Parteienherrschaft – und kein Ende?

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Zu den Alter­na­tiv­lo­sig­kei­ten unse­rer Zeit gehört die Par­tei­en­herr­schaft. Sie ist so unhin­ter­frag­bar eta­bliert und so fest ver­an­kert, daß bereits die For­mu­lie­rung einer Alter­na­ti­ve dazu als Glas­per­len­spiel erschei­nen muß. Par­tei­en­herr­schaft impli­ziert, daß es in der Poli­tik nichts gebe, was über den Par­tei­en stün­de, und in der Gesell­schaft kaum einen Bereich, der frei von ihnen wäre. Kri­tik ist daher im wis­sen­schaft­li­chen Rah­men mög­lich, bleibt aber prak­tisch fol­gen­los, weil die Umset­zung die­ser Kri­tik nur im par­tei­po­li­ti­schen Rah­men mög­lich wäre. Dies setz­te bei den Par­tei­en nicht nur die Ein­sicht, son­dern auch die Selbst­be­schei­dung vor­aus. Aber:»Sie kön­nen nicht ihrer poli­ti­schen Selbst­ver­nich­tung zustim­men. Das ist ein Hero­is­mus, der auf ande­rem Boden gedeiht als auf par­la­men­ta­ri­schem.« (Edgar Juli­us Jung)

Die Immu­ni­sie­rung der Par­tei­en­herr­schaft geht aber weit dar­über hin­aus. Jede Kri­tik gerät schnell in den Ruch des Anti­de­mo­kra­ti­schen, weil eine ande­re Demo­kra­tie als undenk­bar gilt, und sie ist vor allem auch sinn­los, weil es kei­ne staat­li­che Stel­le gibt, die für eine Begren­zung der Par­tei­en­herr­schaft zustän­dig wäre. Es bleibt prak­tisch nur ein Weg offen: eine qua­si par­tei­en­staats­kri­ti­sche Par­tei ins Ren­nen zu schi­cken, um auf die­sem Wege für eine Locke­rung der Par­tei­en­herr­schaft zu sor­gen. Nach allem, was die Par­tei­en­so­zio­lo­gie in den letz­ten hun­dert Jah­ren an Befun­den zusam­men­ge­tra­gen hat, ist dies jedoch ganz und gar aus­sichts­los. Die Erfah­run­gen, die wir mit den ursprüng­lich par­tei­en­staats­kri­ti­schen Grü­nen gemacht haben, spre­chen Bän­de. Robert Michels sprach des­halb iro­nisch von der »Par­tei der Par­tei­lo­sen« als ein­zi­ger Mög­lich­keit eben die­ser Par­tei­lo­sen, ihre Inter­es­sen zu wahren.
Wenn man sich an die Klas­si­ker der Par­tei­en­so­zio­lo­gie hält (man­che davon sind unge­wollt zu Klas­si­kern der Par­tei­en­kri­tik gera­ten), schä­len sich eini­ge Gesetz­mä­ßig­kei­ten her­aus, die sich in den letz­ten hun­dert Jah- ren als unhin­ter­geh­bar erwie­sen haben. Bereits im Jahr 1901 ver­öf­fent­li­che der rus­si­sche Jurist und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Moiss­ei Jakow­le­witsch Ost­ro­gor­ski (1854 –1921), der sich zur Jahr­hun­dert­wen­de in Frank­reich, Eng­land und den Ver­ei­nig­ten Staa­ten im Exil auf­hielt, eine Stu­die über Demo­cra­cy and the Orga­niza­ti­on of Poli­ti­cal Par­ties. Dar­in kommt er anhand der Bei­spie­le Eng­lands und der USA zu dem grund­sätz­li­chen Schluß, daß Par­tei­en dazu neig­ten, zur büro­kra­ti­schen Olig­ar­chie zu wer- den, und damit die Idee der Reprä­sen­ta­ti­on ad absur­dum zu führen.
Ost­ro­gor­skis Vor­schlag, die Macht der Par­tei­en zu begren­zen, indem man sie abschaf­fe und durch Ver­bän­de erset­ze, die zeit­lich befris­tet für ein bestimm­tes poli­ti­sches Ziel gegrün­det und wie­der auf­ge­löst wer­den soll­ten, ver­wirft Robert Michels (1876 –1936) als unrea­lis­tisch. In sei­ner klas­si­schen Stu­die Zur Sozio­lo­gie des Par­tei­we­sens in der moder­nen Demo­kra­tie (1911, erw. Neu­aufl. 1925) bezeich­net er die olig­ar­chi­sche Ten­denz von Par­tei­en oder auch Ver­bän­den als anthro­po­lo­gi­sche Konstante.

