»Lieber feige als tot« – Ein theoretischer Aufruf zur Gewalt

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Gewalt ist mit Clau­se­witz, Weber und Luh­mann wesent­lich »Erzwin­gungs­han­deln«, sie erzwingt ulti­ma­tiv kör­per­li­che Unter­wer­fung. Je wei­ter eine Kul­tur fort­schrei­tet, des­to deut­li­cher wird phy­si­sche Gewalt über- flüs­sig, des­to mehr wird sie zu einer bloß noch sym­bo­li­schen »Deckungs­ga­ran­tie«, von einem Durch­set­zungs- zu einem Darstellungsmittel.

Gewalt nicht anwen­den zu müs­sen, son­dern ihren Ein­satz auf ihre Nicht­ein­set­zung zu über­tra­gen, kenn­zeich­net moder­ne aus­dif­fe­ren­zier­te Gesell­schaf­ten. Was näm­lich bleibt, ist die Dro­hung. Kei­ne der moder­nen »sym­bo­lisch gene­ra­li­sier­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel« (Recht, Lie­be, Poli­tik, Erzie­hung usw.) funk­tio­nie­ren ohne das, was Luh­mann ihre »sym­bio­ti­schen Mecha­nis­men« nann­te, und das sind nun ein­mal: Kör­per. Poli­tik ist Macht­kom­mu­ni­ka­ti­on, deren Ulti­ma ratio – selbst in den Debat­ten zwi­schen unun­ter­scheid­ba­ren Block­par­tei­en und auf allen par­la­men­ta­ri­schen Ver­mitt­lungs­ebe­nen – Gewalt ist. Die moder­ne Demo­kra­tie tut nur so, als wäre die­se undenk­bar gewor­den und als wäre das ihr glanz­vol­les Verdienst.

Im Jah­re 1990 ist der fran­zö­si­sche Kul­tur­phi­lo­soph Pas­cal Bruck­ner fast schon so gründ­lich infi­ziert von den Debat­ten der Nou­vel­le Droi­te um Alain de Benoist, daß er die Demo­kra­tie am liebs­ten ihrem selbst­ge­mach­ten Unter­gang preis­ge­ben wür­de. Tut er dann doch nicht, Lin­ke haben da ja immer so eine irra­tio­na­le Hoff­nung in der Hin­ter­hand, die alle Wider­sprü­che ver­söh­nen soll, aber der Beginn von Die demo­kra­ti­sche Melan­cho­lie (dt. 1991) liest sich prophetisch.

Bruck­ner schreibt: »Demo­kra­tie for­dert Haß her­aus, denn sie ist die Geg­ne­rin der dunk­len Sei­te des mensch­li­chen Lebens.« Sie ist so fried­lich, so aus­ge­wo­gen, so ver­nünf­tig und all­ge­mein­gül­tig, daß Gewalt, Pola­ri­sie­rung, Irra­tio­na­li­tät und Unter­drü­ckung kei­nen Platz mehr haben, außer als Nega­tiv­pol, den zu bekämp­fen die Demo­kra­tie ein­zig und welt­um­span­nend beru­fen ist. Die Demo­kra­tie hat es geschafft, ihre Ent­ste­hungs­be­din­gun­gen (Kampf gegen Unter­drü­ckung, Ungleich­heit, Gewalt und Gefahr) völ­lig unsicht­bar zu machen. Demo­kra­tie ist uns Heu­ti­gen nur in den Schoß gefal­len. Daß es ein­mal ein unge­heu­rer Kampf war, demo­kra­ti­sche Prin­zi­pi­en zu errin­gen, fällt uns nicht mehr auf, soll uns nicht mehr auf­fal­len, denn fie­le es uns auf, hät­te die Demo­kra­tie noch nicht alle »anti­de­mo­kra­ti­schen« Wider­sprü­che abgetötet.

