Hendrik Thoß / Mario H. Müller (Hrsg.): Das Kriegsende in Sachsen 1945

Auch wenn Sachsen eine nicht nur historisch wichtige Region in Deutschland (und damit auch Europa) ist,

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

besteht zwi­schen dem Rei­hen­ti­tel der bei­den Sam­mel­bän­de und dem regio­nal­ge­schicht­li­chen Schwer­punkt eine gewis­se Span­nung, die sich auch im Lau­fe der Lek­tü­re nicht so recht auf­lö­sen will. Bei­de Bän­de sind Resul­tat von Ring­vor­le­sun­gen und Kol­lo­qui­en, die ihren Aus­gangs­punkt am Lehr­stuhl für Euro­päi­sche Geschich­te des 19. und 20. Jahr­hun­derts an der TU Chem­nitz haben. Die­se Ver­or­tung schlägt sich in zahl­rei­chen Bei­trä­gen zu regio­nal­ge­schicht­li­chen Aspek­ten der bei­den Welt­krie­ge nie­der. Für die euro­päi­sche Dimen­si­on sor­gen Über­blicks­bei­trä­ge, die mit Sach­sen größ­ten­teils nicht viel zu tun haben.

In bei­den Bän­den sind als maß­geb­li­che Bei­trä­ger die His­to­ri­ker Hen­drik Thoß, der am oben genann­ten Lehr­stuhl als Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter tätig ist, Dirk Reitz vom Volks­bund Kriegs­grä­ber­für­sor­ge sowie Uwe Fied­ler, Lei­ter der Chem­nit­zer Schloß­berg­mu­se­ums, ver­tre­ten. Inhalt­lich ergän­zen sich die Bän­de, wenn­gleich die euro­päi­sche Dimen­si­on im letz­ten eine grö­ße­re Rol­le spielt und sich eini­ge Fra­ge­stel­lun­gen wie­der­ho­len. Das betrifft vor allem die The­men­kom­ple­xe »Flucht und Ver­trei­bung«, Bom­ben­krieg und »Befrei­ung oder Nie­der­la­ge«, die alle für Sach­sen eine beson­de­re Bedeu­tung haben. Obwohl Sach­sen nur einen ganz klei­nen Teil sei­nes ursprüng­li­chen Ter­ri­to­ri­ums durch die Nie­der­la­ge ver­lo­ren hat, stand es als ers­tes Ziel der schle­si­schen und sude­ten­deut­schen Flücht­lin­ge vor beson­de­ren Her­aus­for­de­run­gen. Die Bewäl­ti­gung durch die SBZ- und DDR-Behör­den unter­schied sich grund­le­gend von der­je­ni­gen in West­deutsch­land, was ein inter­es­san­tes Schlag­licht auf die Fra­ge der Iden­ti­täts­be­wäh­rung der Ver­trie­be­nen unter DDR-Ver­hält­nis­sen wirft.

Der Bom­ben­krieg kam zwar erst ver­hält­nis­mä­ßig spät nach Sach­sen, da der Anflug erst nach der alli­ier­ten Lan­dung in der Nor­man­die unpro­ble­ma­tisch war, wur­de dann aber in einer Hef­tig­keit geführt, die sich tief in das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis der Sach­sen ein­ge­brannt hat. Eine ganz spe­zi­el­le Bewandt­nis hat die Fra­ge »Befrei­ung oder Nie­der­la­ge«, da Sach­sen nicht nur gleich­zei­tig von Rus­sen und Ame­ri­ka­nern besetzt wur­de, wobei letz­te­re bald wie­der abzie­hen muß­ten, son­dern mit dem zwei Mona­te lang unbe­setzt geblie­be­nen Kreis Schwar­zen­berg über eine Kurio­si­tät ver­fügt, die spä­ter zur Legen­de der »Repu­blik Schwar­zen­berg« ver­klärt wur­de. Auch wenn sich die Geschichts­po­li­tik der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land mitt­ler­wei­le auf die »Befrei­ung« geei­nigt und damit eine Sprach­re­ge­lung der DDR-Kom­mu­nis­ten über­nom­men hat, dürf­te am Bei­spiel Sach­sen deut­lich wer­den, daß die Situa­ti­on deut­lich kom­ple­xer war. Abge­run­det wird die­ses The­ma durch eine unter ope­ra­ti­ons­ge­schicht­li­chen Gesichts­punk­ten erzähl­te Geschich­te der Beset­zung Sach­sens, die ruhig etwas detail­lier­ter hät­te aus­fal­len können.

Neben die­sen säch­si­schen Spe­zi­al­fäl­len, zu denen noch die Hei­mat­front, die wun­der­li­che Per­sön­lich­keit des letz­ten Königs, die Kriegs­zie­le der säch­si­schen Poli­ti­ker oder auch die Ent­rech­tung und Ver­fol­gung der Chem­nit­zer Juden gehö­ren, gibt es auch brei­ter ange­leg­te Betrach­tun­gen in den Bän­den. Sie basie­ren aller­dings in der Regel auf Buch­pu­bli­ka­tio­nen der Autoren und bie­ten inhalt­lich wenig Neu­es (z. B. zu Luden­dorffs Ost­po­li­tik, zu Frie­dens­in­itia­ti­ven wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs und zum Pro­pa­gan­da­krieg). Über­blicks­dar­stel­lun­gen gibt es zu zwei wich­ti­gen Daten, dem Ver­sailler Ver­trag und dem Beginn des Ruß­land­feld­zugs 1941.

Wäh­rend der Bei­trag zu Ver­sailles sei­ne sou­ve­rä­ne Behand­lung des The­mas durch­hält, ist der Autor beim Ruß­land­feld­zug zwar bemüht, die ver­schie­de­nen Argu­men­ta­tio­nen, die für oder gegen einen deut­schen Prä­ven­tiv­schlag spre­chen, fair neben­ein­an­der­zu­stel­len, schei­tert dann aber dar­an, einen eben­sol­chen Schluß dar­aus zu zie­hen, indem er ein­fach die Fra­ge­stel­lung ver­läßt: »Der deut­sche Angriff war kein Prä­ven­tiv­krieg, son­dern ein Erobe­rungs­krieg gigan­ti­schen, wahn­wit­zi­gen und ver­bre­che­ri­schen Aus­ma­ßes.« Dem auf­merk­sa­men Leser wer­den aller­dings sol­cher­lei Super­la­ti­ve nicht die Schwä­chen der Argu­men­ta­ti­on ver­de­cken. Viel­leicht neh­men die Ver­ant­wort­li­chen der Rei­he das zum Anlaß, ein Kol­lo­qui­um zu einem The­ma zu machen, das dem Rei­hen­ti­tel gerecht wird: dem Schick­sals­jahr 1941.

Hen­drik Thoß / Mario H. Mül­ler (Hrsg.): Das Kriegs­en­de in Sach­sen 1945, Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2018 (Chem­nit­zer Euro­pa­stu­di­en; 20). 115 S., 69.90 € kann man hier bestel­len

Dirk Reitz / Hen­drik Thoß (Hrsg.): Sach­sen, Deutsch­land und Euro­pa im Zeit­al­ter der Welt­krie­ge, Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2019 (Chem­nit­zer Euro­pa­stu­di­en 22). 371 S., 99.90 € ist hier erhält­lich

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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