Michels, der in sei­nem Buch die inne­re Ver­fas­sung der deut­schen, sich demo­kra­tisch ver­ste­hen­den Sozi­al­de­mo­kra­tie behan­delt, zog sei­ne The­se aus den Beob­ach­tun­gen der radi­kals­ten Spiel­art des Sozia­lis­mus, dem Anar­chis­mus. Auch wenn die­ser die per­sön­li­che Frei­heit an ers­te Stel­le setz­te, erlä­ge er doch der Olig­ar­chi­sie­rung, sobald er sich poli­tisch organisierte.
Was für das ein­zel­ne Par­tei­mit­glied viel­leicht ent­täu­schend ist, wenn es (wie das ehe­ma­li­ge SPD-Mit­glied Robert Michels) mit anse­hen muß, wie sei­ne Par­tei­füh­rung die heh­ren Idea­le der Demo­kra­tie mit Füßen tritt, bekommt im Par­tei­en­staat eine eige­ne Dyna­mik, da in ihm kein poli­ti­scher Bereich exis­tiert, der nicht von Par­tei­en okku­piert wor­den wäre.
Was für die ein­zel­ne Par­tei gilt, gilt dann zwangs­läu­fig für alles. Die poli­ti­sche Klas­se »ent­wi­ckelt eine gewal­ti­ge Anzie­hungs­kraft und Fähig­keit der Absor­ba­ti­on, die auch ihren erbit­terts­ten und kon­se­quen­tes­ten Geg­nern gegen­über auf die Dau­er nur sel­ten ver­sagt« (Michels). Mit ande­ren Wor­ten: »Der Wech­sel des Kapell­meis­ters ändert nichts an der Musik.«

Oder wie Nor­bert Lam­mert es nach der Bun­des­tags­wahl und mit Blick auf die AfD aus­drück­te: »Der Domes­ti­zie­rungs­ef­fekt des deut­schen Par­la­ments ist beacht­lich.« Er habe einst schon den Grü­nen zuge­ru­fen: »Am Ende hat der deut­sche Par­la­men­ta­ris­mus euch mehr ver­än­dert als ihr den deut­schen Parlamentarismus.«
Michels Gewährs­män­ner sind in die­ser Fra­ge die bei­den ita­lie­ni­schen Eli­te­theo­re­ti­ker Vil­fre­do Pare­to (1848 –1923) und Gaet­a­no Mos­ca (1858 –1941), die sich vor allem dem Pro­zeß des Eli­ten­wech­sels wid­me­ten. Für dama­li­ge Ohren waren deren Ergeb­nis­se weni­ger ein Skan­dal als für heu­ti­ge. Daß Füh­rung und Eli­ten not­wen­dig sind, stand damals nicht zur Debat­te; heu­te wird die­se Tat­sa­che ver­schlei­ert. In vor­de­mo­kra­ti­schen Zei­ten gab es kei­ne Not­wen­dig­keit, über die Legi­ti­mi­tät von Eli­ten nach­zu­sin­nen. Sie herrsch­ten, weil sie herrsch­ten. Und sie herrsch­ten so lan­ge, bis eine ande­re Eli­te sie hin­weg­feg­te oder lang­sam ablös­te. Pro­ble­ma­tisch wird das erst in dem Moment, wenn die Tat­sa­che der Eli­ten­herr­schaft dem demo­kra­ti­schen Dog­ma wider­spricht, wonach jeder eine Stim­me hat und am Ende die Mehr­heit dar­über ent­schei­det, wer über sie herrscht.

