Annotationen zum Sieferle-Skandal

Am vergangenen Freitag erschien auf der Literaturseite der SZ die Liste »Sachbücher des Monats Juni« des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und der Süddeutschen Zeitung. Empfohlen werden darin Bücher der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie angrenzender Gebiete. Die Redaktion liegt bei Andreas Wang (NDR). Auf Platz 9 stand das Buch »Finis Germania« des im Herbst 2016 verstorbenen Historikers Rolf Peter Sieferle. Es ist aus seinem Nachlass zusammengestellt worden und im Verlag Antaios in Schnellroda erschienen. Der Verlag ist Teil der organisatorischen Infrastruktur der extremen Rechten in Deutschland, sein Geschäftsführer Götz Kubitschek zugleich Mitbegründer des in Schnellroda ansässigen "Instituts für Staatspolitik", Redakteur der Zeitschrift Sezession und Redner auf Pegida-Veranstaltungen.

So die SZ. Punkt. Skandal!

Der dar­auf ein­set­zen­de Eier­tanz des für die Lis­te zustän­di­gen NDR liest sich wie folgt:

Die Jury der Sach­buch­bes­ten­lis­te ist ganz und gar nicht glück­lich über die Plat­zie­rung des Buches von Sie­fer­le auf unse­rer Lis­te. Sie ist durch die Akku­mu­la­ti­on von Punk­ten eines Mit­glieds der Jury zustan­de gekom­men. Die öffent­li­che Dis­kus­si­on hat selbst­ver­ständ­lich auch inner­halb der Jury zu einem hef­ti­gen Aus­tausch geführt. Ein­stim­mig­keit herrscht dar­über, dass jedes Jury­mit­glied frei ist, sei­ne Mei­nung durch die Ver­ga­be von Punk­ten kund­zu­tun, und nie­mand ist bereit, einen Ein­griff hin­zu­neh­men. Wir akzep­tie­ren jedoch kei­ne Instru­men­ta­li­sie­rung die­ser Lis­te durch geziel­te Plat­zie­rung. In die­sem Fall füh­len wir uns ver­pflich­tet, den Juror oder die Juro­rin, von dem die Plat­zie­rung stammt, zum Rück­tritt auf­zu­for­dern bezie­hungs­wei­se ihm sei­ne wei­te­re Mit­ar­beit zu versagen.

Das ver­ant­wort­li­che Jury-Mit­glied, das durch sei­ne Stim­men die Her­ein­nah­me des Buches bewirk­te, hat sich nach immensem inqui­si­to­ri­schem Druck – feder­füh­rend die SZ, deren Redak­teur Jens Bis­ky direkt nach Bekannt­wer­den der Lis­te zurück­trat –  nicht nur dazu bekannt (Spie­gel-Redak­teur Johan­nes Saltz­we­del), son­dern ist eben­so zurückgetreten.

In die­sem Zusam­men­hang kam mir eine Epi­so­de in den Sinn, die Gott­fried Benn in sei­nem Essay »Die neue lite­ra­ri­sche Sai­son« von 1931 schildert:

