Autorenporträt Ismail Kadare

»Es war eine selt­sa­me Stadt, die anmu­te­te, als sei sie in einer Win­ter­nacht wie ein vor­zeit­li­ches Wesen plötz­lich im Tal auf­ge­taucht und habe dann, unter gro­ßen Mühen empor­klim­mend, sich an den Abhang des Ber­ges geschmiegt. Alles an die­ser Stadt war alt und stei­nern […]. Schwer zu glau­ben, daß sich unter die­sen fes­ten Pan­zern das wei­che Fleisch des Lebens reg­te und erneu­er­te« – und 1936 auch Ismail Kada­re gebar, möch­te man die Vor­re­de sei­ner Chro­nik in Stein ergän­zen, in der Alba­ni­ens größ­ter Schrift­stel­ler sei­ner Hei­mat­stadt Gji­ro­kas­tra ein Denk­mal setzt. Dort ent­deckt er die grie­chi­sche Mytho­lo­gie und Mac­beth, beginnt mit elf Jah­ren, zu schrei­ben; das Eltern­haus, des­sen vie­le lee­re Räu­me wer­den zur Pro­jek­ti­ons­flä­che sei­ner Phantasie.

Schon hier sind ent­schei­den­de Ele­men­te von Kada­res Werk ange­legt: mör­de­ri­sche Aspek­te der Staat­lich­keit, die über­zeit­li­che Hei­mat­er­de, zudem als eine Art Lebe­we­sen und mit­hin ein flie­ßen­der Über­gang zwi­schen toter Mate­rie und der Welt der Leben­den, Mythen und Gespens­ter: In Dor­un­ti­nas Heim­kehr fin­den sie sich alle wie­der. Schwe­ren Her­zens ver­hei­ra­tet eine Mut­ter die ein­zi­ge Toch­ter in die Fer­ne. Ihr Sohn Kon­stan­tin gibt sein Ehren­wort, die Schwes­ter heim­zu­ho­len, wenn die Mut­ter ihrer bedarf; merk­wür­dig blaß und lehm­ver­schmiert gelei­tet er tat­säch­lich Jah­re spä­ter Dor­un­ti­na bis vor das Elternhaus.

Erst dort offen­bart ihr die ent­setz­te Mut­ter, daß alle neun Brü­der längst tot sind. Kon­stan­tin ist aus dem Grab gestie­gen, um sein Wort zu hal­ten; die alba­ni­sche Besa, wel­che als­bald auch als Wesens­kern und Flucht­burg der Nati­on das Über­le­ben sichern soll.
Denn der befürch­te­te Sturm bricht los und über das klei­ne Alba­ni­en mit dem Osma­ni­schen Reich eine ers­te Welt­macht her­ein. Wie auch in sei­nen Roma­nen aus der Zeit spä­te­rer Kon­fron­ta­tio­nen – mit dem faschis­ti­schen Ita­li­en, dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land oder der kom­mu­nis­ti­schen Sowjet­uni­on bzw. Chi­na – steht ins­be­son­de­re im jahr­hun­der­te­lan­gen Rin­gen mit den Osma­nen in Kada­res Werk die eige­ne Iden­ti­tät im Mit­tel­punkt, »die Ent­wick­lung die­ser iden­ti­tä­ren Kon­fron­ta­ti­on zwi­schen den Alba­nern und den Ande­ren« (M. Marku).