In die­sem Fall ist die Olig­ar­chi­sie­rung der Demo­kra­tie zur Par­tei­en­herr­schaft ein Pro­blem, weil sie den »wesent­li­chen Pos­tu­la­ten der Demo­kra­tie« widerspricht.
Für einen ehr­li­chen Anhän­ger der Demo­kra­tie muß es daher eini­ger­ma­ßen erschüt­ternd sein, wenn er fest­stellt, daß die Mecha­nis­men der Herr­schafts­si­che­rung immer gleich geblie­ben sind, egal ob man das Volk abstim­men läßt oder nicht. »Durch den Kreis­lauf der Eli­ten ist die herr­schen­de Eli­te in einer bestän­di­gen lang­sa­men Umbil­dung begrif­fen. Sie strömt wie ein Fluß.« Pare­to kann auch Revo­lu­tio­nen pro­blem­los in sein Bild inte­grie­ren, die dem­nach nicht mehr sind als Über­schwem­mun­gen, nach denen der Fluß wie­der in sein Bett zurück­kehrt und wie­der »regel- recht« strömt.

Und laut Mos­ca regie­ren die Eli­ten nicht, weil sie dazu legi­ti­miert sind, son­dern sie sind zum Herr­schen legi­ti­miert, weil sie eine Kar­rie­re durch­lau­fen haben, die »bestimm­te geis­ti­ge und mora­li­sche Nei­gun­gen geför­dert und ande­re unter­drückt« hat.
Die­se Nei­gun­gen wer­den dann zum Pro­blem, wenn sich ein Teil, eine Par­tei, oder meh­re­re Tei­le, meh­re­re Par­tei­en, zum Ver­tre­ter des Gan­zen auf­schwin­gen. »Ins­be­son­de­re die poli­ti­sche Par­tei liebt es, obgleich aus der Wah­rung von Son­der­in­ter­es­sen her­aus ent­stan­den, sich mit dem Welt­all oder doch wenigs­tens mit der All­heit der Staats­ge­nos­sen zu iden­ti­fi­zie­ren, im Namen aller auf­zu­tre­ten, im Namen aller den Kampf zum Bes­ten aller anzu­sa­gen.« (Michels) Die­se Eigen­in­ter­es­sen von Par­tei­en wer­den in der Demo­kra­tie zum Pro­blem, wenn sie als Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen über die Inter­es­sen des Gan­zen siegen.

Dann besteht die »Gefahr, daß unsicht­ba­re und unver­ant­wort­li­che sozia­le Mäch­te die öffent­li­che Mei­nung und den Wil­len des Vol­kes diri­gie­ren […]. Solan­ge die demo­kra­ti­sche Gleich­ar­tig­keit der Sub­stanz noch vor­han­den ist und das Volk poli­ti­sches Bewußt­sein hat, d. h. Freund und Feind unter­schei­den kann, ist die Gefahr nicht groß.« (Carl Schmitt) Die­ses Dik­tum auf die Lage 2017 ange­wen­det, sagt: Die Gefahr ist riesig!
Das Par­tei­en sich des Gan­zen auf ihre Wei­se bemäch­ti­gen, hat sich in einem lan­gen Pro­zeß ste­tig verschärft.

