Spiegel im Kriechgang – Sieferle im Nachdruck!

Der mediale Aufschrei über die Leselistenplazierung von Sieferles "Finis Germania" hat seine Wirkung nicht verfehlt: Viele Leser wollen sich ein eigenes Urteil bilden, und so wird nun erst einmal nachgedruckt.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Wer bereits bestellt hat, möge sich bit­te noch ein wenig gedul­den: Der Nach­schub ist in jedem Fall sicher­ge­stellt, die ers­te Ladung wird ab 26., die zwei­te ab dem 29. Juni aus­ge­lie­fert, und Vor­be­stel­lun­gen sind natür­lich wei­ter­hin direkt beim Ver­lag mög­lich. Bei ama­zon hält sich der Titel übri­gens wei­ter­hin auf Platz 1 – obwohl die Amis das Buch nicht direkt verkaufen!

Auch die Bericht­erstat­tung reißt nicht ab: Seit nun­mehr über einer Woche schrei­ben die Feuil­le­tons aller gro­ßen Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten ihre Bestür­zung von­ein­an­der ab und sind sich zumeist einig, daß man das Buch nicht gele­sen haben muß (und bes­ser auch nicht lesen soll­te!), um dar­über urtei­len zu kön­nen – Chris­toph Schwen­ni­cke vom Cice­ro hat das sehr bild­lich zum »Reiz­hirn-Syn­drom« der Repu­blik erklärt.

Mal wie­der weit übers Ziel hin­aus­ge­schos­sen ist man aller­dings in der Ham­bur­ger Eri­cus­spit­ze. Im aktu­el­len Spie­gel wirft sich die Redak­ti­on auf gan­zen drei Sei­ten vor der Leser­schaft in den Staub, anstatt den “Skan­dal” über die Buch­emp­feh­lung Johan­nes Saltz­we­dels gelas­sen zu neh­men. Nun ken­nen die Mit­ar­bei­ter natür­lich ihre Pap­pen­hei­mer; ob der Angriff auf den eige­nen Kol­le­gen durch die stell­ver­tre­ten­de Chef­re­dak­teu­rin Susan­ne Bey­er, der etwa im Deutsch­land­funk als »öffent­li­che Hin­rich­tung« bezeich­net wird, und die phra­sen­rei­che War­nung vor dem ver­fem­ten Buch durch den Kul­tur­re­dak­teur Ham­me­leh­le aber nicht doch eher Leser ver­prel­len wird?

Frank Böckel­mann, Her­aus­ge­ber der »Vier­tel­jah­res­schrift für Kon­sens­stö­rung« Tumult, in der Rolf Peter Sie­fer­le noch bis kurz vor sei­nem Frei­tod publi­zier­te, ist am heu­ti­gen Vor­mit­tag via Face­book (hier ent­lang zum Ori­gi­nal­bei­trag) mit eini­gen Anmer­kun­gen zur “Cau­sa Sie­fer­le” an die Öffent­lich­keit getre­ten. Wir doku­men­tie­ren sei­nen Text; auch Tei­len und Ver­brei­ten ist aus­drück­lich erwünscht!

BEMERKUNGEN ZUR VERLEUMDUNG ROLF PETER SIEFERLES DURCH DEN „SPIEGEL“

von Frank Böckelmann

In der Cau­sa „Finis Ger­ma­nia“ von Rolf Peter Sie­fer­le wur­de nun das höchst­rich­ter­li­che Urteil gespro­chen. „Es gibt kei­nen Zwei­fel“, beschei­det uns die stell­ver­tre­ten­de Chef­re­dak­teu­rin des Spie­gel, Susan­ne Bey­er, nach „Lek­tü­re“: „Das Werk ist rechts­ra­di­kal, anti­se­mi­tisch, geschichts­re­vi­sio­nis­tisch.“ Nun, ich habe das Werk Satz für Satz geprüft und gelan­ge zu dem zwei­fels­frei­en Befund, dass es nicht ein­mal in die Nähe von „Rechts­extre­mis­mus“ (ein vogel­frei­es Rät­sel­wort), Anti­se­mi­tis­mus und Geschichts­re­vi­sio­nis­mus gera­ten ist. Jede Wet­te, dass Susan­ne Bey­er nur die ihr als ver­däch­tig avi­sier­ten Pas­sa­gen gele­sen hat, und die­se erst dann, als das Urteil nach dem küh­nen Ein­griff Johan­nes Saltz­we­dels in das Sach­buch-Ran­king und der gekränk­ten Abmah­nung durch den Chef­re­dak­teur schon feststand.

