Neues vom Ponyhof

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ich sehe was, was Sie nicht sehen! Näm­lich: ein ande­res Pho­to der »Rock­röh­re« (BILD) Jen­ni­fer Weist. Es zeigt wie das Bild rechts einen Aus­schnitt aus dem aktu­el­len Video »Hengs­tin« der Pop­ka­pel­le Jen­ni­fer Ros­tock, einem vor­pom­mer­schen Pro­jekt zur Erschaf­fung zeit­geist­taug­li­chen Lied­guts. Das Bild, auf des­sen Zur­schau­stel­lung wir hier aus Grün­den des Anstands, des Geschmacks und des Jugend­schut­zes ver­zich­tet haben, zeigt Jen­ni­fer W. nicht gera­de wie Gott sie erschuf, aber doch unbe­klei­det. Sie sitzt zurück­ge­lehnt, hat die Bei­ne breit gespreizt und die Arme vor ihren Brüs­ten (»von A auf C getu­n­et«, BILD) der­art ver­schränkt, daß sich die Hän­de über ihrer Scham über­kreu­zen. »Scham«, haha!

Heu­te, wo »Scham­ver­lust« wie­der ein zu affir­mie­ren­des The­ma ist, sagt frau dazu gern wie­der mit Retro­ge­zwin­ker: »unten­rum«. Frl. Sto­kow­ski (Spie­gel-online-Kolum­nis­tin) hat ihr aktu­el­les Opus magnum so benannt (Unten­rum frei); Char­lot­te Roche war mit Feucht­ge­bie­te und Schoß­ge­be­te eben­so ein, hm, lite­ra­ri­scher Vor­läu­fer wie Frl. Lau­rie Pen­ny (jun­ge Nr. 1‑Popfeministin, Buch: Fleisch­markt), Mit­hu M. San­y­al (Vul­va. Die Ent­hül­lung des unsicht­ba­ren Geschlechts) oder das älte­re Frl. Emcke, Frie­dens­preis­in­ha­be­rin (Buch: Wie wir begeh­ren). Bei all die­sen Frau­en mit ihrem Unten­rum­ge­rau­ne haben wir es mit soge­nann­ten Role models zu tun, sprich: mit sol­chen, die als para­dig­ma­ti­sches Rol­len­vor­bild für die heu­te mit­tel­jun­ge, »zor­ni­ge« Frau­en­ge­nera­ti­on taugen.

Zurück zu Frl. Weists hier zu ima­gi­nie­ren- dem Pho­to: Wir sehen den fast voll­stän­dig täto­wier­ten Kör­per der »Front­frau« (die die­ser Tage drei­ßig wird). Einen Ober­schen­kel ziert der brei­te Saum eines hal­ter­lo­sen Strump­fes. Auf den rech­ten Ober­schen­kel sowie auf die lin­ke Wade sind mit hei­ßer Nadel aus­führ­li­che Tex­te gesto­chen. Wel­che, kön­nen wir weder lesen noch wis­sen, das gehört – wie sämt­li­che ande­ren täto­wier­ten Aus- sagen – für Frl. Weist zur Pri­vat­sphä­re. (»Mein Kör­per ist mein Tage­buch.«) Es wird so etwas wie Wolf­ram von Eschen­bach (rechts) und Wal­ter Scott (links) sein – man soll­te sich hüten, die Leu­te zu unter­schät­zen! Auch Frl. Weists Hals ist grell täto­wiert. Bei der Ein­spie­lung ihres (klar: iro­nisch-abschre­cken­den) »Songs« »Dann wähl die AfD« trat klar her­vor, daß das Froll­ein »so ’nen Hals!« hat. Knall­rot! Die Stim­me der Wut!

Weist und ihre Kapel­le sind Teil jenes künst- lich gezüch­te­ten Pro­test­mi­lieus, das so tut, als schwim­me es wütend gegen den Strom, wobei das gan­ze Arran­ge­ment tat­säch­lich dar­auf ab- zielt, die Kraft des Haupt­stroms zu maxi­mie­ren. Bil­der, Satz­fet­zen und ein trei­ben­der Rhyth­mus die­nen dabei als Bot­schafts­ver­stär­ker. Vor der Text­ana­ly­se wol­len wir uns das neben­ste­hen­de Pho­to anschauen.

