Wer sagt hier: afrikanischer Ausbreitungstyp?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

OMG! Wer eigent­lich noch nichts weiß, kennt jeden­falls die­sen Aus­ruf. Anders als ande­re Netz­kür­zel die­ser Sor­te ragt OMG, Oh my God, in die Sphä­re des Tran­szen­den­ten. Nun haben wir, knapp aus dem Alter der Netz­kür­zel­nut­zer her­aus, einen neu­en Rap-Gott. Oder Hip-Hop? Die Fach­pres­se ist uneins. Nicht über das Gött­li­che, son­dern des Gen­res wegen.

Es geht um Kendrick Lamar. Dunk­le Haut­far­be, sozia­li­siert in einem kali­for­ni­schen Pro­blem­be­zirk – wie man sieht (am wenigs­ten: das Kali­for­ni­sche). Das Video zum soge­nann­ten Song »Hum­ble« (dt. demü­tig, beschei­den), aus dem neben­ste­hen­des Bild stammt, wur­de im ers­ten Monat nach Ver­öf­fent­li­chung rund 150 Mil­lio­nen Mal (allein) auf You­Tube ange­schaut, das zu »DNA« (des­sen Lied­text recht gut zu einem Zukunft-Heft pas­sen mag) etwa 50 Mil­lio­nen mal. Bom­bas­ti­sche Zah­len! Die pure Mas­se bezeugt die Relevanz!

Wir sehen offen­kun­dig eine Adap­ti­on des Abend­mahls, wie es uns Leo­nar­do da Vin­ci über­lie­fert hat. Wir zäh­len kei­ne zwölf Jün­ger, son­dern sie­ben Män­ner of colour, Herrn Lamar dabei in der Mit­te thro­nend. Ich habe im Netz kei­nen Hin­weis dar­auf gefun­den, war­um Lamar neu­er­dings Schlä­fen­lo­cken trägt. Er ist kein Jude. Vier der Menschen/Jünger tra­gen Son­nen­bril­len, obwohl offen­kun­dig dif­fu­se Licht­ver­hält­nis­se herr­schen. Die Bril­le scheint dazu­zu­ge­hö­ren wie der Kapu­zen­pul­li, ein Acces­soire ohne Zweck.

»Ver­dunk­lungs­ab­sicht« ist eine schrä­ge Ver­mu­tung, zumal die Sze­ne­rie ohne­hin düs­ter genug wirkt. Die Typen haben Weiß­brot auf­ge­tischt und vier Fla­schen Wein. Die Ker­le rechts neben Lamar sind eini­ger­ma­ßen gechillt, sie müm­meln die lasche, wei­ße Teig­wa­re; der Wein­ken­ner unter ihnen prüft das Fla­schen­eti­kett. Links von Lamar fin­det ein Dis­kurs statt. Wel­cher Art, kön­nen wir nicht wis­sen. Phi­lo­so­phie, Musik­ge­schicht­li­ches? Oder geht es um eine Pus­sy, eine Gang?

Man muß über eine Men­ge Phan­ta­sie und Empa­thie ver­fü­gen, um Tex­te wie die von Lamar zu ver­ste­hen. Sei­ne »Musik« ist extrem wort­las­tig und beinhal­tet ein wenig mehr als das gen­re­üb­li­che uh, ah, your boobs, my dick, bitch. Dies alles frei­lich auch, und wir wis­sen natür­lich, daß gro­be, der­be, sexis­ti­sche und mord­lüs­ter­ne Auf­ru­fe in Lie­dern von deklas­sier­ten schwar­zen jun­gen Män­nern nie­mals ernst­ge­nom­men wer­den dür­fen. Sie die­nen dem Streß­ab­bau und sind iro­nisch oder lus­tig gemeint.