Die­ser Pro­blem­kreis wur­de in einem sehr raf­fi­nier­ten und pole­misch fes­seln­den Vor­trag dis­ku­tiert, den im Früh­jahr die­ses Jah­res hier bei uns der rus­si­sche Schrift­stel­ler Tret­ja­kow hielt und dem das gan­ze lite­ra­ri­sche Ber­lin zuhör­te. Tret­ja­kow, auch bei uns als Dra­ma­ti­ker bekannt, nach sei­nem Äuße­ren und der Art sei­ner Schil­de­rung ein lite­ra­ri­scher Tsche­ka­typ. Der alle Anders­gäu­bi­gen in Ruß­land ver­hört, ver­nimmt, ver­ur­teilt und bestraft […] Tret­ja­kow schil­der­te, wie in Ruß­land wäh­rend der ers­ten zwei Jah­re des Fünf­jah­res­pla­nes immer­hin noch eini­ge psy­cho­lo­gi­sche Roma­ne erschie­nen, denen das Schrift­stel­ler­kol­lek­tiv auf fol­gen­de Wei­se zu Lei­be ging. Ein Roman zum Bei­spiel stell­te dar, wie in einem Haus, das einem Bür­ger ent­eig­net und für einen höhe­ren Sowjet­be­am­ten requi­riert wor­den war, die­ser Sowjet­be­am­te zu trin­ken anfing, sei­nen Dienst ver­nach­läs­sig­te, her­un­ter­kam und der alte Haus­ei­gen­tü­mer all­mäh­lich wie­der sei­ne Zim­mer okku­pier­te. Dies war in abend­län­di­scher, psy­cho­lo­gi­scher Manier, in her­kömm­li­cher Roman­wei­se, etwas ima­gi­när und gänz­lich unpo­li­tisch geschil­dert. Tret­ja­kow ließ den Autor bei sich erschei­nen. »Wo hast du das erlebt, Genos­se?« frag­te er ihn. »In wel­cher Stadt, in wel­cher Stra­ße?« »Ich habe es gar nicht erlebt«, ant­wor­te­te der Autor, «das ist doch ein Roman«. »Das gilt nicht«, ant­wor­te­te Tret­ja­kow, »du hast das irgend­wo aus der Rea­li­tät in dich auf­ge­nom­men. War­um hast du das nicht der zustän­di­gen Sowjet­be­hör­de gemel­det, daß einer ihrer Beam­ten infol­ge Trun­kes sei­nen Dienst unor­dent­lich ver­sah und der Bür­ger Haus­be­sit­zer wie­der sei­ne Räu­me bezie­hen konn­te?« Wie­der­um ant­wor­te­te der Autor: »Ich habe das ja nicht in der Wirk­lich­keit gese­hen, ich habe mir das zusam­men­ge­träumt, zusam­men­ge­reimt, gedich­tet, eben einen Roman geschrie­ben.« Dar­auf Tret­ja­kow: »Das sind west­eu­ro­päi­sche »Indiv­du­al­idio­tis­men«. Du hast ver­ant­wor­tungs­los gehan­delt, eitel und kon­ter­re­vo­lu­tio­när. Dein Buch wird ein­ge­stampft und du wan­derst in die Fabrik.« Auf die­se Wei­se, schil­der­te Tret­ja­kow, ist in Ruß­land jede indi­vi­du­al­psy­cho­lo­gi­sche Lite­ra­tur ver­schwun­den, jeder schön­geis­ti­ge Ver­such als lächer­lich und bour­geois erle­digt, der Schrift­stel­ler als Beruf ist ver­schwun­den, er arbei­tet mit in der Fabrik, er arbei­tet mit für den sozia­len Auf­bau, er arbei­tet mit am Fünf­jah­res­plan. Und eine ganz neue Art von Lite­ra­tur ist im Ent­ste­hen, von der Tret­ja­kow eini­ge Bei­spie­le mit­brach­te und mit gro­ßem Stolz vor­zeig­te. Es waren Bücher, mehr Hef­te, jedes von einem Dut­zend Fabrik­ar­bei­tern unter Füh­rung eines frü­he­ren Schrift­stel­lers ver­faßt, ihre Titel lau­te­ten zum Bei­spiel: »Anla­ge einer Obst­plan­ta­ge in der Nähe der Fabrik«, fer­ner: »Die Durch­lüf­tung des Eßraums in der Fabrik«, fer­ner als beson­ders wich­tig von eini­gen Werk­meis­tern ver­faßt: »Wie schaf­fen wir das Mate­ri­al noch schnel­ler an die Arbeits­stät­ten?« Das also ist die neue rus­si­sche Lite­ra­tur, die neue Kol­lek­tiv­li­te­ra­tur, die Lite­ra­tur des Fünf­jah­res­plans. Die deut­sche Lite­ra­tur saß zu Tret­ja­kows Füßen und klatsch­te begeis­tert und enthu­si­as­miert. Tret­ja­kow wird sich über die­sen Bei­fall sehr gefreut, wahr­schein­lich aber auch amü­siert haben, die­ser klu­ge Rus­se wuß­te natür­lich ganz genau, daß er hier nur einen pro­pa­gan­dis­ti­schen Abschnitt aus dem neu­en rus­si­schen Impe­ria­lis­mus ent­wi­ckel­te, wäh­rend die bie­de­ren deut­schen Kol­le­gen es als abso­lu­te Wahr­heit nahmen.

Ein ent­schei­den­der Unter­schied zur Situa­ti­on Ben­ns, so viel­leicht ein ers­ter Gedan­ke, könn­te dar­in lie­gen, dass unse­re »plu­ra­le und bun­te« Gegen­wart eine sol­che Front­stel­lung nicht mehr kennt.

Auf der ande­ren Sei­te kann man kon­sta­tie­ren, dass sich die »Indi­vi­du­al­idio­tis­men« des Homo oeco­no­mic­us mit der kol­lek­ti­ven »Revo­lu­ti­on« einer glo­ba­len Sozi­al-Nivel­lie­rung ver­bin­den konn­ten. Eine Welt, in der der Mensch und sei­ne Rech­te Aus­gangs­punkt wie End­sieg sein soll.  Ein Zir­kel, dem der Glo­bal-Ega­li­ta­ris­mus als »neu­er Zau­be­rer« folgt, indem er den Anfang, das Nichts des »crea­tio ex nihi­lo« durch unbe­grenz­te Umver­tei­lung und glo­ba­le Hüt­chen­spie­le auch als Enzu­stand her­bei­zu­füh­ren trachtet.

Ob die pro­duk­ti­ve Zer­stö­rung (Schum­pe­ter) gleich­macht oder die glo­ba­le Gleich­ma­che­rei eine pro­duk­ti­ve Zer­stö­rung ist, wird zur Fra­ge nach Hen­ne und Ei. Die gro­ße Kapi­tal-Ren­di­te wie auch die »gerech­te Gesell­schaft« lie­gen in der Zukunft. Vor­wärts immer, rück­wärts nim­mer. Der Raum als Zeit­spei­cher der Ver­gan­gen­heit ist nur noch Objekt, Leer­stel­le für das Bent­ham­sche Pan­op­ti­kum, in des­sen ima­gi­nä­rer Mit­te der Inves­tor des Kapi­tals oder des »gerech­ten, mora­li­schen Enga­ge­ments« thront, die Objek­te sei­nes Invest­ments beob­ach­tet – die ihn sel­ber nicht beob­ach­ten kön­nen – und zu sei­nen Guns­ten oder nach sei­nem hedo­nis­ti­schen Gus­to – meist als Altru­is­mus ver­klei­de­ter Kolo­nia­lis­mus – manipuliert.

