vom hochgesinnten und gläubigen, gar wallfahrtenden Denker inspiriert, hat er sich durchgesetzt und ist mit der Zeit bis zum gewöhnlichen Mann „der Straße“ perkoliert. Doch nicht nur dieses hat seinen Sinn, sondern auch der Umstand, daß das Wesen seines jüngeren und kongenialen Landsmanns Pascal ihm gegenüber sich keine Bahn brechen konnte. Sie kennen wie ich beide Männer aus der Mathematik.

Eineinviertel Jahrhundert' (und einen Sonnenumlauf unseres Planeten dazu) nach dem Letztgenannten erblickt ein Mensch, mit Glück und Mühen, zunächst gilt er nämlich „für tot“, man lese sein „Dichtung und Wahrheit“, das Licht dieser Welt; die Sonne steht für diesen Tag just und genau im Zenit und auch im Jahr sind es erst gut zwei Monde nach der Sonnwend‘. Gleichwohl dunkeln sich im Verlauf seines Lebenszugs die Zeitläufte schon ein. Von ihm, seinen Namen brauch ich Ihnen nicht zu nennen, stammen obige eröffnende Zeilen, aus den Xenien. Das von Ihnen zuweilen erwähnte Dichotome Ihres Landsmanns Hölderlin zwischen Gefahr und Rettung zielt in eine ähnliche Richtung.

„Der Weg nach vorne“? Allenfalls mit dem Hiob, dem Lot und der Offenbarung des Johannes.

Ich grüße Sie!

Kaliyuga

Der Terminus „Flüchtlinge“ wurde oben von mir in Anführungsstrichen verwendet, weil die Einheimischen sie so nennen.

Kaliyuga

6. August 2016 22:32

Stil-Blüte

Seit Jungenjahren hab‘ ich, unterstützt vom meine Ader erkennenden Vater, Joseph von Eichendorff begann sich auf den Lippen zu formen, an ausgeräumten Rainen und auf Böschungen Acer pseudoplatanus, Quercus robur, Fagus sylvatica und Fraxinus excelsior nachgepflanzt oder ganz neu angelegt. Später hat er das Meine selbst noch ergänzt mit Sorbus aucuparia etwa und hat mit eigenem Feldgehölz dem Dorfrand Charakter gegeben.

Einst die auf Hochdeutsch vorgebrachte Frage einer zugereisten, d.h. im Dorf aus einer ferneren Stadt Wohnung nehmenden Frau, mitten auf dem Feld zwischen dem Hauptdorf und einem nördlich gelegenen Weiler, was es denn nun mit meinem Tun auf sich hätte. Sie hielt, so wurde ihr das wohl beigebracht, und Frauen sind gelehrige Schülerinnen, „ausgeräumte“ Landschaft für reizvoller.

Was ist das für eine Freude, dieses Wachsen, Blühen und Fruchten heute zu sehen! Und die Brücke zum Vater, auf gemeinsam zurückgelegtem Feldweg.

Kaliyuga

6. August 2016 23:58

Werter Winston Smith,

doch darf ich Ihnen einmal schreiben. Nicht weiß ich (als lückenhafter Leser dieses Forums), obschon es doch wahrlich von Bedeutung wär‘, woher Sie stammen, doch fühl ich, da Sie hier schreiben, was Sie umtreibt. Ein bisserl, lassen’S mich das doch sagen, scheinen Sie mir als einer jener begabteren Kameraden vom Gymnasium.

„In der Welt haben wir Angst?“ Ja, stets und immer auf das Neue auch, und doch wird das jäh grundlos im Lesen und dann Verstehen dessen, was als Neues Testament tradiert und unumwerflich ist.