Ich bin nun ers­tens unsi­cher, ob Kendrick Lamars Lyrics (wie das alt­eu­ro­päi­sche Wort »Sang« und das moder­ne Wort »Text« im euphe­mi­sie­rend-uni­ver­sa­li­sie­ren­den anglo­ame­ri­ka­ni­schen Sound über­setzt wer­den) etwas mit Lyrik zu tun haben oder eher in die Kate­go­rie »Gebrab­bel« fal­len. Ich bin zwei­tens unsi­cher über das Vor­wis­sen der Hörer­mas­se. Wer schaut sich das eigent­lich an? Ich hat­te  eine klei­ne pri­va­te Umfra­ge­la­wi­ne gestar­tet, sprich: die eige­nen Kin­der ange­fixt und so ziem­lich alle Bekann­ten unter 35 Jah­ren: Wer von euch / von euren Freun­den a) kennt Kendrick Lamar, b) mag die­se Art Botschaft/Musik, c) kann mir sagen, warum?

Ergeb­nis: null. Eini­ge kann­ten den Namen, sie sag­ten »vom Weg­hö­ren«. Ver­mut­lich agiert die­ser Pop­gott Lamar in einer Fil­ter­bla­se, die die mei­ne nicht im ent­fern­tes­ten tan­giert. Ob ich (die ich zuge­ge­ben kei­ne Dun­kel­häu­ti­gen im Freun­des­kreis habe) dar­aus schlie­ßen darf, daß Lamar ein Künst­ler ist, der vor allem Dun­kel­häu­ti­ge (und wei­ße Feuil­le­to­nis­ten) anspricht? Wäre das also »Eth­no­mu­sik«?

Schau­en wir nach bei Lamars Klick­hit »DNA«. DNA, was soll das vor allem hei­ßen in einem Kon­text, in dem »fuck«, »penetrate«,»heritage«, »nig­ga« die meist­ge­brauch­ten Wör­ter sind? Wor­auf spielt das an? Auf den »afri­ka­ni­schen Aus­brei­tungs­typ«?  Im   Bio­a­bi­tur der neun­zi­ger Jah­re sprach man an deut­schen Gym­na­si­en noch von DNS, Des­oxy­ri­bo­nu­kle­in­säu­re: ein Bio­mo­le­kül, das Trä­ger der Erb­infor­ma­ti­on ist. Wer heu­te außer­halb aka­de­mi­scher Krei­se die­ses Kür­zel im Mun­de führt, steht im Ver­dacht, eine »bio­lo­gis­ti­sche« Dis­kus­si­on anzu­zet­teln. Ein »Bio­lo­gist« redu­ziert die Wür­de eines Men­schen auf sein Erb­gut. Das hat man nicht gern.

DNA, so wird Herrn Lamar nun im (ernst­haft: über­aus artis­ti­schen) Vor­spann des Vide­os beschie­den, steht für »Dead Nig­gas Asso­cia­ti­on«. Das ist eine bit­te­re Aus­le­gung. Das spielt dar­auf an, daß dun­kel­häu­ti­ge Men­schen mit grö­ße­rer Wahr­schein­lich­keit  gewalt­sam  ster­ben als Wei­ße. Aber wes­halb bloß? Wir hören Lamar stam­meln: Es geht um Coca­i­ne, Power, Poi­son, Pain (wag­ne­resk in die­ser Rei­hen­fol­ge!), Hor­mo­nes, Sex, Money, Mur­der, Burglars und um dies: »I don’t com­pro­mi­se, I just penetrate«.

Je nun. Wir könn­ten sagen, das sei doch eine hoch­i­ro­ni­sche Form  der  Selbst­be­zich­ti­gung. Musi­ker die­ser Sor­te reden dau­ernd vom Tot­fi­cken, Kaputt­hau­en und Fer­tig­ma­chen, und oft tun sie es weit­aus dezi­dier­ter als der Lyri­ker Lamar. Das ist alles wit­zig gemeint, ein Spiel mit dem Spiel – oder so.

Lamar gilt nun in sei­ner Peer group einer­seits als Ver­rä­ter. Ers­tens weil Oba­ma ihn ein­ge­la­den hat­te und ihn herz­lich umarm­te und zwei­tens weil der Bar­de eine Mit­schuld der Schwar­zen an den poli­zei­li­chen Über­grif­fen gegen die­sel­ben behaup­te­te. Aus­ge­rech­net von wei­ßen Jour­na­lis­ten muß­te Lamar sich dafür rügen lassen.

