Heimkehr revisited

"Vorbehaltsfilme" sind NS-Propagandafilme, die in Deutschland nur innerhalb eines wissenschaftlichen Rahmens aufgeführt werden dürfen. Sie dürfen auch nicht auf DVD oder Video vertrieben werden.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Außer­halb die­ser Ver­an­stal­tun­gen ist man auf Sekun­där­li­te­ra­tur oder mise­ra­ble Raub­ko­pien, wie sie etwa im Inter­net her­um­schwir­ren, ange­wie­sen. Eine Pra­xis, die sich aus einer über­trie­be­nen, fast schon aber­gläu­bi­schen Infek­ti­ons­angst und einer damit eng ver­bun­de­nen päd­ago­gi­schen Hys­te­rie speist. Dadurch wer­den die Fil­me nicht nur unnö­tig dämo­ni­siert – es wird auch die kri­ti­sche Über­prü­fung der Sekun­där­li­te­ra­tur erheb­lich erschwert.

Im Juli öff­ne­te das Ber­li­ner Zeug­haus mal wie­der den Gift­schrank, und zeig­te im Rah­men der Aus­stel­lung “Deut­sche und Polen” den berüch­tig­ten, von Goeb­bels per­sön­lich in Auf­trag gege­be­nen Pro­pa­gan­da-Film “Heim­kehr” (1941). Gedreht unter der Regie von Gus­tav Uci­cky, schil­dert er die Drang­sa­lie­rung der “Volks­deut­schen” in Wol­hy­ni­en (heu­te West­ukrai­ne, damals Polen) kurz vor Aus­bruch des Zwei­ten Weltkriegs.

Die Hand­lung beginnt in der Woj­wod­schaft Luzk im März 1939, wäh­rend der ers­ten pol­ni­schen Mobil­ma­chung. Mili­tär beherrscht zuneh­mend die Stra­ßen, die deut­schen Schu­len wer­den geschlos­sen und das Inven­tar kurz und klein geschla­gen, die Deut­schen auf offe­ner Stra­ße atta­ckiert und spä­ter gar ent­eig­net, ent­rech­tet, ermor­det. Schließ­lich wer­den sie, als sie nach Kriegs­aus­bruch heim­lich Hit­ler-Reden hören, mit­samt Frau­en und Kin­dern in einem Gefäng­nis inter­niert, wo sie ihre Exe­ku­ti­on erwar­ten. In letz­ter Minu­te mar­schiert die Wehr­macht ein.

Der Schluß des Films zeigt ver­klä­rend die “Heim­kehr” ins Reich, sprich die Umsie­de­lung der Wol­hy­ni­en-Deut­schen in west­preu­ßi­sche Gebie­te, die 1939 (wieder-)erobert wor­den waren.  Die tat­säch­li­che Umsie­de­lung aus dem in Wirk­lich­keit nicht von der Wehr­macht, son­dern von der Roten Armee besetz­ten Gebiet fand Ende 1939 statt. “Heim­kehr” hat­te den Zweck, nicht nur die Umsie­de­lun­gen der Volks­deut­schen, son­dern auch den Krieg gegen Polen nach­träg­lich zu rechtfertigen.

Für ein heu­ti­ges Publi­kum zeigt “Heim­kehr” eine auf dem Kopf ste­hen­de Welt: ein Nazi-Film, der Staats­will­kür und die natio­na­lis­ti­sche Unter­drü­ckung von Min­der­hei­ten anpran­gert.  In einer Sze­ne steht Pau­la Wes­se­ly vor dem pol­ni­schen Bür­ger­meis­ter der Stadt, um gegen die Kon­fis­ka­ti­on einer deut­schen Schu­le zu pro­tes­tie­ren:  “Ande­rer Leu­te Eigen­tum weg­neh­men, das ist eine Sache, die sich der Staat nicht leis­ten soll­te.” In einer ande­ren Sze­ne wird eine Volks­deut­sche, die einen Haken­kreuz­um­hän­ger am Hals trägt, von einem wüten­den Mob zu Tode gestei­nigt: nicht allein Deut­sche, son­dern expli­zit “Nazis” als Opfer und Verfolgte.