In einer glo­bal mobi­len Gesell­schaft muß das Sta­ti­sche oder räum­lich Gebun­de­ne fremd erschei­nen. In der His­to­rie des auf­stei­gen­den Bür­ger­tums war der Adel solch ein Stand (vgl. Georg Sim­mel: Phi­lo­so­phie des Gel­des). Hier beug­te man sich strengs­ten Ver­hal­tens­vor­schrif­ten, in denen »jeder Augen­blick durch ein Gesetz fest­ge­legt« ist, in denen sich wie­der­um die Beson­der­heit des Rau­mes, ihre Kul­tur mate­ria­li­ser­te. Für den Adel ist es dabei »sozia­le Pflicht, oder rich­ti­ger, es ist sein Stan­des­vor­recht, vie­les nicht zu dür­fen. So herrscht ein Ver­bot des Han­del­trei­bens, das von den alten Ägyp­tern her die gan­ze Geschich­te des Adels durch­zieht. Für den Adel zähl­te das anti­ke Ide­al der Auto­no­mie, der Selbst­ge­nüg­sam­keit und der Soli­da­ri­tät. Dem Adels-Stand, der sich als Puf­fer zwi­schen herr­schen­der Macht und Mas­se befin­det und den direk­ten Durch­griff ver­hin­det, steht die Mobi­li­tät in Form des »unbe­grenz­ten« sozia­len und mone­tä­ren Auf­stieg des Bür­gers entgegen.

Die Fremd­heit die­ses »Stan­des« kom­men­tiert Emma­nu­el Joseph Siey­ès am Vor­abend der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on im Janu­ar 1789 in der Pole­mik »Qu’est-ce que le Tiers état?«. Der Adel ist »eine Klas­se Men­schen, die ohne Funk­ti­on wie ohne Nut­zen ist«, weil sie an ihre Per­son und ihr Ter­ri­to­ri­um gebun­de­ne Pri­vi­le­gi­en genießt. Das neue sich durch­set­zen­de Modell heißt »Steu­er­zah­lung gegen Frei­heit und Mit­be­stim­mung«, mit der sich Bür­ger­tum und König des »unpro­duk­ti­ven Stör­falls Adel« ent­le­di­gen. Wer zahlt, der zählt. Der Bür­ger wird Staats-Bür­ger. Und hat dabei die Kon­sum­ge­sell­schaft im Tor­nis­ter. Indem sich die Iden­ti­tät des Bür­gers an der Sum­me sei­ner Aus­ga­ben ori­en­tiert. Immer nur eine »Aus­ga­be« von der wah­ren Iden­ti­tät ent­fernt. Ich zah­le, also bin ich – sol­vo, ergo sum.

Lat. »sol­vere« hat eben­so die Bedeu­tung von »ablö­sen«, »Anker lich­ten«. Bin­dun­gen, die Arbeit und Inves­ti­ti­on hem­men, wer­den hin­ter­fragt. Wäh­le stets das Nütz­li­che. Also im Rah­men eines Hori­zon­tes, der nach dem Son­nen­un­ter­gang der Bil­dung das ewi­ge Mor­gen­grau­en der zweck­dien­li­chen Qua­li­fi­ka­tio­nen ver­heißt. Eine Welt, in der Selbst­be­stim­mung gefor­dert wird, aber nicht außer­halb der gel­ten­den Kon­sum­pa­ra­dig­men und ihrer Halb­wert­zei­ten auf Erneue­rung gefun­den wer­den soll­te. Eine Selbst­be­stim­mung also, die gera­de das Gegen­teil wünscht, näm­lich ein nicht bestimm­tes Selbst. Das sich sei­ner Malai­se durch­aus bewußt ist. Die »Iden­ti­tä­ren von links« mit ihrer PC-Ideo­lo­gie sind Ort­lo­se, die ihre Suche nach Iden­ti­tät in eine Opfer-Iden­ti­tät mün­den las­sen, mit der sie nicht sel­ten höchst aggres­siv in den Kampf um Ge-räch-tig­keit und geld­wer­te Auf­merk­sam­keit ziehen.

Dem­entspre­chend ver­hält es sich mit dem The­ma der Inte­gra­ti­on. Inte­gra­ti­on ist nach offi­zi­el­len Ver­laut­ba­run­gen in ers­ter Linie Inte­gra­ti­on in den (glo­ba­len) Arbeits­markt. Über den dis­po­niblen Rest kann man dis­ku­tie­ren, bei­spiels­wei­se über eine »Leit­kul­tur«, Geschich­te, Tra­di­ti­on, Recht. Inte­gra­ti­on heißt damit Inte­gra­ti­on in die Geset­ze glo­ba­ler Ver­gleich­bar­keit und Ent­klei­dung von »Soft­s­kills«, die die­ser Inte­gra­ti­on ent­ge­gen­ste­hen oder gar »belang­los« sind. Der »Ande­re« ist dann der »Ähn­li­che«, wenn er in die glo­ba­le öko­no­mi­sche Ver­fü­gungs­mas­se der »frei­zü­gi­gen Kör­per« inte­griert ist. Und einer­seits sei­ne Iden­ti­tät gegen die Opfer-Ersatz­iden­ti­tät tauscht und damit will­fäh­ri­ges Objekt der »für­sorg­li­chen Bela­ge­rung« einer sich altru­is­tisch gebär­den­den Moral-Öko­no­mie wird. Oder ande­rer­seits einer den Kon­sum benö­ti­gen­den Mode-Iden­ti­tät, einer Dau­er-Pro­the­se, fröhnt.