Manès Sper­ber hat 1970 den revol­tie­ren­den jun­gen Leu­ten ent­ge­gen- gehal­ten, daß es unge­heu­er ver­mes­sen sei, die Nach­kriegs­de­mo­kra­tie der- art in den Schmutz zu zie­hen und sie der »repres­si­ven Tole­ranz« und des »Kon­sum­ter­rors« zu bezich­ti­gen, wo ihm, 1905 als gali­zi­scher Jude gebo­ren, noch über­deut­lich vor Augen ste­he, was die eben erst über­wun­de­ne Alter­na­ti­ve zu die­ser Gesell­schaft gewe­sen sei. »Aller­dings«, so notier­te Sper­ber in sei­ner Schrift Wider den Zeit­geist, sei »ihre radi­ka­le Ver­ach­tung nur ideo­lo­gisch, denn in der Pra­xis genie­ßen sie mit vol­len Backen alles, was der tech­ni­sche Fort­schritt und eine gene­rö­se Wohl­stands­ge­sell­schaft Ange­hö­ri­gen der ›gebil­de­ten Stän­de‹ bie­ten kön­nen, deren Appe­tit so kon­stant ist wie ihre Über­zeu­gung, daß sie Anrech­te haben, die die Vor­rech­te des ›Estab­lish­ments‹ sind«.

Zwan­zig Jah­re spä­ter ist die­ser Wider­spruch wohl­ge­glät­tet, die Demo­kra­tie samt »sozia­ler Markt­wirt­schaft« hat sich alter­na­tiv­los durch- gesetzt, noch die wider­bors­tigs­ten Revo­lu­tio­nä­re haben es ein­ge­se­hen, sind älter und machen mit. Ihr Ver­bal­ak­tio­nis­mus ist die ein­ge­mein­de­te Schrumpf­form des Wider­spruchs. Bruck­ner gei­ßelt die damals wie heu­te ende­mi­sche »Faschis­mus«- und »Barbarei«-Schreierei anläß­lich völ­lig bana­ler insti­tu­tio­nel­ler, poli­ti­scher und kul­tu­rel­ler Erschei­nun­gen. Es  ist eine »Per­ver­si­on der Begrif­fe, in völ­li­gem Frie­den die Spra­che des Krie­ges zu spre­chen«. Wahr­schein­lich mer­ken aus die­sem Grun­de die gegen­wär­ti­gen Lin­ken nicht mehr, wann es wirk­lich ernst wird. Ihre Hys­te­rie im aus­ge­hen­den 20. Jahr­hun­dert hat die Wahr­neh­mungs­or­ga­ne blei­bend geschädigt.

Die Demo­kra­tie in Euro­pa ist fried­fer­tig gewor­den, der­ar­tig fried­fer­tig, daß sie zum einen alle Gewalt aus­la­gert durch Waf­fen­ver­käu­fe und zum ande­ren durch selbst­ge­wähl­tes US-Vasal­len­tum. Kämp­fen sol­len lie­ber die ande­ren. Peter Slo­ter­di­jk sah vor zwei Jah­ren in der völ­li­gen Fried­fer­tig­keit Euro­pas die extre­me Gefahr, daß die »Schlag­fer­ti­gen« die­ser Welt, sei­en es die USA oder der Islam, mit die­sem schlaf­fen Geg­ner ihr über­aus leich­tes Spiel hät­ten. Her­fried Mün­k­ler nann­te den­sel­ben Befund die »feh­len­de Opfer­be­reit­schaft in post­he­roi­schen Gesell­schaf­ten«, die sich aus poli­ti­schen Grün­den kei­ne grö­ße­ren Ver­lus­te leis­ten dürften.

»Lie­ber lasch als tot«, hie­ße dem­nach der Slo­gan unse­rer Epo­che, schrieb Bruck­ner 1991: »Nie ist es uns bes­ser gegan­gen – und nie waren wir weni­ger bereit, für unse­ren Wohl­stand zu ster­ben, so als lähm­te er unse­ren Wil­len zur Ver­tei­di­gung. Frank­reich, wie auch ein Groß­teil Euro­pas, ist eine schö­ne rei­fe Frucht, bereit, dem erst­bes­ten Erobe­rer in die Hän­de zu fallen.«

Bruck­ner hat Anfang der 90er Jah­re nicht wis­sen kön­nen, was wei­te­re zwan­zig Jah­re spä­ter pas­sie­ren wür­de, aber es ist, als ahn­te er aus ei- ner inne­ren Logik der Feig­heit (»lâche« heißt eher »fei­ge« als nur »lasch«) her­aus den Anfang ihres Endes. Er zitiert Juli­en Ben­da, der mein­te, man müs­se immer exakt die Geg­ner der Demo­kra­tie has­sen, weil man an die­ser Ges­te sehe, wes Geis­tes Kind sie sei­en. Bruck­ners Ant­wort: »Mei­net­we­gen. Aber wenn doch nun alle dafür sind?«