Oswald Speng­ler sah 1924 in die­sem Pro­zeß eine »lan­ge, schlei­chen­de Krank­heit«, von der Deutsch- land end­lich geheilt wer­den müs­se und die er in den »Par­tei­en« nam­haft mach­te. Es waren Par­tei­en »mit einem orga­ni­sier­ten Anhang und einer ziel­be­wuß­ten Metho­de, wel­che das Reich bekrit­tel­ten, lähm­ten, unter- wühl­ten […], um end­lich in Beschränkt­heit und Selbst­sucht das Staats- schiff anzu­boh­ren in dem Glau­ben, damit für ein Regie­rungs­ide­al nach ihrem Geschmack freie Bahn zu schaf­fen – nicht für Deutsch­land, son- dern für eine Par­tei.« Die­se Macht haben sie frei­wil­lig nicht mehr her­ge­ge­ben. Wenn es dazu noch eine Chan­ce gege­ben hät­te, so wur­de sie im Kai­ser­reich ver­tan und nach der Nie­der­la­ge 1918 unmög­lich gemacht.
Wel­che Kon­se­quen­zen das glei­che Wahl­recht nach sich zie­hen wür­de, hat die Deut­schen nicht erst seit der ers­ten Anwen­dung im März 1871 bewegt. Bereits Toc­que­ville hat auf die Ansprü­che, die aus dem Pos­tu­lat der Gleich­heit fol­gen, hin­ge­wie­sen, auch wenn die­se zunächst auf Män­ner und den Wahl­akt beschränkt blieb. Da die Mehr­heit unge­bil­det und arm war, lag die Sor­ge, daß die Gebil­de­ten und Rei­chen durch die­se mund­tot gemacht wer­den wür­den, nahe. Die Demo­kra­ti­sie­rung der Mas­sen ver­sprach, die gewohn­te Welt auf den Kopf zu stellen.

»Das all­ge­mei­ne Stimm­recht ist in die­sem Staa­te der edlen Bil­dung die orga­ni­sier­te Zucht­lo­sig­keit, die aner­kann­te Über­he­bung des sou­ve­rä­nen Unver­stan­des, die Über­he­bung des Sol­da­ten gegen den Offi­zier, des Gesel­len gegen den Meis­ter, des Arbei­ters gegen den Unter­neh­mer«, so Hein­rich von Treit­sch­ke. Und auch Jacob Bur­ck­hardt sah über­all die »Bedürf­nis­se und die dazu pas­sen­den Theo­rien« stei­gen und mach­te einen »herz­lo­sen Hoch­mut« der Mas­sen als wesent­li­chen Cha­rak­ter­zug aus.
Es gab daher zahl­rei­che Über­le­gun­gen, wie man trotz par­la­men­ta­ri­schen Wahl­ver­fah­rens zu einer Eli­te­bil­dung gelan­gen kön­ne, die sich nicht ledig­lich nach Par­tei­in­ter­es­sen sor­tiert und den Staat als Beu­te betrach­tet. Im Reich griff man nicht zu dem radi­ka­len Mit­tel, das ein­mal gewähr­te all­ge­mei­ne Wahl­recht wie­der abzu­schaf­fen, son­dern beschränk­te sich mit­tels der Sozia­lis­ten­ge­set­ze und nach­tei­li­ger Wahl­kreis­ein­tei­lung dar­auf, der ein­zi­gen Par­tei, die sich die Abschaf­fung der gel­ten­den Ord­nung auf die Fah­nen geschrie­ben hat­te, das Leben schwerzumachen.

