Fünf Lehren – Nachruf auf Armin Mohler

Armin Mohler ist tot. Er starb nach schwerer Krankheit...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

am spä­ten Abend des 4. Juli fried­lich in einem Pfle­ge­heim bei Mün­chen. Drei­und­acht­zig Lebens­jah­re waren ihm ver­gönnt, und mit Fried­rich Höl­der­lin läßt sich sagen: „Geh, fürch­te nichts! Es keh­ret alles wie­der, und was gesche­hen soll, ist schon voll­endet.“ Die­se Ver­se hat­te Moh­ler sei­ner Dis­ser­ta­ti­on vor­an­ge­stellt, und sie eig­nen sich wie nichts sonst als Mot­to für sein erfüll­tes und streit­ba­res Leben.

Mit Armin Moh­ler ver­liert Deutsch­land einen sei­ner gro­ßen rech­ten Publi­zis­ten. Was er uns gelehrt hat – und die­ses Uns meint sei­ne Schü­ler, für sei­ne Freun­de kann ich nicht spre­chen, dazu rei­chen Alter und Kennt­nis­se nicht aus; was Armin Moh­ler uns also gelehrt hat, läßt sich in eini­gen Begrif­fen aus­drü­cken: die Unbe­küm­mert­heit des raschen Vor­sto­ßes, die Befrei­ung der Gestalt, die Bewaff­nung der Spra­che, die Hoch­schät­zung der Form, die Tak­tik der Nonkonformität.

Die Unbe­küm­mert­heit des raschen Vorstoßes
Ich war zwan­zig, als ich den Namen Armin Moh­ler zum ers­ten Mal hör­te und Tex­te von ihm las. Es war über Weih­nach­ten, ich hat­te Dienst in mei­ner Kom­pa­nie und teil­te mir mit einem Unter­of­fi­zier die Rund­gän­ge durch die hohen Kor­ri­do­re des Gebäudes.
Der Unter­of­fi­zier hat­te neben Büchern von Celi­ne und D’Annunzio auch einen schma­len Band Moh­ler mit­ge­bracht und im Wach­zim­mer bereit­ge­legt. Ich las den Essay Der faschis­ti­sche Stil und ver­folg­te mit, wie in mei­nem Kopf das gan­ze unge­füg­te Gebäu­de aus Geschichts­stun­den und Refle­xen zusam­men­brach unter der ers­ten Sal­ve, die Moh­ler abge­feu­ert hatte.
Es lag dies an der Argu­men­ta­ti­ons­wei­se des Tex­tes: Vie­le Essays von Moh­ler, vie­le sei­ner kur­zen Noti­zen zu Büchern, Autoren oder Ent­wick­lun­gen las­sen einen deut­li­chen Unwil­len dar­über erken­nen, sich in wis­sen­schaft­li­cher Manier zunächst durch einen Bücher­sta­pel zu lesen, bevor ein sanf­tes Urteil oder ein neu­er Aspekt dia­lek­tisch aus­ba­lan­ciert bei­getra­gen wer­den könn­ten. Moh­ler fiel es nie ein, sei­ne Geg­ner durch Wider­le­gung zu wür­di­gen: Im fer­ti­gen Text kamen sie ein­fach nicht vor.
Der unbe­küm­mer­te Vor­stoß, den Moh­ler uns lehr­te, wischt neben den Bücher­sta­peln auch die Unsi­cher­heit vom Tisch: Der Zugriff auf die Sache ist rasch und prä­zi­se und erfor­dert Talent und Spür­sinn und eine ein­zi­ge, die Span­nung hal­ten­de Bewe­gung und an die Stel­le des vor­sich­ti­gen Bei­trags tritt der stimm­ge­wal­ti­ge Auf­tritt, das Hin­ein­plat­zen in gedämpf­te Räume.
So gab Moh­ler sei­nem Hun­ger nach Monu­men­ta­lem, nach Per­sön­lich­kei­ten, Hal­tun­gen, Nah­rung. und was für eine! Erst spä­ter las ich in einem Autoren­por­trait, daß Moh­ler – 1923 in Basel gebo­ren – aus eben die­sem Hun­ger 1941 die Gren­ze ille­gal über­schrit­ten hat­te, um sich für den Kampf gegen den Bol­sche­wis­mus der Waf­fen-SS anzuschließen.
Von der Schweiz nach Deutsch­land: Das war auch der Über­gang vom Mehr oder Weni­ger ins Alles oder Nichts – so jeden­falls cha­rak­te­ri­sier­te Moh­ler den Unter­schied der Atmo­sphä­re der bei­den Län­der, und aus­sa­ge­kräf­tig ist, daß er ab 1949 (als Sekre­tär bei Ernst Jün­ger) bis zu sei­nem Tod in Deutsch­land blieb und nicht in die in jeder Hin­sicht beschau­li­che­re Schweiz zurückkehrte.

Die Befrei­ung der Gestalt
Nach sei­ner Arbeits­me­tho­de befragt, ant­wor­te­te Moh­ler ein­mal, er sei mit Speng­ler Anhän­ger des „Phy­sio­gno­mi­schen Zugriffs“. Es gehe immer dar­um, die „Gestalt“ zu erken­nen, die hin­ter der Fül­le von Ein­zel­phä­no­me­nen zu ver­schwin­den dro­he, die­se „Gestalt“ zu ret­ten, her­aus­zu­mo­del­lie­ren und ein­präg­sam dar­zu­stel­len. Die Legi­ti­mi­tät die­ser Metho­de steht und fällt mit dem Ver­mö­gen, die „Gestalt“ zu redu­zie­ren, ohne sie in Scha­blo­nen zu pres­sen. Moh­ler war ein Meis­ter dar­in, den wesent­li­chen Kern zu fokus­sie­ren und zu den Rän­dern hin ver­blas­sen zu las­sen. Vor­aus­set­zung dafür war sei­ne Fähig­keit, die­sen Kern einer „Gestalt“ wirk­lich zu fas­sen und in eige­ne Wor­te zu verwandeln.
So genü­gen im Faschis­ti­schen Stil Ernst Jün­ger und Gott­fried Benn als Kern einer „Gestalt“, die sich glei­cher­ma­ßen vom Natio­nal­so­zia­lis­mus und vom Eta­tis­mus abset­zen konn­te. Die Argu­men­ta­ti­on wirkt dabei nie redu­ziert oder schwach, sie ist plas­tisch und sicher.