Der däni­sche Psy­cho­the­ra­peut Jes­per Juul beob­ach­tet seit etwa 20 Jah- ren, daß sich in Erzie­hung und insti­tu­tio­na­li­sier­ter Päd­ago­gik ein fata­les Aggres­si­ons­ta­bu durch­ge­setzt hat. Die neu­ro­man­ti­sche Kul­tur habe es geschafft, Erwach­se­nen die Bür­de auf­zu­er­le­gen, immer lieb, freund­lich, ver­ständ­nis­voll und päd­ago­gisch kor­rekt zu sein. »Wenn wir anneh­men«, schreibt Juul, »daß mei­ne Gene­ra­ti­on die Ehr­furcht vor Auto­ri­tä­ten ab-schüt­teln konn­te – sich end­lich frei fühl­te, frei von Auto­ri­tä­ten, die vor­schrie­ben, was und wie man zu sein hat, frei, um das zu ver­wirk­li­chen, was man wirk­lich ist, frei von fal­schen Rol­len­spie­len und frei, die eige­ne Iden­ti­tät zu bestim­men, und sich eige­ne Zie­le zu set­zen – war­um haben wir, und danach unse­re Kin­der, den Umweg über ande­re Arten von Rol­len­spie­len und eine ande­re Art Kon­for­mi­tät gewählt?«

Die Gewalt der Freund­lich­keit ist aus einem Kate­go­rien­feh­ler ent­stan­den: Es dür­fe nie wie­der Krieg geben, dar­in waren sich alle frie­dens­be­weg­ten Eltern und Erzie­her einig. Da die Grund­la­ge des Krie­ges Gewalt sei, müs­se man alle Gewalt aus der Erzie­hung der nächs­ten Gene­ra­ti­on til­gen. Da Aggres­si­on zu Gewalt füh­re, sei es nur kon­se­quent, sich von ihr zu distan­zie­ren und dar­aus ein Tabu zu machen.

Krieg jedoch ist nur eines­teils wesent­lich Gewalt, Mün­k­ler hat das anhand von Clau­se­witz’ tria­di­scher Kriegs­de­fi­ni­ti­on her­aus­prä­pa­riert: zum »blin­den Natur­trieb« (Haß und Gewalt) tre­ten immer auch die zwei ande­ren Fak­to­ren »freie See­len­tä­tig­keit« und »blo­ßer Ver­stand«, d. h. Agie­ren gemäß Wahr­schein­lich­keit und Zufall sowie poli­ti­scher Tak­tik. Und Aggres­si­on führt eben nicht not­wen­dig zu Gewalt, son­dern ist anthro­po- logisch not­wen­di­ge Zutat für Selbst­be­stim­mung, Sexua­li­tät, mate­ri­el­les Über­le­ben und jeg­li­che kämp­fe­ri­sche Leistung.

Das Ergeb­nis des Aggres­si­ons­ta­bus ist hyper­ste­ri­le und durch­päd­ago­gi­sier­te »gewalt­freie Kom­mu­ni­ka­ti­on«, um ja nie­man­des Inte­gri­tät noch durch »Mikro­ag­gres­sio­nen« zu ver­let­zen. Das Ergeb­nis sind rebel­lie­ren­de, aggres­si­ve, für psy­chisch krank erklär­te Opfer – nicht der Gewalt, so Juul, son­dern der freund­li­chen Gewalt­frei­heit. Sla­voj Žižeks idea­les Lie­bes­paar ist »inter­pas­siv« (Robert Pfal­ler), es läßt lie­ben. Zum trau­ten Stell­dich­ein bringt der Herr eine Taschen­mu­schi mit, die Dame einen Vibra­tor, sie über­las­sen die Gerät­schaf­ten ihrem Tun »and have a cup of tea ins­tead«. Wir müs­sen heu­te gegen den tie­fen­wirk­sams­ten Hedo­nis­mus aller Zei­ten kämp­fen, der die Mas­sen in Lie­be ver­sam­melt, dies aber, wie Freud bemerk­te, immer unter der Vor­aus­set­zung, daß es noch Außen­ste­hen­de gibt, an denen man sich abre­agie­ren kann.

