Autorenportrait Carl Zuckmayer

pdf der Druckfassung aus Sezession 10 / Juli 2005

sez_nr_10von Günter Scholdt

Carl Zuckmayer wurde am 27. Dezember 1896 im rheinhessischen Nackenheim geboren als Sohn eines Fabrikanten für Weinflaschenkapseln. Bei Kriegsausbruch 1914 meldete sich der Abiturient freiwillig und war zuletzt Artillerieleutnant an der Westfront und Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats in Mainz. Nach abgebrochenem Studium und ersten gescheiterten Dramenversuchen (Kreuzweg, 1920) schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, darunter als Dramaturg in Kiel und ab 1924 gemeinsam mit Brecht am Deutschen Theater in Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1925 mit der rheinhessischen Komödie Der fröhliche Weinberg, die von der begeisterten Berliner Kritik als neusachlich-vitalistische Beerdigung des Expressionismus gefeiert und mit dem Kleistpreis ausgezeichnet wurde. Zwei weitere erfolgreiche Volksstücke (Schinderhannes, 1927; Katharina Knie, 1929) schlossen sich an vor dem zweiten Höhepunkt: der Komödie Der Hauptmann von Köpenick (1931), in der Zuckmayer sein großes Thema „Heimat“ respektive „Heimatlosigkeit“ mit dem Konflikt zwischen Mensch und militaristisch geprägter Ordnung verknüpfte. Diese Stücke, die wie andere seiner Werke schon bald verfilmt wurden, machten ihn zu einem der populärsten Autoren seiner Zeit.

Dies änder­te sich schlag­ar­tig mit Hit­lers Macht­an­tritt. War doch Zuck­may­er wegen der jüdi­schen Her­kunft sei­ner Mut­ter sowie eige­ner NS-kri­ti­scher Äuße­run­gen und Akti­vi­tä­ten, zum Bei­spiel im Rah­men der „Eiser­nen Front“, poli­tisch uner­wünscht, was ein Ver­bot der Auf­füh­rung sei­ner Stü­cke in Deutsch­land zur Fol­ge hat­te. Er zog sich daher auf sei­nen Land­sitz in Henn­dorf bei Salz­burg zurück, um 1938, nach dem Ein­marsch in Öster­reich, aber­mals zu emi­grie­ren, zunächst in die Schweiz, 1939 in die USA. Dort war er kurz­zei­tig als Dreh­buch­au­tor in Hol­ly­wood und Dozent bei Pis­ca­tor in New York tätig. Schließ­lich kauf­te er eine Farm in Ver­mont und bestritt sei­nen Lebens­un­ter­halt als Land­wirt, eine Zeit, die auch in den Memoi­ren sei­ner Frau anschau­lich gespie­gelt ist. 1946 reis­te er als Zivil­an­ge­stell­ter des US-Kriegs­mi­nis­te­ri­ums nach Deutsch­land und schrieb enga­gier­te Berich­te zur Ver­bes­se­rung der Bezie­hun­gen zwi­schen Besat­zern und Besieg­ten. Zuvor hat­te er bereits im soge­nann­ten Geheim­re­port mög­li­che Chan­cen aus­ge­lo­tet, deut­sche Kul­tur­schaf­fen­de für einen geis­ti­gen Neu­an­fang her­an­zu­zie­hen. 1948 sie­del­te er nach Saas Fee in der Schweiz um, sei­nem letz­ten Wohn­sitz. Er starb am 18. Janu­ar 1977 in Visp / Kan­ton Wallis.
Zuck­may­er schrieb in allen lite­ra­ri­schen Groß­gat­tun­gen, zudem für Funk und Film (Der blaue Engel). Er begann als Lyri­ker und ver­öf­fent­lich­te bereits 1917 in Franz Pfem­ferts Akti­on. Die Gedicht­samm­lun­gen sind durch natur­ro­man­ti­sche wie hei­mat­li­che Akzen­te gekenn­zeich­net. Zu sei­nen bekann­tes­ten epi­schen Wer­ken gehört die 1945 erschie­ne­ne humor­vol­le Erzäh­lung Der See­len­bräu sowie der mit einer Fül­le von Kul­tur­por­traits und Zeit­skiz­zen ver­se­he­ne auto­bio­gra­phi­sche Best­sel­ler Als wär’s ein Stück von mir (1966). Den größ­ten Zuspruch fand er als Dra­ma­ti­ker. Neben den bereits erwähn­ten Volks­stü­cken der Wei­ma­rer Repu­blik und den weni­ger geschätz­ten his­to­ri­schen (Der Schelm von Ber­gen, 1934; Bar­ba­ra Blom­berg, 1949) und zeit­kri­ti­schen Schau­spie­len (Der Gesang im Feu­er­ofen, 1950; Das kal­te Licht, 1955; Der Rat­ten­fän­ger, 1975) gehört das 1946 urauf­ge­führ­te Dra­ma Des Teu­fels Gene­ral als eines der ers­ten Pro­blem­stü­cke über das Drit­te Reich zu den am häu­figs­ten auf­ge­führ­ten und dis­ku­tier­ten Wer­ken der deut­schen Bühnengeschichte.

