Politische Paradoxien

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

Meta­po­li­tik ist ein Weg auf einer schma­len Gip­felli­nie. Auf bei­den Sei­ten dro­hen Abgrün­de. Vor­an geht es nur auf einem »Mit­tel­weg«, der stän­dig neu ertas­tet wer­den muß. Dar­aus erge­ben sich eini­ge Para­do­xien. Zwei davon möch­te ich in die­sem Text vorstellen.

Das ers­te ist das soge­nann­te Poli­ti­cal Iden­ti­ty Para­dox und wur­de erst­mals von Jona­than Matthew Smu­cker, einem links­ra­di­ka­len Ber­ke­ley-Stu­den­ten, benannt und folg­lich »ent­deckt«. Es beschreibt eine grund­le­gen­de Pro­ble­ma­tik: Jede poli­ti­sche Bewe­gung braucht einen Kern an idea­lis­ti­schen Akti­vis­ten, die sie lang­fris­tig tra­gen. Wenn die Bewe­gung wirk­lich oppo­si­tio­nell, also in einer Rand­po­si­ti­on ist, hat sie einen grund­sätz­li­chen Man­gel an Mas­se, Mensch und Mate­ri­al, der nur mit Idea­lis­mus aus­ge­gli­chen wer­den kann.

Die­ser Idea­lis­mus, und mit ihm Mut, Dis­zi­plin und Ver­läß­lich­keit, bedarf einer star­ken Grup­pen­iden­ti­tät. Das »Wir«-Gefühl muß die Opfer, die man zu erbrin­gen hat, wett­ma­chen. Eine star­ke Grup­pen­iden­ti­tät ist aller­dings – und hier beginnt das Para­do­xon – stets und not­wen­dig exklu­siv. Das »Dazu­ge­hö­ren« zu einer Cli­que, ob Biker­gang, Hoo­li­gan- oder Anti­fa­grup­pe, ist des­we­gen so begeh­rens­wert, weil eben nicht jeder dazu­ge­hö­ren kann. Klei­dung, Ver­hal­ten und Jar­gon mar­kie­ren eine schar­fe Gren­ze zwi­schen der eli­tä­ren Gemein­schaft und »den Ande­ren«. Die­se Gren­ze erzeugt erst die inne­re Span­nung, die für eine star­ke Grup­pen­iden­ti­tät und dau­er­haf­ten Idea­lis­mus von Nöten ist.

Doch genau die­se star­ke Grup­pen­iden­ti­tät führt auch zu einer Ein­kap­se­lung der Bewe­gung. Für eine Biker­gang oder Anti­fa­grup­pe, die kei­ne kon­kre­ten poli­ti­schen Zie­le oder Stra­te­gien hat, ist das kein Pro­blem. Jede meta­po­li­ti­sche Grup­pe hin­ge­gen muß offen­blei­ben. Die star­ke Grup­pen­iden­ti­tät ver­rin­gert aber die Mög­lich­kei­ten des Wachs­tums, der Bil­dung von Alli­an­zen, der Anschluß­fä­hig­keit und der Ein­fluß­nah­me, was den poli­ti­schen Zweck der Grup­pe ver­ei­telt. Was  die Grup­pe für   ihr Durch­hal­ten braucht, führt gleich­zei­tig zu ihrer Iso­la­ti­on. Was ihre Strahl- und Anzie­hungs­kraft aus­macht, stößt gleich­zei­tig die­je­ni­gen ab, die noch nicht dabei sind. Das ist das Poli­ti­cal Iden­ti­ty Para­dox.

Smu­cker führt als Bei­spiel dafür den Zer­fall der gro­ßen Mas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on SDS (»Stu­dents for a demo­cra­tic socie­ty«) in den 1960er Jah­ren an. Die brei­te, struk­tur­ba­sier­te, links­ra­di­ka­le Bewe­gung wur­de von der extre­mis­ti­schen und spä­ter ter­ro­ris­ti­schen »Weathermen«-Fraktion zer­schla­gen. Die eli­tä­re Kern­grup­pe hat­te sich von den eige­nen Mit­glie­dern ent­fernt, die sie auf­grund ihrer libe­ra­len Halb­heit verachtete.