Mit der Urteils­be­grün­dung wur­de der stell­ver­tre­ten­de Kul­tur­chef Sebas­ti­an Ham­me­leh­le betraut. Von ihm lässt sich ler­nen, wie man eine läs­ti­ge Schrift ver­teu­felt. Zunächst legt er nahe, Sie­fer­le sei ein kryp­to-eso­te­ri­scher Hit­ler-Bewun­de­rer. Dann setzt er dem Werk eine Deu­tungs­mas­ke auf: „Dies ist der zen­tra­le Satz in die­sem Buch – sei­ne The­se: Die Deut­schen sind die neu­en Juden.“ Sie­fer­le macht also die Deut­schen zu den Haupt­kriegs­op­fern – pervers!

Aber Sie­fer­le hat nur schlicht regis­triert, dass aus dem Grau­en von „Ausch­witz“, dem unbe­streit­ba­ren indus­tri­el­len Mas­sen­mord, in glau­bens­ar­mer Zeit ein hei­lig­mä­ßi­ger Mythos für Deutsch­land, viel­leicht für ganz Euro­pa geformt wor­den ist, näm­lich das Dog­ma von der Unver­gleich­lich­keit: „‘Ausch­witz‘ ist zum Inbe­griff einer sin­gu­lä­ren und untilg­ba­ren Schuld gewor­den.“ (S. 65) Das bekommt seit Jahr­zehn­ten jeder zu spü­ren, der den Holo­caust in eine Dimen­si­on mit den Geno­zi­den Sta­lins, Maos und Pol Pots stellt (um nur im 20. Jahr­hun­dert zu blei­ben) oder die Leh­re von der Kol­lek­tiv­schuld eines gan­zen Vol­kes ablehnt. Er wird des „Rela­ti­vie­rens“ über­führt, eines tod­sün­den­ähn­li­chen Frevels.

Dass die Schuld an „Ausch­witz“ unver­gleich­lich und untilg­bar sei – das ist der Kern jener gro­ßen Erzäh­lung. Noch prä­zi­ser hät­te es Sie­fer­le nicht erläu­tern kön­nen. Den­noch lässt Ham­me­leh­le nicht vom Ruf­mord ab: Sie­fer­le habe „Tat­sa­chen als Mythen denun­ziert und damit die his­to­ri­schen Kate­go­rien rela­ti­viert“. Auf die­se Wei­se ver­su­che er, „den Ver­lauf der Geschich­te zu ver­schlei­ern und nach­träg­lich infra­ge zu stellen“.

Von sol­chen Kul­tur­jour­na­lis­ten, sol­chen vor­ur­teils­vol­len und rän­ke­rei­chen Täu­schern, wer­den wir Woche für Woche über den Gang der Debat­ten um unse­re Ver­gan­gen­heit und die Bedeu­tung der Mas­sen­zu­wan­de­rung belehrt. Und immer noch Hun­dert­tau­sen­de neh­men es ihnen ab.

Zugleich bestä­tigt Ham­me­leh­le, dass jener Mythos nach wie vor, obwohl die Welt eine ganz ande­re gewor­den ist, dar­über ent­schei­det, was als „rechts­ra­di­kal“ gilt: „Ent­schei­den­des Merk­mal“ für eine rechts­ra­di­ka­le Posi­ti­on sei „die Hal­tung, die ein Autor zu den Ver­bre­chen der NS-Zeit ein­nimmt“. Von eben­die­ser zähen Zuschrei­bung han­delt Sie­fer­les Text. Das heu­ti­ge poli­ti­sche Gegen­ein­an­der gibt offen­bar kei­nen Begriff für „rechts­ra­di­kal“ und „links­ra­di­kal“ mehr her. Grim­mig läs­tert Sie­fer­le: „Das Ers­te Gebot lau­tet: Du sollst kei­nen Holo­caust neben mir haben.“ (S. 71)