Der gänz­lich »Ande­re«, der die­sem »Spiel« des hedo­nis­ti­sche Altru­is­mus (»Gut­men­schen«) wie auch jenem des altru­is­ti­schen (»Invi­si­ble hand«) Hedo­nis­mus nicht bei­woh­nen möch­te, muß zum Hos­tis gene­ris huma­nis wer­den, zum Men­schen­feind. »Dein Buch wird ein­ge­stampft und du wan­derst in die Fabrik«, so Tret­ja­kow. »Rück­tritt«, schreit es heu­te uni­so­no so laut, daß es noch mög­lichst ins Grab des durch Frei­tod aus dem Leben geschie­de­nen Sie­fer­le klin­gen soll. Rück­tritt und Schan­de, wenn jemand einen »rechts­ra­di­ka­len Hun­dert­sei­ter«, so beti­telt von FAZ-Han­nes Hin­ter­mei­er, emp­feh­len soll­te und eine inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Werk gar nicht erfol­gen soll.

Die deut­sche Lite­ra­tur saß zu Tret­ja­kows Füßen und klatsch­te begeis­tert und enthu­si­as­miert. Tret­ja­kow wird sich über die­sen Bei­fall sehr gefreut, wahr­schein­lich aber auch amü­siert haben, die­ser klu­ge Rus­se wuß­te natür­lich ganz genau, daß er hier nur einen pro­pa­gan­dis­ti­schen Abschnitt aus dem neu­en rus­si­schen Impe­ria­lis­mus ent­wi­ckel­te, wäh­rend die bie­de­ren deut­schen Kol­le­gen es als abso­lu­te Wahr­heit nahmen.

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Kommentare (16)

Der_Jürgen

14. Juni 2017 12:09

Ich muss gestehen, dass mir der Name Jan-Andres Schulze bisher nichts sagte. Sein Text ist sehr gediegen. Hoffentlich meldet er sich hier auch in Zukunft gelegentlich zu Wort.

Maiordomus

14. Juni 2017 12:42

Der Fall, der es wegen der Skandaldefinierungshoheit der die veröffentlichte Meinung beherrschenden Medien nie zum veritablen öffentlichen Ärgernis  bringen wird, wird wohl noch mehr Leute der im Prinzip immer noch weithin schlafenden Intelligenz im konservativen und mutmasslich sogar im rechtsliberalen Lager, falls es dieses noch gibt, zum Nachdenken und zu gelegentlichen Stellungnahmen veranlassen. Wie ich bei der Debatte im etwas früheren Beitrag von Kositza ausführte, wo unter anderem die kürzliche Überstellung von H.M. von Ungarn nach Deutschland angesprochen wurde (ein ganz anderer Fall als Sieferle), müsste sich der verstorbene und jetzt erst endlich öffentlich diskutierte Gelehrte Sieferle vom intellektuellen Format her vor keinem der Jury-Mitglieder, die nunmehr als kompromittiert gelten können, verstecken. Ich wundere mich, warum sich nicht ein Ludger Lütkehaus, wohl einer der 10 heute bedeutendsten lebenden Denker Deutschlands und als Schopenhauer- und Hebbelkenner frei von Gutmenschenideologie, aus dieser bis auf die Unterhosen blamierten Jury nicht schon aus dem Staub gemacht hat. 

Maiordomus

14. Juni 2017 13:57

Die Illustration ganz oben zeigt natürlich Gottfried Benn, nicht Rolf Peter Sieferle. Benn bemühte sich, zum Beispiel in seinem Rundfunkgespräch mit Reinhold Schneider, um ein Argumentationsniveau "jenseits von Gut und Böse" und nannte im Zusammenhang mit dem Vortragsthema "Soll die Dichtung das Leben bessern?" den Begriff "Gott" als ein "Wort, das meinem Stil fremd ist." Eigentlich hat Benn nur einmal in seinem Leben etwas geglaubt, 1933, als er fand, es sei Zeit, "die Wurfschaufel in die Hand zu nehmen", später nie mehr. Er blieb im rechten Lager und auch diesem gegenüber ein Skeptiker. Ich erhielt vor mehr als 50 Jahren eine sechsbändige Ausgabe seiner Werke in Taschenbuchform geschenkt, eine Buchreihe, die mich seither ununterbrochen begleitet hat. Vor 30 Jahren debattierte ich privat mit dem Schriftsteller-Ehepaar Hirsch-Schuder aus der DDR über Benn und warum man diesen Autor in der DDR nicht rezipiere. "Wissen Sie", sagte mir Hirsch, "wir haben etwas gegen den Militarismus". Dagegen ich: "Ich finde den Stechschritt Ihrer Volksarmee militaristischer als jedes Gedicht von Gottfried Benn." Darauf Hirsch: "Nicht der Stechschritt ist militaristisch, die Neutronenbombe ist militaristisch." Mit Gattin Rosmarie Schuder, die mir zwar "Versuchungen auch idealistischer Natur" vorwarf, verstand ich mich besser, sie schrieb historische Romane über Agrippa von Nettesheim, Paracelsus und Serveto, Themen notabene, die im Vergleich zum deutschen Feuilleton der Gegenwart über Jahrhunderte hingehalten haben. Es war in der DDR nicht die schlechteste Idee, aus der Aktualität zu emigrieren, wiewohl dies noch längst nicht Widerstand bedeutete. Die Schuder haben als Mitglieder DDR-Nomenklatura zum Beispiel im schweizerischen Bad Ragaz, wo einst Schelling das Leben aushauchte, mit ihrem VW Golf Urlaub gemacht. Hirsch, von dem es noch ein paar lesenswerte Gerichtsreportagen gibt, profitierte von seiner Doppelfunktion als gegen das "imperialistische" Israel polemisierender Jude und Kommunist aus der Zeit des kommunistischen Widerstandes. Seine Bücher und die von Schuder wurden auch im westdeutschen Feuilleton besprochen ohne dass allfälliges Lob einen Skandal ausgelöst hätte.