Heimkehr szenen

Der Höhe­punkt des Films ist von alp­traum­haf­ter Inten­si­tät: auf engs­tem, sti­cki­gen Raum ein­ge­pfercht erwar­ten die Deut­schen ihre Hin­rich­tung.  Das ein­zi­ge Licht in den Gefäng­nis­zel­len ist ein grel­ler, über die erschöpf­ten Elends­ge­sich­ter strei­fen­der Schein­wer­fer, mit dem die Polen geziel­ten Psy­cho­ter­ror ausüben.

Beson­ders in die­ser Sze­ne wird es wohl kaum einen Zuschau­er geben, der nicht an den “Holo­caust” und die damit ver­bun­de­ne Iko­no­gra­phie denkt. Das Ende von “Heim­kehr” folgt iro­ni­scher­wei­se nahe­zu dem­sel­ben Strick­mus­ter wie der 1947 an Ori­gi­nal­schau­plät­zen gedreh­te Ausch­witz-Film “Die letz­te Etap­pe”: dar­in soll die Prot­ago­nis­tin von ihren Unter­drü­ckern hin­ge­rich­tet wer­den, doch es gelingt ihr noch eine flam­men­de Ankla­ge­re­de zu hal­ten, die die “mes­sa­ge” des Films ver­deut­licht, als im letz­ten Moment die ret­ten­de Armee ein­mar­schiert – in die­sem Fal­le die Rote Armee. Es gibt in bei­den Fil­men sogar for­mal iden­ti­sche Ein­stel­lun­gen von den her­an­rü­cken­den Flug­zeu­gen der Befreier.

Die­sen Aspekt der (für heu­ti­ge Zuschau­er) auf dem Kopf ste­hen­den Welt griff der Film­wis­sen­schaft­ler Johan­nes von Molt­ke in der obli­ga­to­ri­schen Ein­füh­rung zu Recht auf: es gibt kei­ne ange­pran­ger­te Untat in “Heim­kehr”, der sich die Natio­nal­so­zia­lis­ten nicht selbst schul­dig gemacht hät­ten. Wie schwie­rig es aller­dings ist, die “Gift­schrank­fil­me” objek­tiv zu beur­tei­len, zeig­te sich dar­in, daß Molt­ke nicht nur die Vor­ge­schich­te des 1. Sep­tem­ber weit­ge­hend unter­schlug, son­dern auch noch die in dem Film gezeig­ten Über­grif­fe gegen Volks­deut­sche zu blo­ßen Fik­ti­on, zur Erfin­dung der Pro­pa­gan­dis­ten erklär­te.  Das ist in der Lite­ra­tur zu “Heim­kehr” durch­aus üblich.  Wenn die­se Din­ge den­noch Erwäh­nung fin­den, wie in der umfas­sen­den Stu­die von Gerald Trim­mel , dann wer­den sie rela­ti­viert, an den Rand gerückt oder durch his­to­ri­sche “Mon­ta­ge” (etwa durch die aus­führ­li­che Dar­stel­lung von NS-Ver­bre­chen) abgeschwächt.