Bit­te: Nicht fixie­ren, zunächst grob drü­ber- schau­en! Eine trau­ri­ge Frau (hängt da nicht ein klei­ner Rotz­trop­fen aus der Nase?) mit sorg­sam gezupf­ten Augen­brau­en  schaut  melan­cho­lisch in die Fer­ne. Sie hat es nicht leicht! Zumin­dest, was ihr Ohr­ge­hän­ge betrifft. So gro­ße, fra­gi­le Rei­fen an so klei­nen Läpp­chen! Wie ver­letz­lich! Eine uner­war­te­te Bewe­gung, und das Häut­chen wür­de ein­rei­ßen! Außer­dem hat ihr jemand Marsh­mal­lows in die Haa­re geklebt. Eine Situa­ti­on, die wahr­lich nicht zum Lachen ist! Schau­en wir genau­er hin, sehen wir, daß der groß­di­men­sio­nier­te Ohr­schmuck  die  fili­gra­ne Inschrift »Hengs­tin« beinhal­tet. Ein gen­der­ir­ri­tie­ren­der Begriff, ver­gleich­bar mit »Heb­am­mer«.

Die Marsh­mal­lows (deutsch: Mäu­se­speck) erwei­sen sich als Haar­schmuck und Flecht­werk. Wir mer­ken zudem, daß das Rötz­chen ein Nasen­ring ist. Das ist übli­cher­wei­se ein Acces­soire für hys­te­ri­sche Rin­der und abge­rich­te­te Tanz­bä­ren. Wer frei­wil­lig sei­ne Nasen­schei­de­wand durch­sto­ßen läßt, um einen Ring hin­durch­zu­füh­ren, offen­bart ein gewis­ses Quent­chen an Maso­chis­mus. Talen­tier­te Pfer­de, Hengs­te wie Stu­ten, pflegt man zuzu­rich­ten. Man nennt das Dres­sur. Auf Men­schin­nen ange­wandt, wirkt die­ses Wort unzeit­ge­mäß. Nur Unter­ta­nen las­sen sich dres­sie­ren. Wer will schon als Unter­tan gel­ten? Höchs­tens die­je­ni­gen, die den mit­leid­erre­gen­den Unter­ta­nen­sta­tus für sich bean­spru­chen, in Wahr­heit aber wis­sen, daß sie das Wort haben.

Das Zau­ber­wort heißt Cho­reo­gra­phie. Eine Sache cho­reo­gra­phisch dar­zu­stel­len, das ist ein wirk­mäch­ti­ger Kom­mu­ni­ka­ti­ons­akt – wenn es pro­fes­sio­nell geschieht. Per Asso­zia­ti­on wer­den mit­tels Cho­reo­gra­phie Emo­tio­nen geschürt, Gefüh­le wer­den durch Insze­nie­rung gebahnt. Es ist eine Anlei­tung zum Fühlen.

Jen­ni­fer Ros­tocks neu­es Video »Hengs­tin« hat wahr­lich eine pro­fes­sio­nel­le und ziem­lich strik­te Cho­reo­gra­phie. Bis­lang haben rund drei Mil­lio­nen Kon­su­men­ten das Kunst­werk ange­klickt. Zunächst tanzt zu aggres­si­ven Rap-Beats eine weib­li­che Gar­de in For­ma­ti­on: schwarz geklei­det, kör­per­be­tont und voll­ver­schlei­ert – nur die Augen sind unbe­deckt. Dann tritt Frl. Weist auf, mit schrill­bun­tem BH- und Hös­chen-Out­fit, Mäu­se­speck und Nasen­ring. Spä­ter auch nak­kend, und, wie man einst­mals zu sagen pfleg­te: in obs­zö­ner Pose. Was hat sie zu sagen? Das:

 

Du hast gelernt, dass man bes­ser kei­ne Regeln bricht,

dass man sich bes­ser nicht im Gefecht die Nägel bricht.

Tie­fe Stim­men erhe­ben sich, gegen dich, kne­beln dich,

doch wer nichts zu sagen wagt, der spürt auch sei­ne Kne­bel nicht.

 

Du fragst, was Sache ist? Reden wir Tacheles!

Ich glau­be nicht dar­an, dass mein Geschlecht das schwa­che ist,

ich glau­be nicht, dass mein Kör­per mei­ne Waf­fe ist,

ich glau­be nicht, dass mein Kör­per dei­ne Sache ist.

