Ausnahmezustand und Machterhalt

Im Spätsommer 2015 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Asylpolitik das Recht suspendiert, seither regiert sie im Modus des Ausnahmezustandes. Dies ist ein Zeichen besonderer Macht. Nicht jeder Regierungschef kann sich so etwas erlauben. Die Machtausübung im Ausnahmezustand funktioniert allerdings nur, wenn man die öffentliche Meinung im Griff hat. Aus diesem Grund sind die Vorfälle in Köln und anderen Städten so bedeutsam: Deutschland könnte nun »auf der Kippe« stehen, wie der Spiegel im Januar titelte.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

Im Spät­som­mer 2015 hat Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel mit ihrer Asyl­po­li­tik das Recht sus­pen­diert, seit­her regiert sie im Modus des Aus­nah­me­zu­stan­des. Dies ist ein Zei­chen beson­de­rer Macht. Nicht jeder Regie­rungs­chef kann sich so etwas erlau­ben. Die Macht­aus­übung im Aus­nah­me­zu­stand funk­tio­niert aller­dings nur, wenn man die öffent­li­che Mei­nung im Griff hat. Aus die­sem Grund sind die Vor­fäl­le in Köln und ande­ren Städ­ten so bedeut­sam: Deutsch­land könn­te nun »auf der Kip­pe« ste­hen, wie der Spie­gel im Janu­ar titelte.

An sich ist das Regie­ren im Aus­nah­me­zu­stand für Ange­la Mer­kel und die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nichts Neu­es. Schon in der Welt­fi­nanz­kri­se, nach Fuku­shi­ma und in der Euro-Ret­tung herrsch­te der per­ma­nen­te Aus­nah­me­zu­stand. Das Recht fun­giert schon lan­ge nicht mehr als Schran­ke, son­dern als Taxi, und bringt die Kanz­le­rin ohne Rück­sicht auf Geset­ze an ihr Ziel.

Im Gegen­satz zur Vor­stel­lung von Carl Schmitt, wonach der Staat das Recht aus Selbst­er­hal­tungs­grün­den sus­pen­diert, um die Ord­nung auf­recht­zu­er­hal­ten, ver­hält es sich bei Mer­kel anders­her­um: Sie hat mit ihrer ein­sa­men Ent­schei­dung Cha­os ange­rich­tet, das sie nun mit Hil­fe eines Kon­junk­tur­pro­gram­mes für die deut­sche Sozi­al- und Inte­gra­ti­ons­in­dus­trie behe­ben will. Was Mer­kel also mit ihrem Allein­gang erhal­ten und schüt­zen woll­te, waren weder das eige­ne Volk noch der eige­ne Staat. Viel­mehr ging es dar­um, die links­li­be­ra­le Gut­men­schen­ideo­lo­gie der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Eli­te zu retten.

Offe­ne Gren­zen, unkon­trol­lier­te Ein­wan­de­rung, der Glau­be an die Inte­gra­ti­on und die Mög­lich­keit einer euro­päi­schen Soli­da­ri­tät in allen Fra­gen zäh­len zu den Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten des Estab­lish­ments. Ihre Rich­tig­keit wird vor­aus­ge­setzt, wes­halb alle Maß­nah­men zur Umset­zung die­ser Zie­le als legi­tim erschei­nen. Da die Medi­en die poli­ti­sche Klas­se nicht kon­trol­lie­ren, son­dern Teil des Estab­lish­ments sind, wur­de der per­ma­nen­te Aus­nah­me­zu­stand auch bis­her ledig­lich in den Nischen der Gesell­schaft hin­ter­fragt. Mer­kel fiel es des­halb wahr­schein­lich sehr leicht, das Recht zu sus­pen­die­ren, weil sie das Fern­se­hen und die gro­ßen Zei­tun­gen auf ihrer Sei­te wuß­te. Hin­zu kommt die Rol­le des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, das in den letz­ten Jahr­zehn­ten im ent­schei­den­den Moment nie­mals den Mut hat­te, der Exe­ku­ti­ve Schran­ken aufzuzeigen.

