Eine Welt, eine Risikogruppe

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Als sich die Viro­lo­gen Diet­rich Peters und Gün­ther Mül­ler am 20. Novem­ber 1967 über das Trans­mis­si­ons­elek­tro­nen­mi­kro­skop des Bern­hard-Nocht-Insti­tuts für Tro­pen­me­di­zin in Ham­burg beug­ten, war die Lage kri­tisch. Mit­te August des Jah­res waren rund ein Dut­zend Men­schen mit über­ein­stim­men­den Sym­pto­men einer schwe­ren Fie­ber­er­kran­kung in die Not­auf­nah­men der Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken in Mar­burg und Frank­furt ein­ge­lie­fert worden.

Bald sank die Tem­pe­ra­tur der Pati­en­ten signi­fi­kant; dafür war bin­nen sie­ben Tagen nach Aus­bruch der Krank­heit das Leber­ge­we­be der Betrof­fe­nen weit­ge­hend zer­stört, Läh­mungs­er­schei­nun­gen stell­ten sich ein, und ein Vier­tel der Erkrank­ten begann, aus allen Kör­per­öff­nun­gen zu blu­ten – das medi­zi­ni­sche »üble Vor­zei­chen« (Signum mali omi­nis), das bei über 70 Pro­zent der Betrof­fe­nen den bevor­ste­hen­den Tod ankündigte.

Als es bis Monats­en­de Neu­erkran­kun­gen sowie vier Todes­op­fer gege­ben hat­te, muß­te ein Spre­cher des hes­si­schen Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums beken­nen: »Wir tap­pen völ­lig im Dun­keln.« Mit den übli­chen Ana­ly­se­me­tho­den blieb ein Durch­bruch aus; erst eine Ver­ket­tung glück­li­cher Umstän­de führ­te zum Ver­sand von Blut­pro­ben nach Ham­burg, wo Mül­ler mit dem Nega­ti­ve-stain-Ver­fah­ren eine kon­trast­rei­che­re Form der Elek­tro­nen­mi­kro­sko­pie ent­wi­ckelt hat­te. So gelang ihm und Peters an jenem Tag tat­säch­lich die Abbil­dung des Erre­gers der rät­sel­haf­ten Krank­heit – einer in sich ver­schlun­ge­nen, peit­schen­ar­ti­gen, bis dahin völ­lig unbe­kann­ten Struk­tur, die einer neu­en Virus­fa­mi­lie den Namen Filovi­ri­dae (von lat. filum für Sai­te, Draht) gab.

Par­al­lel zur Jagd auf den Aus­lö­ser der Epi­de­mie war auch die Suche nach sei­ner Her­kunft ange­lau­fen. Bei den Erst­in­fi­zier­ten (Index­pa­ti­en­ten) han­del­te es sich zum Groß­teil um Ange­stell­te des damals in Frank­furt ansäs­si­gen Paul-Ehr­lich-Insti­tuts für Impf­stof­fe sowie der zum Phar­ma­gi­gan­ten Hoechst gehö­ren­den Mar­bur­ger Beh­ring­wer­ke. Sie alle hat­ten direk­ten Kon­takt mit Blut, Orga­nen und Zell­kul­tu­ren einer Lie­fe­rung Grü­ner Meer­kat­zen aus Ugan­da gehabt – die klei­nen Affen waren für die Gewin­nung von Nie­ren­zell­kul­tu­ren zur Züch­tung und Erpro­bung von Polio­mye­li­tis- und Masern­impf­stoff impor­tiert wor­den. Nach Auf­kei­men des Ver­dachts, daß es sich bei den Tie­ren um die Über­trä­ger (Vek­to­ren) der neu­ar­ti­gen Tro­pen­seu­che han­deln könn­te, wur­den sie zusam­men mit 600 Art­ge­nos­sen umge­hend getö­tet; der Erre­ger indes wur­de nach dem mut­maß­li­chen Aus­bruchs­ort Mar­burg­vi­rus getauft.

50 Jah­re nach die­sen Vor­komm­nis­sen steht die Geschich­te der Ent­de­ckung der Filovi­ren als Mene­te­kel an der Wand einer bei­spiel­los ver­netz­ten und glo­ba­li­sier­ten Welt. Bereits 1967 war auf dem Höhe­punkt der öffent­li­chen Erre­gung im Spie­gel zu lesen:

[N]och immer ban­gen die Medi­zi­ner vor der Mög­lich­keit, daß sich in der dicht­be­völ­ker­ten, ver­kehrs­schnel­len zivi­li­sier­ten Welt unver­mu­tet eine neue, bis dahin unbe­kann­te Virus­art zei­gen könn­te, die ver­hee­ren­de Seu­chen mit sich bräch­te, ver­gleich­bar den völ­ker­mor­den­den Pest­zü­gen des Mittelalters.