Die­se Ver­ach­tung zeig­te sich in den »Days of Rage«. Zwi­schen 8. und 11. Okto­ber 1969 woll­te die eli­tär-extre­mis­ti­sche Frak­ti­on den »Krieg nach Hau­se brin­gen« und zog eine Spur der Ver­wüs­tung durch Chi­ca­go. Mark Rudd, einer der radi­ka­len Spre­cher, ver­kün­de­te in einer Anspra­che: »Der SDS ist nicht radi­kal genug. Er muß ster­ben.« Er und ein ande­rer Hun­dert­pro­zen­ti­ger gin­gen sogar so weit, alle Akten und Mit­glie­der­lis­ten aus dem SDS-Büro in Chi­ca­go auf einer Müll­hal­de abzu­la­den. Mit die­ser eli­tär-extre­mis­ti­schen Hal­tung, die fol­ge­rich­tig in den Ter­ro­ris­mus führ­te, hat­ten die »Wea­ther­men«, wie das FBI genüß­lich ver­merk­te, »fast alle Anhän­ger ver­schreckt« und ihre eigent­li­che Schlag­kraft zerstört.

Die star­ke Grup­pen­iden­ti­tät ist not­wen­dig, um das habi­tu­el­le Feh­len von fes­ten Struk­tu­ren, Hier­ar­chien und Gehäl­tern aus­zu­glei­chen. Sie allein ist eine Rück­ver­si­che­rung, stärkt das Ver­trau­en und schafft den nöti­gen Zusam­men­halt für den poli­ti­schen Akti­vis­mus. Und so bil­den sich abge­schlos­se­ne Krei­se mit Ritua­len, Lebens­stil und  Wohn­pro­jek­ten. Die­se Krei­se prä­fi­gu­ra­ti­ver Poli­tik wir­ken auf Neu­lin­ge aber oft wie ein »Kul­tur­schock«. Sie erschwe­ren defi­ni­tiv den Ein­stieg, oft schei­tert er dar­an sogar, und der Kreis der Ver­trau­ten wächst nicht, obwohl er unter sei­nem Arbeits­pen­sum ächzt. Die Sym­pa­thi­san­ten ste­hen der­weil nicht abge­holt und untä­tig am Rand.

Smu­cker emp­fiehlt einen Aus­gleich zwi­schen Bon­ding und Bridging. Ohne star­kes Bon­ding und »Wir«-Gefühl fehlt der Grup­pe die Kraft für lang­fris­ti­gen Akti­vis­mus. Aber ohne Bridging, also Offen­heit und Anschluß­fä­hig­keit, ver­kommt die Grup­pe zu einer iso­lier­ten Sek­te, deren Weg in Gewalt und Ter­ror enden kann.

Das Poli­ti­cal Iden­ti­ty Para­dox zu über­win­den, ist des­halb eine der gro­ßen Auf­ga­ben der Anfüh­rer poli­ti­scher Bewe­gun­gen. Sie müs­sen die Grup­pen­iden­ti­tät för­dern, dür­fen aber nie­mals selbst in ihr auf­ge­hen. Das Bon­ding geschieht von selbst, wenn man Akti­vi­tä­ten jen­seits von Aktio­nen för­dert. Das Bridging hin­ge­gen erfor­dert ein geziel­tes Ein­grei­fen. Die Brü­cke nach außen muß ste­hen, der Lei­ter muß brem­sen, wo sich eine eli­tä­re Lust am »Wir selbst« einstellt.