Für die Macht­ha­ber besteht in einer sol­chen Situa­ti­on nur eine gro­ße Gefahr. Sie sind extrem abhän­gig von der öffent­li­chen Mei­nung, weil sie sich nicht mehr auf die Lega­li­tät und Nor­ma­li­tät ihres Han­delns beru­fen kön­nen, son­dern die Bür­ger anders – und zwar meist mora­lisch – über­zeu­gen müs­sen. Solan­ge es also gelingt, die öffent­li­che Mei­nung über die treu­er­ge­be­nen Medi­en unter Kon­trol­le zu hal­ten und zu sug­ge­rie­ren, man müs­se ja in einer Aus­nah­me­si­tua­ti­on das Not­wen­di­ge und Gute tun dür­fen, befin­det sich die Regie­rung auf dem Höhe­punkt ihrer Macht. Sobald jedoch das öffent­li­che Ver­trau­en zusam­men­bricht, ist sie am Ende.

Daß es dazu in Deutsch­land kom­men wer­de, ist auch nach Köln noch äußerst unwahr­schein­lich, denn alle – die Regie­rung, die Oppo­si­ti­on im Bun­des­tag, die Medi­en und die Gerich­te – sit­zen im sel­ben Boot. Nie­mand kann daher die Fra­ge, was nach Mer­kel kom­men sol­le, über­zeu­gend beant­wor­ten. Nir­gends ist jemand in Sicht, dem das Volk zutrau­te, eine bes­se­re, näm­lich eine auf das Wohl des deut­schen Vol­kes aus­ge­rich­te­te Kanz­ler­schaft auszuüben.

Doch trotz die­ses Vaku­ums steht seit den sexu­el­len Über­grif­fen durch Nord­afri­ka­ner, Ara­ber und übri­gens auch eini­ge Syrer in der Sil­ves­ter­nacht etwas »auf der Kip­pe«. In der Titel­ge­schich­te des Spie­gels vom 9. Janu­ar heißt es, Mer­kel wer­de mit ihrem Kurs nicht mehr »sehr weit kom­men« und müs­se end­lich mit ihrer Phra­sen­dre­sche­rei auf­hö­ren. Dies schluß­fol­gert der Spie­gel aller­dings nicht etwa nach einer gründ­li­chen Ana­ly­se der Lage. Die Bemer­kung steht viel­mehr mit­ten im Text, und sogar ziem­lich am Anfang, als eine gefühls­mä­ßi­ge Ein­sicht. Auf­fal­lend ist aber, daß die 21 Autoren, die an der Titel­ge­schich­te mit­ge­ar­bei­tet haben, kei­ne Ant­wor­ten auf die wich­tigs­ten Fra­gen zum Gesche­hen in Köln und den Fol­gen für Deutsch­land anbie­ten kön­nen. Obwohl es über­haupt nichts mit dem eigent­li­chen The­ma der erschüt­tern­den Aus­län­der­ge­walt zu tun hat, begnü­gen sie sich damit, noch ein­mal auf­zu­zäh­len, wer defi­ni­tiv »böse« sei und wem man kei­nes­falls ver­trau­en dür­fe. Der Spie­gel macht also auch dies­mal (Negativ-)Werbung für PI News, die AfD, Björn Höcke, die Sezes­si­on und Blaue Nar­zis­se.