„Das Aufwachen aus eigener Kraft eines Volkes“. Die Kraft ist immanent und wirkt, zunächst überraschend, doch zählt hier nur Wesentliches, selbst noch im vermeintlich Rudimentären. Eine repräsentative Manifestation: Als ehemals zum Spitzenmannschaftssport (als Dekadenz des Spiels) Strebender hab‘ ich noch heut‘ die auf dem Visier, die sich FC Bayern München nennen, obwohl sie es zum jetzigen „Zeitpunkt“ doch nur noch sehr vermeintlich sind, ja sich FC Afrika München benennen könnten. Selbst dem schrillen, den Namen des Josef konterkarierenden Katalanen, der die in Deutschland führende Mannschaft des Fußballsports über drei lange Jahre führen durfte und der sie in fad-linkes, risiko- und mannsaverses bloß schachbrettartiges, technisches Manövrieren dirigierte, entglitt es im letzten „Championsleague-Wettkampf“ nach nächtlicher, von Myriaden von Kunstwatt bestrahlter und von Abermillionen Zusschauern bestaunter Partie, explizit der deutschen Disziplin und Kraft zu hofieren, die er wahrgenommen habe. Die Quote an Deutschen, geschweige denn an Bayern, auf dem Feld, in der Mannschaft, erreichte bei weitem nicht einmal mehr die Hälfte. Meine Hypothese: Guardiolas Worte sind mehr als linker Strukturkonservativismus.

Kein Wesen kann je ins Nichts zergehen.

Waldgänger aus Schwaben

7. August 2016 08:51

Werter Kaliyuga,
Stil-Blüte,
Winston Smith,

dass das Goldende Zeitalter eine Fiktion ist, wissen wir. So wie das Griechenland Hölderlins oder der Wilhelm Tell Schillers eine Fiktion war. Entwertet dies die Werke, die diesen Fiktionen entsprangen?

Die heutigen Meinungsmacher meinen dies wohl. Schillers "Wilhelm Tell", Hölderlins Hymnen würden, wären sie Werke von Zeitgenossen, als reaktionär geschmäht, weil auf Verklärung der Vergangenheit beruhend.
Wir dürfen nur von einem zukünftigen Zeitalter träumen, und das muss bunt sein, nicht golden.

Was ist zu tun?

Dem Verweis Kaliyugas auf die Offenbarung des Johannes bin ich gefolgt.
Das bekannte Hölderlin-Zitat über die Nähe des verborgenden Gottes ist, wie Sie sicher wissen, der Beginn der Hymne "Patmos". Patmos ist der Offenbarungsort der Apokalyse des Johannes. Diese ist dem verfolgten Christen ein Zufluchtsort und kennzeichnet zugleich die apokalyptische Krisensituation.

Die Hymne ist Ausdruck des Scheiterns der politischen Träume Hölderlins und endet doch mit einem versöhnlichen Ausblick.

..., der Vater aber liebt,
Der über allen waltet,
Am meisten, daß gepfleget werde
Der feste Buchstab, und Bestehendes gut
Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.

Wenn wir Bestehendes gut deuten, wird dem deutscher Gesang folgen. Das Verb Folgen sehe ich hier als Verweis auf Zukünftiges.
Der "deutsche Gesang" als pars-pro-toto für die Möglichkeiten unserer Kultur, wird erst noch folgen.

Freilich lässt sich das nicht erzwingen, und schon gar nicht brauchen wir eine_n Führer_in.
Wir müssen jetzt nur festhalten und aushalten.

Monika

7. August 2016 09:30

@Kaliyuga

Deutschland wird ein " Dritte Welt Land" und lebt von reichen arabischen Touristen.
Die Deutschen sind megaflexibel, wenn es ums Überleben geht.

Auch die Vermieter haben sich rasch auf den Wandel eingestellt. "Unsere Hoteliers sind megaflexibel, um den Wünschen der arabischen Gäste gerecht zu werden", sagt Jutta Griess vom örtlichen Hotel- und Gaststättenverband. Das heißt auch, sich besonders der mitreisenden Kinder anzunehmen, die in den Familien einen hohen Stellenwert haben. "Da kommen wir den Gästen mit zusätzlichen Kinderbetten in den Zimmern entgegen", nennt Griess als Beispiel. Und wenn der Nachwuchs im Speisesaal oder am Swimmingpool etwas lauter ist - macht nichts.

Die unterforderten "Flüchtlinge" ( siehe Vorschlag Gauweiler) könnten die Drecksarbeit in den Touristen Hot-Spots machen.
Traurig, das alles

siehe:

https://www.focus.de/reisen/deutschland/garmisch-partenkirchen-sultan-von-oman-beschert-ferienort-boom_id_5799022.html

Die letzten Eingeborenen werden jodelnd den Touristen vorgeführt.
Jetzt rächt sich die Reiselust der Deutschen der vergangenen Jahrzehnte.
Wachstumskritik mal umgekehrt.

Coon

7. August 2016 13:21

@Stilblüte

"Seit wann gibt es ständig fortschreitendes Wachstum?"

