Die politische Verwandlung des Peter Glotz

pdf der Druckfassung aus Sezession 7 / Oktober 2004

sez_nr_7von Christian Vollradt

Mit seinem Engagement im Kuratorium für ein in Berlin zu errichtendes „Zentrum gegen Vertreibungen“ hat der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz bei politischen Freunden und Gegnern für Aufsehen, ja zum Teil für Verwunderung gesorgt. Ein solcher Ort der Erinnerung, der in der deutschen Hauptstadt dem Gedenken an die – wenn auch nicht ausschließlich – deutschen Opfer der Vertreibungen nach 1945 gewidmet sein soll, gefordert und gefördert von einem linken Intellektuellen, der vor noch nicht allzu langer Zeit publizistisch eher mit seinem „obsessiven Anti-Nationalismus“ (Eckard Fuhr) hervorgetreten war, wirkt verstörend. Wahrgenommen wird dies als ein Beispiel für den Paradigmenwechsel, der bei Teilen der in der alten Bundesrepublik tonangebenden Linken zu beobachten ist. Mit Glotz ist es also ein Vertreter mehr, der die Äußerung von Mitgefühl im Hinblick auf das Leid eigener Landsleute, das ihnen über Jahre hinweg verweigert wurde, für legitim, ja geboten hält; und der den auch jetzt wieder laut werdenden Forderungen, ein solches nationales Unterfangen verbiete sich angesichts vorausgegangener „deutscher Schuld“ entgegenhält: Die Rechtfertigung von Gewalttaten durch frühere Gewalttaten sei „eine unmenschliche Argumentationsfigur, übrigens auch wenn sie gegen Deutsche gerichtet ist“.

Das The­ma Ver­trei­bung greift Glotz auch in sei­nem jüngs­ten Werk auf (Die Ver­trei­bung – Böh­men als Lehr­stück, Mün­chen 2003), mit dem Ziel, „ein euro­päi­sches Pro­blem neu zu erzäh­len“. Bei sei­ner Suche nach den Ursa­chen der Natio­na­li­tä­ten­kon­flik­te in Böh­men geht Glotz weit zurück ins Mit­tel­al­ter, um dann die Opfer – deut­sche wie tsche­chi­sche – zu Wort kom­men zu las­sen. Er läßt jedoch kei­nen Zwei­fel dar­an, daß „dies das Buch eines Deut­schen“ ist. Im Sin­ne der Ver­stän­di­gung sei es not­wen­dig, so Glotz im Vor­wort, eine „offe­ne Spra­che“ anstel­le poli­tisch kor­rek­ten „Gesäu­sels“ zu reden: „Wir müs­sen unse­re Ver­let­zun­gen zei­gen …“. Mit ande­ren Wor­ten, zur Aus­söh­nung mit der ande­ren Sei­te ist die Arti­ku­lie­rung der eige­nen Posi­ti­on, die Defi­ni­ti­on eige­ner Inter­es­sen nötig. Und nach Mei­nung des Sozi­al­de­mo­kra­ten ließ dies bis­her auf deut­scher Sei­te zu wün­schen übrig. Wenn die Regie­rung Klaus im Pra­ger Par­la­ment nach der Unter­zeich­nung des deutsch-tsche­chi­schen Nach­bar­schafts­ver­tra­ges 1992 erklär­te, sie hal­te die „Aus­sied­lung“ der Deut­schen wei­ter­hin für „legi­tim“, stellt sich für Glotz die Fra­ge: „War das auch die Mei­nung des Deut­schen Bun­des­ta­ges, als er die­sem Ver­trag zustimmte?“
Eine der­ar­ti­ge Aver­si­on bei Glotz gegen die Gebo­te der poli­ti­schen Kor­rekt­heit, eine der­ar­ti­ge Beto­nung natio­na­len Selbst­be­wußt­seins ver­setzt den­je­ni­gen in Erstau­nen, der sich an frü­he­re Tex­te des Autors erinnert.
Unmit­tel­bar nach der deut­schen Ein­heit ver­öf­fent­lich­te Glotz sei­ne „Euro­päi­schen Reden an ein deut­sches Publi­kum“ unter dem Titel Der Irr­weg des Natio­nal­staats. Die Fra­ge, wohin sich die „kol­lek­ti­ve Iden­ti­tät des neu ent­ste­hen­den Deutsch­land“ ent­wi­ckeln wer­de, sah er maß­geb­lich vom Tra­di­ti­ons­ver­ständ­nis abhän­gig, davon, wor­an sich die Mehr­heit erin­nern wol­le. Für Glotz gab es nur die Alter­na­ti­ve eines „Geschichts­bil­des mit Ausch­witz als Wen­de­punkt oder die Rück­erobe­rung von Nor­ma­li­tät, Natio­nal­stolz und sym­bol­fä­hi­ger Imagination“.