Beschrei­ben läßt sich all dies als der hilf­lo­se Ver­such, die eige­ne links­li­be­ra­le Ideo­lo­gie durch die Ver­fes­ti­gung eines Feind­bil­des zu kräf­ti­gen. Dies geschieht in einem Moment, in dem durch den Ein­bruch der Rea­li­tät die eige­nen Über­zeu­gun­gen wider­legt wur­den – wie schon so oft übri­gens. Sowohl der Spie­gel als auch die Kanz­le­rin ver­su­chen dar­auf nun außer­dem mit einer Dop­pel­stra­te­gie zu reagie­ren: Einer­seits ist auf ein­mal jeder der Ansicht, kri­mi­nel­le Aus­län­der müß­ten schnel­ler aus­ge­wie­sen und abge­scho­ben wer­den. Ein biß­chen »Law and Order« will das Volk schließ­lich in sol­chen Situa­tio­nen hören. Ande­rer­seits kommt das Estab­lish­ment aus dem Gefäng­nis der eige­nen Ideo­lo­gie nicht her­aus und will nun noch inten­si­ver den Neu­an­kömm­lin­gen ihre Macho­kul­tur abtrai­nie­ren und sie integrieren.

Daß ein ein­fa­ches Feind­bild, Mer­kels »Här­te des Rechts­staa­tes« sowie eini­ge wei­te­re Mil­li­ar­den Euro für die Inte­gra­ti­on aus­rei­chen könn­ten, um den Macht­er­halt für die poli­tisch-media­le Klas­se zu sichern, ist dabei auf­grund der Lethar­gie der Mas­sen nicht aus­ge­schlos­sen. Es darf aber gera­de zum jet­zi­gen Zeit­punkt auch ein­mal opti­mis­tisch bezwei­felt wer­den, denn die Will­kom­mens­be­geis­te­rung der Deut­schen, die die Ent­schei­dung für den Asyl-Aus­nah­me­zu­stand erst ermög­lich­te, ist mit Köln end­gül­tig verflogen.

Das Estab­lish­ment wird nun die Gren­zen der Moral ken­nen­ler­nen. »Das Mora­li­sche ver­steht sich von selbst«, schrieb 1879 der Phi­lo­soph Fried­rich Theo­dor Vischer in einem Roman. Er mein­te damit, daß wir intui­tiv erken­nen, wel­che Taten als »gut« und wel­che als »böse« anzu­se­hen sei­en. Tole­ranz, frei­wil­li­ges Hel­fen und das eige­ne Bemü­hen um ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben stün­den ein­deu­tig auf der Sei­te des »Guten«. Etwas als »gut« zu emp­fin­den, hei­ße aber noch lan­ge nicht, daß wir in der Lage sei­en, es auch zu tun. Inne­re und äuße­re Umstän­de wür­den uns immer wie­der davon abhalten.

Noch viel gra­vie­ren­der ist jedoch das Pro­blem der Reich­wei­te der Moral. Der Schrift­stel­ler Bern­hard Schlink betont dazu: »Gesell­schaf­ten wer­den ihre Mit­glie­der immer wie­der dadurch anein­an­der bin­den, daß sie Aggres­sio­nen gegen die Frem­den, die Ande­ren rich­ten und dies durch eine Moral recht­fer­ti­gen, die Gren­zen zieht.« Der Mensch sei zwar auf Koor­di­na­ti­on und Koope­ra­ti­on aus, »aber es sind Koor­di­na­ti­on und Koope­ra­ti­on im Ver­band«. Jeder trot­zi­ge Ver­such, eine gren­zen­lo­se Moral zu eta­blie­ren, ende des­halb immer mit einem Sisyphos-Dasein.

Wel­che Schä­den das Zurück­rol­len des Stei­nes dabei anrich­ten wird, mag den meis­ten als die ent­schei­den­de Fra­ge erschei­nen, und Sezes­si­on hat das häu­fig genug beschrie­ben und pro­gnos­ti­ziert. In bezug auf die öffent­li­che Mei­nung und den Macht­er­halt der poli­tisch-media­len Klas­se geht es dage­gen zunächst um etwas ande­res: Wenn für jeden wahr­nehm­bar ist, daß der Stein zurück­rollt und alles hyper­mo­ra­li­sche Bemü­hen umsonst war, wird die Stim­mung in einer Art und Wei­se kip­pen, die Umfra­gen abso­lut über­flüs­sig macht.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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