»Zu unse­ren Füßen lag Asi­en mit sei­nem Mys­ti­zis­mus und sei­nen Grau­sam­kei­ten. Wir blick­ten auf die­ses fins­te­re Meer, und uns wur­de klar, daß dies ihre Welt, ihre Lebens­art war, die sie uns samt den Ket­ten der Ver­skla­vung auf­zwin­gen woll­ten« – knapp kom­men­tie­ren namen­lo­se Bela­ger­te in Die Fes­tung das Gesche­hen vor ihren Mau­ern, wäh­rend das Gemäl­de der tür­ki­schen Kriegs­ma­schi­ne­rie in üppi­ger Far­ben­pracht aus­ge­führt ist. Immer eli­tä­re­re Ver­bän­de bis hin zu den Ser­den­getsch­ti, denen es nach erfolg­lo­sem Sturm nicht erlaubt ist, lebend zurück­zu­keh­ren, wirft der zuneh­mend ver­zwei­fel­te Pascha gegen die Fes­tung unter der »furcht­erre­gen­den Fah­ne mit dem schwar­zen, dop­pel­köp­fi­gen Vogel«, sei­ner­seits stän­dig beharkt vom alba­ni­schen Natio­nal­hel­den Skan­der­beg, »der wie ein böser Geist durch die Ber­ge streift«. Das Osma­ni­sche Reich, an dem sich Kada­re in zahl­rei­chen Wer­ken abar­bei­tet, wird dabei nicht immer his­to­risch akku­rat dar­ge­stellt, son­dern als »Pro­to­typ eines Super­reichs« (Joa­chim Röhm), um Grund­mus­ter zu offen­ba­ren – der Men­schen und des Leviathans.
Immer wie­der kommt die­ses über das ewig auf­rüh­re­ri­sche Alba­ni­en – den Osma­nen und spä­ter manch ande­ren Impe­ri­en »das Mut­ter­land des Ver­drus­ses«, wie Kada­re nicht ohne Stolz ver­merkt – in den end­lo­sen Sol­da­ten­ko­lon­nen des Padi­schah, denen als Zei­chen der Ver­ach­tung für die Auf­stän­di­schen Vogel­scheu­chen vor­an­ge­tra­gen wer­den; noch unheil­vol­ler aber nach dem Krieg: Mit dem Aus­nah­me­zu­stand oder »Erde der Bos­heit«, »beru­hend auf der Idee der tota­len Zer­split­te­rung: reli­gi­ös, regio­nal, feu­dal, nach Kas­ten, Sit­ten und Gebräu­chen« – und durch die Ent­na­tio­na­li­sie­rung oder Krakra.

Deren plan­vol­le Ver­ar­mung der Spra­che, die schließ­lich jede Fähig­keit ver- liert, »Gedich­te, Legen­den und Erzäh­lun­gen auf die Welt zu brin­gen« (und damit noch den kleins­ten Keim der Rebel­li­on), beschwört deut- lich Orwells Neu­sprech herauf.

Den Alba­nern aber gelang es, Hei­mat und Nati­on, »Wor­te, hin­ter denen stets Hand­schel­len lau­er­ten«, auch über eine vier Jahr­hun­der­te wäh­ren­de Fremd­herr­schaft ohne eige­nen Staat zu ret­ten, wohl auch durch den Rekurs auf die erwähn­ten »inne­ren Struk­tu­ren«, die Kada­re mit dem Ehren­wort Besa ein­führt, das wie­der­um den Dreh- und Angel­punkt des zum Teil bis heu­te wirk­sa­men alba­ni­schen Gewohn­heits­rechts dar­stellt, des Kanun.

Die­ser ist weni­ger für sei­ne zivil­recht­li­chen Nor­men bekannt als für jene die Blut­ra­che betref­fen­den berüch­tigt, die in Der zer­ris­se­ne April eine düs­te­re Fas­zi­na­ti­on ent­wi­ckelt – und wo gera­de die undra­ma­ti­sche Geschäfts­mä­ßig­keit aller Prot­ago­nis­ten einer Feh­de, »einer ziem­lich gewöhn­li­chen Geschich­te mit zwei­und­zwan­zig Grä­bern auf jeder Sei­te«, neben der ein­schlä­gi­gen Nomen­kla­tur erschüt­tert: Blut­ge­ber und Blut­neh­mer tra­gen ein schwar­zes Band, »für den Tod gezeich­net wie Bäu­me zum Fäl­len«; nach der unum­gäng­li­chen Pflicht zum Besuch von Begräbnis
und Lei­chen­mal sei­nes Opfers, gera­de als der Blut­feind, hat Gjorg vor Antritt sei­nes »Fle­der­maus­le­bens« in einem der unzäh­li­gen Flucht­tür­me noch die Blut­steu­er zu ent­rich­ten, im Turm des Prin­zen von Orosh bei des­sen »Ver­wal­ter des Blutes«.

