50 Jahre ohne Alfred Kubin

pdf der Druckfassung aus Sezession 31/ August 2009

sez_nr31Alfred Kubin starb am 20. August 1959 im Alter von 82 Jahren. Es war das Jahr, in dem Castro in Kuba die Macht ergriff, die Sowjets die erste Raumsonde entsandten und die Chinesen Tibet besetzten. Der greise Graphiker und Geisterseher hatte indessen bereits um 1906 begonnen, sich allmählich den Stromschnellen der Zeitläufe zu entziehen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

In die­sem Jahr hat­te Kubin das jahr­hun­der­te­al­te Land­gut Zwick­ledt im ober­ös­ter­rei­chi­schen Wern­stein am Inn erwor­ben, das “Raub­rit­ter­schlös­sel”, wie es sein Freund Richard Bil­lin­ger nann­te, in des­sen Ein­sam­keit er sich in den fol­gen­den Deka­den zuneh­mend ein­mot­te­te. Nach dem Tod des Künst­lers wur­de das Gut zum Muse­um umge­stal­tet, jedoch soweit als mög­lich in sei­nem Ori­gi­nal­zu­stand belas­sen. Als das Haus restau­riert wer­den muß­te, ach­te­ten die Muse­ums­ver­wal­ter sorg­fäl­tig dar­auf, “jene alters­schwa­che, faden­schei­ni­ge, wurm­sti­chi­ge Aura zu erhal­ten, in der Kubin gelebt und gear­bei­tet hat­te, die auch sein gan­zes Werk präg­te. Die ‘Staub­dä­mo­nen’ soll­ten nicht aus­ge­trie­ben wer­den.” (Ger­hard Hall­statt). Spä­te Foto­gra­fien zei­gen eine hoff­man­nes­ke und doch nüch­ter­ne Gestalt, eine Art “Sek­ti­ons­chef im k.u.k. Amte für Phan­ta­sie, Dämo­nik, Okkul­tis­mus, Hexen­kult und Wün­schel­ru­ten­we­sen” (Paul Flo­ra), der sich jeden Mor­gen um halb acht Uhr vom Schlaf­la­ger erhob, um an sei­nem Zei­chen­tisch die Früch­te der nächt­li­chen Schau zu ernten.

Zu Beginn sei­ner Lauf­bahn hat­te sich der jun­ge Künst­ler noch dicht am Puls der Zeit bewegt, im Umkreis der Schwa­bin­ger Bohè­me eben­so wie im Wien des Fin de Siè­cle und als Mit­glied des »Blau­en Rei­ters«. Als die bei­den Welt­krie­ge über Euro­pa hin­weg­roll­ten, war Kubin längst zum »Ein­sied­ler von Zwick­ledt« gewor­den, dem sei­ne inne­ren Gesich­te, die er in Tau­sen­den Feder­zeich­nun­gen bann­te, zur wesen­haf­te­ren Wirk­lich­keit gewor­den waren. Die äuße­ren Schre­cken des Jahr­hun­derts hat­te er indes­sen im visio­nä­ren Spie­gel sei­ner Kunst um Jah­re vor­aus­ge­se­hen. In sei­nem 1909 erschie­ne­nen Roman Die ande­re Sei­te, dem bedeu­tends­ten Zeug­nis sei­ner künst­le­ri­schen Dop­pel­be­ga­bung, schil­der­te er den apo­ka­lyp­ti­schen Unter­gang des buch­stäb­lich zwie-lich­ti­gen Traum­reichs »Per­le«, das von einem rät­sel­haf­ten Herr­scher mit dem andro­gy­nen Namen »Pate­ra« regiert wird. Auch die­ses Buch kann als pro­phe­ti­sche Vor­ah­nung der kom­men­den Kata­stro­phen gedeu­tet wer­den. Als sie end­lich ein­tra­fen, konn­te er mit Geor­ge sagen: “Was euch erschüt­tert, ist mir lang ver­traut (…) / das meis­te war geschehn und kei­ner sah (…) / Das Trübs­te wird erst sein und kei­ner sieht.”