Den­noch stie­gen die Stim­men­an­tei­le der Sozi­al­de­mo­kra­ten stän­dig. In den Bun­des­staa­ten galt teil­wei­se noch ein Zen­sus­wahl­recht. Ins­be­son­de­re das preu­ßi­sche Drei­klas­sen­wahl­recht stand zur Debat­te, weil es nicht nur die Besitz­lo­sen benach­tei­lig­te, son­dern ein­sei­tig den Besitz als Maß­stab anleg­te. Um nicht den­sel­ben Feh­ler wie im Reich zu machen, dis­ku­tier­te man als Alter­na­ti­ve ein Plu­ral­wahl­recht, nach dem wahl­be­rech­tig­te Män­ner meh­re­re Stim­men haben konn­ten, wenn sie über Besitz, Bil­dung, Fami­lie ver­füg­ten und ihren Wehr­dienst abge­leis­tet hat­ten. Ein­ge­führt wur­de es 1909 in Sach­sen, in Preu­ßen nicht mehr.
Hier hat­ten die his­to­ri­schen Ereig­nis­se alle dies­be­züg­li­chen Unter­neh­mun­gen obso­let gemacht. Spä­tes­tens seit­dem der Kai­ser in sei­ner Oster­bot­schaft von 1917 das glei­che Wahl­recht ver­spro­chen hat­te, gab es kein Zurück mehr. Max Weber hat die Über­le­gun­gen bezüg­lich eines Plu­ral­wahl­rechts immer für »Lite­ra­ten­ge­schwätz« gehal­ten, weil es weder den sozia­len noch den staats­po­li­ti­schen For­de­run­gen der Zeit ent­spro­chen habe.

»Gegen­über der nivel­lie­ren­den unent­rinn­ba­ren Herr­schaft der Büro­kra­tie, wel­che den moder­nen Begriff des ›Staats­bür­gers‹ erst hat ent­ste­hen las­sen, ist das Macht­mit­tel des Wahl­zet­tels nun ein­mal das ein­zi­ge, was den ihr Unter­wor­fe­nen ein Mini­mum von Mit­be­stim­mungs­recht über die Ange­le­gen­hei­ten jener Gemein­schaft, für die sie in den Tod gehen sol­len, über­haupt in die Hand geben kann.«
Man merkt deut­lich, daß der tota­le Krieg und die all­ge­mei­ne Wehr­pflicht bei Weber den mora­li­schen Grund für die Ertei­lung des all­ge­mei­nen und glei­chen Wahl­rechts bil­det. Aller­dings sieht er dar­in noch mehr Not­wen­dig­kei­ten Rech­nung getra­gen. Nur der Par­la­men­ta­ris­mus schafft sei­ner Mei­nung nach ein Gegen­ge­wicht zur rei­nen Beam­ten­herr­schaft und ermög­licht (end­lich) die Erzie­hung der Deut­schen zu einem »Her­ren­volk«, das sich als »Mit­herr« in sei­nen Staat ein­glie­dern kann.