Rolf Peter Sie­fer­le wäre aber auch ohne das Votum eines Spie­gel (!)-Redak­teurs für Finis Ger­ma­nia ins Visier der Gesin­nungs­wäch­ter gera­ten. Denn Sie­fer­le hat die hei­li­gen Kühe der pro­fes­sio­nel­len Schön­red­ner unse­rer Zustän­de gleich dut­zend­wei­se geschlach­tet: die Vor­stel­lung von einer wild­be­weg­ten Par­tei­en­land­schaft (Sie­fer­le: „fun­da­men­ta­ler Sozi­al­de­mo­kra­tis­mus“ im gesam­ten poli­ti­schen Spek­trum), die Gleich­set­zung von Moder­ne und libe­ra­ler Demo­kra­tie, die geprie­se­ne Indi­vi­dua­li­sie­rung (in Gleich­schal­tung mün­dend), den Fort­schritts­glau­ben, die „Zivil­ge­sell­schaft“. Mit sol­chen Bot­schaf­ten kränkt Sie­fer­le das Welt­ge­fühl der ton­an­ge­ben­den Jour­na­lis­ten, die ihre Sache auf die „Viel­falt“, sprich: die unbe­grenz­te Aus­tausch­bar­keit der Orte, Her­künf­te und Lebens­wei­sen, gestellt haben. Von Sie­fer­les Illu­si­ons­lo­sig­keit sehen sich die­se Jour­na­lis­ten ins­ge­samt, wie eine poli­ti­sche Par­tei, angegriffen.

Jour­na­lis­ten sind Tages­glücks­rit­ter. Sie haschen nach beach­tungs­träch­ti­gen The­men und ver­su­chen, sie zu beset­zen. Den Erfolg ihrer Arbeit mes­sen sie weni­ger an der Reak­ti­on der Leser als am Urteil und der Aner­ken­nung ihrer Kol­le­gen und Infor­man­ten. (Ver­stärkt gilt dies für die elek­tro­ni­schen Medi­en.) Jour­na­lis­ten haben gelernt, unter star­kem Kon­sens­druck zu arbei­ten und ihn als Frei­heit aus­zu­le­gen, und wis­sen, welch tie­fe Stil­le sich um Abtrün­ni­ge her­um aus­brei­tet. Man muss ihnen nicht erst sagen, was (noch) sag­bar ist. Als Glücks­rit­ter wet­ten sie auf den Hype von morgen.

Sie wol­len ja auch künf­tig dabei sein, und die Zukunft ist für sie die Zir­ku­la­ti­ons­sphä­re, sie sich stän­dig erwei­tert. Instinkt­si­cher betrei­ben sie Ent­gren­zung – und sehen sich bei einem unver­bind­li­chen Uni­ver­sa­lis­mus und Kos­mo­po­li­tis­mus am bes­ten auf­ge­ho­ben. Dar­in wur­zelt ihr typi­scher Zynis­mus, ver­brämt mit Öff­nungs­pa­thos. Den­ker wie Sie­fer­le, die in die Mensch­heits­ge­schich­te und in die Wei­te bli­cken und infol­ge­des­sen am Fort­schritt und am Gut­men­schen­tum zwei­feln, erre­gen ihre tie­fe Abnei­gung, ja ihre Wut.

Vie­le Leser spü­ren, dass die meis­ten Jour­na­lis­ten heu­te die Rol­le des objek­ti­ven Beob­ach­ters und neu­tra­len Sach­wal­ters auf­ge­ge­ben haben und ihre Leser­schaft beleh­ren wol­len. Das macht sie auch arg­wöh­nisch gegen die Sie­fer­le-Schel­te. Wer aber Sie­fer­le ein­mal neu­gie­rig gele­sen hat, fasst Ver­trau­en zu die­sem Uni­ver­sal­ge­lehr­ten. Er spürt, dass Sie­fer­le nicht dem Res­sen­ti­ment und Revi­sio­nis­mus, son­dern dem Erkennt­nis­drang ver­fal­len war. Die Dif­fa­mie­rung von heu­te presst sei­nen Namen ins Bewusst­sein wach­sen­der wider­stän­di­ger Min­der­hei­ten. Sie­fer­le wird, wenn die Werk­aus­ga­be sei­ner Schrif­ten vor­an­schrei­tet, in weni­gen Jah­ren einem nach unge­schmink­ter Erkennt­nis hun­gern­den Publi­kum als einer der gro­ßen Den­ker unse­rer Zeit impo­nie­ren. Er hat den Rang von Kul­tur­wis­sen­schaft­lern wie Rudolf Kass­ner und Eugen Rosen­stock-Hues­sy, von Sozi­al­phi­lo­so­phen wie José Orte­ga y Gas­set, Arnold Geh­len und Pana­jo­tis Kon­dy­lis und von His­to­ri­kern wie Arnold J. Toyn­bee, Rein­hart Koselleck und Chris­ti­an Meier.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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Kommentare (3)

Nemo Obligatur

19. Juni 2017 22:00

Meine Güte, soviel Bohei um ein sehr kurzes Büchlein...