Lamar hat­te in einem Inter­view ziem­lich harm­los gesagt: »Wie kön­nen wir Respekt erwar­ten, wenn wir selbst kei­nen Respekt für uns haben?« Ein deut­scher Schreib­mensch (ZEIT) fand das uner­hört: »Das ist eine ver­que­re Rekon­struk­ti­on, die die Pro­tes­te gegen Poli­zei­ge­walt gegen Schwar­ze dele­gi­ti­miert.« Ande­rer­seits ist Lamars Lied »Alright« (»Nig­ga we gon’ be alright«) zu einem der Pro­test­songs der Black-lives-mat­ter-Bewe­gung geworden.

Auf dem Cover sei­nes vori­gen Albums hat­te Herr Lamar eine jubeln­de, joh­len­de Men­ge von Män­nern of colour abge­bil­det. Sie haben sich nackt oder halb­nackt vor dem Wei­ßen Haus zusam­men­ge­fun­den. Einer der far­bi­gen Bur­schen hält einen wei­ßen Säug­ling auf dem Arm. Natür­lich wür­de kein Mensch von Ver­stand ein sol­ches Pho­to als Nega­tiv­ab­zug dul­den! Ich stel­le mir fer­ner vor, eine Kapel­le wei­ßer Halb­star­ker wür­de (in iro­ni­scher Absicht, klar) Tex­te ver­öf­fent­li­chen, die »DNA« titel­ten und in denen es um »Loya­li­tät«, »Erbe«, »Schick­sal«, »Sex«, »Mord« und »grau­en­haf­te« frem­de DNA gin­ge. Wäre jemand bereit, die­se Art Witz zu gou­tie­ren? Hun­dert Mil­lio­nen Klicks hin­zu­neh­men? Herr Lamar darf das. Er ist »the real­est nig­ga after all«, und sein Erb­gut ist »soldier’s DNA«.

Vor zwölf Jah­ren hat­te ein fran­zö­si­sches Mode­haus mit einer Anzei­ge gewor­ben, die sich eben­falls grob an die über­kom­me­ne Abend­mahl­dar­stel­lung anlehn­te. Auf den Pla­ka­ten waren weib­li­che Man­ne­quins zu sehen, ein Mann mit nack­tem Ober­kör­per wur­de umarmt. Die katho­li­sche Kir­che hat­te dage­gen geklagt, die blas­phe­mi­sche Wer­bung muß­te ent­fernt wer­den. Lamar nun stellt nicht nur das Abend­mahl düs­ter ver­frem­det dar, er behaup­tet von sich im »DNA«-Text fer­ner, aus »imma­cu­la­te con­cep­ti­on« ent­stan­den zu sein.

Die unbe­fleck­te Emp­fäng­nis ist nun his­to­risch rela­tiv ein­zig­ar­tig. Die Kir­che hat mitt­ler­wei­le kein Pro­blem mit sol­chen Mätz­chen, viel­leicht muß­ten sich die Ver­ant­wort­li­chen mitt­ler­wei­le einer Schu­lung zu Tole­ranz und Cool­ness unter­zie­hen. Was sehen wir also, was ler­nen wir? Es gibt real­po­li­tisch, real­re­li­gi­ös eine Hier­ar­chie der Opfer. Wer bestimmt die, wer eta­bliert sie? Wir. Die Farb­lo­sen. Der­glei­chen liegt, anschei­nend, in unse­rer DNS begründet.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (1)

Brandolf

21. November 2020 18:52

Der Begriff Farbige als Bezeichnung für Menschen nicht-weißer Hautfarbe ist aus semantischer und sprachlogischer Sicht inadäquat, denn schließlich hat jedes Lebewesen und jede Sache zumindest eine oder im Regelfall sogar mehrere Farben.