Unter den bedeu­ten­den deut­schen Thea­ter­dich­tern war Zuck­may­er der viel­leicht letz­te Gestal­ter gro­ßer Schick­sa­le, Cha­rak­te­re und Emo­tio­nen (zuwei­len an der Gren­ze zur Sen­ti­men­ta­li­tät). Als Autor schöpf­te er vor­nehm­lich aus eige­nem Erleb­nis, stets bereit, dem kon­kre­ten Men­schen gegen­über Dok­tri­nen und Ideo­lo­gien den Vor­zug ein­zu­räu­men. Sein vita­lis­ti­scher Opti­mis­mus und natur­re­li­gi­ös fun­dier­ter Huma­nis­mus sprach vie­len aus dem Her­zen. „Kein deut­scher Dra­ma­ti­ker“, schrieb Gün­ther Rüh­le, habe im zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert sein Publi­kum so unmit­tel­bar „ent­zün­det“ wie er. Der fröh­li­che Wein­berg, Der Haupt­mann von Köpe­nick und Des Teu­fels Gene­ral sei­en „explo­si­ve Erfol­ge“ gewe­sen, tie­fer ver­an­kert als durch „Zuschau­er­lust“, „Intel­lekt“ oder „vages Kunst­be­dürf­nis“. Zuck­may­er war der am meis­ten gespiel­te und wohl auch ver­die­nen­de deutsch­spra­chi­ge Dra­ma­ti­ker der Wei­ma­rer Repu­blik. Selbst als sei­ne Bezie­hung zum deut­schen Publi­kum zwi­schen 1933 und 1945 künst­lich beschränkt wur­de, ver­blieb ihm ein Rest an Popu­la­ri­tät, an dem sich nach dem Krieg sofort wie­der anknüp­fen ließ. Sein Selbst­ver­ständ­nis als Ver­mitt­ler zwi­schen Mili­tär­ver­wal­tung und Bevöl­ke­rung erwarb ihm zudem neue Sym­pa­thien. So hat man zwi­schen 1947 und 1975 nicht weni­ger als 416 Insze­nie­run­gen sei­ner Stü­cke gezählt, dar­un­ter 125 vom Haupt­mann von Köpe­nick und 97 von Des Teu­fels Gene­ral.
Die über­wie­gen­de Mehr­zahl der Auf­füh­run­gen fiel aller­dings in die ers­te Hälf­te die­ser Peri­ode. Denn in den sech­zi­ger Jah­ren ende­te Zuck­may­ers Erfolgs­kar­rie­re abrupt, und sein 100. Geburts­tag im Dezem­ber 1996 bot viel­fäl­ti­gen Anlaß, sich der pein­li­chen Unaus­ge­wo­gen­heit inne­zu­wer­den, gemäß der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Mei­nungs­bild­ner Ver­diens­te beloh­nen und Gedenk­tra­di­tio­nen eta­blier­ten. Ver­gleicht man zum Bei­spiel die beschä­men­de Zurück­hal­tung deut­scher Büh­nen selbst in der Jubi­lä­ums­sai­son 1996 / 97 gegen­über Zuck­may­er-Stü­cken und das ins­ge­samt beschei­de­ne Medi­en­in­ter­es­se, kul­mi­nie­rend in einer ZDF-Gesprächs­run­de, die bei aller Bemüht­heit das tie­fe Unver­ständ­nis der herr­schen­den Ger­ma­nis­ten­und Kri­ti­ker­ge­nera­ti­on gegen­über sei­ner Art Dra­ma­tur­gie exem­pla­risch bekun­de­te, mit den (von Reich-Rani­cki bis Stoi­ber rei­chen­den, fast sämt­li­che Kul­tur- und Polit­krei­se umfas­sen­den, qua­si natio­nal­of­fi­ziö­sen) Brecht-Fei­ern zu des­sen 100. Geburts­tag, so erhält man einen klei­nen Ein­druck davon, was hier­zu­lan­de der beschö­ni­gen­de Begriff „Para­dig­men­wech­sel“ kon­kret umschließt.
Wie läßt sich die­ser radi­ka­le Kurs­sturz der Zuck­may­er-Aktie an der Mei­nungs­bör­se der Lite­ra­tur- und Thea­ter­leu­te begrei­fen? Es gibt eine ästhe­tisch-dra­ma­tur­gi­sche und eine poli­tisch-ideo­lo­gi­sche Erklä­rung, die aller­dings bei­de eng zusam­men­hän­gen. Die erst­ge­nann­te gip­felt im sei­ner­zeit viel­ver­wand­ten Schlag­wort „Opas Thea­ter ist tot“. Natür­lich gehört der Auf­stand gegen die Eta­blier­ten auch im Bereich der Kul­tur schon immer zum erwart­ba­ren, in Maßen sinn­vol­len Brauch. Aber die von Autoren, Regis­seu­ren und Kri­ti­kern so pau­schal gefer­tig­ten Toten­schei­ne für die Ästhe­tik der Ibsen, Haupt­mann und Zuck­may­er haben das Thea­ter – dies sei bei allem Ver­ständ­nis für peri­odi­sche gene­ra­ti­ons­ty­pi­sche Neue­run­gen gesagt – auch ver­armt. Was mit dem völ­li­gen Sieg des heu­te favo­ri­sier­ten Entlarvungs‑, Denun­zia­ti­ons- und Gro­tesk­thea­ters auf der Stre­cke blieb, hat Gün­ther Rüh­le benannt: „Die­ses Thea­ter ist kein Thea­ter der Anschau­ung mehr, der Betrach­tung, des sich Ein­las­sens, des Ein- und Mit­füh­lens, der Anteil­nah­me am Schick­sal der Figu­ren. Das zeit­ge­nös­si­sche Thea­ter ist her­vor­ge­gan­gen aus der schar­fen Kri­tik am Vor­ge­fun­de­nen und aus der Öff­nung der sze­ni­schen Kon­ven­tio­nen. Es giert nach ätzen­den Bil­dern, Iro­nien und zyni­scher Bloß­stel­lung der Per­so­nen, liebt die Depravierung.