Im preussischen Teil Deutschlands seit 1810.

"Wächst die Erde mit? Wächst die Sonne mit? Wächst das Wasser mit?"

Die Sonne/Mond und Sterne-Fragerei geht am Thema vorbei, da es sich beim ökonomischen Wachstum nicht um ein absolutes, infinites Wachstum handelt. Das scheint niemandem, der darüber redet, klar zu sein.

Fredy

7. August 2016 19:43

Oh man, da werden die 50er und 60er als Paradies gepriesen. Was ist des Konservativen Paradeis? 50er Jahre BRD plus Aldi und Porno. Wenn es das ist was ihr wollt, können nicht genug Eindringlinge kommen.

Urwinkel

8. August 2016 05:56

Ohne irgendwas von Zeh gelesen zu haben, wirkt sie auf mich schon optisch (sie ist Jhg. '74!); wie eine verkrachte Existenz. Solche Wesen werden oft zu Schreibern und sitzen dann progressiv-fest auf dem Landlustwagen. Menzel doktert jetzt auch noch daran rum. Eher abtörnend, aber sympatisch. Skurril? Nein! Sie ist jung, beliebt, wird gefeiert - was will eine Frau mehr, außer Landliebe und romanhafte Tagebuchschreiberei?

Stil-Blüte

8. August 2016 10:03

@ Waldgänger aus Schwaben

Das, was Sie über den 'Offenbarungsort' Patmos schreiben, hat mich zutiefst angesprochen.

Daß Sie aber den

_

, ausgerechnet hier, in gesicherten konservativen Gefilden einführen (möchten?), verzeih ich Ihnen und Ihrer steten klugen und schönen Nachdenklichkeit nicht. Das ist keine Unterlassungssünde, das ist sträfliche Vorsätzlichkeit. Herr Klein-Hartlange! Melden Sie sich! Der Unterschied zwischen natürlichem und grammischem Geschlecht - das muß nochmals auf die Tagesordnung!

Sombart

8. August 2016 16:14

Vielen Dank, Felix Menzel, für den erneuten Beitrag zum Thema "Wachstumskritik". Als Wiwi tut es sehr gut, hier auch ökonomische Themen behandelt zu wissen. Dieses Themenfeld scheint für unser Milieu viel wichtiger, als es - gemessen an der Beitragszahl zum Thema hier im Blog und generell - gemeinhin behandelt wird. Das ist sehr bedauerlich. Sollten hier fachliche Autoren gesucht werden, sollte man mal einen Aufruf starten. ;-)

Fangen wir nur bei der ökonomischen Tätigkeit eines Jeden von uns an. Sie ist "täglich" und lässt viel Spielraum zum unmittelbaren Waldgang. Sei es nur der Grundstückskauf mit anschließendem Anbau zur Eigenbedarfsdeckung. Hiermit würde der Heimat sehr viel getan und ein Boykott der Gurke aus XY-Staat ist inbegriffen.

@FM: Wie wäre es mit einem folgenden Beitrag über Postwachstumsökonomie (Nico Paech) und Co. In vielen Punkten sehr nah bei uns. Nur einige seiner (und seines Milieus) Schlussfolgerungen sowie Umsetzungsthesen laufen ins Leere, auch aufgrund der Berührungsängste mit patriotischen Initiativen/ Gedankengängen. Ohne Heimatliebe keine "Wirtschaft ohne Wachstum". Das "Wofür" ist zu erdrückend, sofern es nur mit "der Umwelt zu Liebe" oder "Für die Menschheit" beantwortet wird.

Waldgänger aus Schwaben

8. August 2016 22:13

@Stil-Blüte

Der _ war eine Anspielung auf unsere "wir-schaffen-das" Führerin, an deren biologischem Geschlecht auch gezweifelt werden darf.
Über einen Führer zu schreiben, den wir nicht brauchen, wäre nicht jedenfalls nicht zeitgemäß gewesen. Angesichts des Desasters verliert mann (sic!) schon mal die Contenance.
Wird nicht mehr vorkommen.

