Wiederentdeckt: Friedrich Hielscher (1902–1990)

von Baal Müller

Bekanntlich ist man sich eher darin einig, wogegen als wofür man ist. Bei der Frage nach dem Wofür ...

… erkennt der “Insi­der” – im Gegen­satz zum mas­sen­me­di­al Des­in­for­mier­ten, der stets nach einer ver­meint­li­chen Nähe heu­ti­ger “Non­kon­for­mis­ten” zum Drit­ten Reich fahn­det – den Grad der Radi­ka­li­tät oft­mals dar­an, wie weit die “Lieb­lings­epo­che” zurück­liegt, mit deren Favo­ri­sie­rung jemand koket­tiert (oder an die er, alle Brü­che zum Trotz, “wie­der­an­knüp­fen” möchte).

Die Zei­ten der Schrö­der und Mer­kel wür­de wohl fast jeder ger­ne aus den Geschichts­bü­chern wischen, aber schon Schmidt und Kohl beginnt das bür­ger­li­che Gemüt bereits zu ver­klä­ren. Die Ade­nau­er-Ära ist die gelob­te Zeit aller Christ­lich-Wert­kon­ser­va­ti­ven, die dunk­len Jah­re davor bie­ten immer­hin noch gro­ße, heu­te schwer vor­stell­ba­re Ein­zel­per­sön­lich­kei­ten (es sei nur Stauf­fen­berg als heu­ti­ger Heros der Natio­nal- und Rechts­kon­ser­va­ti­ven genannt), die Gol­de­nen Zwan­zi­ger glänz­ten durch Kul­tur, wenn­schon nicht durch Poli­tik; und die Kai­ser­zeit war in ihrer gan­zen poli­ti­ti­schen, kul­tu­rel­len, wis­sen­schaft­li­chen Fül­le – unge­ach­tet manch wid­ri­ger Details und völ­lig unge­ach­tet der Nör­ge­lei­en ihrer Reprä­sen­tan­ten (sie wuß­ten noch nicht, was danach kom­men soll­te!) – das Gol­de­ne Zeit­al­ter der neue­ren deut­schen Geschichte.

Geht man wei­ter zurück, muß man sich ent­schei­den, ob einem kul­tu­rel­le oder poli­ti­sche Aspek­te wich­ti­ger sind; im ers­te­ren Fall lan­det man in der Goe­the­zeit als geis­ti­ger Hoch-Zeit der Deut­schen, im letz­te­ren unver­meid­li­cher­wei­se beim Alten Fritz. Möch­te man doch wie­der alles zusam­men haben, muß man wohl einen gro­ßen Sprung ins Hoch­mit­tel­al­ter, in die Stau­fer­zeit, machen, um mit Fried­rich II. einem der ganz gro­ßen Lieb­lin­ge hul­di­gen zu können.

Schwer tut man sich indes, wenn man einer­seits “kon­ser­va­tiv” oder ein beken­nen­der Reak­tio­när ist, folg­lich mit der “Moder­ne” und ihren soge­nann­ten Errun­gen­schaf­ten auf Kriegs­fuß steht, und ande­rer­seits auch noch das Chris­ten­tum ablehnt (viel­leicht, weil man der Auf­fas­sung ist, daß es der auf­klä­re­ri­schen Moder­ne wesent­lich vor­ge­ar­bei­tet hat?). Man muß dann ganz viel Anlauf neh­men und – wie man beden­ken soll­te: bei­na­he so wie jeder belie­bi­ge rot­grü­ne Selbst­has­ser über die deut­sche Geschich­te hin­weg – einen Rie­sen­satz bis in ger­ma­ni­sche oder noch frü­he­re Vor­zeit hin­le­gen, in der “noch alles gut war” und wir noch ganz “wir selbst” gewe­sen sind, bevor die Römer, die Mis­sio­na­re, die gan­zen “wel­schen” und ande­ren “Erb­fein­de”, spä­ter die Amis und die Rus­sen, zuletzt die lin­ken Mies­ma­cher und poli­tisch Kor­rek­ten kamen und “uns” – ter­ri­to­ri­al oder geis­tig – okkupierten.

Abge­se­hen von den gan­zen zahl­rei­chen Pro­ble­men, die das (meta-)politische Schwär­men für Liebs­lings­zei­ten mit sich bringt (von der lei­di­gen Inkon­se­quenz, daß der Lob­red­ner des Ver­gan­ge­nen eine moder­ne Gleit­sicht­bril­le trägt, Füh­rer­schein und ein Mobil­te­le­fon besitzt, das Inter­net flei­ßig nutzt und im Krank­heits­fall zum Arzt – sel­ten zum Scha­ma­nen – geht, bis zu dem Grund­pro­blem, daß die Geschich­te nun ein­mal kein Film ist, den man bis zu dem Punkt, ab dem alles falsch läuft, zurück­spu­len kann), zeigt sich immer­hin schön deut­lich – als Faust­re­gel jeden­falls -, wie die Radi­ka­li­tät oder Exzen­trik des Nost­al­gi­kers mit der Fer­ne “sei­ner” Zeit zunimmt.

Man könn­te dies so ste­hen las­sen oder belä­cheln, wenn es nicht doch so wäre, daß gro­ße Neu­ent­wür­fe (sol­len sie nicht Uto­pien sein, die gera­de das Schäd­li­che der Gegen­wart ins Absur­de stei­gern) sich immer eines Rück­griffs auf Ver­gan­ge­nes, meist eines schöp­fe­ri­schen Nicht­ver­ste­hens, ver­dan­ken – dies gilt für die gro­ßen Renais­san­cen (wie die Renais­sance als moder­ne Mut­ter aller spä­te­ren) eben­so wie für die vie­len klei­nen, oft abwe­gi­gen Ver­su­che, durch Wie­der­an­eig­nung einer mehr oder weni­ger idea­li­sier­ten und ver­frem­de­ten Ver­gan­gen­heit die Gegen­wart zu erneuern.