Weni­ger äußer­li­che Codes als ein gemein­sa­mes Ziel und ein gemein­sa­mer Wil­le zur poli­ti­schen Ver­än­de­rung sol­len den Geist der Kern­grup­pe bil­den. Ein hung­rig-poli­ti­sches, nicht sta­tisch-sub­kul­tu­rel­les »Wir«-Gefühl ver­hin­dert die Iso­la­ti­on und das Abglei­ten in poli­ti­sche Selbst­ge­nüg­sam­keit. Das zwei­te Para­do­xon betrifft nicht die Inter­na, son­dern den Akti­vis­mus. Es ist das »Pola­ri­sie­rungs­pa­ra­dox«. Es beschreibt die Not­wen­dig­keit einer meta­po­li­ti­schen Bewe­gung, in der Pro­vo­ka­ti­on die Gesell­schaft zu pola­ri­sie­ren und dabei manch­mal auch ihre eige­ne Sym­pa­thi­san­ten­ba­sis vor den Kopf zu sto­ßen. Das Ver­ständ­nis die­ser Dia­lek­tik ist beson­ders wich­tig, bedeu­tet es doch auch das Begrei­fen des Unter­schieds von Par­tei und Bewegung.

Dazu erst ein­mal eine Meta­pher: Die Bewe­gung hat die Funk­ti­on der Axt, die Par­tei die des Pflu­ges. Die Bewe­gung erschließt meta­po­li­ti­sches Land und macht es urbar. Sie wühlt auf und ist dis­rup­tiv. Die Par­tei beak­kert und bear­bei­tet das erschlos­se­ne Gebiet. Wäh­rend sie sich stets im Rah­men des Mög­li­chen und Gang­ba­ren bewegt und durch geschick­te »Tri­an­gu­la­ti­on« die anschluß­fä­higs­te Posi­ti­on sucht, muß die Bewe­gung den Rah­men sprengen.

Die Auf­ga­be der Par­tei ist die Gewin­nung real­po­li­ti­scher Macht durch die Maxi­mie­rung von Stim­men. Ihr Erfolg wird am Wahl­tag durch den Stim­men­an­teil ver­deut­licht, ihre For­de­run­gen muß sie so anschluß­fä­hig wie mög­lich for­mu­lie­ren. Das Werk­zeug der Pro­vo­ka­ti­on soll­te von ihr, wenn über­haupt, zur Gewin­nung von Auf­merk­sam­keit ange­wandt werden.

Die meta­po­li­ti­sche Bewe­gung hin­ge­gen sprengt den Rah­men der »Nor­ma­li­tät«, in dem die Par­tei nach Anschluß­fä­hig­keit sucht. Um ihn zu erwei­tern, muß sie regel­mä­ßig, gezielt und kon­trol­liert die Gren­ze des Sag­ba­ren über­schrei­ten. Ihr Ele­ment ist die Pro­vo­ka­ti­on. Sie ist nur wirk­sam, wenn sie mas­sen­haft wahr­ge­nom­men wird. Die Bewe­gung muß aus­rei­chend vie­le Akti­vis­ten und Sym­pa­thi­san­ten sam­meln, um lang­fris­ti­ge Stra­te­gien des zivi­len Unge­hor­sams und Kam­pa­gnen gegen die Pil­lars of sup­port (Gene Sharp) der herr­schen­den Ideo­lo­gie umset­zen zu können.

Jedoch gibt es in der Mit­te der Gesell­schaft (ins­be­son­de­re rechts von ihr) eine prin­zi­pi­el­le, von inhalt­li­cher Zustim­mung unab­hän­gi­ge Geg­ner­schaft zu poli­ti­schem Akti­vis­mus: Je stär­ker eine Bewe­gung pro­vo­ziert und pola­ri­siert, des­to mehr ver­liert sie von ihrer Anschluß­fä­hig­keit, die sie wie­der­um für ihre meta­po­li­ti­sche Wirk­sam­keit benö­tigt. Damit ist das Para­do­xon auf den Punkt gebracht. In ihm zeich­nen sich zwei ver­schie­de­ne Auf­ga­ben­be­rei­che ab.