Der_Jürgen

14. Juni 2017 14:16

@Maiordomus

So, Ludger Lütkehaus ist "einer der 10 heute bedeutendsten lebenden Denker Deutschlands". Nichts gegen Lütkehaus, aber nach welchen Kriterien beurteilen Sie bloss, wer zu diesen "10 bedeutendsten Denkern" gehört? Kürzlich entschieden Sie, Alain de Benoist sei bestimmt "keiner der 3000 grössten Franzosen". Nach welchen Massstäben stellen Sie Ihre Hitparaden eigentlich auf?

Nach Ihrem Kommentar zu Benoist (dessen Bedeutung übrigens auch meiner Ansicht nach stark übertrieben wird) war ich drauf und dran, Ihnen zu schreiben, gemäss meinen wissenschaftlich unangreifbaren Forschungen belege Benoist tatsächlich nur den 3007. Rang unter den grossen Franzosen; der letzte, der den Sprung unter die ersten 3000 geschafft habe, sei Henri Salvador. Nummer eins sei Asterix, Nummer zwei Napoleon, Nummer drei Edith Piaf, Nummer vier Descartes und Nummer fünf Gustave Flaubert.

Ihre irrationale Argumentation erinnert mich fatal an das (vermutlich Ende der siebziger Jahre) erschienene groteske Buch "The 100 most influential persons in history" von Michael Hart. Der einflussreichste Mensch der Geschichte war für Hart der Prophet Mohammed. Jesus Christus wurde von Newton noch auf Rang drei verwiesen und musste sich mit der Bronzemedaille begnügen.

Wie, bitteschön, kann man objektiv beurteilen, ob Beethoven genialer oder weniger genial war als Bach und ob Wagner grösser oder weniger gross war als Mozart? Vollends absurd wird es dann, wenn Sie Äpfel mit Birnen vergleichen und entscheiden müssen, ob Beethoven bedeutender oder weniger bedeutend war als Bismarck oder Gauss oder Goethe oder Schopenhauer.

Als einer der elf intelligentesten Kommentatoren auf diesem Forum müssten Sie, lieber Maiordomus, das doch begreifen.

Seneca

14. Juni 2017 15:40

Die Ohrfeige hat gesessen. Respekt ! Dabei ist dem deutschen Feulletionbetrieb die zunehmend schlechter sitzende Maske noch ein wenig stärker verrutscht. Die immer mehr zum Vorschein  kommende hässliche Fratze des letztlich totalitären Kerns erschrickt aber hilft. Die Analogie zwischen dem Heute und Damals (1931 - Russland) im Beitrag könnte bei Gelegenheit noch etwas stärker nach ähnlichen Windungen und den denkbaren Weiterungen ausgeleuchtet werden. 

Katzbach

14. Juni 2017 15:46

Wie kann man nur so peinlich der untergegangenen „DDR“ nacheifern,  um das jüngste schlechte Beispiel zu bemühen. Haben sie den gar kein  Gew… Gedächtnis? Das war mal wieder ein Schmankerl aus der sonst so trübsinnigen Systempresse. Befürchtungen, dass bald Dürrenmatts Theater in den Schatten gestellt wird, sind durchaus berechtigt.

Maiordomus

14. Juni 2017 17:18

@Katzbach. Falls Sie im Zusammenhang mit der negativ angesprochenen "DDR" das Beispiel meiner weiland Debatte (1983) mit Hirsch und Schuder meinen, übersahen Sie, dass wir heftigst gestritten haben aus Anlass der Unterdrückung der Werke von Gottfried Benn in der einstigen DDR. Mit dem Hinweis auf Benn appelliere ich abermals auf die Konzentration im Hinblick auf den ArtikelJan-Andres Schulze oben. In meinem unmittelbar vorangehenden Beitrag war von geistigem Rang die Rede. Ein solcher kommt Gottfried Benn ohne Zweifel zu. Benn hatte, nicht untalentiert zur Resignation, am Ende mehr Nerven im Hinblick auf das Langfristige als Sieferle, der mehrere bedeutende Bücher zum Tag geschrieben hat, die man alle im Antaios-Verlag bestellen kann. Selber habe ich sogar nachbestellt.

Heinrich Brück

14. Juni 2017 17:27

Die Demokratie ermöglicht die kapitalistischste Niedertracht in Vollendung, und es wird nicht möglich sein, dieses System zu reformieren, die Niedertracht zähmen zu wollen, ohne Abschaffung des Fundaments des Systems, die Demokratie. Damit die heilige Kuh Demokratiedeutung nicht zu Mißverständnissen führt, wurde sie für die Praxis immer mehr als eine Projektion der Theorie zurechtgelogen. Die Erhaltung der Demokratie, nur unter rechten Vorzeichen richtig praktiziert, bleibt ein Taschenspielertrick derselben und kann in der Praxis niemals umgesetzt werden. Demokratische Volksrettung wird es nicht geben.

