Gerechter oder Heiliger Krieg?

pdf der Druckfassung aus Sezession 12 /Januar 2006

sez_nr_12von Wiggo Mann

Am 19. November 2005 feierte die Tagesschau anläßlich des 60. Jahrestags des Nürnberger Prozesses dieses Tribunal als eine „Geburtsstunde des modernen Völkerrechts“. Jedem nicht Gleichgeschalteten mochte dämmern, daß da massenhaft Opium fürs Volk verabreicht werden sollte, denn die Einschätzung jenes Großereignisses geht in Fachkreisen mittlerweile deutlich andere Wege. Klarstes Anzeichen für die Kurskorrektur ist vielleicht, daß sogar bundesdeutsche Liberale der „mittleren“ Jahrgänge, sofern sie als Kritiker der Bush-Administration auftreten, kaum noch ohne Berufung auf Carl Schmitt auszukommen vermögen, diesem zuvorderst von Habermas im Zuge der Spurenverwischung eines frühen und intensiven Einflusses in geistige Sippenhaft genommenen Denker.


Die Auf­wei­chung jener vor­mals rigi­den Abschot­tung gilt nicht zuletzt für Iring Fet­schers eins­ti­gen Assis­ten­ten und engs­ten Mit­ar­bei­ter Her­fried Mün­k­ler, inzwi­schen auch als Medi­en­ex­per­te für „Die neu­en Krie­ge“ gefragt, sowie für den Münch­ner Ordi­na­ri­us der Poli­to­lo­gie Peter Cor­ne­li­us May­er-Tasch, der die Pro­mo­ti­on von Jan-And­res Schul­ze betreut hat (Der Irak-Krieg 2003 im Lich­te der Wie­der­kehr des gerech­ten Krie­ges, Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2005). Im sel­ben Ver­lag erschien jüngst auch eine Art Bibel des Bel­li­zis­mus: Frie­den oder Pazi­fis­mus ? Carl Schmitts Schrif­ten zum Völ­ker­recht und zur inter­na­tio­na­len Poli­tik 1924 –1978, eine stu­pen­de edi­to­ri­sche Leis­tung Gün­ter Maschkes. Außer­dem brach­te der Ver­lag die von Schmitt inspi­rier­te Dis­ser­ta­ti­on des Düs­sel­dor­fer Anwalts Björn Cle­mens her­aus: Der Begriff des Angriffs­krie­ges und die Funk­ti­on sei­ner Straf­bar­keit.
Begin­nen wir mit Schul­zes mate­ri­al­rei­cher Rekon­struk­ti­on: Sei­ne Fra­ge­stel­lung, ob der gerech­te Krieg zurück­ge­kehrt sei, fin­det mit Blick auf den Irak eine das Bedenk­li­che noch stei­gern­de Ant­wort: Weni­ger der gerech­te Krieg keh­re mit sei­ner Pro­por­tio­na­li­tät der Mit­tel und einer Begren­zung der Feind­se­lig­kei­ten zurück als viel­mehr der, durch Säku­la­ri­sie­rung ver­schärf­te, Hei­li­ge Krieg. Es waren selbst­er­nann­te Kreuz­rit­ter, Ver­tei­di­ger des wah­ren Glau­bens, ermäch­tigt durch päpst­lich und kai­ser­lich ver­mit­tel­te gött­li­che Auto­ri­tät, die mobil mach­ten gegen von ihnen als sol­che iden­ti­fi­zier­te Hei­den und Häre­ti­ker. Es liegt in der imma­nen­ten Logik des Hei­li­gen Krie­ges, kei­nen Inter­es­sen­aus­gleich anstre­ben zu kön­nen, son­dern nur Unter­wer­fung oder Aus­rot­tung. Obwohl also im his­to­ri­schen Fall der Kreuz­zü­ge die eine Sei­te angab, das Recht für sich gepach­tet zu haben und damit die Gegen­sei­te ganz und gar ins Unrecht setz­te, war jener Krieg doch kein tota­ler, eben weil er sich auf dem Hin­ter­grund des Feu­da­lis­mus abspiel­te, der sei­ner Natur nach nicht welt­um­span­nend sein konn­te, wie es Kapi­ta­lis­mus und, zumin­dest ten­den­zi­ell, Sozia­lis­mus sind und sein müssen.
Für die heu­ti­ge Situa­ti­on bedeu­tet dies: Die Hegung des Krie­ges, inklu­si­ve größt­mög­li­cher Scho­nung von Nicht-Kom­bat­tan­ten, wäre im 20. und 21. Jahr­hun­dert ledig­lich dann gewähr­leis­tet, wenn sämt­li­che kämp­fen­den Par­tei­en schie­re Macht­po­li­tik ein­ge­stün­den und kei­ne heh­ren Zie­le vor­schütz­ten. Ein­sei­ti­ge Schuld­zu­wei­sun­gen durch die alli­ier­ten Sie­ger in den Pari­ser Vor­ort­ver­trä­gen; dro­hen­de Abtren­nung der Rhein­lan­de vom Reich; Beset­zung des Ruhr­ge­biets durch fran­zö­si­sche und bel­gi­sche Trup­pen: das waren die kon­kre­ten Situa­tio­nen 1918–1923, die Schmitts Ver­trau­en in eine als gerecht pro­kla­mier­te über­staat­li­che Ord­nung erschüt­ter­ten und ihn die Freund / Feind-Kon­stel­la­ti­on als Wesen des Poli­ti­schen fixie­ren lie­ßen. Schmitts Ableh­nung des Sys­tems von Wei­mar – Genf – Ver­sailles beruht auf einer simp­len Fra­ge: Alle ande­ren sind Ego­is­ten – war­um dür­fen es aus­ge­rech­net die Deut­schen nicht sein? Den Völ­ker­bund begriff Schmitt als schö­nen, aber gefähr­li­chen Traum, weil er die Illu­si­on von einem ewi­gen Frie­den nähr­te. Ewi­gen Frie­den durch ewi­gen Krieg lau­tet die unwei­ger­li­che Kon­se­quenz des dis­kri­mi­nie­ren­den Kriegs­be­griffs, um den Schmitts jetzt zugäng­li­che Auf­sät­ze kreisen.
Genau hier insis­tiert Björn Cle­mens in sei­ner Unter­su­chung über den Begriff des Angriffs­kriegs: Der dis­kri­mi­nie­ren­de Kriegs­be­griff, gän­gi­ge Recht­fer­ti­gungs­fi­gur des Angrei­fers, sei zwin­gend ein bipo­la­rer. Denn wenn ich jeman­den als Aggres­sor brand­mar­ke, erhe­be ich im Gegen­zug mich sel­ber auto­ma­tisch zum defen­sor pacis, zum Ver­tei­di­ger des Frie­dens, und exkul­pie­re mich damit.