An sol­chen düs­te­ren Gestal­ten, Sym­bo­len und Insti­tu­tio­nen gebricht es dem Uni­ver­sum Kada­res und ins­be­son­de­re sei­nem teils ver­frem­de­ten Osma­nen­reich wahr­haf­tig nicht: So kann selbst des­sen tra­di­tio­nel­le Süß­spei­se von Wert­schät­zung oder Unheil kün­den wie das »ange­brann­te Bak­la­va, das der Erz­bi­schof der Arme­ni­er kurz vor dem ver­nich­ten­den Pogrom gegen sein Volk erhielt«; dem kaf­ka­es­ken Palast der Träu­me wie­der­um ist »als Auf­ga­be der ›tota­le Tabir‹ über­tra­gen, die Erfas­sung und Erklä­rung der Träu­me von aus­nahms­los allen Staatsbürgern«.

Unzäh­li­ge Alba­ner mach­ten im Dienst der Hohen Pfor­te Kar­rie­re – im Wege der Kna­ben­le­se und dar­über hin­aus: »Kei­ne ande­re Nati­on hat­te dem Impe­ri­um so vie­le Paschas, Admi­ra­le und Wesi­re gege­ben wie das fer­ne Bal­kan­volk.« Die­ses aber ent­glei­tet am Vor­abend des Ers­ten Welt­kriegs dem »kran­ken Mann am Bos­po­rus« end­gül­tig, nur um sich in jahr­zehn­te­lan­gen, schwe­ren Geburts­we­hen wie­der­zu­fin­den, bis nach zahl­rei­chen Regime­wech­seln, neu­en Besat­zern und einem wei­te­ren Welt­krieg eine der ältes­ten Natio­nen Euro­pas schließ­lich zu dau­er­haf­ter Eigen­staat­lich­keit gelangt – unglück­li­cher­wei­se als kom­mu­nis­ti­sche Dik­ta­tur. Von den lan­gen Nach­we­hen des Zwei­ten Welt­kriegs han­delt Der Gene­ral der toten Armee, des­sen sinist­re Gra­bun­gen sei­ne Trup­pen immer zahl­rei­cher wer­den las­sen – »nur daß sie jetzt statt in Uni­for­men in Nylon­sä­cken stecken«.

Die Düs­ter­nis die­ses Werks, mit der Kada­re »ohne son­der­lich ver­we­gen gewe­sen zu sein, eine ›klei­ne Dis­si­denz‹ mar­kiert« hat­te, steht in star­kem Gegen­satz zum Sozia­lis­ti­schen Rea­lis­mus, der ihm am Mos­kau­er Gor­ki-Insti­tut ein­ge­bleut wer­den soll­te; die frü­he Lek­tü­re von Shake­speare und den grie­chi­schen Klas­si­kern hat­te ihn dage­gen »jedoch schon immu­ni­siert«, eben­so wie der gro­ße Erfolg des Gene­rals gera­de auch im Aus­land gegen die offi­zi­el­le (Literatur-)Kritik in der Hei­mat – um die das gewal­ti­ge Werk Kada­res als ihr Chro­nist bei aller Meta­pho­rik und Uni­ver­sal­gül­tig­keit immer kreist.
Der »unbe­irrt patrio­ti­sche Autor« »nimmt einen uralten Auf­trag der Epik wie­der auf […], die gro­ßen Über­le­bens­fra­gen der Nati­on im lite­ra­ri­schen Bild zu gestal­ten und als Deu­ter, als Stif­ter von Iden­ti­tät auf das Kol­lek­tiv zurück­zu­wir­ken« (Karl-Mar­kus Gauß in der Süd­deut­schen). Jah­re­lang sprach Kada­re hin­sicht­lich der Zuge­hö­rig­keit des Koso­vo zu Ser­bi­en vom »Skan­dal, daß mit­ten in Euro­pa ein Volk unter Kolo­ni­al­herr­schaft lebt«, nach des­sen Sezes­si­on von der Sehn­sucht nach einer Wie­der­ver­ei­ni­gung mit Albanien.