Als die­ser Arti­kel erschien, hat­te es bin­nen 40 Jah­ren mit der »Spa­ni­schen Grip­pe« (1918–1920) und der »Asia­ti­schen Grip­pe« (1957/58) zwei welt­wei­te Influ­en­za-Pan­de­mien gege­ben, denen bis zu 52 Mil­lio­nen Men­schen zum Opfer gefal­len waren und denen sich nach den Ereig­nis­sen in Mar­burg noch die »Hong­kong-Grip­pe« (1968–1970) zuge­sel­len soll­te, an der – heu­te ver­ges­sen – allein in der Bun­des­re­pu­blik rund 30.000 Men­schen starben.

Wäh­rend uns schrift­li­che Zeug­nis­se von Epi­de­mien bereits aus anti­ker Zeit vor­lie­gen, gilt als ers­te der die gesam­te dama­li­ge Alte Welt ergrei­fen­den Pan­de­mien der »Schwar­ze Tod« des Spät­mit­tel­al­ters (durch das Bak­te­ri­um Yer­si­nia pes­tis; 1346–1353), der die Bevöl­ke­rung Euro­pas um ein Drit­tel dezi­mier­te. Wahr­haf­tig um den gan­zen Glo­bus rasen­de Infek­ti­ons­wel­len sind ein wesent­li­ches Kenn­zei­chen des indus­tri­el­len Zeit­al­ters und tat­säch­lich erst seit Ende des Ers­ten Welt­kriegs nach­ge­wie­sen – eine ganz eige­ne Begleit­erschei­nung der seit­her immer wei­ter eska­lier­ten Ent­gren­zung der Welt. Als eine düs­te­re, wenn­gleich nebu­lö­se Vor­ah­nung kom­men­der Ereig­nis­se läßt sich Fried­rich Wil­helm Murnaus Stumm­film Nos­fe­ra­tu von 1922 lesen, in dem der (auf Bram Sto­kers Roman Dra­cu­la basie­ren­de) Vam­pir­graf Orlok mit einem Schiff vol­ler Rat­ten die Pest in die Hafen­stadt Wis­borg bringt.

Zwar hat sich mit dem immer wei­ter fort­schrei­ten­den »Zusam­men­wach­sen« der Welt auch die Infek­ti­ons­me­di­zin unab­läs­sig wei­ter­ent­wi­ckelt. Gleich­wohl stellt sich neben dem seit jeher  bestehen­den bedenk­li­chen Pri­mat der Wirt­schaft vor Gesund­heits­fra­gen (in den 1960ern gab es für die welt­weit für Tier­ver­su­che im Umlauf befind­li­chen Affen in der BRD etwa kei­ner­lei Ein­fuhr­ge­set­ze, wäh­rend impor­tier­te Haus­tie­re mit stren­gen Auf­la­gen ver­se­hen waren) ins­be­son­de­re die Rol­le der inter­na­tio­na­len Medi­en hoch­pro­ble­ma­tisch dar – wäh­rend Epi­de­mien ins­be­son­de­re in  Ent­wick­lungs­län­dern in der Regel nur am Ran­de oder gar nicht erwähnt wer­den, wird beim Nach­weis des Über­gangs von Krank­heits­er­re­gern in den glo­ba­len Waren- und Per­so­nen­ver­kehr umge­hend Kata­stro­phen­stim­mung geschürt, was auf­grund des Spek­ta­kel­cha­rak­ters oft in kei­ner­lei Ver­hält­nis zur tat­säch­li­chen Mor­ta­li­tät und Leta­li­tät steht.

Para­de­bei­spiel ist die rasche welt­wei­te Aus­brei­tung des Seve­re acu­te respi­ra­to­ry syn­dro­me, kurz SARS, her­vor­ge­ru­fen vom durch Tröpf­chen­in­fek­ti­on über­tra­ge­nen (und bis dahin unbe­kann­ten) SARS-asso­zi­ier­ten Coro­na­vi­rus, der sich 2002/03 inner­halb weni­ger Wochen von Asi­en über die USA und Groß­bri­tan­ni­en in die gan­ze Welt aus­brei­te­te. Die tat­säch­lich mäßi­ge Todes­ra­te von neun Pro­zent (etwa 775 Tote welt­weit) wur­de gänz­lich ver­deckt von der Bestür­zung über die rasan­te Ver­brei­tungs­ra­te der Erkran­kung, die für einen luft­über­trag­ba­ren Erre­ger unter Bedin­gun­gen der glo­ba­li­sier­ten Welt aller­dings mit­nich­ten unge­wöhn­lich ist.

Ent­spre­chend fiel die welt­wei­te Reak­ti­on aus, als die WHO im April 2009 vor einem bestimm­ten Sub­typ des H1N1-Influ­en­za­vi­rus warn­te und weni­ge Wochen spä­ter die höchs­te welt­wei­te Alarm­stu­fe aus­gab – die ein­jäh­ri­ge Medi­en­hys­te­rie um die »Schwei­negrip­pe« sorg­te unter ande­rem für kopf­lo­se staat­li­che Ankäu­fe uner­prob­ter Impf­stof­fe, wodurch etwa den deut­schen Bun­des­län­dern ein Scha­den von 245 Mil­lio­nen Euro ent­stand. Tat­säch­lich wer­den in Deutsch­land 258 Todes­fäl­le auf die »Schwei­negrip­pe« zurückgeführt.