Es spielt mit sei­nen Mate­ria­li­en, defi­niert Fremd­hei­ten, Ent­fer­nun­gen, ver­zich­tet auf Zusam­men­hän­ge, auch auf Ana­ly­sen. Vor allem aber auf deut­lich sicht­ba­re Per­so­nen (Per­so­nen, nicht Figu­ren), die ins geleb­te Leben mit sei­nen Ver­wer­fun­gen und Irrun­gen ver­wei­sen und nicht nur aufs Thea­ter. Auf Per­so­nen, die – auch wenn sie der Kri­tik unter­lie­gen – doch noch Per­so­nen blei­ben, die man lie­ben kann und lie­ben könn­te, wenn sie anders wären. Zuck­may­ers Thea­ter zeich­net sich dadurch aus, daß er kaum einer Per­son sei­ne lie­ben­de Auf­merk­sam­keit ver­wei­gert, daß er die lebens­kräf­ti­ge Figur her­aus­stellt, auch wenn sie unter­geht. Er demons­triert an Men­schen, nicht an den Zustän­den. Noch lebt sei­ne Vor­stel­lung von Thea­ter aus dem alten Men­schen­thea­ter, das Ibsen erneu­ert und auch Ger­hart Haupt­mann nicht auf­ge­ge­ben hat. Schau­spie­ler lie­ben es mehr als heu­ti­ge Regis­seu­re, weil es Rol­len bie­tet und nicht nur Spiel­funk­tio­nen. Tra­gi­sche Däm­me­rung, Weh­mut, Lebens­lust sind Begrif­fe, die das der­zei­ti­ge Thea­ter nicht kennt. Dar­um sind Zuck­may­ers Stü­cke zu Gegen­stü­cken gegen den heu­ti­gen Usus geworden.“
Zuck­may­ers Cre­do ein­füh­len­der Men­schen­dar­stel­lung ver­bin­det sich – und das macht sei­ne heu­ti­ge Gering­schät­zung zum Poli­ti­kum – mit sei­ner Bewah­rung von Wer­ten und Hal­tun­gen, die im Bewußt­sein vie­ler Acht­und­sech­zi­ger auf den Müll­hau­fen der Geschich­te gehör­ten: Hei­mat­lie­be, (Geschichts-)Optimismus, vor allem aber eine selbst in schwers­ter Zeit nicht auf­ge­kün­dig­te patrio­ti­sche Soli­da­ri­tät. Zudem erin­ner­te sein Plä­doy­er für den lebens­tüch­ti­gen wie ‑lus­ti­gen Voll­blut­men­schen sei­ne Kri­ti­ker an das poli­tisch miß­brauch­te Ide­al phy­si­scher, psy­chi­scher und mora­li­scher „Gesund­heit“, das sich im welt­an­schau­li­chen Streit als Gegen­be­griff zu schein­ba­rer oder wirk­li­cher Krank­heit, Deka­denz und „see­len­zer­glie­dern­den“ Selbst­zwei­feln eta­bliert hat­te, – aller­dings mit dem fun­da­men­ta­len Unter­schied, daß Zuck­may­er nicht mit­leid­los aus­gren­zen oder gar züch­ten woll­te, son­dern ledig­lich den Glücks­fall orga­ni­scher Ver­bin­dung mit auto­chtho­nen Kräf­ten der Natur wenigs­tens lite­ra­risch herbeirief.
Wo jedoch das Gros der Intel­lek­tu­el­len außer­halb des Ein­fluß­be­reichs sozia­lis­ti­scher Pro­pa­gan­da­hel­den als Fazit eines desas­trö­sen Jahr­hun­derts nur mehr den gebro­che­nen Cha­rak­ter bezie­hungs­wei­se struk­tur­ge­beu­tel­te Despe­ra­dos gel­ten ließ, fehl­te für sei­ne ganz­heit­li­chen Mensch­heits­ent­wür­fe schlicht das Ver­ständ­nis, und man ent­deck­te statt des­sen fata­le ideo­lo­gi­sche Nach­bar­schaf­ten. Dabei ver­kör­per­te Zuck­may­er vor allem jene Zuver­sicht, die an end­gül­ti­ge Göt­ter­däm­me­run­gen nicht glaub­te und auch nach Kata­stro­phen Neu­an­fän­ge für mög­lich hielt, jenen unbän­di­gen Wil­len, destruk­ti­ven Ten­den­zen Ein­halt zu gebie­ten. Die­se Bot­schaft ver­mit­tel­te er zeit- und län­der­über­grei­fend, exem­pla­risch etwa in jenem noch heu­te impo­nie­ren­den Auf­ruf zum Leben, ver­faßt 1942 anläß­lich des Frei­tods von Ste­fan Zweig, in dem er sei­ne Exil­ka­me­ra­den dring­lich beschwor, nicht zu ver­zwei­feln und not­falls Hit­ler zum Trotz durch­zu­hal­ten. Mit ver­gleich­bar lebens­be­ja­hen­der Ten­denz wand­te er sich in Des Teu­fels Gene­ral an jenen Typus des idea­lis­ti­schen NS-Anhän­gers, der in todes­süch­ti­ger Opfer­be­reit­schaft auf den dro­hen­den Zusam­men­bruch sei­nes Welt­bilds reagier­te: „Hören Sie mir