Die TodesstundeDie äuße­ren Hän­del der Mensch­heit inter­es­sier­ten ihn nun kaum mehr, und auch das “Drit­te Reich” mit sei­ner “Feld­we­bel­kul­tur” (Kubin) über­stand er in einer Art Über­win­te­rung. “Das Leben ein Traum!”, schrieb er 1922, “Nichts scheint mir zutref­fen­der wie die­ses alt­be­kann­te Gleichnis!”

Als Alfred Kubin an der Schwel­le der sech­zi­ger Jah­re starb, glich er einem Relikt der von ihm nost­al­gisch ver­ehr­ten Epo­che der Donau­mon­ar­chie, deren geis­tig-see­li­scher Raum weit über die geo­gra­phi­schen Gren­zen der heu­ti­gen Alpen­re­pu­blik hin­aus­reich­te. Kubin war jedoch nicht nur ein Ver­tre­ter der sla­wisch legier­ten Dämo­nie Öster­reichs, son­dern auch einer jener Seis­mo­gra­phen, die in düs­te­ren Bil­dern jene epo­cha­len Umwäl­zun­gen zu erfas­sen such­ten, die Hans Sedl­mayr als “Ver­lust der Mit­te” deu­te­te. In die­sem Pro­zeß ver­liert der Mensch sei­nen tran­szen­den­ten Mit­tel­punkt, sieht sich hilf­los dem Nihi­lis­mus und dem “unge­heu­ren Reich” des “Vor- und Außer­mensch­li­chen” gegen­über­ge­stellt. Für Ernst Jün­ger spie­gel­te sich in sol­chen Bil­dern der “Unter­gang der bür­ger­li­chen Welt”, eine umfas­sen­de “orga­ni­sche Zer­stö­rung”, die den blo­ßen “Unter­gang des alten Öster­reich” weit über­steigt. Tra­kls berühm­te Zei­le “Alle Stra­ßen mün­den in schwar­ze Ver­we­sung” gilt auch für Kubins Werk.

Kubin hielt dabei einem Druck stand, der manch ande­ren gro­ßen Geist ver­nich­tet hat­te. Vie­len Ver­tre­tern jener alp­traum­ge­plag­ten Gene­ra­ti­on von etwa 1880 bis 1890 war im Gegen­satz zu ihm ein nur kur­zes Leben beschie­den: Otto Wei­nin­ger, Richard Gerstl und Georg Tra­kl begin­gen Selbst­mord, Franz Kaf­ka und Egon Schie­le wur­den früh von schwe­rer Krank­heit hin­ge­rafft, Bru­no Schulz und Franz Sedlacek ver­schlang der Maelstrom des Zwei­ten Welt­kriegs. Für alle Genann­ten galt das Wort aus Con­rad Fer­di­nand Mey­ers Hut­tens letz­te Tage: “Sein Geist ist zwei­er Zei­ten Kampf­ge­biet / Mich wundert’s nicht, daß er Dämo­nen sieht.”

Gebo­ren wur­de Alfred Kubin am 10. April 1877 im böh­mi­schen Leit­me­ritz. Die Fami­lie über­sie­del­te jedoch bald nach Kubins Geburt nach Salz­burg und schließ­lich nach Zell am See. Der fein­ner­vi­ge Kna­be wur­de schon früh von jenem inten­si­ven Traum­er­le­ben heim­ge­sucht, das spä­ter zu sei­ner ent­schei­den­den Schaf­fens­quel­le wer­den soll­te. Noch am Ster­be­bett soll er zu einem trös­ten­den Arzt gesagt haben: “Neh­men Sie mir mei­ne Angst nicht, sie ist mein ein­zi­ges Kapi­tal”. Unter den Trau­ma­ta sei­ner Kind­heit war der Todes­kampf der gelieb­ten Mut­ter, des­sen Augen­zeu­ge der Zehn­jäh­ri­ge wur­de, das ein­schnei­dends­te Erleb­nis. Bei­na­he ein Jahr­zehnt spä­ter ver­such­te sich Kubin an ihrem Grab zu erschie­ßen, ein Unter­fan­gen, das auf­grund einer Lade­hem­mung sei­nes Revol­vers fehl­schlug. Die an Poe erin­nern­de Tra­gö­die soll­te sich wie­der­ho­len, als 1903 Kubins jun­ge Ver­lob­te nach kur­zer Krank­heit verschied.