Da ist zum einen das Over­ton win­dow. Das ist der Raum des Sag­ba­ren, an des­sen Mit­te sich der Durch­schnitt ori­en­tiert. Sou­ve­rän ist heu­te, wer über den Rah­men des Over­ton win­dow bestimmt und die Poli­ti­cal cor­rect­ness durch­setzt. Auch die rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tei­en müs­sen sich in ihrer Auf­ga­be der Stim­men­ma­xi­mie­rung die­sem Geba­ren anpas­sen. Lei­der »natu­ra­li­sie­ren« vie­le die­se prag­ma­ti­sche Not­wen­dig­keit zur poli­ti­schen Tugend. Sie ver­drän­gen, daß das gesam­te Bezugs­sys­tem seit Jahr­zehn­ten nach links gerückt ist. Daß es auf ein­mal »völ­kisch und ras­sis­tisch« ist, ein eth­nisch und kul­tu­rell homo­ge­nes Land zu wol­len, daß Gebur­ten­för­de­rung auto­ma­tisch unter »Lebensborn«-Verdacht steht, daß wir den Bevöl­ke­rungs­aus­tausch und den Sta­tus als »Ein­wan­de­rungs­land« als Nor­ma­li­tät hin­neh­men müs­sen, daß Krie­ger­denk­mä­ler ent­fernt und die Gen­der­ideo­lo­gie im Lehr­plan immer frü­her ange­setzt wird – all das ist Ergeb­nis der lin­ken Ver­schie­bung des Over­ton win­dow.

Wie kön­nen Par­tei und Bewe­gung  dage­gen­hal­ten? Wie ver­schiebt man die­ses Fens­ter, wenn man kei­ne Deu­tungs­ho­heit inne­hat? Das Mit­tel ist die plan­mä­ßi­ge, anschluß­fä­hi­ge Pro­vo­ka­ti­on. Der Grenz­gang über den Rand des Fens­ters muß von einer Avant­gar­de regel­mä­ßig durch­ge­führt, wie­der­holt und eta­bliert wer­den, und sofern die­se Grenz­über­schrei­tun­gen die zen­tra­len Res­sour­cen Auf­merk­sam­keit und Zuspruch der Mas­se erhal­ten, führt die­se Wie­der­ho­lung zu  Nor­ma­li­sie­rung und Eta­blie­rung. Das, was als »zu extrem« gilt, wird neu ver­han­delt, und das poli­ti­sche Fens­ter rückt in die Gegen­rich­tung. Drei Schrit­te vor und zwei zurück – das war die Tak­tik der links­ra­di­ka­len Fun­dis und links­mo­de­ra­ten Rea­los. Zwi­schen geziel­ten Schocks und kon­zi­li­an­ter Gemüt­lich­keit zwan­gen sie die meta­po­li­ti­sche Land­schaft Deutsch­lands nach links.

Die not­wen­di­ge und über­fäl­li­ge Ant­wort kann und muß sich der­sel­ben Mit­tel bedie­nen. For­de­run­gen nach Grenz­schlie­ßung und Remi­gra­ti­on, dem Erhalt unse­rer eth­no­kul­tu­rel­len Iden­ti­tät und einem Ende der Zen­sur müs­sen so lan­ge wie­der­holt wer­den, bis das Over­ton win­dow wie­der in eine gesun­de Mit­te gerückt ist. Da- bei gilt: Die vie­len klei­nen Vor­stö­ße und Pro­vo­ka­tio­nen sind nur effek­tiv, wenn sie eine gro­ße Grup­pe aus dem oppo­si­tio­nel­len Lager »mit­rei­ßen«. Wenn sie kei­ne Sym­pa­thi­san­ten mit­zie­hen, sind sie sinn­los. Sie »bespiel­ten« dann nur das Bestehen­de, was zwar einen Mann (oder eine gan­ze Redak­ti­on) ernähr­te, aber nicht die not­wen­di­ge Lage­än­de­rung herbeiführte.

Die »anschluß­fä­hi­ge Pro­vo­ka­ti­on« ist der Weg aus dem Pola­ri­sie­rungs­pa­ra­dox. Sie erfor­dert eine pro­vo­kan­te Gelas­sen­heit der akti­vis­ti­schen Bewe­gung. Das Ziel kann gar nicht sein, allen und jedem zu gefal­len. Fran­ces Fox Piven schreibt in ihrem Buch Chal­len­ging Aut­ho­ri­ty: »Kon­flikt ist der Herz­schlag sozia­ler Bewe­gun­gen.« Die Pola­ri­sie­rung »zwingt die Men­schen, sich zu fra­gen, wo sie in bezug zu The­men ste­hen«. Und mehr:

»Pro­test­be­we­gun­gen dro­hen, die Mehr­heits­ko­ali­tio­nen, die Poli­ti­ker emsig zusam­men­hal­ten wol­len, zu spal­ten. Um mög­li­che Abgän­ger auf­zu­hal­ten, bezie­hen Poli­ti­ker öffent­lich neue Stand­punk­te.« Genau so ist die Über­nah­me der AfD- und FPÖ-For­de­run­gen durch CDU und ÖVP zu ver­ste­hen. Sie ist kein Grund zur Ver­zweif­lung, aber auch kein Grund zum Fei­ern, son­dern zum gestärk­ten Vor­stoß gegen das links­las­ti­ge Over­ton win­dow.

Das Phä­no­men, daß das oppo­si­tio­nel­le Lager zwar mit den Ideen der Bewe­gung, weni­ger aber mit ihren Akti­ons­for­men sym­pa­thi­siert, ist dabei so alt wie der poli­ti­sche Wider­stand selbst. Man darf kei­ne Angst davor haben, auch aus den eige­nen Rei­hen Kri­tik zu ern­ten, denn wir befin­den uns damit in guter Gesell­schaft. Auch die erfolg­rei­chen Pola­ri­sie­rungs­stra­te­gien von Mar­tin Luther King und Mahat­ma Gan­dhi wur­den von befreun­de­ten Zeit­ge­nos­sen als kon­tra­pro­duk­tiv betrachtet.

So ging es King nach dem bekann­ten »Pro­jekt C«, der geziel­ten Kon­fron­ta­ti­ons­tak­tik in einer der Hoch­bur­gen der Apart­heid, näm­lich Bir­ming­ham. Mas­si­ve Poli­zei­ge­walt und Fest­nah­men waren pro­vo­ziert wor­den, und auch King selbst war in Haft, da er sich einem Ver­samm­lungs­ver­bot wider­setzt hatte.

Als er sei­nen bekann­ten »Gefäng­nis­brief« schrieb, hagel­te es Kri­tik von sei­ten der libe­ra­len wei­ßen Unter­stüt­zer. »Wir ver­ste­hen die Unge­duld der Men­schen, die das Gefühl haben, daß ihre Hoff­nun­gen nur lang­sam rea­li­siert wer­den«, schrieb eine Grup­pe von acht bekann­ten libe­ra­len Bür­ger­recht­lern aus Ala­ba­ma, »aber wir sind über­zeugt davon, daß die­se Demons­tra­tio­nen unklug und nicht zeit­ge­recht sind.« Damit wür­de King die gesam­te »Mit­te der Gesell­schaft« verschrecken.

Auch Gan­dhis Wider­stand wur­de von den Oppor­tu­nis­ten sei­ner Zeit als kon­tra­pro­duk­tiv betrach­tet. Doch er ist eben­so »kon­tra­pro­duk­tiv« wie der Kon­ter im Fuß­ball, der die eige­ne Abwehr schwächt – also kon­tra­pro­duk­tiv aus den Augen des Tor­manns. Der Blick des Trai­ners muß aller­dings das Gan­ze im Auge behal­ten und erken­nen, wo und wann Pola­ri­sie­rung und anschluß­fä­hi­ge Grenz­über­schrei­tung gebo­ten ist.

Das Para­dox der poli­ti­schen Iden­ti­tät und der Pola­ri­sie­rung zu ver­ste­hen und zu meis­tern, ist eine täg­li­che Auf­ga­be, mit der die »Köp­fe« der neu­en patrio­ti­schen Bewe­gung meist recht allei­ne daste­hen. Zwi­schen allen Über­le­gun­gen und Abwä­gun­gen kris­tal­li­siert sich ein ein­zi­ges kla­res Gebot her­aus: Struk­tur, Ord­nung und Dis­zi­plin. Die ver­schie­de­nen Tei­le des Lagers kön­nen am bes­ten funk­tio­nie­ren und zusam­men­wir­ken, wenn sie ihre ver­schie­de­nen Auf­ga­ben im Gan­zen ver­ste­hen und damit die Not­wen­dig­keit einer kla­ren Tren­nung erkennen.