Mit dem Lin­gu­i­stic turn fing eine Ent­wick­lung an, die heu­te in einer poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on endet, in der das­sel­be Gewalt­ta­bu wie in der Päd­ago­gik und in der Lie­be vor­herr­schend gewor­den ist. Witt­gen­steins Fest­stel­lung, die Bedeu­tung eines Wor­tes sei sein Gebrauch in der Spra­che (und nicht ein Gegen­stand in der Welt) führ­te dazu, daß die soge­nann­te »Sprech­akt­theo­rie« nun nicht nur die weni­gen Ver­wen­dun­gen von Wör­tern beschrieb, bei denen tat­säch­lich im Akt des Äußerns eine Hand­lung voll­zo­gen wird (z. B. jeman­den tau­fen, das Buf­fet eröff­nen, einen Krieg erklä­ren), son­dern Spra­che gene­rell so zu sehen begann, wie sie kau­sal funktioniert.

How to Do Things with Words (John L. Aus­tin, 1962) wur­de zu einem Modell, in dem Spra­che nicht bloß Hand­lun­gen kau­sal aus­löst (was schon über­zo­gen genug wäre), son­dern als »Sprech­akt« sel­ber Hand­lung ist. In der deskrip­ti­ven Lin­gu­is­tik und Sprach­phi­lo­so­phie ist das ja noch ein inter­es­san­tes Gedan­ken­ex­pe­ri­ment, doch läßt man so ein Modell auf die Poli­tik, die Päd­ago­gik, die Sexua­li­tät los, pas­siert Unvor­her­seh­ba­res. Man beginnt, wirk­lich zu glau­ben, daß Spra­che Gewalt sei und vor allem, daß die­se Gewalt über­all sei: vom »Pho­no­lo­go­zen­tris­mus« über die »Dis­po­si­ti­ve der Macht« zur »hete­ro­nor­ma­ti­ven Matrix«.

Die »kri­ti­sche« Rezep­ti­on des Lin­gu­i­stic turns in ame­ri­ka­ni­schem Prag­ma­tis­mus, Frank­fur­ter Schu­le und fran­zö­si­scher Post­mo­der­ne er- brach­te, daß es aus dem Kau­sal­zu­sam­men­hang kein Ent­rin­nen mehr gibt: Hate speech ist der alles über­zie­hen­de Ver­dacht, daß gewalt­tä­ti­ge Spra­che unmit­tel­bar gewalt­tä­ti­ge Fak­ten schafft. Spra­che wirkt in die­sem Ver­ständ­nis ent­we­der »sen­si­bi­li­sie­rend« oder »gewal­ter­zeu­gend«, und zu bekämp­fen wäre der kri­ti­schen Logik gemäß zwei­te­res. Unter­su­chun­gen zu The­men wie »Gewalt und Vir­tua­li­tät. Wie rechts­extre­me Face­book­sei­ten poli­ti­sche Gewalt schü­ren« hän­gen genau in die­sem sprech­akt­theo­re­ti­schen Gewalt­be­griff fest. Daß die gewalt­freie poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on sich in extrem aggres­si­ven For­de­run­gen nach straf­recht­li­cher Ver­fol­gung, Account- und Pro­fil­sper­rung, Stig­ma­ti­sie­rung, Ver­fas­sungs­schutz­be­ob­ach­tung und bewuß­ter Ver­hin­de­rung von Kar­rie­ren äußert, bestä­tigt die Zwei­sei­ten­form: Gewalt und Fried­fer­tig­keit sind zwei zusam­men­hän­gen­de Tei­le eines Codes.

Renaud Camus’ berühm­tes Dik­tum, er sei dadurch zum Patrio­ten gewor­den, daß ihm ver­bo­ten wur­de, einer zu sein, bezeugt sei­ne Selbst­ach­tung ange­sichts einer tota­len Selbst­ver­leug­nungs­hys­te­rie. Ange­sichts einer Mor­al­macht, die in sich zir­ku­lär argu­men­tiert, dadurch aber um so kräf­ti­ger über ihre Gren­zen aus­greift, packt einen mit­un­ter eine gewal­ti­ge Immun­re­ak­ti­on. Der­ar­ti­ges Gas­light­ing ist Erzwin­gungs­han­deln, es erzwingt Aggres­si­on! Es erzwingt die Rück­erobe­rung der Welt, der Welt, die man augen­schein­lich erfah­ren kann, mit Gewalt. Das Ras­sis­mus­ta­bu ver­nich­tet phä­no­me­na­le Evi­denz und erzeugt, gemäß Freuds Erhal­tungs­satz des See­len­le­bens, exakt die­se. Es geht nichts ver­lo­ren, weder in der Ein­zel­see­le noch im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis. Welt­leug­nung macht die letz­ten Welt­be­woh­ner wütend, statt sie wie geplant zu sedie­ren. Dann ist Aggres­si­on kein »Kul­tur­hin­der­nis« mehr, son­dern über­haupt der ein­zi­ge leben­di­ge Impuls, Kul­tur zu ret­ten. Ob das dann eine sub­li­mier­te meta­pho­ri­sche Gewalt oder, wenn die­ser Impuls im Tabu völ­lig unter­drückt wird, eine ech­te, phy­si­sche Ras­sen­un­ru­he wird, hängt von der See­len­stär­ke der Wüten­den ab.