Kaum eine Dar­stel­lung ver­zich­tet denn auch auf das Zitat eines Kri­ti­kers – wohl einer der schöns­ten Vor­wür­fe an einen Schrift­stel­ler, zumal einen unver­brüch­lich patrio­ti­schen: »Wenn es um sei­ne Nati­on geht, ist Kada­re so blind wie Homer.« Jener wen­det ein, »daß Natio­na­lis­mus nicht bedeu­tet, sein eige­nes Volk zu lie­ben, son­dern ande­re nicht zu ertra­gen«. Sein eben­so lang­jäh­ri­ger wie bril­lan­ter Über­set­zer und Ver­trau­ter Röhm ver­neint »den lei­ses­ten chau­vi­nis­ti­schen Unter­ton« bei Kada­re, der viel­mehr »unent­wegt die ›euro­päi­sche Zuge­hö­rig­keit‹ Alba­ni­ens« beto­ne und »flam­mend des­sen wei­te­re ›Euro­päi­sie­rung‹ befürwortet«.

Indes, und trotz der Ein­wän­de Röhms, des­sen schil­lern­de poli­ti­sche Vita ihn vom KPD-Kader über den ver­such­ten Import der Ideen Hox­has in die BRD bis zur heu­ti­gen – bis­wei­len jen­seits der Gren­ze der Inter­pre­ta­ti­on lie­gen­den – poli­tisch kor­rek­ten Umdeu­tung von Kada­res Werk führ­te: In etli­chen teils auf­se­hen­er­re­gen­den Wort­mel- dun­gen sieht die­ser sei­ne Hei­mat und ihr Volk durch die jahr­hun­der­te­lan­ge osma­ni­sche Besat­zung als vor­über­ge­hend Euro­pa genom­men und von die­sem sinn­ge­mäß als Bal­kan­tür­ken verkannt.

Wenn Kada­re also vehe­ment eine »Euro­päi­sie­rung« Alba­ni­ens ein­for­dert, hat dies wenig mit einer Hin­ga­be der natio­na­len Iden­ti­tät zuguns­ten einer ver­wa­sche­nen EUro­päi­schen zu tun, son­dern viel­mehr mit der Ver­tei­di­gung des Eige­nen und ins­be­son­de­re einer Abgren­zung gegen­über der auf­ge­zwun­ge­nen isla­misch-vor­der­asia­ti­schen Iden­ti­tät; denn die »alba­ni­sche und euro­päi­sche Iden­ti­tät ver­schwin­den zu las­sen«, so Mar­ku, »hat­ten sich die osma­ni- schen Erobe­rer enorm verausgabt«.

Es ist eine Rück­be­sin­nung auf vor- isla­mi­sche alba­ni­sche Tra­di­ti­ons­li­ni­en, die Kada­re for­dert und die der Nati­on, wie ganz oben ange­führt, schon ein­mal das Über­le­ben gesi­chert haben. Obwohl sei­ne Fami­lie de iure dem Islam ange­hör­te, fin­den sich für die­sen denn auch in sei­nem Werk nicht die gerings­ten Sym­pa­thien – im Gegen­teil. Vom Novem­ber einer Haupt­stadt, wo »die vor isla­mi­scher Trau­rig­keit trie­fen­de Stim­me des Muez­zins an die ara­bi­sche Wüs­te den­ken läßt«, bis zum Auf­satz Die euro­päi­sche Iden­ti­tät der Alba­ner: »Die heu­ti­ge Tür­kei ver­sucht, mit Hil­fe der isla­mi­schen Reli­gi­on, das alba­ni­sche Volk ent­lang der reli­giö­sen Bruch­li­ni­en zu tren­nen und in wei­te­rer Fol­ge kul­tu­rell und wirt­schaft­lich zu kolo­ni­sie­ren« – zum zwei­ten Mal. Das Chris­ten­tum hin­ge­gen bezeich­net Kada­re als »geis­tig-kul­tu­rel­le Basis« sei­ner Nation.
In zwei Roma­nen epi­scher Brei­te, Der gro­ße Win­ter und Kon­zert am Ende des Win­ters, schil­dert Kada­re den All­tag im kom­mu­nis­ti­schen Alba­ni­en und des­sen Rin­gen mit der Sowjet­uni­on bzw. Chi­na; am Ende fan­den sich die auf­müp­fi­gen Alba­ner, »denen die Deut­schen, um noch Ben­zin ins Feu­er ihres Stol­zes zu gie­ßen, das Attri­but einer Her­ren­ras­se ver­lie­hen hat­ten«, in einer mehr nord­ko­rea­nisch ver­elen­de­ten als sple­ndid Iso­la­ti­on wie­der. In gespens­ti­schen Sze­nen wie der »Nacht der schwar­zen ZIM-Limou­si­nen«, deren Pro­zes­si­on kom­mu­nis­ti­scher Funk­tio­nä­re den Zwerg­staat zur Räson brin­gen soll, wird der Bruch von 1960 /61 zwi- schen den unver­dros­sen sta­li­nis­ti­schen Alba­nern und Chruschtschows
»tau­en­der« UdSSR nach­ge­zeich­net. Anders als in den »osma­ni­schen« Wer­ken, die es ihm ermög­lich­ten, im Kom­mu­nis­mus ver­klau­su­liert über den Kom­mu­nis­mus schrei­ben zu kön­nen, atta­ckiert Kada­re, wohl­mei­nend inter­pre­tiert, hier die Ideo­lo­gie fron­tal – aller­dings immer nur hin­sicht­lich ihrer Unzu­läng­lich­kei­ten anders­wo; der Ehren­schild Alba­ni­ens bleibt rein, und »begon­nen haben sie«.