Ins­be­son­de­re das Pola­ri­sie­rungs-Para­do­xon ist eigent­lich kei­nes, son­dern stellt sich aus einer höhe­ren, stra­te­gi­schen Posi­ti­on als eine Zuwei­sung ver­schie­de­ne Auf­ga­ben­be­rei­che dar. Man kann nicht gleich­zei­tig Par­tei­po­li­ti­ker und Akti­vist einer Bewe­gung sein, eben­so­we­nig wie man gleich­zei­tig Tor­mann und Stür­mer sein kann.

Die Pro­vo­ka­ti­on durch Über­schrei­tung des Over­ton win­dow und die Gewin­nung der mit­ti­gen Mas­se schlie­ßen sich aus, müs­sen aber zusam­men­wir­ken. Kei­ner wird dem Tor­mann vor­wer­fen, daß er den Ball in die Hand nimmt, oder dem Stür­mer vor­hal­ten, daß er den Straf­raum ver­läßt. Eben­so kann kei­ner der Bewe­gung vor­wer­fen, daß sie pola­ri­siert, eine exklu­si­ve poli­ti­sche Iden­ti­tät und pro­vo­kan­te Gegen­kul­tur auf­baut, wäh­rend die Par­tei die Auf­ga­be hat, in der so gelo­cker­ten poli­ti­schen Land­schaft neue Mehr­hei­ten zu bil­den und real­po­li­ti­sche Erfol­ge zu erzielen.

Die Auf­ga­be der Par­tei­en und mit­tig ori­en­tier­ten Zei­tun­gen und Thint­anks ist es, bei ihrem not­wen­di­gen Abho­len der Mit­te nicht den Ziel­ort zu ver­ges­sen. Sie müs­sen erken­nen, wo und wann der Rah­men sich erwei­tert und wie sie von der Bewe­gung erschlos­se­ne Gebie­te rasch sichern und besie­deln. Je weni­ger Par­tei und Zei­tun­gen insti­tu­tio­nell mit die­ser Bewe­gung ver­netzt sind, des­to erfolg­rei­cher ist das mög­lich. Die kla­re Tren­nung und Arbeits­tei­lung ermög­licht erst ein meta­po­li­ti­sches Zusam­men­wir­ken und eine effek­ti­ve Soli­da­ri­tät im Fal­le der Dämo­ni­sie­rung und Repression.

Las­sen sich Par­tei und Co. jedoch von dem Pola­ri­sie­rungs­pa­ra­dox ins Bocks­horn jagen, indem sie die abschre­cken­de Wir­kung der Pro­vo­ka­ti­on als Grund nut­zen, um sich rasch bei der Mit­te anzu­bie­dern, sind sie zu Agen­ten des Links­rucks gewor­den. Die­se Kata­stro­phe kann nur ver­hin­dert wer­den, wenn die kurz­sich­ti­gen Ego­is­ten in bei­den Lagern, die nur ihre Rol­le, nicht aber das Spiel ver­ste­hen, nichts zu mel­den haben. Ord­nung und Struk­tur müs­sen ein­keh­ren, um die neue patrio­ti­sche Bewe­gung durch die Meer­enge der poli­ti­schen Para­do­xien zu schiffen.

Nur wenn sich in allen Grup­pen, Par­tei­en und Bewe­gun­gen eine neue, meta­po­li­ti­sche Eli­te durch­setzt und jeweils die Oppor­tu­nis­ten und Extre­mis­ten, Visi­ons­lo­sen und Anar­chis­ten ent­mach­tet, kann das gro­ße Werk gelin­gen. Für die gemein­sa­me Arbeit an die­sem Ziel ist ein zumin­dest indi­rek­ter, intel­lek­tu­el­ler Aus­tausch not­wen­dig. Mei­ne Über­zeu­gung ist, daß die­ser um so bes­ser funk­tio­niert, je kla­rer sich jeder sei­ner Auf­ga­be und Funk­ti­on bewußt ist, kurz: je mehr der Tor­mann Tor­mann und der Stür­mer Stür­mer ist.

 

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)