Wachstumskritik (XII): Not macht erfinderisch

Es war die pure Not! Als vor über 300 Jahren die Erzvorkommen nachließen,...

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

muß­ten sich vie­le Berg­leu­te eine Zweit­be­schäf­ti­gung suchen, um über die Run­den zu kom­men. In müh­sa­mer Heim­ar­beit ent­stan­den so die ers­ten Holz­fi­gu­ren, die sich schon ab Ende des 18. Jahr­hun­derts welt­weit ver­kau­fen lie­ßen. Trotz­dem blie­ben die meis­ten erz­ge­bir­gi­schen Volks­künst­ler lan­ge bet­tel­arm, so z.B. Augus­te Mül­ler (1847–1930), die wohl heu­te mit ihren Wer­ken eini­ge Mil­lio­nen ver­die­nen könnte.

„Not macht erfin­de­risch.“ Die­ses Sprich­wort zieht sich wie ein roter Faden sowohl durch die deut­sche Wirt­schafts- als auch Kul­tur­ge­schich­te. Wer an nichts lei­det, der hat auch nichts zu sagen. Und wer kei­nen exis­ten­ti­el­len Man­gel zu behe­ben hat, der schaut sich auch nicht um, wie er die Viel­falt sei­ner Umwelt für sich nut­zen könnte.

Die Ent­ste­hung von „Inno­va­tio­nen“ wird heu­te dage­gen gänz­lich anders geschil­dert: Da geht es dar­um, daß der Staat jun­gen Leu­ten Ver­trau­en und Geld schenkt, damit die­se ergeb­nis­of­fen for­schen können.

Genau so wur­de schließ­lich auch schon die Dampf­ma­schi­ne erfun­den, und bei allen wesent­li­chen Inno­va­tio­nen des Indus­tri­el­len Zeit­al­ters fun­gier­te der Staat als muti­ger Inves­tor, da kei­ne Pri­vat­per­son so risi­ko­freu­dig war, das dafür benö­tig­te Kapi­tal zu geben. Im Opti­mal­fall geht das natür­lich immer so wei­ter mit Künst­li­cher Intel­li­genz, Robo­tern, selbst­fah­ren­den Autos und erneu­er­ba­ren Energien.

Arbeits­plät­ze fal­len dadurch zwar stän­dig weg, aber zum einen wer­den sich schon neue, im Sin­ne der Wirt­schafts­leis­tung pro­duk­ti­ve­re erge­ben, und zum ande­ren kann uns das aus deut­scher Sicht auf­grund der Über­al­te­rung auch rela­tiv egal sein. Selbst Thi­lo Sar­ra­zin zeigt sich da in sei­nem letz­ten Buch Wunsch­den­ken sehr zuver­sicht­lich:

Wenn es in Deutsch­land gelingt, die Pro­duk­ti­vi­tät der mensch­li­chen Arbeit wei­ter­hin Jahr für Jahr um 1 bis 2 Pro­zent zu stei­gern, dann ist die Gebur­ten­ar­mut zual­ler­letzt ein Wohl­stands­pro­blem. […] Eine weit grö­ße­re Bedro­hung für den künf­ti­gen Wohl­stand wäre es, wenn die durch­schnitt­li­che kogni­ti­ve Kom­pe­tenz in Deutsch­land künf­tig zurück­geht bezie­hungs­wei­se der Abstand zur inter­na­tio­na­len Spit­zen­grup­pe wei­ter wächst.

Was ist aber nun, wenn die­ser Mas­ter­plan per­ma­nen­ter Inno­va­ti­on und stän­di­ger Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rung pro Per­son nicht auf­ge­hen soll­te, wofür ja ziem­lich vie­les spricht? Schließ­lich hat es das, was Sar­ra­zin hier so selbst­ver­ständ­lich und ver­meint­lich harm­los erwähnt, welt­his­to­risch bis­her ein­zig und allein im 20. Jahr­hun­dert gegeben.

Vie­le Exper­ten pro­gnos­ti­zie­ren des­halb ein sehr gerin­ges Wirt­schafts­wachs­tum in der ers­ten Hälf­te des 21. Jahr­hun­derts. Lan­den wir dann tat­säch­lich in einer Abstiegs­ge­sell­schaft, die von sozia­len Ver­tei­lungs­kämp­fen domi­niert und zer­mürbt wird? Vor­über­ge­hend viel­leicht, weil unser Volk ver­lernt hat, sich eigen­ver­ant­wort­lich aus dem Schla­mas­sel zu kämpfen.

Mit­tel- bis lang­fris­tig betrach­tet, bin ich dage­gen fest davon über­zeugt, daß uns die­se Not wie eh und je erfin­de­risch machen wür­de und even­tu­ell sogar die Chan­ce eröff­nen könn­te, zu einem enger mit unse­rer Hei­mat ver­wo­be­nen Leben zurück­zu­fin­den. Unab­hän­gig davon wäre das Prin­zip „Not macht erfin­de­risch“ aber auch ein guter Rat­ge­ber für unse­re aktu­el­le Entwicklungshilfe.