Es ist ein manich­äis­ti­sches Welt­bild, das nur schwarz und weiß kennt, gut und böse; der Täter dar­in kann nicht zugleich auch Opfer sein. Para­do­xer­wei­se hul­di­gen damit die Libe­ra­len genau jener Poli­ti­schen Theo­lo­gie, die sie den Kon­ser­va­ti­ven unent­wegt unter die Nase reiben.
Unschwer zu erken­nen ist also, daß Schul­ze und Cle­mens mit ihren Arbei­ten Begrif­fe dekli­nie­ren und Über­le­gun­gen aktua­li­sie­ren, die Carl Schmitt bereits aus­ge­brei­tet hat. „Ange­sichts heu­ti­ger impe­ria­lis­ti­scher Ver­su­che, unter dem Deck­man­tel der For­de­rung nach einer ‚Welt­de­mo­kra­tie‘ öko­no­mi­sche Expan­si­on, geo­stra­te­gi­sche Kon­trol­le und Straf­krieg zu ver­bin­den und so dem Erd­ball den Aus­nah­me­zu­stand auf­zu­zwin­gen, sind Schmitts dama­li­ge Über­le­gun­gen von bestür­zen­der Aktua­li­tät“: So for­mu­liert es Gün­ter Maschke im Klap­pen­text zu Schmitts völ­ker­recht­li­chen Schrif­ten und gibt damit bei­den Wis­sen­schaft­lern das Motto.
Weni­ger offen­sicht­lich oder nahe­lie­gend, jedoch in sei­ner völ­ker- und staats­recht­li­chen Dimen­si­on wie­der­um leicht mit Schmitt inter­pre­tier­bar ist der hef­ti­ge Streit um den Atlan­tik­über­que­rer Charles Lind­bergh zwi­schen den Schrift­stel­lern Phil­ip Roth und Gore Vidal. Er beschäf­tig­te mona­te­lang die Gazet­ten auch in Deutsch­land. Der Streit – als ein sol­cher zwi­schen Iso­la­tio­nis­ten (Vidal) und Inter­ven­tio­nis­ten (Roth) – führt uns mit­ten hin­ein in die Pro­ble­ma­tik soge­nann­ter „huma­ni­tä­rer Aus­lands­ein­sät­ze“. Wenn sich näm­lich jemand unta­de­lig, als Ame­ri­ka­ner ohne Wenn und Aber ver­hal­ten hat, dann sicher­lich der legen­dä­re Atlan­tik­über­que­rer, indem er sei­ne schwe­di­schen Wur­zeln ein­fach igno­rier­te und sich eben nicht nach der Ein­stel­lung des Lan­des sei­ner Ahnen zum Drit­ten Reich rich­te­te, son­dern dar­über nach­grü­bel­te, was für den gemei­nen Mann in Ame­ri­ka das Bes­te sei. Sei­ne Ant­wort lau­te­te: Neutralität.
Zen­tral ging es im Streit zwi­schen Roth und Vidal um die Fra­ge der Loya­li­tät zum eige­nen Land. Die Begriffs­ver­wir­rung rührt daher, daß Juden mit Israe­lis weit­ge­hend gleich­ge­setzt wer­den, wodurch Kri­ti­ker des Zio­nis­mus per se dem Anti­se­mi­tis­mus­vor­wurf aus­ge­setzt sind. Israe­li zu sein, ist aber eine Fra­ge der Staats­an­ge­hö­rig­keit, Jude zu sein, eine der müt­ter­li­chen Abstam­mung, der Bluts­ban­de, und nicht, wie jetzt schein­hei­lig behaup­tet wird, des Bekennt­nis­ses; mit­hin ein objek­ti­ves Kri­te­ri­um und kein sub­jek­ti­ves, das man zur Not able­gen kann. Die­se Unter­schei­dung ist des­halb wich­tig, weil­die USA, im Gegen­satz zu