zu, Hart­mann … Sie sind jung, aber Sie wis­sen es nicht. Vor Ihnen liegt das Leben – aber Sie wis­sen nicht, was das Leben ist. Sie ste­cken in einer Krebs­scha­le, in einer Aus­tern­mu­schel, die Sie für die Welt hal­ten, und spü­ren nicht, daß drau­ßen, um Sie her, der unge­heu­re Oze­an rauscht. Ich aber sage Ihnen, das Leben ist schön. Die Welt ist wun­der­bar. Wir Men­schen tun sehr viel, um sie zu ver­sau­en, und wir haben einen gewis­sen Erfolg damit. Aber wir kom­men nicht auf – gegen das ursprüng­li­che Kon­zept. … Es ist das, was wir in uns­ren bes­ten Stun­den ahnen, und besit­zen. Und dafür – nur dafür – leben wir über­haupt. … Herr­gott, Hart­mann! Glaubst du mir nicht, daß es sich lohnt zu leben? Sehr lang zu leben? Ganz alt zu werden?“

Hier sprach der See­len­arzt und poli­ti­sche The­ra­peut im Gewand des Dra­ma­ti­kers. Dar­über hin­aus war Zuck­may­er ein Mensch, der bei größ­ter Welt­of­fen­heit über­all, wo er län­ger leb­te, Wur­zeln schlug. Nie­mals ver­gaß oder ver­leug­ne­te er sei­ne regio­na­le Her­kunft, die er in ver­schie­de­nen Volks­stü­cken gera­de­zu gefei­ert hat­te. Als Reak­ti­on auf den mör­de­ri­schen Ras­sis­mus der NS-Epo­che ver­stieg er sich auch nicht wie so man­che Hit­ler-Geg­ner zu einer nega­ti­ven Anthro­po­lo­gie des Deut­schen. Viel­mehr setz­te er zum Bei­spiel in Des Teu­fels Gene­ral ein posi­ti­ves Men­schen­bild dage­gen, fast eine Apo­theo­se des Rhein­län­ders, zugleich eine hin­rei­ßen­de, anschau­li­che lite­ra­ri­sche Wider­le­gung gene­ti­scher Rein­heits­fik­tio­nen aus­ge­rech­net in Zen­tral­eu­ro­pa. Er tat es mit der klas­si­schen Sze­ne, in der der jun­ge par­tei­gläu­bi­ge Hart­mann sei­ne kar­rie­re­schäd­li­che unge­klär­te Abstam­mung beich­tet. Gene­ral Har­ras ant­wor­tet dar­auf mit einer Elo­ge des Rheins als „der gro­ßen Völ­ker­müh­le“ und „Kel­ter Euro­pas“: „Und jetzt stel­len Sie sich doch mal Ihre Ahnen­rei­he vor – seit Chris­ti Geburt. Da war ein römi­scher Feld­haupt­mann, ein schwar­zer Kerl, braun wie ne rei­fe Oli­ve, der hat einem blon­den Mäd­chen Latein bei­gebracht. Und dann kam ein jüdi­scher Gewürz­händ­ler in die Fami­lie, das war ein erns­ter Mensch, der ist noch vor der Hei­rat Christ gewor­den und hat die katho­li­sche Haus­tra­di­ti­on begrün­det. – Und dann kam ein grie­chi­scher Arzt dazu, oder ein kel­ti­scher Legio­när, ein Grau­bünd­ner Lands­knecht, ein schwe­di­scher Rei­ter, ein Sol­dat Napo­le­ons, ein deser­tier­ter Kosak, ein Schwarz­wäl­der Flö­zer, ein wan­dern­der Mül­ler­bursch vom Elsaß, ein dicker Schif­fer aus Hol­land, ein Magyar, ein Pan­dur, ein Offi­zier aus Wien, ein fran­zö­si­scher Schau­spie­ler, ein böh­mi­scher Musi­kant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesof­fen und gesun­gen und Kin­der gezeugt – und – und der Goe­the, der kam aus dem­sel­ben Topf, und der Beet­ho­ven, und der Guten­berg, und der Mat­thi­as Grü­ne­wald, und – ach was, schau im Lexi­kon nach. Es waren die Bes­ten, mein Lie­ber! Die Bes­ten der Welt! Und war­um? Weil sich die Völ­ker dort ver­mischt haben. Ver­mischt – wie die Was­ser aus Quel­len und Bächen und Flüs­sen, damit sie zu einem, gro­ßen, leben­di­gen Strom zusam­men­rin­nen. Vom Rhein – das heißt: vom Abend­land. Das ist natür­li­cher Adel. Das ist Ras­se. Sei­en Sie stolz dar­auf, Hart­mann – und hän­gen Sie die Papie­re Ihrer Groß­mutter in den Abtritt. Prost.“