Tat­säch­lich ist die repres­si­ve pol­ni­sche Min­der­hei­ten­po­li­tik der Zwi­schen­kriegs­zeit bes­tens belegt.  Sie rich­te­te sich nicht nur gegen Deut­sche, son­dern auch gegen Juden, Weiß­rus­sen und Ukrai­ner (was der Film indes­sen ver­schweigt – die als schä­big und ver­lo­gen cha­rak­te­ri­sier­ten Juden etwa wer­den unter­schwel­lig als Kom­pli­zen der Polen gezeich­net).  Trotz aller pri­mi­ti­ven Schwarz-Weiß-Sti­li­sie­rung beru­hen die in “Heim­kehr” gezeig­ten Über­grif­fe, von der aggres­si­ven Polo­ni­sie­rungs­po­li­tik über pogrom­ar­ti­ge Aus­schrei­tun­gen bis hin zu Depor­ta­tio­nen, Inter­nie­run­gen und Exe­ku­tio­nen auf his­to­ri­schen Tat­sa­chen. Der Film ist auch inso­fern akku­rat, als er die Hin­wen­dung vie­ler Volks­deut­scher zum Natio­nal­so­zia­lis­mus als Fol­ge der pol­ni­schen Min­der­hei­ten­po­li­tik zeigt – und expli­zit die Radi­ka­li­sie­rung der Polen mit der Beset­zung der Tsch­echo-Slo­wa­kei im März 1939 in Bezug setzt.

Die wohl stärks­te Sequenz zeich­net ein durch­aus glaub­wür­di­ges Bild der stei­gen­den Span­nun­gen zwi­schen Polen und Volks­deut­schen. Wäh­rend der pol­ni­schen Mobil­ma­chung besu­chen die Prot­ago­nis­ten, dar­ge­stellt von Pau­la Wes­se­ly und Carl Rad­datz, ein Kino, beglei­tet von einem volks­deut­schen Freund, der zur pol­ni­schen Armee ein­ge­zo­gen wur­de und die ent­spre­chen­de Uni­form trägt. Als er mit Wes­se­ly deutsch spricht, wird er von einem ande­ren Sol­da­ten ange­pö­belt. Nach einer harm­lo­sen Wochen­schau über ame­ri­ka­ni­sche Miß­wah­len sind Auf­nah­men von pol­ni­schen Mili­tär­pa­ra­den und Kund­ge­bun­gen zu sehen. Geschlos­sen steht der patrio­tisch auf­ge­putsch­te Saal auf und singt die pol­ni­sche Hym­ne. Allein die drei Deut­schen sin­gen nicht mit. Sie wer­den von der Meu­te atta­ckiert, und Carl Rad­datz (damals einer der popu­lärs­ten Schau­spie­ler) wird dabei töd­lich ver­letzt. Nie­mand kommt dem Ver­wun­de­ten zu Hilfe.

Dem gegen­über ste­hen nicht enden wol­len­de Sze­nen, die wohl zum Schlech­tes­ten gehö­ren, was jemals an Pro­pa­gan­da pro­du­ziert wur­de. Pau­la Wes­se­ly dekla­miert ein pathe­ti­sches völ­ki­sches Glau­bens­be­kennt­nis mit einer heu­te pein­lich wir­ken­den Inbrunst, die kaum die Hohl­heit der Phra­seo­lo­gie  kaschie­ren kann (wie auch Horst Bie­nek ein­mal anmer­ke). Der Cha­rak­ter wird zum ideo­lo­gi­schen Sprach­rohr. Hier gerät “Heim­kehr” zum natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Pen­dant des “sozia­lis­ti­schen Rea­lis­mus” mit all sei­nen Kitsch-Hero­en, kos­me­ti­schen Lügen und Papp-Versprechen.

So ist der Film unterm Strich eine zwie­späl­ti­ge Ange­le­gen­heit: einer­seits Zeug­nis der zyni­schen Heu­che­lei tota­li­tä­rer Staa­ten, ande­rer­seits Reflex einer ver­ges­se­nen his­to­ri­schen Wirk­lich­keit, deren Kennt­nis zum Ver­ständ­nis und zur Bewer­tung des deutsch-pol­ni­schen Krie­ges unum­gäng­lich ist.

Die­ser zwei­te Aspekt des Fil­mes wird heu­te unter­schla­gen oder ver­harm­lost – ob aus Unkennt­nis oder bewuß­ter Lüge oder Oppor­tu­nis­mus sei dahin­ge­stellt.  Das mag mit­un­ter gut­ge­meint sein – ich hal­te die­ses Vor­ge­hen jedoch für fahr­läs­sig und unver­ant­wort­lich. Mehr dazu demnächst!

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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