Leitkultur ist keine Deutsche Kultur. Warum brauchen die Chinesen keine Leitkultur? Vielleicht sind die Chinesen nicht ganz so dumm und freiheitsfeindlich, wie linke Menschenrechtsideologen meistens unterstellen. Die Demokraten behaupten, Freiheit geht nicht ohne Demokratie. Das Gegenteil ist der Fall. Nur in der Demokratie westlicher Art ist die Restkultur reinste Pornographie, dagegen die Freiheit zur Kultur versperrt und durch Leitkultur ersetzt. Nun, Schafzucht wird ja auch nicht aus Gefallen - den Schafen gegenüber - praktiziert, auch wenn die Schafe es glauben.

Bleibt eine Argumentation systemimmanent, kann sie das System nicht ändern. Alle Kritik taugt nur, die Schutzhunde der Herde zu tauschen, wenn die Schafe es denn wollten. Interessant ist es doch erst, seit die weißen Schafe für die schwarzen geopfert werden. Die Hunde haben dem Hirten nicht ins Handwerk gepfuscht, alles streng demokratisch und im Sinne der gemeinsamen Unternehmensideologie. FINIS DEMOCRATIA.

Und in diesem Zusammenhang sind die Wölfe noch das geringste Problem. Zu diesen Wölfen gehört auch die Zeit, auch wenn die selbsternannten Demokratiewächter glauben, die Zeit arbeite für sie. Das neueste taz-Cover soll also die Zukunft der Welt sein? Die Leitkultur? Weltweite Demokratie? Käme einer demokratischen Endlösung gleich.

Maiordomus

14. Juni 2017 17:27

Sofern Sie sich über die hier zum Teil geführte Debatte um geistigen Rang langweilen, empfehle ich Ihnen die lügenpressekonforme Darstellung von Rolf Peter Sieferles Buch in www.focus.de, Abteilung Kultur, und zwar wegen des Leserinnen- und Leserechos. Dieses ist aus der Sicht des Buches als erfreulich einzuschätzen.

Der Gehenkte

14. Juni 2017 18:21

" Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." (Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte)

Ist es das, was uns der Autor sagen will?

@ Maiordomus @ Der_Jürgen

Warum so giftig? Natürlich ist die Listenvergabe fraglich, aber Sie, geehrter Jürgen, machen sich dieses "Fehlers" oft genug selbst schuldig, in ihrem Drang immer wieder Foristen nach Kenntnis und Leistung zu beurteilen.

PM hat immerhin insofern recht, als Lütkehaus ein ernsthafter Denker ist, sehr verdient um Schopenhauer und vor allem um Fritz Mauthner, dessen Sprachphilosophie ebenso bedeutend ist wie seine historische Aufarbeitung des Atheismus in vier voluminösen Bänden. Lütkehaus brachte diese Werke wieder ins öffentliche Bewußtsein.

Sein opus magnum aber ist "Nichts" - ein wirklich grandioses Buch, das man vor allem den Überzeugungschristen, die sich immer wieder wundern, wie man als Atheist und/oder Agnostiker denn glücklich leben können, ans Herz legen muß. Lütkehaus stellt dort die "nihilistische" Internationale vor und interpretiert nicht nur bekannte Denker (Nietzsche, Heidegger, Sartre, Camus, Bloch ...) auf originelle Art und Weise, sondern holt einige längst vergessene Philosophen wieder aus der Gruft.

Allen voran Eduard von Hartmann, der wohl letzte originelle Systemdenker der Moderne, den man heute - wenn überhaupt - nur noch für seine "Philosophie des Unbewußten" (womit er Vieles von Freud vorweggenommen hatte). Hartmanns Erkenntnistheorie, Ethik  oder Ästhetik sind ebenso komplex wie seine Religionsphilosophie.

Am erschütterndsten sind freilich die Kapitel zu Philipp Mainländer und Julius Bahnsen, zwei erzpessimistische Denker, die all jenen etwas zu sagen haben müßten, die auch Lichtmesz' "Gott" goutieren konnten. Leider sind die Titel der beiden nahezu unauffindbar ... hätte ich beinahe gesagt, aber eine Kontrolle zeigt, daß man Mainländer zumindest in Auswahl nun doch wieder verfügbar gemacht hat und bei Olms gibt es sogar eine Werkausgabe (wie immer bei Olms unsäglich teuer).

Aus diesen Autoren kann man vielleicht auch lernen, wie ein souveräner Mensch wie Sieferle mit Stolz (so stelle ich mir das vor) aus dem Leben scheiden kann.

Schon von seinen Lektüren her hätte man Lütkehaus auf der konservativen Seite vermutet - er war auch mein Tipp, als die Liste erschien. Kallscheuer hatte ich wegen des Philosophen-Status auch drauf, aber er ist ein Schwätzer, wie "Die Wissenschaft vom Lieben Gott" hinreichend beweist. Philosoph sein heißt heutzutage eben nicht mehr unabhängig sein.