Auch sein Haupt­mann von Köpe­nick ist kein sei­nem Land ent­frem­de­ter, natio­nal indif­fe­ren­ter Rebell, son­dern im Gegen­teil einer, der mit Ber­li­ner Dia­lekt und Mut­ter­witz vor allem sein Hei­mat­recht ein­klagt und schließ­lich durch­setzt, einer, der mit den Wert­be­grif­fen sei­ner Umwelt nicht gänz­lich bricht, son­dern vor allem auf deren Huma­ni­sie­rung pocht. Der Dia­log zwi­schen Schus­ter Voigt und sei­nem Schwa­ger Ruprecht über die Wan­zen- oder lebens­wer­te Men­schen­ord­nung, für die man sich auch ein­set­zen und not­falls ster­ben kön­ne, liest sich als anrüh­ren­der lite­ra­ri­scher Appell für eine bes­se­re Gesell­schaft. Daß der Autor das preu­ßi­sche (Militär-)System nicht noch stär­ker atta­ckier­te und die Per­so­nen nicht ihre sozia­len Funk­tio­nen ent­gel­ten ließ, hat man ihm in Krei­sen, wo die kari­ka­tu­ris­ti­sche Optik der Grosz, Tuchol­sky oder Hein­rich Mann zur Norm erklärt wur­de, als sati­risch-eman­zi­pa­to­ri­sche Halb­heit vor­ge­wor­fen, als „behag­li­ches preu­ßi­sches Anek­do­ten­ge­plän­kel“ oder „Unrecht am Stoff“, wie etwa Paul Ril­la for­mu­lier­te. Ähn­li­che Urtei­le bestim­men bis heu­te vie­le Wer­tun­gen in Ger­ma­nis­tik- oder Thea­ter­krei­sen. Doch was hier moniert wird, läßt sich eben­so posi­tiv deu­ten. Zuck­may­er zeig­te in der Tat auch Welt­an­schau­ungs­kon­flik­te nie­mals nach dem Freund-Feind-bezie­hungs­wei­se Gut-Böse-Prin­zip, und er bewahr­te Dia­log­be­reit­schaft auch für Ver­tre­ter des geg­ne­ri­schen Lagers. Doch sol­cher Ver­zicht auf pola­ri­sie­ren­de Ver­schär­fung beschränk­te ihn auch nicht dar­auf, ledig­lich zu den (ver­meint­lich) Geret­te­ten zu pre­di­gen und damit sei­ne Wir­kun­gen von vorn­her­ein zu limi­tie­ren. Wer das kri­ti­siert, zielt auf zen­tra­le Über­zeu­gun­gen, ja Stär­ken des Autors, wohl auf sein Bestes.

Das gilt nicht zuletzt für das hef­tig umstrit­te­ne Dra­ma Des Teu­fels Gene­ral. Einer­seits blieb es bis heu­te der größ­te Thea­ter­er­folg in Nach­kriegs­deutsch­land und erziel­te von Novem­ber 1947, als die USKon­troll­be­hör­de end­lich sein Spiel­ver­bot auf­hob, bis 1950 nicht weni­ger als 3238 Auf­füh­run­gen. Zeit­ge­nos­sen staun­ten über Zuck­may­ers prä­zi­se Bin­nen­sicht eines Außen­ste­hen­den, und eine Fül­le von öffent­li­chen Dis­kus­sio­nen demons­trier­te ein­drucks­voll die Wir­kung des Stücks als kathar­ti­sches Ereig­nis. Ande­rer­seits war es schon bald ätzen­der Pole­mik aus­ge­setzt. Man unter­stell­te ihm Bei­hil­fe zu einer (gene­rals­gläu­bi­gen) Dolch­stoß­le­gen­de, Ent­las­tung von Schul­di­gen, zumin­dest aber über­trie­be­nes Ver­ständ­nis für brau­ne Ver­feh­lun­gen. Man­che die­ser Vor­wür­fe erklä­ren sich aus der Erre­gung der unmit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit. Doch lei­der haben sol­che Deu­tungs­ten­den­zen zu Las­ten des Autors mitt­ler­wei­le die Über­hand gewon­nen. Kind­lers Lite­ra­tur­le­xi­kon spricht von „Kol­por­ta­ge“, „Ver­harm­lo­sung“, ja „fatal unbe­wuß­ter Glo­ri­fi­zie­rung der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Schre­ckens­herr­schaft“, was dann aller­dings zumin­dest Walt­her Kil­ly zur Fest­stel­lung ver­an­laß­te: „Es gehör­te ein höhe­res Maß von Gerech­tig­keit dazu, die­ses Stück als Emi­grant im kal­ten Win­ter 1942 / 43 auf der Farm in Ver­mont zu kon­zi­pie­ren, als es in einer war­men Redak­ti­ons­stu­be der sech­zi­ger Jah­re wie eine Apo­lo­gie des Nazis­mus zu lesen.“ Doch die Fol­gen solch denun­zia­to­ri­scher Les­ar­ten, die dem Autor güns­tigs­ten­falls poli­ti­sche Nai­vi­tät unter­stel­len, rei­chen bis in die Gegen­wart und bestim­men vor allem die Thea­ter­sze­ne, in der man Zuck­may­ers schein­bar abwe­gi­ge Ein­füh­lung durch respekt­lo­se Ein­grif­fe und Text­ver­stüm­me­lun­gen eines Regie­thea­ters à la Cas­torf zeit­ge­mäß „kor­ri­giert“.
