Sonntagsheld (19) – In Stahlgetwittern

Was – abgesehen von feuilletonistischen Randnotizen – einem nicht unerheblichen Teil der Öffentlichkeit verborgen blieb,...

jagt sicher­lich den meis­ten mei­ner Leser die­ser Tage einen eis­kal­ten Schau­er über den Rücken:

Par­al­lel zum sym­bo­lisch auf­ge­la­de­nen, aber inhalt­lich seit Jah­ren ent­schie­de­nen Streit um die „Ehe für alle“ und die kon­fet­ti­be­spritz­te Par­la­ments­ka­pi­tu­la­ti­on rollt seit eini­gen Wochen die Repres­si­ons­ma­schi­ne der Bun­des­re­pu­blik an. Nach­dem die ers­ten Test­läu­fe erfolg­reich waren, folg­ten Haus­durch­su­chun­gen für Face­book­bei­trä­ge und ers­te Verhaftungen.

Die ver­gan­ge­ne Woche bescher­te uns nun das lang­ersehn­te “Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz”; Ende Juni war bereits beschlos­sen wor­den, daß Zeu­gen in Zukunft zur Aus­sa­ge gezwun­gen wer­den kön­nen. Par­al­lel dazu sehen sich immer mehr dis­si­den­te Nut­zer in den ein­schlä­gi­gen Netz­wer­ken mit einer Pro­fil­sper­re konfrontiert.

Daß die Dau­men­schrau­ben enger ange­zo­gen wer­den, zeigt auch der Ent­wurf zum Koali­ti­ons­ver­trag in Schles­wig-Hol­stein: Dort ist die Iden­ti­tä­re Bewe­gung den künf­tig Regie­ren­den offen­sicht­lich ein Dorn im Auge, wes­halb man das Aus­maß der Rechts­staat­lich­keit um ein paar Gän­ge hoch­zu­schal­ten gedenkt.

In wel­che Rich­tung die Rei­se geht, ist klar: Auf den radi­ka­len Gedan­ken­spiel­wie­sen, die inner­halb der letz­ten Jah­re rechts wie links aus dem Boden schos­sen, durf­ten sich unor­tho­do­xe Den­ker lan­ge Zeit fast unge­stört aus­to­ben; nun ist die Zeit gekom­men, den ent­stan­de­nen Wild­wuchs ein­zu­zäu­nen, zurecht­zu­schnei­den und in eine unge­fähr­li­che Schre­ber­gar­ten­land­schaft zu ver­wan­deln, in der die­je­ni­gen wei­ter ihre Schol­le beackern dür­fen, die sich an die Regeln der Dorf­ge­mein­schaft halten.

Um sol­cher­lei Ein­he­gung zu ent­ge­hen, nut­zen Akti­vis­ten und Publi­zis­ten schon lan­ge aller­lei Ver­schlüs­se­lungs­tech­nik – von Three­ma über Tele­gram bis hin zu PGP-Kom­mu­ni­ka­ti­on. Der offen­sicht­li­che Vor­teil die­ser Nach­rich­ten­sys­te­me ist zugleich die größ­te Schwä­che: Die Nach­rich­ten sind nur dem Absen­der, dem Emp­fän­ger und dem jeweils zustän­di­gen VS-Beam­ten zugäng­lich. (Idea­ler­wei­se letz­te­rem natür­lich nicht, aber man kann nicht vor­sich­tig genug sein.)

Eine Flä­chen­wir­kung kann so nicht erzielt wer­den: Wer einen gro­ßen und inklu­si­ven Per­so­nen­kreis errei­chen will, muß wie­der auf das Social-media-Kar­tell zurückgreifen.

Für fri­schen Wind sorgt aller­dings seit eini­ger Zeit Andrew Tor­ba, der Grün­der der alter­na­ti­ven Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­form gab.ai. Als die­ser von den jüngs­ten juris­ti­schen Ent­wick­lun­gen in der Bun­des­re­pu­blik hör­te, wand­te er sich spon­tan in einem Live­stream an die Netz­ge­mein­de. Die hörens­wer­ten Aus­füh­run­gen (mal abge­se­hen von dem typisch ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sungs­pa­trio­tis­mus) kön­nen hier auf Eng­lisch ver­nom­men werden:

Wer bei sei­nem digi­ta­len Wald­gang wei­ter unge­stört sei­ne Schnei­se schla­gen möch­te, der kann sich bei Gab anmel­den, eini­ge bekann­te Dis­si­den­ten sind schon im Boot. Aller­dings soll­te man sich kei­nen Illu­sio­nen hin­ge­ben: Gab wird die Oze­an­rie­sen Twit­ter und Face­book kei­nes­falls ablö­sen. Es kann aller­dings bei rich­ti­ger Anwen­dung ein Enter­ha­ken sein, um die feind­li­chen Schif­fe zu entern – Ahoi und fet­te Beute!


PS: Für alle blut­rüns­ti­gen Stamm­kun­den habe ich auch die­se Woche wie­der ein klei­nes Schman­kerl des Netz­werk­ta­ge­buch­hoo­li­ga­nis­mus aus­ge­gra­ben. Teu­fels­ker­le, die­se Typen: Fuck you, I‘m Mill­wall II.

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Kommentare (3)

Ein gebürtiger Hesse

9. Juli 2017 19:00

"In Stahlgetwittern" - schon die Überschrift dieses erneut wertvollen Sonntagsartikels beinhaltet just den rechten Widerstandsesprit. So spricht das das jugendhafte abenteuerliche Herz, das in der IB schlägt. Man darf dafür dankbar sein und sich eine Bluttransfusion wünschen.

Nils Wegner

9. Juli 2017 20:08

@ Hesse:

Wenn so "das jugendhafte abenteuerliche Herz" der IB spricht...

https://www.freitag.de/autoren/michael-angele/in-stahlgetwittern

Elfe12

10. Juli 2017 19:00

Ich sehe das nicht so dramatisch. Wie Jean Baudrillard in so treffender Schärfe bemerkte wird Geschichte nicht in Netz oder Zeitungen gemacht, sondern dort nur in Echtzeit bewirtschaftet und so sogar erstickt. Also sollte man es eher als Chance sehen. Lenin hatte auch kein Twitter oder Facebook. Letztlich ist das alles Quatsch. Und wer's nicht ohne kann, hat immer noch die Möglichkeit auf einen ausländischen/ außereuropäischen Server auszuweichen.

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