... In meiner Jugend habe ich Rosemarie Schuder verschlungen. Einige ihrer Bücher waren für den jugendlichen Verstand augenöffnend und haben die Geschichtsbahn eröffnet. In der DDR wurden Hirsch-Schuder dann zum Politikum - auch das eine Bezug zu Sieferle - mit ihrem Grundlagenwerk "Der gelbe Fleck. Wurzeln und Geschichte des Judenhaßes in der deutschen Geschichte". Auch dieses Buch kann man heute, trotz einiger Einseitigkeiten, noch lesen. Das Paar war interessant: Hirsch, selbst Jude, berichtete über die Auschwitzprozesse und Schuder, eine bürgerliche Christin, die nie mit dem System anbandelte, vermochte es, Riesenauflagen zu erzielen, weil ihre Texte, besonders der "Paracelsus", "Agrippa" und "Servet" zu kryptisch angelegt waren. Sie entsprach ganz und gar nicht dem sozialistischen Realismus und war doch eine Größe.

 

 

Rohmer

14. Juni 2017 23:12

Eine hilfreiche Vorgehensweise, sich Benns zur Veranschaulichung zu bedienen. Liest man den knappen Briefwechsel zwischen Benn und Ernst Jünger, so finden sich darin diverse lehrreiche Sätze zur einschlägigen Problematik. Auch seinerzeit scheint man schon vor Verstorbenen nicht im Mindesten zurückgeschreckt zu sein mit einer "subalternen Aufmerksamkeit" (Jünger).

F. Donandt

15. Juni 2017 00:39

Sehr schöner Text und er trifft des Pudels Kern, allerdings heißt es hostis generis humani. Das musste jetzt sein.

Gustav Grambauer

15. Juni 2017 17:27

Maiordomus, der Gehenkte

Die Grande Dame der "Emigration per Zeitsprung" in der DDR war nicht Rosemarie Schuder sondern Jutta Hecker, die wir über die die NDPD- / Verlag-der-Nation-Schiene kannten. In ihrer Präsenz fächerte sich die Weimarer Zeit vom 18. Jahrhundert an auf, sie hatte aber auch unabhängig davon ein unbeschreibliches Charisma voller Güte und Liebenswürdigkeit. Von ihr habe ich im Alter von vielleicht 12, 13, mitten in meiner Liszt-Phase, das erste Mal den Namen Rudolf Steiner vernommen. Bin jetzt noch angerührt wenn ich das schreibe. Neben dem VdN, über dessen Funktion als Dukatenesel auf dem NSW-Markt für die Kriegskasse und die Valuta-Luxusbedürfnisse der NDPD-Führung es viel zu berichten gäbe, der Parteivorsitzende Homann ("HeiHo") hat sogar zu deren Schutz in den "hohlen Zahn des Löwen" (KoKo) hinein geheiratet, hat sie bereits im Verlag am Goetheanum publiziert.

Interessant war auch der von Karl Foerster

https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Foerster

begründete Bornimer Kreis. Bei F. war sogar Ulbricht mit seinem Goethe-Faible gern zu Gast, seine Schutzpatronin vor Ort war die Potsdamer OBin Brunhilde Hanke, und er sollte heute noch jedem Potsdamer zumindest durch die Freundschaftsinsel

https://www.freundschaftsinsel-potsdam.de/freundschaftsinsel/

bekannt sein. Als wir nach Ost-Berlin zogen wurden die Rudimente dieses Kreises ein Bezugspunkt für meine Eltern, obwohl der Weg wegen der Mauer sehr weit war, allerdings lebte da F. schon nicht mehr. Wer in den 70er / 80er Jahren mal in Potsdam die Pracht an Frau Hanke zu verdankenden privaten Geschäften, insbesondere Antiquitätengeschäften, gesehen hat, dem war klar, daß in dieser Stadt ein etwas anderer Wind wehte. 

Da wir bei Frauen sind und ich Lappenhöger (sprich: Lobmhöchorr, bitte googeln) Lokalpatriot bin, ist es mir noch ein Anliegen, von antinapoleonischer Seite her Sigrid Damm als Gegenpol zu dem in diesen Tagen inkrimierten Gustav Seibt zu erwähnen. Frau Schuder fanden wir nach kurzem Anlesen uninteressant, zu sehr Umberto-Eco-Stil. Bombastus-Erzeugnisse, die es in jeder Drogerie auch in Ostberlin gab, haben wir mit Vorliebe und im Wissen um den Hintergrund gekauft, aber dorthin keine Kontakte geknüpft.

- G. G.

Der Gehenkte

15. Juni 2017 20:18

Ergänzung:

Der Begriff der "nihilistischen Internationale" ist irreführend - genau besehen ist es eine - und das spricht für sich! - eine "nihilistische Nationale"! Deutsch (mit Ausnahmen natürlich) durch und durch!

Ihr letzter Ausläufer ist übrigens ein SiN-Autor: Frank Lisson. Er hat Mainländer vermutlich mehr zu verdanken, als seine Schriften offiziell zugeben. Man meint stets, in ihm einen Max Stirner Redivivus zu sehen, aber gerade die "Weltverlorenheit" reicht tiefer. Begründungsphilosophisch ist dieses Buch m.E. zum Scheitern verurteilt, die Setzungen alle fraglich, da rein subkjektiv und persönlichen Kränkungen geschuldet, als Wesen einer Stimmung aber nachvollziehbar - wenn auch gerade wenig hilfreich.

@Gustav Grambauer

Jutta Hecker - Sie meinen die Weimarer Heimatschriftstellerin, deren Grab unmittelbar am Eingang der Russisch-Orthodoxen Kirche liegt? Das ist viel Ehr, die sie hier vergeben. Mehr als leichten Genuß und Erinnerung und Goethe-, Schiller-, Steiner-Wonne konnte ich da nie gewinnen. Zur alljährlichen Pilgerfahrt in die geistige Haupststadt des Landes bietet sie sich als Ergänzung an. Persönliche Bekanntschaft hilft sicherlich ...