Der Blut­hund Hox­ha erscheint als stren­ger, aber unüber­wind­li­cher Lan­des­va­ter; spä­ter läßt ihn Kada­re thea­tra­lisch erschau­dern bei der Erin­ne­rung an die Unta­ten eines Spieß­ge­sel­len, dem – wie­der Orwell, nach dem Mus­ter Goldstein/Trotzki – alle Schuld zuge­scho­ben wird, obwohl er letzt­lich ein blo­ßer Riva­le war, des­sen Ver­bre­chen der Sie­ger bei wei­tem über­tref­fen soll­te. Wirk­lich häß­lich gerät die erbar­mungs­lo­se Dar­stel­lung der ehe­ma­li­gen Bour­geoi­sie, der ohne­hin gede­mü­tig­ten und ent­rech­te­ten »Deklas­sier­ten«, als wei­ner­lich-gro­tes­ke Kari­ka­tu­ren in schärfs­tem Gegen­satz zum Bild des Hel­den des Romans, der nach man­cher­lei Fähr­nis end­lich »bereit war, die Dor­nen­kro­ne der Revo­lu­ti­on zu tragen«.

1988 ist es dann Chi­na am Ende der Mao-Ära, des­sen Staats­ter­ror und Kampf gegen die Kul­tur Kada­re nach­zeich­net und den gro­ßen Vor­sit­zen­den sagen läßt, »er wür­de sie hin­weg­fe­gen […]: Den Prä­si­den­ten Cer­van­tes, den Fürs­ten Beet­ho­ven, den Gene­ra­lis­si­mus Shake­speare, den Gra­fen Tolstoi.«
Zu die­sem Zeit­punkt lagen hin­ter Kada­re bereits Jahr­zehn­te eines »töd­li­chen Katz-und-Maus-Spiels« (S. Gup­py) mit dem Regime, gefolgt von teils erbit­ter­ten Vor­wür­fen einer zu gro­ßen Nähe zu die­sem. Fünf sei­ner Bücher waren ver­bo­ten wor­den, unzäh­li­ge Male die Zen­sur ein­ge­schrit­ten – aber sei­ne nicht zuletzt im inter­na­tio­na­len Erfolg begrün­de­te Aus­nah­me­stel­lung ermög­lich­te es ihm auch, die inkri­mi­nier­ten Stel­len selbst umzuschreiben.