Die Idee, durch glo­ba­le Gieß­kan­nen-Umver­tei­lung den Lebens­stan­dard in der Drit­ten Welt zu heben, ist in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten kra­chend geschei­tert, weil Almo­sen in den sel­tens­ten Fäl­len klug inves­tiert wer­den, son­dern viel häu­fi­ger irgend­wo ver­si­ckern. Auch hat sich gezeigt, daß vie­le afri­ka­ni­sche Staa­ten in der Res­sour­cen­fal­le fest­hän­gen. Sie haben zu viel, was sie ver­kau­fen kön­nen, und ver­nach­läs­si­gen des­halb den struk­tu­rel­len Auf­bau ihres Landes.

Wenn in Afri­ka etwas funk­tio­niert, dann aus der Not her­aus, um einen Man­gel mit einer unge­wöhn­li­chen, inno­va­ti­ven Lösung zu behe­ben. Da nur 30 Pro­zent aller 174 Mil­lio­nen Nige­ria­ner ein Bank­kon­to haben, wur­de z.B. vor ein paar Jah­ren ein bio­me­tri­scher Per­so­nal­aus­weis auf den Weg gebracht, der zugleich Füh­rer­schein, Kran­ken- und Kre­dit­kar­te ist und mit dem man so betrugs­si­cher wie mög­lich an allen Tank­stel­len, in Super­märk­ten etc. bezah­len kann.

Außer­dem ist Mobi­le Ban­king mitt­ler­wei­le auf kei­nem Kon­ti­nent so weit­ver­brei­tet wie in Afri­ka. Bezahlt und über­wie­sen wird ein­fach mit dem Smart­phone, weil es für vie­le Afri­ka­ner gar kei­ne ande­re Mög­lich­keit gibt. Zugleich läßt sich dabei aber fest­stel­len, daß dies viel ein­fa­cher ist, als den Umweg über eine Bank zu neh­men. Die „Inno­va­tio­nen“ beschrän­ken sich jedoch nicht nur auf den Technologie-Sektor.

In Bur­ki­na Faso gelang es einem Bau­ern namens Yacou­ba Sawa­do­go, in der Wüs­te einen Wald mit 60 ver­schie­de­nen Bäu­men zu pflan­zen. Der Mann ist Analpha­bet und nutz­te eine uralte Metho­de, mit der er her­um­ex­pe­ri­men­tier­te. Die­se Metho­de haben inzwi­schen Tau­sen­de Bau­ern über­nom­men und in ande­ren Län­dern wie dem Niger erfolg­reich umgesetzt.

Sol­che Ansät­ze zu unter­stüt­zen, indem das Funk­tio­nie­ren­de ver­brei­tet wird, ist sicher neben kon­trol­lier­ter Bil­dungs- und Wirt­schafts­för­de­rung eine sinn­vol­le Ent­wick­lungs­hil­fe. In unse­rer west­li­chen Wohl­stands­welt gibt es aber dar­über weit hin­aus­ge­hend den fixen Gedan­ken, man müs­se bestimm­te nega­ti­ve Din­ge wie Not, Gewalt und Dik­ta­tur kom­plett aus der Welt schaffen.

Das wird nicht gelin­gen. Viel ent­schei­den­der ist aller­dings noch, daß wir zusam­men mit die­sen angeb­lich aus­schließ­lich nega­ti­ven Din­gen auch die mensch­li­che Vita­li­tät ver­lie­ren würden.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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Kommentare (2)

Winston Smith 78699

12. Dezember 2016 11:54

Praktisch erfindungsreiches, aber existenziell visionsloses Werkeln kann auch eine harmlose Daseinsform sein, auf welche die Strippenzieher uns Insassen des Menschenzoos einstampfen wollen, und wenn gar wenn durch Erzeugung von materiellen Notständen. Es geht dabei nicht nur um Technik oder gar Phronesis, obwohl gerade diese fachidiotische Einstellung ja auch in konservativeren Ecken des Bildungswesens beworben worden ist: der Deutsche durfte noch Erfinder sein und dazu noch die tollsten Rechnungen erlernen, aber nach den Enden nicht mehr fragen, so wie parallel dazu sein altphilologisches Gegenstück noch für Festschriften irrelevant herumweltschmerzen konnte. Für dieses Halbdasein auf hohem Leistungsniveau hat Poensgen hier im "Meta-Pragmatisten" Sinn ein Beispiel gefunden - es wird uns nicht retten; an dieser Stelle im Labyrinth waren wir schon mal: https://einwanderungskritik.de/masseneinwanderung-ja-aber-irgendwie-besser/

Unke

12. Dezember 2016 15:04

Juchhu, wieder ein Artikel zur "Wachstumskritik"
Eines muss man dem Autor ja lassen, er macht unverdrossen weiter. Erinnert an die Bewohnerinnnen linker Filterblasen :-D
.
Die heutige -im Vergleich zum 19. Jahrhundert- eher lahme Innovationsfreude ist nicht der Tatsache geschuldet dass es nichts mehr zu erfinden gäbe. Es ist das (keynesianische) Wirtschaftssystem, das das Ende der Fahnenstange erreicht hat. War in den 1950er Jahren die Wirkung von 1 Kreditdollar 1 Dollar in der realen Wirtschaft, ist heute das Ergebnis 10:1.
Finis. Geschlossen wegen Überschuldung!
(Gibt übrigens eine gute Übersichtspräsentation davon im Netz; vom Ex-Chefhändler von Soros, Druckenmiller.)

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