Das gewalt­feind­li­che Para­dig­ma hat sogar die­je­ni­gen fest im Griff, die es zumin­dest ihrer Theo­rie­her­kunft und ihrer rea­lis­ti­schen Anthro­po­lo­gie nach erken­nen und ableh­nen müß­ten. Poli­ti­sche Bewe­gun­gen, Initia­ti­ven, Jour­na­lis­ten, Den­ker und Par­tei­en im rech­ten Spek­trum müs­sen sich von Gewalt distan­zie­ren und tun dies auch eil­fer­tig, sonst ist es aus mit ihnen. Daß die Jus­tiz, und mit­hin die dahin­ter­ste­hen­de Rechts­theo­rie, die  doch oft ideo­lo­gi­schen Ver­ein­nah­mungs­ver­su­chen kla­ren Kop­fes aus­wei­chen kann, hier völ­lig hilf­los ist und sich mora­lisch düpie­ren läßt, könn­te ihr schwer auf die Füße fal­len. Gewalt hat den inhä­ren­ten Vor­teil, jeder- zeit vom sym­bo­li­schen Dar­stel­lungs­mit­tel auch wie­der zum phy­si­schen Durch­set­zungs­mit­tel regre­die­ren zu können.

Freud hat­te recht. Aggres­si­ons­ab­wehr macht furcht­bar unglück­lich und neu­ro­tisch. Flam­boy­an­te Fried­fer­tig­keit for­dert Haß her­aus, denn sie ist die Geg­ne­rin der dunk­len Sei­te des mensch­li­chen Lebens. Wie kann man es ertra­gen, lie­ber fei­ge als tot zu sein? An Män­nern muß die­se Fra­ge schlim­mer nagen als an Frau­en, denen ein Hang zur brut­pfle­gen­den Fried­fer­tig­keit in den Schoß gelegt wor­den ist und deren Fort­pflan­zungs­trieb nur dar­un­ter lei­det, aggres­si­ons­ge­hemm­te ganz­kör­per­net­te »Part­ner« zur Aus­wahl zu haben.

Sys­te­misch ist Gewalt­ab­schnei­den töd­lich: Eine Sei­te des Codes gewalttätig/ fried­fer­tig zu eli­mi­nie­ren, führt zum Ver­en­den der kom­plet­ten Dop­pel­form, mit­hin, so leid es mir tut, auch der sozi­al erwünsch­ten Friedfertigkeit.

Demo­kra­tie ist fra­gi­ler, als sie ver­meint. Die Gefahr droht bei­lei­be nicht »von rechts«, weil man da um ihre pre­kä­re Lage sehr genau bescheid weiß, son­dern die Gefahr ist von dop­pel­ter Art: krie­ge­ri­scher Angriff von außen und selbst­zer­stö­re­ri­sches Gewalt­ta­bu von innen. Gewalt zu »kana­li­sie­ren« und sie ein­zu­he­gen in Kunst, Sport, Video­ga­mes, ein­ver­nehm­li­chem Sex und Erwach­se­nen­fil­men läuft ihrer Natur zuwi­der. Demo­kra­tie, so Bruck­ner am Ende der Demo­kra­ti­schen Melan­cho­lie, »muß sich ihr Gegen­teil, Gewalt, Unnach­gie­big­keit, Lei­den­schaft, ein­ver­lei­ben, sie kolo­ni­sie­ren« – das wahr­haft Gro­ße an der Gewalt ist jedoch, daß sie das alles nicht mit sich machen läßt.

»Mega­lo­pa­then« wür­de Slo­ter­di­jk gern jeden Erwach­se­nen nen­nen, den die gro­ßen Din­ge in Mit­lei­den­schaft zie­hen. Wer von Gewalt in Mit­lei­den­schaft gezo­gen wird, kann sie nur ver­tei­di­gen. Wel­che Fol­gen das in punc­to Feig­heit und Todes­ge­fahr haben kann, muß einem dabei klar sein.

 

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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