Was Zuschau­er von damals an die­sem Dra­ma so außer­or­dent­lich beweg­te und ver­an­laß­te, letzt­lich ihren eige­nen Fall zu dis­ku­tie­ren, war jedoch vor­nehm­lich der Umstand, daß man sie hier ein­mal aus­nahms­wei­se nicht mit erho­be­nem Zei­ge­fin­ger mora­lisch belehr­te oder denun­zia­to­risch ansprang. Die­se frag­los erfolg­rei­che Stra­te­gie zur geis­ti­gen Neu­ori­en­tie­rung galt wie­der­um berufs­mä­ßi­gen Wäch­tern der kor­rek­ten ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung als unzu­läs­sig oder skan­da­lös. Mit einer Wer­tungs­prä­mis­se, wie sie zum Bei­spiel die „Wehr­machts­aus­stel­lung“ jüngst als erkennt­nis­lei­ten­des Inter­es­se ver­folg­te, waren Ver­dik­te vor­pro­gram­miert. Wo der Autor sich ein­fühl­te, statt per­hor­res­zie­rend distan­zier­te, wo er im Sin­ne ech­ter Dra­ma­tik auch ernst­zu­neh­men­de Gegen­spie­ler, nicht nur sitt­lich indis­ku­ta­ble Papp­ka­me­ra­den schuf, wit­ter­ten man­che poli­tisch Obs­zö­nes. Per­spek­ti­vi­sche, sub­jek­ti­ve „Wahr­hei­ten“ zur Ver­an­schau­li­chung nicht mehr gebil­lig­ter Ein- oder Vor­stel­lun­gen fan­den wenig Gna­de. Auf­klä­rung über das Drit­te Reich hat­te sich auf Tri­bu­nal und Abschre­ckung zu beschrän­ken. Kurz, man ver­miß­te im Stück jenen pha­ri­säi­schen Gene­ral­baß, der heu­te weit­hin als Vor­aus­set­zung offi­ziö­ser „Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung“ ertönt.
Dazu war Zuck­may­er nie­mals bereit, auch nicht im Exil, wohin man ihn ver­jagt hat­te. Sein Teu­fels­dra­ma begann er sogar mit einer selbst­be­zo­ge­nen Fra­ge­stel­lung, die heu­ti­gen Schreib­tisch­mär­ty­rern gänz­lich fremd sein dürf­te: „Wie wäre Dein eige­nes Ver­hal­ten, Dein eige­nes Los, mit Dei­nem Natu­rell, Tem­pe­ra­ment, Leicht­sinn usw. hät­test Du nicht das Glück einer ‚nicht­ari­schen‘ Groß­mutter und stün­dest mit­ten drin?“ Auch sei­ne vor­nehm­lich zukunfts­ori­en­tier­ten Stel­lung­nah­men der Jah­re 1944 / 45 bele­gen, daß er sich nicht als künf­ti­ger Anklä­ger oder Rächer fühl­te, son­dern viel­mehr als geis­ti­ger Brü­cken­bau­er: „Deutsch­land ist schul­dig gewor­den vor der Welt. Wir aber, die wir es nicht ver­hin­dern konn­ten, gehö­ren in die­sem gro­ßen Welt­pro­zeß nicht unter sei­ne Rich­ter. Zu sei­nen Anwäl­ten wird man uns nicht zulassen.

So ist denn unser Platz auf der Zeu­gen­bank, auf der wir Sei­te an Sei­te mit unse­ren Toten sit­zen – und bei aller Unver­söhn­lich­keit, gegen sei­ne Pei­ni­ger und Hen­ker, wer­den wir Wort und Stim­me immer für das deut­sche Volk erhe­ben.“ Und: „Die Rei­ni­gung Deutsch­lands muß tief­ge­hend und gründ­lich sein, aber sie kann der Welt nichts nüt­zen, wenn sie nur eine Zwangs­maß­nah­me ist, wenn sie nicht von Innen kommt, und wenn ihr die Hil­fe und das Ver­trau­en ver­sagt bleibt, wie uns im Jah­re 1918 … Ich sehe nichts Gutes dar­in, weder für Deutsch­land, noch für die Welt, wenn als kras­ser Pen­del­aus­schlag gegen den Wahn­witz des Pan­ger­ma­nis­mus nun ein eben­so kras­ser Anti­ger­ma­nis­mus geschaf­fen wird … je mehr mir Ame­ri­ka Hei­mat gewor­den ist … des­to stär­ker emp­fand ich die unzer­stör­ba­re Ver­bun­den­heit mit dem Volk, von dem ich her­kom­me, und den Wunsch, ihm auch in sei­ner schwär­zes­ten Stun­de gerecht zu wer­den.“ Oder unmit­tel­bar nach der Kapi­tu­la­ti­on: „Unse­re ein­zi­ge Emp­fin­dung … ist heu­te die des lei­den­schaft­li­chen Wun­sches, zu hel­fen und teil­zu­neh­men. Ich den­ke mir oft, daß wir mit unse­rem anders­ge­ar­te­ten Leben wäh­rend der letz­ten sie­ben Jah­re … ein Aus­blick in die wei­te Welt für die ein­ge­grenz­ten Men­schen in ihren beeng­ten Ver­hält­nis­sen drü­ben sein wür­den – und den Ame­ri­ka­nern wie­der­um kön­nen wir eine Men­ge hel­fen, die­se Welt drü­ben rich­tig zu ver­ste­hen und einzuschätzen.“
Daß dies nicht nur unver­bind­lich rhe­to­ri­sche Ges­ten waren, demons­triert sein Ver­hal­ten nach dem deut­schen Zusam­men­bruch. Zum Teil unter Miß­bil­li­gung emi­grier­ter Kol­le­gen, zeig­te er sich sofort bereit, nach Deutsch­land zurück­zu­keh­ren und sich bis zur völ­li­gen kör­per­li­chen Erschöp­fung in den Neu­auf­bau ein­zu­brin­gen. Er sprach und kor­re­spon­dier­te mit Kol­le­gen im Lan­de, dis­ku­tier­te mit Stu­den­ten, Schü­lern, Regime­geg­nern oder Kriegs­ge­fan­ge­nen, besuch­te – hor­ri­bi­le dic­tu! – selbst ein SS-Lager, um die jet­zi­gen Mei­nun­gen die­ser Ideo­lo­gi­sier­ten zu erkun­den. Er woll­te zunächst ein­mal wis­sen, bevor er urteil­te. Er reis­te im Auf­trag der US-Armee, scheu­te sich aber nicht, Prak­ti­ken der Besat­zungs­re­gie­rung, die ihm schäd­lich erschie­nen, zu kri­ti­sie­ren. Sei­ne Auf­fas­sung mün­de­te in einen jüngst ver­öf­fent­lich­ten Deutsch­land­be­richt, von dem sich opti­mis­ti­scher­wei­se hof­fen läßt, daß er zusam­men mit dem 2002 publi­zier­ten Geheim­re­port über die Kunst­sze­ne in Deutsch­land end­lich zu einem Umden­ken über den angeb­lich poli­tisch so unbe­darf­ten Folk­lo­re-Autor füh­ren möge.