Zu zwei­fel­haf­tem Welt­ruhm brach­te es ins­be­son­de­re der bekann­tes­te Ver­wand­te des Mar­burg­vi­rus, der erst­mals 1976 im Kon­go auf­ge­tre­te­ne Ebo­la­vi­rus, im Zuge des in West- und Zen­tral­afri­ka um sich grei­fen­den Aus­bruchs 2014–2016. Man beach­te: Filovi­ren sind an Wild­tie­re ange­paßt und im mensch­li­chen Orga­nis­mus wirts­fremd. Das zeigt der kata­stro­pha­le Ver­lauf der Infek­ti­on mit schnel­lem Tod (der den Grund für das hohe Medi­en­in­ter­es­se an den soge­nann­ten »hämor­rha­gi­schen Fie­bern« dar­stellt), wodurch sich die Erre­ger nicht län­ger­fris­tig ver­brei­ten kön­nen. Eben­so sind sie von Mensch zu Mensch im Ver­gleich etwa zu Rhi­no­vi­ren (Schnup­fen) nur schwer über­trag­bar, in der Regel durch direk­ten Kon­takt mit infi­zier­tem Gewe­be, was im bezeich­ne­ten Ebo­la­fall vor allem – inter­na­tio­na­len – Ärz­ten und Pfle­ge­per­so­nal zum Ver­häng­nis wur­de. Sie wur­den im Anste­ckungs­fall in ihre Hei­mat­län­der aus­ge­flo­gen und ver­schärf­ten dort die Medienhysterie.

Dies führt zurück zum Kern des Pro­blems. Daß eigent­li­che Tier­krank­hei­ten (Zoo­no­sen) die Arten­gren­ze über­schrei­ten, erklärt sich ins­be­son­de­re durch das mas­si­ve Bevöl­ke­rungs­wachs­tum in Afri­ka, die damit ver­bun­de­ne Durch­sie­de­lung des Urwalds und die dar­aus erfol­gen­de Ver­schlep­pung in Bal­lungs­räu­me. Von dort aus füh­ren Ver­kehrs­we­ge in die gan­ze Welt, und einer glo­ba­len Aus­brei­tung bin­nen weni­ger Wochen lie­ße sich nur durch die – kaum mög­li­che – umge­hen­de Abschot­tung eines gan­zen befal­le­nen Lands entgegensteuern.

Neue Bio­ge­fah­ren lau­ern bereits: 2011 töte­te das EHEC-Bak­te­ri­um, ver­brei­tet über Spros­sen­ge­mü­se aus Ägyp­ten, in Nord­deutsch­land 53 Men­schen. Der Anfang 2016 von der WHO aus­ge­ge­be­ne »Gesund­heits­not­stand inter­na­tio­na­len Aus­ma­ßes« auf­grund des Zika­vi­rus, der sich bis­lang von Afri­ka und Süd­ost­asi­en bis Latein­ame­ri­ka aus­ge­brei­tet hat, besteht noch immer, auch wenn man hier­zu­lan­de lan­ge nichts mehr davon gehört hat. Und seit August 2017 beob­ach­tet die WHO einen »Groß­aus­bruch« der Pest auf Mada­gas­kar, wobei mit Stand vom 2. Novem­ber in 62 Pro­zent der Fäl­le die beson­ders durch Rei­sen­de über­tra­ge­ne Lun­gen­pest auf­tritt – sämt­li­che umlie­gen­den Inseln und die Staa­ten Süd- und Ost­afri­kas befin­den sich seit­her in Pan­de­mie-Alarm­be­reit­schaft. Die Rück­kehr von Krank­hei­ten wie der Krät­ze im Kiel­was­ser des Migran­ten­stroms wird hier­zu­lan­de eher beschwiegen.

Die Ent­de­ckung des Mar­burg­vi­rus und sei­ner ziem­lich ein­deu­tig rekon­stru­ier­ba­ren Ver­schlep­pung nach Deutsch­land hät­te vor 50 Jah­ren einen welt­wei­ten Weck­ruf dar­stel­len kön­nen. Der kam jedoch erst fast 15 Jah­re spä­ter infol­ge eines ganz ande­ren Erre­gers, näm­lich HIV, der im Gegen­satz zu den blin­den Pas­sa­gie­ren aus der Drit­ten Welt auch vie­le pro­mi­nen­te Opfer for­der­te. Die Glo­ba­li­sie­rung hat nicht zuletzt auch dem Tod die Welt­rei­se ein­fa­cher gemacht – doch solan­ge Waren­fluß und Tou­ris­mus Vor­rang haben, sind etwa­ige Vor­sichts­maß­nah­men nur hinderlich.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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