Einer die­ser Pro­phe­ten des Ges­tern im zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert – oder wie er selbst natür­lich sagen wür­de: des Ewi­gen und Immer­sei­en­den – war der Schrift­stel­ler, Reli­gi­ons­phi­lo­soph, Ernst-Jün­ger-Freund und “Guru” einer sich als heid­nisch ver­ste­hen­den Mini­sek­te Fried­rich Hiel­scher (1902–1990), des­sen “Leit­brie­fe der Unab­hän­gi­gen Frei­kir­che” (sozu­sa­gen der Kate­chis­mus die­ser Sek­te) soeben in mei­nem Ver­lag, dem Teles­ma-Ver­lag erschie­nen sind.

Ich möch­te nicht nur des­halb auf die­se Ver­öf­fent­li­chung hin­wei­sen, weil ich damit ein biß­chen Eigen­wer­bung machen kann, son­dern weil Leu­te wie Hiel­scher und vie­le ande­re sei­ner Gene­ra­ti­on so vie­ler­lei von dem vor­weg­ge­nom­men haben, was uns heu­te noch oder wie­der bewegt, und uns des­halb Vor­bil­der und Mene­te­kel zugleich sein kön­nen. (Spä­tes­tens seit der Ver­öf­fent­li­chung der CD “Wir rufen Dei­ne Wöl­fe” mit Ver­to­nun­gen des gleich­na­mi­gen Hiel­scher-Gedich­tes durch Bands wie Sturm­percht, Werk­raumWald­teu­felBlood Axis u.a. hat er ja auch Kult­sta­tus in der Neo­folk­sze­ne.) Für mich (Jahr­gang 1969) gehört Hiel­scher gera­de noch zur Groß­el­tern­ge­nera­ti­on, die man bekannt­lich wesent­lich mil­der betrach­tet als die der Eltern, mit denen man sich nach den Zer­würf­nis­sen der Ado­les­zenz oft erst in der Lebens­mit­te wie­der ver­söhnt (oder auch, wie die Acht­und­sech­zi­ger, über­haupt nicht), und ich hal­te es für inter­es­sant, mit wel­cher grund­sätz­li­chen Ver­traut­heit ich vie­le mei­ner (oder unse­rer) Zie­le, Nei­gun­gen, Befind­lich­kei­ten in den Bestre­bun­gen von Hiel­schers Gene­ra­ti­on (und erst recht, da gar nicht mehr durch per­sön­li­che Begeg­nun­gen getrübt, in der nächst­äl­te­ren der Benn, Heid­eg­ger, Geor­ge usw.) wie­der­fin­de, wäh­rend mir Leu­te, die nur zehn bis zwan­zig Jah­re älter sind – die Gene­ra­ti­on unse­rer amtie­ren­den poli­ti­schen Klas­se -, nicht sel­ten wie Mars­men­schen erscheinen.

Ein Hiel­sche­ria­ner bin ich des­we­gen durch­aus nicht (und auch kein Jün­ge­ria­ner, Geor­geaner oder was immer, trotz man­cher Affi­ni­tä­ten), und des­we­gen sage ich ja auch: Vor­bild und Mene­te­kel zugleich. Vor­bild, weil es Hiel­scher et al. noch “ums Gan­ze” ging, weil sie die poli­ti­sche Reform mit einer umfas­sen­den kul­tu­rel­len und reli­giö­sen Erneue­rung ver­bin­den woll­ten, weil sie auch – sehr anders als unse­re poli­tisch-kor­rek­ten Moral­pre­di­ger – für ihre Zie­le ein­ste­hen muß­ten und ein­stan­den (auch anders als wir, die wir – bis­lang – nur üble Nach­re­den und beruf­li­che Nach­tei­le in Kauf neh­men müs­sen, wenn wir uns oppo­si­tio­nell posi­tio­nie­ren, nicht aber – oder noch nicht – den Kopf hin­hal­ten müs­sen) und schließ­lich, weil eini­ge von ihnen ziem­lich gute Bücher geschrie­ben haben. (Und was ist schließ­lich nach 1945 an wirk­lich gro­ßer Lite­ra­tur oder Phi­lo­so­phie in Deutsch­land her­vor­ge­bracht wor­den? Wie­viel davon stammt eigent­lich von Autoren, die bereits vor 1933 “sozia­li­siert” wor­den sind? Und was von dem, was in den letz­ten Jahr­zehn­ten geschrie­ben wur­de, wird in hun­dert Jah­ren noch jeman­den inter­es­sie­ren?) Eine War­nung frei­lich soll­ten uns Gestal­ten wie Hiel­scher des­halb sein, weil sie uns zei­gen, wohin die radi­ka­le Absa­ge an den Zeit­geist auch füh­ren kann, näm­lich zu einem reich­lich skur­ri­len Außen­sei­ter­tum. Viel­leicht spre­che ich da ein biß­chen aus Erfah­rung (ich hof­fe, nicht zu sehr!) – wie gesagt, ich bin wirk­lich kein Hiel­sche­ria­ner, aber die “Leit­brie­fe der Unab­hän­gi­gen Frei­kir­che” gibt es in mei­nem Buchversand.

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