Daß sei­ne Sym­pa­thie nicht der zwei­ten Mög­lich­keit gehört, ver­deut­lich­te Glotz noch­mals in sei­ner vor zehn Jah­ren erschie­ne­nen Essay-Samm­lung Die fal­sche Nor­ma­li­sie­rung, wor­in er sei­ne die Sor­gen ange­sichts der „unmerk­li­chen Ver­wand­lung der Deut­schen“ aus­brei­te­te. Miß­trau­isch beäug­te der dama­li­ge Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te die nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung auf­kom­men­de For­de­rung nach einer neu­en gesamt­deut­schen Iden­ti­tät. In einem zuerst in der Frank­fur­ter Rund­schau erschie­ne­nen Arti­kel („Die Bewaff­nung mit Iden­ti­tät“) warn­te Glotz vor den rech­ten „Nor­ma­li­sie­rungs-Natio­na­lis­ten“, die eine „Hit­ler aus­spa­ren­de“ natio­na­le Iden­ti­tät kon­stru­ier­ten und mit ihrer „Rück­wärts­re­vi­die­rung“ in der Tra­di­ti­on von 1871 lan­de­ten. Dies fand er damals „ent­we­der zum Spei­en oder zum Fürchten“.
Anders als die „Nor­ma­li­sie­rer“, ob Hans-Jür­gen Syber­berg und Botho Strauß, Arnulf Baring und Rai­ner Zitel­mann, sah er in der (Nicht-) Iden­ti­tät, die der ehe­mals geteil­ten Nati­on aus ihrer Son­der­rol­le erwach­sen war, einen „Erkennt­nis­vor­sprung“, den es zur Errich­tung eines die natio­nal­staat­li­che Auf­tei­lung über­win­den­den Euro­pas zu nut­zen gelte.
Zwar sei die Behaup­tung von Iden­ti­tät an sich noch nichts schlim­mes, so Glotz, etwa wenn sie dem Kampf bedräng­ter Grup­pen die­ne. So fol­ger­te er, daß man aus dem Anspruch der Gay Comu­ni­ty auf Iden­ti­täts­wah­rung nicht einen eben­sol­chen der deut­schen Nati­on behaup­ten kön­ne! Sicher­lich brau­che ein Volk „ein eini­ger­ma­ßen unbe­strit­te­nes Wir-Bild“, den Deut­schen ste­he jedoch in ers­ter Linie eine „klu­ge Selbst­be­schrän­kung“ gut zu Gesicht. Denn in der „Mythi­sie­rung von gemein­sa­mer Geschich­te“, Spra­che und Kul­tur ste­cke bereits der Keim eines neu­en Natio­na­lis­mus. Und da gilt: „Auch eine gering­fü­gi­ge Unschär­fe im Blick kann uns Deut­sche wie­der zu Ver­bre­chern machen“!
Auf kei­nen Fall dür­fe man „der Ver­su­chung erlie­gen, die deut­sche Iden­ti­tät über Gemein­sam­kei­ten“ (Abstam­mung oder Ter­ri­to­ri­um) zu bil­den: Deutsch­land sei eine „Staats­bür­ger-Nati­on“ auf Grund­la­ge eines Gesell­schafts­ver­tra­ges, argu­men­tier­te Glotz damals ganz im ver­fas­sungs­pa­trio­ti­schen Sinne.
Immer­hin, sei­nem Haupt­an­lie­gen, vor erstar­ken­dem Natio­na­lis­mus zu war­nen, ist Glotz auch in Die Ver­trei­bung treu geblie­ben; aber wo frü­her schon der Natio­nal­staat an sich bei ihm als „Geis­tes­ver­wir­rung“ galt, ist es 2003 nur mehr der Natio­na­lis­mus als „Per­ver­si­on von Zuge­hö­rig­keits­ge­füh­len“. Nicht mehr die „Rede von der Iden­ti­tät“ ist schon „gefähr­lich“ (1994), son­dern nur noch die Über­trei­bung der­sel­ben. Schließ­lich sei­en Zuge­hö­rig­keits- und Iden­ti­täts­ge­füh­le „anthro­po­lo­gi­sche Kon­stan­ten“. So endet das böh­mi­sche „Lehr­stück“ mit der Mah­nung: „Man soll­te auf die Men­schen ein­wir­ken, mit ein biß­chen weni­ger Iden­ti­tät aus­zu­kom­men, und ihnen dafür in Aus­sicht stel­len, daß ihre Säug­lin­ge nicht mit Gewehr­kol­ben erschla­gen oder über die Brü­cke ins Was­ser gewor­fen wer­den.“ Wer sich vor der in die­sem Sze­na­rio ent­hal­te­nen Alter­na­ti­ve fürch­tet, kann mit einem Hin­weis auf frü­he­re rogno­sen beru­higt wer­den: 1989 war es noch das Ende der Natio­nal­staa­ten, dann die erfolg­rei­che Macht­über­nah­me rechts­kon­ser­va­ti­ver Jung­tür­ken in der CDU und schließ­lich – weni­ge Jah­re vor Ein­füh­rung des Euro und der EU-Erwei­te­rung – das Ende der euro­päi­schen Eini­gung … Peter Glotz’ Ruf, ein „Vor­den­ker“ zu sein, nahm in der glei­chen Wei­se zu, wie das Ein­tref­fen sei­ner Vor­her­sa­gen abnahm.

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