Friedhelm

9. August 2016 10:21

"Wachstum ist unser Schicksal. Die aufstrebenden Völker wie die Chinesen wissen das noch "

Die Chinesen sind billige Kopierer, denen es an Kreativität mangelt, daher auch die gerigne Anzahl an Genies aus Nordostasien. Das Genie ist vor allem nun einmal eines: männlich, weiß, europäisch, siehe zu dieser Thematik:

The Genius Famine

Davon ab, holen sich chinesische Männer vemehrt Afrikanerinnen aus den chinesischen Kolonien in Schwarzafrika mangels lokaler autochthoner Frauen. Und so wird auch deren mittlerer IQ durch Vermischung absinken. Jeder schaufelt sich eben das Grab, das er haben will. Die Japaner und Südkoreaner sind da etwas klüger, da man auf die Loser aus der Dritten Welt gerne verzichtet.

Was Wachstum betrifft, ist das natürlich naiv: die Ölvorkommen reichen vielleicht noch 50 Jahre, ab 2030 wird's eklig. Was soll auch wachsen? Noch mehr Smartphoned und Autos? Ich halte die Industrialisierung zwar für eine große Genieleistung, aber sie hat leider auch die Umwelt extrem verunstaltet.

Siehe zum Thema auch das von Menzel in seiner Schrift "Die Ausländer" erwähnte Werk von William Stanton "The Rapid Growth of Human Populations". Auch Volkmar Weiss geht in seinem magnum opus von einem Großen Chaos aus, das eben ein Chaos aufgrund von Ressourcenknappheit sein wird. Aufschlussreich die Tabelle am Ende des Bandes, das die möglichen Rückschritte aufführt, die wir erleiden werden (wieder zu Pferd!).

Selbstversorger wie in Schnellroda werden das sicherlich besser überstehen als Stadtnerds wie ich.

hildesvin

9. August 2016 22:22

Es ist zwar OT:
Ist der bei Rouen abgegurgelte Pfaf... nein, katholische Priester, nicht eigentlich im Zustand der Todsünde ins Jenseits abgereist? Meines bescheidenen Wissens zählt Hochmut zu den peccata mortalia. Wie kann er da beatifiziert werden?
Näheres bei "Thaïs" von Anatole France.

Waldgänger aus Schwaben

9. August 2016 23:01

@hildesvin
Ihr Wissen ist in der Tat bescheiden. Wikipedia sogar weiß es besser.

Hochmut ist ein Hauptlaster, im Allgemeinen aber keine Todsünde.

siehe Todsünde

Zitat daraus:

Verwirrend und theologisch falsch, aber umgangssprachlich gebräuchlich ist die Bezeichnung der sieben Hauptlaster als „sieben Todsünden“; sie sind zwar durchaus auch selbständige Sünden, Todsünden sind aber – sogar der Materie nach, also auch ohne Berücksichtigung der „mildernden Umstände“ Wissens- und Willensmangel – nur einige davon und dann auch meist nur in ihrer vollen Ausprägung.

Kaliyuga

9. August 2016 23:10

Eine Gute Nacht dem Waldgänger aus Schwaben und der Monika

In Fachgesprächen stelle ich zuweilen die Frage nach dem fiktiven Charakter der Infinitesimalrechnung. Sie ist „grenzwertig“ und doch höchst real in ihren Auswirkungen.

Walter Nigg hatte in seinem Werk „Botschafter des Glaubens. Der Evangelisten Leben und Wort“ den Satz getan, „eine Legende kann mehr Wahrheit enthalten als eine geschichtlich gesicherte Tatsache – eine Einsicht, die es wieder zu lernen gilt.“

In Patmos wäre ein Zuhause.

Das Vorgeführtwerden der Einheimischen vor den Touristen hat „Tradition“. Zunächst waren es noch deutsche Sommerfrischler, auch „Fremde“ genannt, denen die Trachtler Tanz und Gesang darbrachten, ohne daß die eigenen Dorfgenossen davon noch allzuviel Notiz genommen hätten; bezeichnend der Name Gebirgstrachtenerhaltungsverein (GTEV ). Mancherorts freilich spürt man noch ein Pulsieren bei den Beteiligten.

Minika

10. August 2016 06:40

@hildesvin

das Thema lautet Wachstumskritik, wildeshirn....äh hildesvin

Die Erkenntnis kann wachsen: Danke an Waldgänger !
Nur kein Neid ( Invidia). Gehört auch zu den Sieben Todsünden.

Danke an Kaliyuga:
"Eine Legende kann mehr Wahrheit enthalten als eine geschichtlich gesicherte Tatsache" ( Walter Nigg)

die Wirkungsgeschichte hat begonnen;
https://www.kath.net/news/56242

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