Kubins Jugend glich in vie­ler­lei Hin­sicht Hes­ses Roman Unterm Rad. Die unver­hoh­le­ne Ver­ach­tung des über­mäch­ti­gen Vaters für den sen­si­blen Nichts­nutz, schu­li­scher Miß­er­folg und jugend­li­che Depres­sio­nen lie­ßen ihm sein Leben als “Höl­len­pe­ri­ode” erschei­nen. Nach einer vier­jäh­ri­gen Foto­gra­fen­leh­re und einem Mili­tär­dienst, der mit einem Ner­ven­zu­sam­men­bruch ende­te, schick­te der ver­zwei­fel­te Vater den 21jährigen schließ­lich auf eine Kunst­schu­le nach Mün­chen. Kubin begeg­ne­te nun dem Werk eines Goya, Munch, Ensor, Redon und Klin­ger. Das Früh­werk mit sei­ner cha­rak­te­ris­ti­schen Sprüh- und Lavur­tech­nik zählt zu den wohl erschüt­ternds­ten Doku­men­ten einer zutiefst gefähr­de­ten See­le, die um ihr Gleich­ge­wicht ringt. Die bizar­ren, obs­zö­nen und gewalt­tä­ti­gen Alp­traum­sze­na­ri­en die­ser wohl ein­drück­lichs­ten Schaf­fens­pe­ri­ode Kubins sind frei von jeg­li­cher Koket­te­rie mit dem Abgrund, wie sie etwa Féli­ci­en Rops oder Franz von Stuck kul­ti­vier­ten. Ange­sichts der tum­ben Tier­göt­zen, ver­schlin­gen­den Vagi­nen, trieb­haf­ten Chi­mä­ren, moloch­ar­ti­gen Kriegs­göt­ter und sur­rea­len Mord­ma­schi­ne­rien emp­fin­det der Künst­ler sicht­lich läh­men­des Ent­set­zen, eine bei­nah psy­cho­ti­sche Angst vor dem Tod und dem Sexus, ein von Ekel erfüll­tes Grau­en vor den Geheim­nis­sen der fleisch­li­chen Inkarnation.

Erst nach der rausch­haf­ten Nie­der­schrift von Die ande­re Sei­te fand Kubin eine gewis­se inne­re Balan­ce, und damit einen Stil, den er für die nächs­ten fünf Jahr­zehn­te bei­be­hal­ten soll­te. Wie ein schwar­zer Regen fet­zen nun die Feder­stri­che über die Blät­ter, der “Inten­si­tät des Aus­drucks” vor der “Schön­heit der Form” (Hans Bisanz) den Vor­rang gebend. Ein gro­ßer Teil sei­nes Werks umfaß­te nun Buch­il­lus­tra­tio­nen für die Wer­ke see­len­ver­wand­ter Künst­ler wie Poe, Jean Paul, Hoff­mann, Kaf­ka, Mey­rink und Dos­to­jew­ski. Kubin hat sich weit in die Unter­welt vor­ge­wagt; wo dem Abgrün­di­gen aller­dings auch Hei­ter­keit und Humor bei­gemischt sind, da sind “Unmensch­lich­keit und Schwer­mut gebro­chen” (Hans Sedl­mayr). In einer sei­ner spä­tes­ten Zeich­nun­gen por­trä­tier­te Kubin sich selbst als gebeug­ten Greis, einen alt­mo­di­schen Zylin­der lüp­fend, unter sei­nen Füßen einen pikiert drein­bli­cken­den rie­si­gen Skor­pi­on, um ihn her­um flat­tern­de lich­te Schmet­ter­lin­ge. In den Wor­ten des Neu­en Tes­ta­ments, dem der Scho­pen­hau­e­ria­ner frei­lich denk­bar fern stand, erlang­te er durch sei­ne Kunst “die Gewalt, auf Schlan­gen und Skor­pio­ne zu tre­ten” und Herr über sei­ne Dämo­nen zu werden.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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