Der Deutsch­land­be­richt bün­delt Berich­te und Arti­kel über sei­ne Ein­drü­cke in Nach­kriegs­deutsch­land. Zuck­may­er zeigt gro­ßes Ver­ständ­nis für die dor­ti­ge Not und erklärt man­che Nega­tiv­erschei­nung auch als Reak­ti­on auf jüngs­te Ent­täu­schun­gen mit der Besat­zung. Sein Report an die US-Mili­tär­re­gie­rung zielt auf einen Kurs­wech­sel in der Behand­lung der Besieg­ten. Ins­be­son­de­re der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on möch­te er bes­se­re Ent­wick­lungs­per­spek­ti­ven ver­schaf­fen. Sei­ne Ein­schät­zung gip­felt in dem Sil­ves­ter 1949 erschie­ne­nen Arti­kel Jugend im Nie­mands­land, der es auf­grund sei­ner Hell­sicht und Mensch­lich­keit ver­dien­te, in jedem zeit­ge­schicht­li­chen Lese­buch einen Ehren­platz einzunehmen.
Der Autor wen­det sich dar­in gegen zahl­rei­che alar­mie­ren­de Dia­gno­sen als letz­tes Wort in Sachen „Deut­sche Zukunft“. Die Jugend sei kei­nes­wegs, wie viel­fach behaup­tet, in erschre­cken­dem Maße neo­na­zis­tisch, zynisch, amo­ra­lisch oder nihi­lis­tisch, son­dern ledig­lich durch des­il­lu­sio­nie­ren­de Nach­kriegs­er­fah­run­gen, man­geln­de Vor­bil­der und kurz­fris­ti­ge Hoff­nun­gen aber­mals ver­un­si­chert. Schließ­lich för­der­ten die aktu­el­len Ver­hält­nis­se eine geis­ti­ge Neu­ori­en­tie­rung kaum. Die Jugend­li­chen erleb­ten zum Bei­spiel Sie­ger­mäch­te, die sich zuneh­mend zer­strit­ten und „jene aggres­si­ve Into­le­ranz“, die man ihnen aus­trei­ben woll­te, exem­pla­risch vor­zu­le­ben schie­nen, dazu eine rigi­de Absper­rungs­po­li­tik sowie Miß­stän­de und Unge­rech­tig­kei­ten, wie sie Mili­tär­be­sat­zun­gen nahe­zu zwangs­läu­fig mit sich brin­gen. Auch fän­den sich Büro­kra­tie, Schie­ber­tum, Oppor­tu­nis­mus und – wie Zuck­may­er schrieb – „eine Ket­te von Maß­nah­men“, die einen zwei­feln las­sen kön­ne, „ob die ande­re Sei­te für bes­se­re, weni­ger ego­is­ti­sche Zie­le gekämpft hät­te“ als die eige­ne, die ins Cha­os geführt hat.