 

Reiß dich vom Rie­men, es ist nie zu spät, denn ein Weg ent­steht erst, wenn man

ihn geht.

Ich bin kein Her­den­tier, nur weil ich kein Hengst bin, ich bin ’ne Hengstin!

 

Trau kei­nem Sys­tem, trau nicht irgend­wem, lass dich nicht von Zucker und Peitsche

zäh­men.

Ich bin kein Her­den­tier, nur weil ich kein Hengst bin, ich bin ’ne Hengstin!

Sys­tem! Waf­fen! Kne­bel! Peit­sche! Oh je! Soviel wil­de und offen­si­ve Oppo­si­ti­on geht nur, weil das hengst­mä­ßig sich auf­bäu­men­de Froll­ein in Wahr­heit eine Stu­te ist. Unge­zü­gel­te »Sys­tem­geg­ner­schaft« ist dann kom­pa­ti­bel, wenn  du das rich­ti­ge Geschlecht hast und im Namen eines emp­fun­de­nen, irgend­wie revo­lu­tio­när asso­zi­ier­ten Zwit­ter­tums auf­ge­behrst. Die Frau, die »end­lich« auf­bricht von ihrer Rol­le »am Herd«. Die mit den »Haa­ren auf den Zäh­nen«, Gen­derben­der, Vagi­na den­ta­ta. Es ist inter­es­sant, wie man im Zeit­al­ter der Frau­en­quo­ten und des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes  Eman­zi­pa­ti­on als Akt der Wag­nis und der fre­chen Revo­lu­ti­on per­for­men kann!

Für ihr ful­mi­nan­tes Video hat Jen­ni­fer Ros­tock eini­ge Kom­bat­tan­tin­nen gewon­nen, die hier in kur­zen Sequen­zen als »star­ke Frau­en« auf­blen­den. Bei­spiels­wei­se Brit­ta Stef­fen, Schwim­me­rin, oder Vanes­sa Low, Leicht­ath­le­tin, dane­ben eine Täto­wie­rungs­künst­le­rin, eine Gale­ris­tin, eine Ska­te­rin.  Sie alle: Alpha-Stu­ten, Super­frau­en, Rol­len­vor­bil­der. Sie alle: mit­ge­ris­sen vom Hauptstrom.

Für Hengs­tin Weist ist das Kör­per­the­ma bestim­mend: »Es geht dar­um, dass ich mit mei­nem Kör­per machen kann, was ich möch­te. My body, my rules. Nur weil ich Sili­kon-Brüs­te habe, heißt das noch lan­ge nicht, dass man mich dar- auf redu­zie­ren kann.« Eines ihrer neu­en Lie­der trägt pas­send den Titel »Sili­kon gegen Sexis­mus«. Übri­gens haben diver­se »Fap-Ver­sio­nen« von

»Hengs­tin« meh­re­re Zehn­tau­send Zuschau­er gene­riert. Falls Sie nicht wis­sen, was »fap« heißt: Bit­te nur im Fal­le der äußers­ten Not googlen!

Nun waren inner­halb der Pop­kul­tur Frau­en- stim­men immer eine Speer­spit­ze der Avant­gar­de. Man erin­ne­re sich an die Sän­ge­rin »Alex­an­dra« ali­as Doris Nefe­dov, die in den spä­ten sech­zi­ger Jah­ren reüs­sier­te. »Mein Freund, der Baum« und »Zigeu­ner­jun­ge«, das waren damals neue The­men, Öko­lo­gie und Exo­tik. Dazu: die­se tie­fe Alt­stim­me, die­ser Wer­de­gang: Mode­de­si­gne­rin, Miss-Ger­ma­ny-Bewer­bung, Schul­ab­bruch, Ehe mit einem alten Rus­sen. Uner­hört, damals! Und doch: eine See­le. Eine »ehr­li­che Haut« (unver­grö­ßert oben­rum, unbe­schrif­tet unten­rum), authen­tisch, klang­voll. Wie sind wir auf den Hund gekom­men! Par­don: Hün­din. Es gibt übri­gens auch dafür ein anglo­ame­ri­ka­ni­sches Wort. Bit­te nur zur Not googlen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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