Caspar von Schrenck-Notzing und Criticón

von Karlheinz Weißmann

Heute wird Caspar von Schrenck-Notzing in München zu Grabe getragen.

Damit geht auch ein Abschnitt in der Geschich­te des deut­schen Nach­kriegs­kon­ser­va­tis­mus zu Ende. In allen Wür­di­gun­gen und Nach­ru­fen wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, daß Schrenck-Not­zing mit der Grün­dung der Zeit­schrift Cri­ticón die Tri­bü­ne für die rech­te Intel­li­genz der sieb­zi­ger und acht­zi­ger Jah­re geschaf­fen hat­te: von den katho­li­schen Tra­di­tio­na­lis­ten über die Ade­nau­er-Frak­ti­on und die Klas­sisch-Libe­ra­len bis zu den Nomi­na­lis­ten und Nationalrevolutionären.

Geplant war das ursprüng­lich nicht. Datiert auf „Ammer­land, im Mai 1970” ging ein hek­to­gra­phier­ter Rund­brief ins Land, der das Erschei­nen der ers­ten Aus­ga­be von Cri­ticón ankün­dig­te. Ein­lei­tend hieß es: „Bei dem Schwim­men gegen den Strom fällt es immer schwe­rer, aus der Sturz­flut des Gedruck­ten jene Publi­ka­tio­nen her­aus­zu­fin­den, die für die grund­le­gen­de und lau­fen­de Ori­en­tie­rung über Zeit­fra­gen wesent­lich sind.” Des­halb sei es nötig, eine „Sam­mel­stel­le” zu schaf­fen, die das Mate­ri­al sich­te und den Leser auch auf das hin­wei­se, was even­tu­ell am Ran­de ste­he. Die Num­mer 1 war denn auch ein gera­de zwölf Sei­ten umfas­sen­des Heft ohne Umschlag im For­mat DIN A 4, des­sen Schwer­punkt­the­ma das Den­ken Arnold Geh­lens bil­de­te (ein­lei­ten­der Text über Moral und Hyper­mo­ral von Armin Moh­ler, Autoren­por­trait von Geh­lens Schü­ler Han­no Kes­t­ing), wäh­rend man ansons­ten nur Rezen­sio­nen und kur­ze Hin­wei­se auf Orga­ni­sa­tio­nen, Ver­an­stal­tun­gen oder ande­re Zeit­schrif­ten fand.

Sei­ne spä­te­re Gestalt mit den auf­fal­lend far­bi­gen Umschlä­gen, auf denen eben kein deut­scher Adler, son­dern ein Hahn in gal­li­scher Manier prang­te, nahm Cri­ticón aller­dings schon im Lau­fe des zwei­ten Erschei­nungs­jahrs an. Auch die Glie­de­rung der ein­zel­nen Num­mer ergab sich früh­zei­tig. Die Autoren­por­traits bil­de­ten über die Zeit hin­weg eine Art Enzy­klo­pä­die der kon­ser­va­ti­ven Meis­ter­den­ker, wobei Schrenck-Not­zing groß­zü­gig jede Frak­ti­on der geis­ti­gen Rech­ten zur Gel­tung kom­men ließ, außer­dem gab es theo­re­ti­sche wie aktu­el­le Auf­sät­ze deut­scher und aus­län­di­scher Autoren, sowie ein poli­tisch-meta­po­li­ti­sches Edi­to­ri­al, das Schrenck-Not­zing unter dem Pseud­onym „Cri­ti­lo” – der „Kri­ti­sche” verfaßte.

Cri­ti­lo gehör­te zu den Figu­ren des alle­go­ri­schen Romans El Cri­ticón des spa­ni­schen Jesui­ten Bal­ta­sar Gra­cián, nach dem Schrenck-Not­zing sei­ne Zeit­schrift benannt hat­te. Gra­cián war einer jener „Machia­vel­lis­ten”, die die Frei­heit lieb­ten und des­halb die Macht der Gegen-Auf­klä­rung ein­setz­ten, um sich Ein­sicht in die tat­säch­li­chen Welt­zu­sam­men­hän­ge zu ver­schaf­fen. Das erklärt etwas von dem hohen ana­ly­ti­schen und pro­gnos­ti­schen Wert, den vie­le der in Cri­ticón ver­öf­fent­lich­ten Tex­te hat­ten. Zusam­men­fas­send schrieb Schrenck-Not­zing dazu: „Schwer­punk­te von Cri­ticón waren das rus­si­sche Dis­si­den­ten­tum (vor dem Nobel­preis für Sol­sche­ni­zyn), der ame­ri­ka­ni­sche Kon­ser­va­tis­mus (vor der Wahl Rea­gans), der bri­ti­sche Kon­ser­va­tis­mus (vor der Wahl von Mrs. That­cher), die Emi­gra­tio­nen der Ost­block­staa­ten (vor deren Zusam­men­bruch), die deut­sche Iden­ti­tät (vor der Wie­der­ver­ei­ni­gung), Par­tei­en und Medi­en (vor dem Aus­ufern des Par­tei­en- und Medienstaates).”