Deutsch­land, ihrem Selbst­ver­ständ­nis nach seit jeher ein Ein­wan­de­rungs­land gewe­sen sind, das von sei­nen Neu­zu­gän­gen Assi­mi­la­ti­on und damit ein­deu­ti­ge Loya­li­tät erwar­te­te. Jeder war grund­sätz­lich will­kom­men, sofern er sich bereit zeig­te, sei­ne jewei­li­ge deut­sche, iri­sche, ita­lie­ni­sche Her­kunft zu ver­leug­nen oder sie doch zumin­dest als blo­ße Pri­vat­an­ge­le­gen­heit – im Sin­ne der bür­ger­li­chen Gesell­schaft – zu hand­ha­ben und sei­ne Nach­barn nicht damit zu behelligen.
Kon­se­quen­ter­wei­se haben die USA des­halb bis hin zur Epo­che des Kal­ten Krie­ges eine Dop­pel­staats­bür­ger­schaft vehe­ment abge­lehnt, und die seit­her zur Regel gewor­de­ne ein­zi­ge Aus­nah­me – allein Israe­lis dür­fen zusätz­lich einen ame­ri­ka­ni­schen Paß besit­zen – wird von „Ver­fas­sungs­pa­trio­ten“ wie Gore Vidal publi­zis­tisch scharf ver­ur­teilt. Anders aus­ge­drückt: Illoy­al gegen­über sei­nem Hei­mat­land ver­hält sich umge­kehrt Lind­bergh-Ver­äch­ter Roth, weil ihn (jüdi­scher Abstam­mung) im Nach­hin­ein die Juden­feind­schaft der Nazis beun­ru­higt, obwohl er doch Ame­ri­ka­ner ist. Nach ame­ri­ka­ni­schem Ver­ständ­nis ist Roths Kum­mer zunächst ein­mal sei­ne per­sön­li­che Ange­le­gen­heit, kei­nes­falls jedoch war es der Kum­mer Ame­ri­kas. Er wur­de es schließ­lich doch noch, weil Frank­lin D. Roo­se­velts New Deal innen­po­li­tisch geschei­tert war, und er außen­po­li­tisch die Auf­rüs­tung brauch­te, denn der Krieg ist, in Abwand­lung Hera­klits, immer noch der Vater aller markt­wirt­schaft­li­chen Din­ge. Die mora­li­sche Bemän­te­lung dabei als Vor­wand zu durch­schau­en, fällt nach so lan­gem zeit­li­chen Abstand natur­ge­mäß leich­ter als im Eifer des Gefechts, doch soll­te man sich schon aus intel­lek­tu­el­ler Red­lich­keit nicht so bil­lig trös­ten und um den har­ten theo­re­ti­schen Kern der Zwis­tig­kei­ten her­um­drü­cken. Wenn sich eine, durch freie Wah­len noch dazu plu­ra­lis­tisch legi­ti­mier­te, Regie­rung aus wel­chen Erwä­gun­gen, Wahn­vor­stel­lun­gen her­aus auch immer dafür ent­schied, auf ihrem Ter­ri­to­ri­um etwa alle Juden oder alle Rot­haa­ri­gen zu ver­fol­gen, dann war ein sol­cher Dezi­sio­nis­mus bis 1945 durch die jewei­li­ge natio­na­le Sou­ve­rä­ni­tät – ver­stan­den als prin­zi­pi­el­le Nicht­ein­mi­schung in inner­staat­li­che Ange­le­gen­hei­ten – voll­auf gedeckt. Die seit­dem impli­zit gel­ten­de, nach 1989 dann, mit dem Übrig­blei­ben einer ein­zi­gen glo­ba­len Super­macht, auch so apo­stro­phier­te „begrenz­te Sou­ve­rä­ni­tät“ ist eine con­tra­dic­tio in adiec­to, ein höl­zer­nes Eisen.

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