Selbst die Ent­na­zi­fi­zie­rung stär­ke nicht unbe­dingt den Glau­ben an einen Rechts­staat, weil nicht weni­ge for­mal­ju­ris­ti­sche Lösun­gen häu­fig dem natür­li­chen Rechts­emp­fin­den wider­sprä­chen. An „posi­ti­ven Erzie­hungs- und Glau­bens­wer­ten“ wie­der­um böte man der Jugend vor allem die theo­re­ti­sche Anprei­sung der Demo­kra­tie, ohne daß sie die­se exis­ten­ti­ell erfah­ren hät­te. Wer aber wie sie „ein­mal den furcht­ba­ren Zusam­men­sturz eines gepre­dig­ten Ide­als erlebt hat, ist gegen alle gepre­dig­ten Idea­le miß­trau­isch“. Denn nur kon­kre­te Bei­spie­le über­zeug­ten wirk­lich. „Wor­te tun es nicht.“ Der Jugend­li­che wol­le „dort ange­spro­chen und berührt wer­den, wo sich Wahr­heit mit Wirk­lich­keit mes­sen kann, das heißt, mit dem Ver­ständ­nis für sei­ne äuße­re und inne­re Realität.“
„Die­ses Ver­ständ­nis auf­zu­brin­gen“ sei „weder unmög­lich noch über­mä­ßig schwer, und wo es vor­han­den ist, hat es enor­me Aus­strah­lung gezei­tigt. Ein ein­zi­ger Vic­tor Gol­lan­cz hat mehr Deut­sche von der mög­li­chen Über­le­gen­heit der Huma­ni­tät über die nack­te Gewalt über­zeugt als sämt­li­che Straf- und Buß­pre­dig­ten unwei­ser Zwangs­päd­ago­gen.“ Gol­lan­cz (1893 – 1967), der jüdi­sche Schrift­stel­ler, Ver­le­ger und Grün­der des Left Book Club, trat nach Ende des Zwei­ten Welt­kriegs als einer der ers­ten Eng­län­der für die Ver­stän­di­gung mit den Deut­schen ein und orga­ni­sier­te dort­hin sogar Lebens­mit­tel­trans­por­te. In die­sem Sinn inter­pre­tier­te Zuck­may­er auch sei­ne Auf­ga­be und fuhr fort: „Was jeder Mit­tel­stands­psy­cho­lo­ge, jeder Stu­dent der sozia­len Für­sor­ge in Ame­ri­ka weiß – daß man Men­schen, die den Begriff des Rechts ver­lo­ren oder nicht erkannt haben, nie­mals vom Bes­se­ren über­zeugt, indem man ihnen ihre Schlech­tig­keit vor­hält und ihnen auf Schritt und Tritt Miß­trau­en zeigt, son­dern nur, indem man an das Gute in ihnen appel­liert und ihnen Ver­trau­en ent­ge­gen­bringt – hat man, merk­wür­di­ger­wei­se, bei der Behand­lung eines Vol­kes außer acht gelas­sen, nicht zuletzt unter dem Ein­fluß frü­he­rer Ange­hö­ri­ger die­ses Volkes.“
Statt die Heim­keh­rer des Welt­kriegs wie bereits 1919 noch­mals durch kol­lek­ti­ve Inkul­pa­ti­on dem Staat zu ent­frem­den, emp­fiehlt er posi­ti­ve Zie­le, zum Bei­spiel das „Leit­wort Euro­pa“, das jugend­li­che Trieb­kräf­te aus der see­li­schen Läh­mung befrei­en kön­ne. Zuck­may­er been­det den Arti­kel mit der schließ­lich ver­nein­ten Fra­ge, ob er „die Din­ge nicht zu rosig sähe“ und einem Ver­gleich aus der Optik: „Wenn sich auf einer gro­ßen schwar­zen Flä­che ein klei­ner wei­ßer Kreis befin­det und das Auge visiert die­sen wei­ßen Kreis als Zen­tral­punkt, so wächst er im inne­ren Bild und über­strahlt in der Refle­xi­on die schwar­ze Flä­che. Fixiert man den Blick aber auf die schwar­ze Flä­che, so über­wächst und ver­dun­kelt sie den wei­ßen Kreis. Optik ist höhe­re Wirk­lich­keit. Optik ver­sinn­bild­licht die Macht des Glau­bens. Das mensch­li­che Auge reflek­tiert die gött­li­che Schöp­fer­kraft. Wie wir die Din­ge anschau­en, so wer­den sie sein.“

Die­ser päd­ago­gi­sche Fun­da­men­tal­satz bewahrt sei­ne Bedeu­tung auch im poli­ti­schen Umfeld. Denn ohne inner­lich getra­ge­nen muti­gen Ver­trau­ens­vor­schuß hät­te eine Neu­ge­stal­tung der mate­ri­el­len wie ideel­len Nach­kriegs­trüm­mer­land­schaft nie­mals Aus­sicht auf Erfolg gehabt. Die meis­ten Rezen­sen­ten des Deutsch­land­be­richts haben Zuck­may­ers Grund­ein­stel­lung ent­spre­chend gewür­digt, zumal die Geschich­te ihn inzwi­schen ein­drucks­voll bestä­tigt hat. Aber wir wären nicht in Deutsch­land, wenn nicht auch die­se groß­zü­gi­ge, vor­ur­teils­freie Hal­tung wie­der­um Kri­ti­ker fän­de. So haben Sabi­ne Fröh­lich, Nor­bert Frei, Mar­cus San­der und ande­re Zuck­may­ers geschichts­op­ti­mis­ti­sche Ver­trau­ens­wer­bung als blin­de deutsch­freund­li­che Nai­vi­tät aus­ge­legt, als unver­dien­te Rein­wa­schung einer noch unzu­läng­lich geläu­ter­ten Täternation.
Prei­sen wir also die Umstän­de, die uns – lei­der unter Vor­aus­set­zun­gen des Kal­ten Kriegs – näher an Zuck­may­ers Hoff­nun­gen her­an­ge­tra­gen und zumin­dest West­deutsch­land ein Schick­sal erspart haben, wie es jenen rück­schau­en­den Mora­lis­ten ver­mut­lich als ver­dient oder ange­mes­sen vor­schwebt. Wür­di­gen wir dafür seit Jahr­zehn­ten wie­der ein­mal einen gro­ßen Huma­nis­ten, des­sen außer­ge­wöhn­li­che Sou­ve­rä­ni­tät in der Abs­trak­ti­on von eige­nem Leid ihn zu einem so prag­ma­ti­schen wie pro­phe­ti­schen Rat­ge­ber hat wer­den las­sen. Wären alle Funk­ti­ons­trä­ger, die im Gefol­ge alli­ier­ter Armeen nach Deutsch­land kamen bezie­hungs­wei­se zurück­kehr­ten, von sei­nem Geist beseelt gewe­sen, man täte sich leich­ter mit der pau­scha­len Klas­si­fi­zie­rung des 8. Mai als Tag der Befreiung.

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