Der Angriff des Politischen

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Die­ser grund­le­gen­de Wan­del  im Wesen des Krie­ges nach über 350 Jah­ren hat der­art umfas­sen­de Fol­gen, daß eine sys­te­ma­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung damit und ange­mes­se­nes Han­deln noch immer nir­gend­wo auf der Welt statt­ge­fun­den haben. Das spielt ins­be­son­de­re dem inter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus in die Hän­de, der sehr genau um die Ver­wund­bar­keit sei­ner schwer­fäl­li­gen und zöger­li­chen staat­li­chen Fein­de weiß. Daß im Dezem­ber 2001 Kopien des  Arti­kels von Lind im afgha­ni­schen Höh­len­kom­plex Tora Bora gefun­den wur­den, der als Rück­zugs­ort isla­mis­ti­scher Kämp­fer dien­te, spricht eine  deut­li­che Spra­che für die Bedeu­tung die­ser Über­le­gun­gen – die wohl­ge­merkt noch kei­ner­lei Berück­sich­ti­gung in den Mili­tär­dok­tri­nen der »west­li­chen Welt« fan­den. Mili­tä­ri­sche Emp­feh­lun­gen, die im Semi­nar­rah­men von Lind und Offi­zie­ren ver­schie­de­ner west­li­cher Staa­ten erar­bei­tet wur­den, konn­ten anfangs nur als »Feld­hand­bü­cher der k.u.k. öster­rei­chisch-unga­ri­schen Mari­ne­infan­te­rie« ver­öf­fent­licht wer­den, weil von offi­zi­el­ler Sei­te kein Inter­es­se bestand.

Eine beschwich­ti­gen­de Apo­stro­phie­rung des IS als blo­ße »Ter­ror­mi­liz«, wie sie beson­ders in deut­schen Medi­en all­ge­gen­wär­tig ist, ver­kennt den Cha­rak­ter die­ser bei­spiel­lo­sen Orga­ni­sa­ti­on daher voll­um­fäng­lich. Denn was ist sie ande­res als die bis­lang wohl aus­dif­fe­ren­zier­tes­te Form eines sol­chen VNSA, die sich seit ihrem Auf­kom­men im Jahr 2003 zu einem bemer­kens­wer­ten Hybrid­ge­bil­de ent­wi­ckelt hat?

Inner­halb des »Kali­fats« auf ira­ki­schem und syri­schem Ter­ri­to­ri­um um das Zen­trum Mos­sul sind, soweit bekannt, alle staat­li­chen Struk­tu­ren aus­ge­bil­det wor­den; es gibt eine Art Regie­rung unter dem »Kali­fen« al-Bagh­da­di, Judi­ka­ti­ve, Exe­ku­ti­ve, inter­ne Sicher­heits­or­ga­ne, einen umfang­rei­chen Pro­pa­gan­da­ap­pa­rat sowie ein eige­nes Wäh­rungs­sys­tem und eine trag­fä­hi­ge wirt­schaft­li­che Infra­struk­tur. Durch das Ange­bot eines Lebens im Kali­fat statt im Unter­grund ist der IS für Sym­pa­thi­san­ten in aller Welt deut­lich attrak­ti­ver als etwa al-Qai­da. Dabei sind dem Anschluß an die Orga­ni­sa­ti­on zur Ver­hin­de­rung der Infil­tra­ti­on deut­li­che Hür­den vor­ge­schal­tet: Wie die deut­sche Fern­seh­do­ku­men­ta­ti­on Der lan­ge Arm des IS – Ter­ror in Euro­pa berich­te­te, gibt es eine Art »Gene­ral­ver­wal­tung«, die Neu­an­kömm­lin­ge durch­leuch­tet und der man zum Bei­tritt einen Bür­gen nach­wei­sen muß.

Zusätz­lich zu Stel­len, die den bewaff­ne­ten Kampf vor allem in Syri­en koor­di­nier­ten, gebe es außer­dem in Raq­qa eine »Kom­man­do­grup­pe für exter­ne Ope­ra­tio­nen« (»Emni«) unter der Füh­rung des jüngst getö­te­ten Stra­te­gen al-Adna­ni sowie des Ber­li­ners Reda Seyam. Die­se geheim­dienst­ar­tig auf­ge­bau­te Grup­pe, die spä­tes­tens seit Mai 2014 Selbst­mord­an­schlä­ge in Deutsch­land pla­ne, habe ab Beginn der Flücht­lings­kri­se 2015 gezielt und mas­siv Kämp­fer nach Euro­pa ein­ge­schleust, die spä­ter Atten­ta­te ver­üb­ten und auf ein bereit­ste­hen­des Unter­stüt­zungs­netz­werk inner­halb der mus­li­mi­schen Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten, etwa im bel­gi­schen Molen­beek, getrof­fen seien.

Die­ser bemer­kens­wert offe­ne Bericht, der die immensen Schwä­chen der euro­päi­schen Sicher­heits­ar­chi­tek­tur gegen­über der straf­fen IS-Orga­ni­sa­ti­on klar auf­zeig­te, ent­stand unter dem Ein­druck der Pari­ser Anschlä­ge vom 13. Novem­ber 2015 und wur­de am 30. Mai 2016 aus­ge­strahlt. Bun­des­kri­mi­nal­amt, Euro­pol und Islam­wis­sen­schaft­ler tun dar­in ihr Wis­sen kund und benen­nen kon­kret eine »ernst­zu­neh­men­de Bedro­hungs­la­ge« – knap­pe zwei Mona­te vor den Anschlä­gen in Deutsch­land, offen­bar ohne Konsequenzen.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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