Zur Dau­er­pro­vo­ka­ti­on Kada­res fast durch­ge­hen­der Miß­ach­tung der Prin­zi­pi­en des Sozia­lis­ti­schen Rea­lis­mus kommt der beträcht­li­che Mut, Para­beln über tota­li­tä­re Staa­ten in einer sta­li­nis­ti­schen Dik­ta­tur ver­faßt zu haben – jedoch als deren hoher Wür­den­trä­ger und Funk­tio­när. Im Gegen­satz zu ande­ren ver­gleich­ba­ren Regimes gab es in Alba­ni­en aber kei­ne Dis­si­den­ten, oder nur unter der Erde, bei der Skla­ven­ar­beit im Berg­werk oder gleich in einem frü­hen Grab. Aber wie­der­um: Selbst 1990 äußert Kada­re noch, so Tho­mas Kac­za, »daß es in Alba­ni­en nach der Befrei­ung die Ein­rich­tung der Zen­sur nie gege­ben hat und nicht gibt, was unse­rem sozia­lis­ti­schen Staat zur Ehre gereicht«.
Ihr Hel­den­tum ist für die Beur­tei­lung des Werks von Schrift­stel­lern nicht von Bedeu­tung – erst recht nicht, wenn der Weg zum Mär­ty­rer­tum nicht weit gewe­sen wäre. Aller­dings, so selbst der treue Röhm, »sind Schrift­stel­ler nicht immer die klügs­ten Inter­pre­ten ihrer selbst«; statt also unter ande­rem in Alba­ni­scher Früh­ling teils gehäs­si­gen Anwür­fen mit teils pein­li­chen Selbst­sti­li­sie­run­gen zu begeg­nen, wäre es wohl klü­ger gewe­sen, das eigent­li­che Werk für sich spre­chen zu las­sen, selbst wenn in Tei­len post fes­tum ver­faßt: den bis zur völ­li­gen Zer­rüt­tung füh­ren­den, stän­di­gen Zwang zu ver­nich­ten­der Selbst- und Fremd­an­kla­ge, im erschüt­tern­den Aga­mem­nons Toch­ter dar­ge­stellt, oder eben­dort die Figur des Qeros, der dem nim­mer­sat­ten Adler, der ihn aus der Fins­ter­nis in die Ober­welt tra­gen soll, bei jedem Kräch­zen »Stü­cke von sei­nem eige­nen Fleisch« ver­füt­tern muß, um nicht vom »Staats­un­ge­heu­er mit dem Raub­vo­gel im Wap­pen« »unwi­der­ruf­lich in den Abgrund geschleu­dert zu werden«

Kada­res Welt ist kein Hort der Glück­se­lig­keit – indes: »Lite­ra­tur hat mit ›hap­pi­ness‹ nichts zu tun; ich ken­ne kein ein­zi­ges Werk der Welt­li­te­ra­tur, wo man ihr begeg­nen könn­te.« Welt­li­te­ra­tur, zeit­lo­se zumal, ist sein in über 40 Spra­chen über­setz­tes Werk ohne Zwei­fel, das ins­be­son­de­re in Frank­reich größ­te Wert­schät­zung genießt, wo Kada­re seit Jahr­zehn­ten neben Alba­ni­en sei­nen Wohn­sitz hat und seit 2016 der Ehren­le­gi­on ange­hört. Das Schluß­wort, zugleich jenes von Der Nach­fol­ger, hat der Schrift­stel­ler selbst; wuch­tig ver­eint es des­sen wie­der­keh­ren­de Leit­mo­ti­ve inklu­si­ve Rekurs auf die Hei­mat­stadt, die er mit dem Dik­ta­tor gemein­sam hat, und ist allen Tyran­nen in den Mund gelegt:
»Wir ken­nen weder Gebet noch Ver­ge­bung, des­halb kommt nicht auf die Idee, für unse­re See­len Ker­zen anzu­zün­den. Spart euch eure Gebe­te für etwas Bes­se­res auf. Betet zum Bei­spiel dar­um, daß wir nicht im schwar­zen All, in dem wir ver­lo­ren umher­trei­ben, eines Nachts die fer­nen Lich­ter der Erde ent­de­cken und wie Mör­der, die der Zufall vor das Dorf führt, in dem sie gebo­ren sind, sagen: Ach schau, da ist ja die Erde! Denn dann könn­te es sein, daß wir zu eurem Unglück wie­der­keh­ren, Mas­ken vor dem Gesicht, die Hän­de immer noch blu­tig, ohne Reue, ohne Ver­ge­bung, ohne Trost.«

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)