Ähnlich Sigrid Damm. Der Lenz war noch ein Ereignis. Ihre späten geilen Goethe-Sachen, mit quietschenden Bettferdern, fand ich langweilig. Weiß doch jeder, daß Goethe auf die Vulpius als Weib abfuhr und daß mit der Stein was lief.

Foerster hingegen klingt sehr spannend. Danke!

Maiordomus

15. Juni 2017 22:58

@Grambauer/Der Gehenkte. Es gibt nicht nur die grossen Autoren, auch die eher kleinen Heimatschriftstellerinnen und Heimatschriftsteller, die aus Liebe schreiben. Jutta Hecker muss eine solche gewesen sein, habe von ihr bis anhin zwar nichts gelesen, sehe indes, dass Heimatschrifttum nun aber mal auch in der DDR gepflegt sein wollte. Von Schuder las ich sämtliche historischen Romane, bei denen sie, nicht unbedingt sehr kritisch, gelegentlich DDR-Verhältnisse parallelisierte, eher beim Serveto als beim Paracelsusroman. Über alle diese Themen hat im Vergleich zu Schuder dann der Literat Siegfried Wollgast meines Erachtens viel klüger geschrieben, ein grosser Gelehrter, mit dem ich dann auch innerhalb der Bombastus-Gesellschaft Dresden Kontakte pflegte. Zu Jutta Hecker: falls Sie, auch wenn es nicht sehr grosse Literatur war, die Liebe zur alten Weimarer Welt aufrechterhalten hat und dies vermittelbar machte, war dies weit mehr als nichts. Von Sigrid Damm wiederum hatte ich nie eine besonders hohe Meinung, für ihre Arbeitsbedingungen hätte sie besser sein müssen. Jutta Hecker ist weit über eine Generation älter.

Maiordomus

16. Juni 2017 12:10

Wir sollten wieder stärker über die Hauptsache diskutieren, nämlich den von Jan-Andres Schulze angesprochenen sogenannten Sieferle-Skandal. Wenn man das Buch nüchtern durchliest, wirklich brillant geschrieben, wiewohl wie gesagt die früheren Werke von Sieferle voraussetzend, hat sich Sieferle wegen der Nichtakzeptanz des zivilreligiösen Missbrauchs der Verbrechen in Auschwitz, die er im übrigen nicht leugnet, bös in die Nesseln gesetzt. Auf andere Art und Weise hat das soeben die polnische Politikerin Beata Szydlo getan, mit einer aus polnischer Sicht durchaus vernünftigen und als Perspektive verständlichen Rede, dass natürlich Auschwitz auch Folge ungenügender Landesverteidigung und entsprechender Sicherheit in Polen war, eigentlich eine Binsenwahrheit. Das ist, allerdings aus einseitig russischer Perspektive, natürlich auch Putins Meinung, welche er auf der Westerplatte sogar vor Merkel mal vorgetragen hat vor einigen Jahren. Wären sodann Auschwitz und die benachbarten Lager zur Zeit des Weltkrieges schon so wichtig gewesen wie später, dass hier die fast einzigen langfristig zählenden Opfer eingekerkert waren und zum Teil vernichtet worden, das Ende des Spukes wäre wohl schon Monate wenn nicht Jahre vorher machbar gewesen, natürlich ein weites Feld. Darüber muss nicht spekuliert werden. Es war aber schon immer klar, dass man in Polen nicht im Sinne von Holocaust und Shoa Auschwitzgläubig war, sondern stärker von den eigenen Märtyrern ausging, etwa Pater Maximilian Kolbe. von Papst Woityla später heiliggesprochen. Es ist für die Polen ganz normal, dass ihre Opfer, darunter natürlich auch jüdische, im Vordergund standen und stehen, so wie dies für die Israeli normal ist und so wie es von 1945 bis 1955 in Deutschland normal war, an die eigenen Kriegsopfer zuerst zu denken. Dei Holocaustreligion kam erst später auf und setzte voraus, dass man den Erfahrungshintergrund des 2. Weltkrieges zugunsten politischer Erziehung verloren hatte. Noch für Adenauer war klar, dass die sogenannte Wiedergutmachung weniger als zerknirschter Sühneakt zu leisten war, sondern schlicht der amerikanischen Ostküste geschuldet, auch als vertrauensbildende Leistung an die Verbündeten im Kalten Krieg. Die Auschwitzreligion kam erst später auf, wobei das Aussergewöhnliche, wiewohl keineswegs Unvergleichbare der damaligen Verbrechen, wovon Sieferle schreibt, von niemandem, der sich für historische Wahrheit interessiert, geleugnet werden muss. Was nun die Polin ausführt und in der deutschen Ideologiepresse Empörung auslöst, weil die Chefideologen der Lügenpresse sich multiperspektivische Sichtweisen nicht vorstellen können, bestätigt nur, dass Sieferle selbst auch mit dem umstrittensten Kapitel von "Finis Germania" grundsätzlich wohl nicht falsch liegt, aber nun halt leider wie viele vor ihm in ein Wespennest reingestochert hat. Aufgrund der kulturellen Situation in Deutschland wird es jedoch wohl noch mindestens zwei Generationen benötigen, bis das Diskussionsklima sich endlich normalisiert und obsolete Sondergesetze sowie Diskussionsverbote in den Tartarus geschickt werden.

 

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