Ich bin es übers Wochenende noch einmal in Ruhe durchgegangen. Es hat vier Kapitel, von denen das letzte aus kaum verständlichen Fragmenten besteht. Die ersten beiden sind pointiert erzählt, gehen aber inhaltlich nicht über das hinaus, was Martin Walser in der Paulskirche gesagt und Botho Strauß im Bocksgesang geschrieben hat und was Thilo Sarrazin oder Thorsten Hinz unablässig und ungefähr genauso stilsicher formulieren. Wenn es freilich stimmt, was man hier und da lesen konnte, dass nämlich die wesentlichen Teile in den mittleren(?) Neunzigern geschrieben wurden, muss man den Hut vor Sieferle insoweit ziehen, als er seiner Zeit (mit Ausnahme des Bocksgesang vielleicht) deutlich voraus war.

Die Presse ereifert sich indes vor allem über das dritte Kapitel ("Mythos VB"). Die Technik ist guterprobt: Aha, er hat "Jehova" gesagt! Dann wird nochmal genau nachgeschaut, wo man den Autor verkürzt oder entstellt zitieren kann, um ihm einen Strick zu drehen. Und so ist es dann auch gekommen, aber man nicht mehr mit der Reaktion des inzwischen geschulten "kleinen Lesers auf der Straße" gerechnet.

Antaios kann man zu viel Dummheit der angeblichen Info-Elite wohl nur gratulieren. Möge es noch viele tausendmal verkauft werden!

Was im Buch "Finis Germania" praktisch völlig fehlt sind das Scheitern der europäischen Einigungspolitik seit Errichtung der Währungsunion, ebenso die katastrophalen Folgen der Migrationspolitik. Zu letztem hat Sieferle bei Tumult sein m.E. eigentliches Meisterwerk veröffentlicht. Daran dürften sich Spiegel&Co. ebenfalls die Zähne ausbeißen... Aber vielleicht klappt der gleiche Trick ja noch einmal :-)

Maiordomus

20. Juni 2017 00:29

@ Nemo obligatur. Überschätzen muss man das Büchlein nicht. Sein Hauptverdienst liegt indirekt im bekenntnishaften Hinweis auf die gewichtige, auf Langfristigkeit hin angelegte Lebensleistung des Autors. Mit Recht beanstanden Sie das letzte Kapitel,  Der Hinweis auf Ernst Jünger, der die Leser jenes Autors besonders interessieren müsste, bleibt unerklärt, muss sozusagen erraten werden. Das bei "Tumult" erschienene Buch, weit gründlicher in der Analyse, ebenfalls schon 3. Auflage und von Bosselmann besorgt, ist nicht das Meisterwerk von Sieferle, aber sein aktuellstes und das am meisten politische Buch. Was er zur Umweltgeschichte publizierte, bleibt über den Tag hinaus bedeutender.  Sieferle wurde noch 2009 zum Beispiel in der linken Schweizer Wochenzeitung WoZ hoch gelobt und rezensiert. Vom demografisch orientierten Flügel der Umweltbewegung aus dem Umfeld der einstigen Arbeitsgemeinschaft für Bevölkerungsfragen haben sich die Schweizer Grünen erst 2014 endgültig distanziert, anlässlich der Ecopop-Initiative mit Einwanderungsbegrenzung und Postulat für Entwicklungshilfe mit Schwerpunkt Geburtenregelung. Wer dies vertrat oder vertritt, gilt seit drei bis vier Jahren auch in der Schweiz als Faschist. Zu den Weggefährten von Sieferle in St. Gallen gehörte der bedeutende humanistisch und ökologisch orientierte Wirtschaftswissenschaftler Hans Christoph Binswanger, der dank seiner umfassenden Bildung lange der Jury des Bodenseeliteraturpreises angehörte. Man hat es verschlafen, Sieferle zur Zeit, da noch nicht die Faschismuskeule gegen ihn geschwungen wurde, mit einem angemessenen und verdienten Preis auszuzeichnen. Das bei Tumult erschienene Buch zum "Migrationsproblem" gräbt für den langfristig Interessierten tiefer als Sarrazin und sollte, am besten,  gleich direkt bei Antaios, unbedingt mitbestellt werden. Für Politkandidaten ab Mitte rechts, eigentlich schon ab CSU, müsste es Pflichtlektüre sein.

ede

20. Juni 2017 23:26

@malordomus

"Für Politkandidaten ab Mitte rechts, eigentlich schon ab CSU, müsste es Pflichtlektüre sein"

Danke für den Hinweis!

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