Man muß sich dabei ver­ge­gen­wär­ti­gen, daß Cri­ticón trotz oder gera­de wegen die­ser Qua­li­tät iso­liert in der deut­schen Zeit­schrif­ten­land­schaft stand. Selbst die Sprin­ger-Pres­se hat­te kaum mehr als Häme für die „kon­ser­va­ti­ven Stan­dar­ten­trä­ger” (Die Welt) übrig. Ein Sach­ver­halt, der auch durch ver­mehr­te Anstren­gun­gen nicht zu ändern war. Das ließ sich vor allem an den Über­le­gun­gen Schrenck-Not­zings in den acht­zi­ger Jah­ren able­sen, mit Cri­ticón aktu­ell einen eige­nen, alle drei Wochen erschei­nen­den Nach­rich­ten­dienst her­aus­zu­brin­gen. Ein Ver­such, der bereits im Ansatz schei­ter­te. Kur­ze Zeit spä­ter muß­te auch die Erschei­nungs­wei­se Cri­ticóns von zwei­mo­nat­lich auf vier­tel­jähr­lich umge­stellt werden.

Der Ein­satz­be­reit­schaft von Schrenck-Not­zing ist es zu ver­dan­ken, daß Cri­ticón trotz­dem die dama­li­ge Kri­se des kon­ser­va­ti­ven Zeit­schrif­ten­seg­ments über­stand, des­sen Publi­ka­tio­nen nach und nach ver­schwan­den, weil die Ver­le­ger­per­sön­lich­keit, die sie getra­gen hat­te, nicht mehr da war (Her­der­bü­che­rei Initia­ti­ve), auf­gab (Mut), sich von der CSU umar­men ließ (Zeit­büh­ne, Epo­che) oder ihr Milieu ver­lor (Kon­ser­va­tiv heu­te). Es war des­halb tra­gisch, daß die Aus­wahl eines Nach­fol­gers zu einem immer drän­gen­de­ren Pro­blem wur­de und Schrenck-Not­zings Wahl – Gun­nar Sohn, ein lang­jäh­ri­ger Mit­ar­bei­ter von Cri­ticón – sich als Fehl­ent­schei­dung erwies. Die gewis­se Häme, mit der die Neue Zür­cher Zei­tung im Früh­jahr 2000 einen Arti­kel über das „neue Cri­ticón” beti­tel­te mit „Kapi­tu­la­ti­on vor dem bösen alten Feind” war ein Signal dafür, daß Sohn nach kur­zem Lavie­ren, das Erbe, das er ange­tre­ten hat­te, ver­riet. Das hat­te auch mit objek­ti­ven Schwie­rig­kei­ten zu tun, die Zeit­schrift wie bis­her fort­zu­füh­ren, hing aber vor allem mit der Inkom­pe­tenz Sohns zusammen.

Und das ist das erstaun­li­che: Cri­ticón ist eine kon­ser­va­ti­ve Zwei­mo­nats­schrift, ein Blatt der rech­ten Intel­li­genz, sowohl nach sei­nem Selbst­ver­ständ­nis wie im Urteil der Kri­ti­ker. – Claus Leg­ge­wie 1987

Schrenck-Not­zing wird die­se Ent­wick­lung mit Bit­ter­keit ver­folgt haben, wenn­gleich er sich das nie­mals anmer­ken ließ. Durch die Zeit­schrift Agen­da, die sei­ne För­der­stif­tung von Karl­heinz Weiß­mann (FKBF) mit eini­gen Num­mern erschei­nen ließ, ver­such­te er noch ein­mal zu den Anfän­gen von Cri­ticón zurück­zu­keh­ren und ein kon­ser­va­ti­ves Rezen­si­ons­or­gan zu schaf­fen. Geglückt ist das nur im Ansatz. Es war offen­bar Zeit für etwas Ande­res, und das Erschei­nen der Sezes­si­on ist von Freund wie Feind als Ver­such betrach­tet wor­den, die Linie Schrenck-Not­zings unter den gege­be­nen Umstän­den fortzusetzen.

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