Er sieht die Gefahr nicht in der »an ihre Arbeits­stät­ten gebun­de­nen Arbei­ter­schaft«, son­dern in der Dem­ago­gie der »gänz­lich ver­ant­wor­tungs­lo­sen Ele­men­te«, den »Tage­die­ben und Kaf­fee­haus­li­te­ra­ten«. Weber zieht also die Kon­se­quenz aus den poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen, die ange­sichts der Herr­schaft der Mas­sen gar kei­ne ande­re Wahl las­sen, als die­se zu inte­grie­ren und zu politisieren.
Die­se Bedin­gun­gen haben sich gründ­lich geän­dert. Für Weber scheint es unvor­stell­bar gewe­sen zu sein, daß sich ein Volk aus der Geschich­te ver­ab­schie­de, daß sich sei­ne Tei­le nicht mehr mit den Inter­es­sen sei­nes Gan­zen iden­ti­fi­zier­ten, und daß schließ­lich das Wahl­recht rei­ne Maku­la­tur sein könn­te, da bei Wah­len nichts mehr zur Wahl stün­de. Bei Weber dient das Par­la­ment der Kon­trol­le der Beam­ten­schaft, heu­te sind bei­de Teil der Par­tei­en­herr­schaft. Bei Weber ist die Wehr­pflicht Aus­druck des Anspruchs, poli­tisch mit­ent­schei­den zu dür­fen, weil man schließ­lich sei­nen Kopf hin­hält. Heu­te gibt es kei­ne Wehr­pflicht und so, mit Weber gespro­chen, auch kei­nen exis­ten­ti­el­len Grund mehr, das Poli­ti­sche ernst­zu­neh­men. Die staats­po­li­ti­sche Not­wen­dig­keit für das glei­che Wahl­recht ist damit streng­ge­nom­men weggefallen.
Damit steht es zur Dis­po­si­ti­on, zumin­dest gedank­lich, denn in der Rea­li­tät knüpft sich an das glei­che Wahl­recht das Gleich­heits­dog­ma, des­sen Ent­zug einer Belei­di­gung gleich­kä­me, weil es den­je­ni­gen, dem man es ent­zieht, vor den ande­ren her­ab­zu­set­zen scheint. Gedank­lich aber sind zumin­dest auf lin­ker Sei­te, die da etwas frei­er ist, die Schleu­sen geöff­net, wenn der ame­ri­ka­ni­sche Phi­lo­soph Jason Brennan (Gegen Demo­kra­tie, Ber­lin 2017), dem das Ergeb­nis der Prä­si­den­ten­wahl in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten nicht gefällt, in Zukunft nur noch Infor­mier­te bzw. Leu­te, die ei- nen Logik­test absol­viert haben, wäh­len las­sen will.
Die Durch­setz­bar­keit sol­cher Ideen ist ange­sichts der stän­di­gen Aus­wei­tung des Wahl­rechts eher unwahr­schein­lich. Das Pro­blem liegt auf der Hand, jedoch wird man es admi­nis­tra­tiv nicht lösen kön­nen, schon gar nicht im Par­tei­en­staat. Die Wahl­be­tei­li­gung zeigt, daß vie­le Leu­te frei­wil­lig auf ihr Wahl­recht ver­zich­ten. Hin­zu kommt, wie eine Stu­die des Max- Planck-Insti­tuts zeigt, daß die­je­ni­gen, die im wah­ren Leben bes­ser­ge­stellt sind, einen höhe­ren Anteil der Wäh­ler stel­len, Gleich­heit also auch im Wahl­recht eine Illu­si­on ist. Man dis­ku­tiert vor die­sem Hin­ter­grund auch über eine Wahl­pflicht; Bel­gi­en oder die Schweiz sind hier Vor­bil­der. Die­se hät­te zumin­dest den Vor­teil, daß die Par­tei­en­herr­schaft nicht mehr um ihre Legi­ti­mi­tät fürch­ten müß­te, weil nicht genü­gend Leu­te zur Wahl gehen. Das Pro­blem ist damit aller­dings nur ver­la­gert, und zwar in eine Rich­tung, die seit 1789 bestän­dig die­sel­be ist: Staats­zwang, der mitt­ler­wei­le ein Par­tei­en­zwang ist.
Für Jacob Bur­ck­hardt war klar, daß »irgend­wo die mensch­li­che Ungleich­heit wie­der zu Ehren kom­men« wür­de; ob dann noch ein Staat exis­tier­te, der die­sen Namen ver­dient, war ihm zwei­fel­haft. Han­nah Are­ndt hat in eine ähn­li­che Rich­tung gedacht, wenn sie aus ande­rer Per­spek­ti­ve fest­stellt, daß Mas­sen­ge­sell­schaft und Par­tei­en­herr­schaft durch­aus nicht alter­na­tiv­los sind: »Nur wer an der Welt wirk­lich inter­es­siert ist, soll­te eine Stim­me haben im Gang der Welt. Von der Poli­tik aus­ge­schlos­sen zu sein brauch­te kei­nes­wegs eine Schan­de zu bedeu­ten […], wenn die­je­ni­gen, die teil­ha­ben, sich selbst selek­tiert haben, dann haben die­je­ni­gen, die aus­ge­schlos­sen sind, auch sich selbst aus­ge­schlos­sen. Ein sol­ches gere­gel­tes Fern­blei­ben von öffent­li­chen Geschäf­ten wür­de in Wahr­heit einer der wesent­li­chen nega­ti­ven Frei­hei­ten Sub­stanz und Rea­li­tät ver­lei­hen, näm­lich der Frei­heit von Politik […].« 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)