Wer so schrei­ben möch­te, muß Sym­pa­thie für den Gegen­stand auf­brin­gen, und des­halb fin­det sich unter den Tex­ten Moh­lers kaum einer, dem man ansieht, daß er als Auf­trags­ar­beit oder für die aka­de­mi­sche Pflicht­er­fül­lung geschrie­ben wor­den wäre; ihnen allen hängt etwas von Wir­kungs­wil­le und Mobi­li­sie­rungs­ab­sicht an, und „Mobi­li­sie­rung“ haben wir Schü­ler gründ­lich erfah­ren: Nichts war mehr wie zuvor.

Die Bewaff­nung der Sprache
Bereits Moh­lers ers­tes Buch, die berühmt gewor­de­ne Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on in Deutsch­land 1918–1932 (Erst­auf­la­ge 1950) kann als Para­de­bei­spiel für impul­si­ve Wis­sen­schaft­lich­keit gel­ten. Bei der Abfas­sung des Werks war der jun­ge Moh­ler beseelt von dem Wunsch, „Hil­fe für die rech­te Intel­li­genz in Deutsch­land“ zu leis­ten. Der Begriff „Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on“ ent­wi­ckel­te sich rasch zu einer der erfolg­reichs­ten Schöp­fun­gen der neue­ren Ideen­ge­schichts­schrei­bung, und plötz­lich war die Spra­che der nach 1945 in Recht­fer­ti­gungs­zwang gedräng­ten Rech­ten wie­der bewaff­net: Von fes­tem Fun­da­ment aus ließ sich die eige­ne Posi­ti­on bestimmen.
Viel­leicht war dies Moh­lers größ­tes Ver­dienst: daß er Begrif­fe zuspit­zen konn­te, um sein eige­nes Lager – die Nach­kriegs­rech­te in Deutsch­land – damit aus­zu­rüs­ten. Nicht immer lag die­se Absicht Moh­lers so offen zuta­ge wie in sei­nen Büchern Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung (1968), Von rechts gese­hen (1974) und noch ein letz­tes Mal nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung im Nasen­ring (1991). Letzt­end­lich aber ist es allen gro­ßen Tex­ten Moh­lers anzu­mer­ken, daß sie Fun­ken ver­sprü­hen sol­len, um Freund und Feind, um uns zu entzünden.
Der Erfolg Moh­lers ist dabei schwer zu mes­sen. Von Was die Deut­schen fürch­ten (1965) – auch einem die­ser Bücher vol­ler Wort-Waf­fen – ver­kauf­ten sich über drei­ßig­tau­send Exem­pla­re, bevor Ull­stein nach einer Hexen­jagd auf Moh­ler die Kon­se­quen­zen zog und die zwei­te Auf­la­ge vom Markt nahm. Gro­ße Ver­la­ge blie­ben Moh­ler von da an ver­schlos­sen. So ist Moh­lers Wir­kung nicht über Ver­kaufs­zah­len, eher über die Streu­wei­te sei­ner Gedan­ken zu ermit­teln – und an der Zahl derer, die durch ihn ihr Damas­kus erlebten.

Die Hoch­schät­zung der Form
1965 kam es zu einer Annä­he­rung Moh­lers an Franz Josef Strauß und die CSU. Die Zusam­men­ar­beit war nur von kur­zer Dau­er. Der Grund für das Schei­tern sei­nes kur­zen Aus­flugs in die prak­ti­sche Poli­tik lag dar­in, daß Moh­ler die Abhän­gig­keit einer Volks­par­tei von den Mecha­nis­men des Staats nicht berück­sich­tigt hat­te. Klar war jeden­falls, daß auch die CSU von jener Pest der „Deka­denz“ befal­len war, die Moh­ler nach der geschei­ter­ten Ten­denz­wen­de Anfang der sieb­zi­ger Jah­re zum Haupt­feind erklär­te. Unter Deka­denz ver­stand er den Ver­lust von Wirk­lich­keit und Rea­li­täts­be­zug. Mit Arnold Geh­len – den er neben Ernst Jün­ger und Carl Schmitt zu sei­nen Lehr­meis­tern zähl­te – trat er für einen sach­ge­mä­ßen Zugriff auf die Wirk­lich­keit ein.
Man kann hier den berühm­ten Satz von Moh­ler anfüh­ren, wonach es „kei­ne Geschichts­phi­lo­so­phie“ gebe: Sys­te­me sei­en zur Erklä­rung der Welt untaug­lich. Die Welt, so Moh­ler, gehe nie­mals auf, es blei­be immer ein Rest. Und so hat Moh­ler ver­sucht, uns etwas ande­res anzu­bie­ten: tra­gi­sche Hal­tung, Stil­be­wußt­sein, Hoch­schät­zung der Form im Uner­klär­ba­ren, mit­hin: Sinn­lo­sen. Das ist viel, wenn man es versteht.

Die Tak­tik der Nonkonformität
Hin­ter dem allem stand bei Moh­ler immer die geleb­te Über­zeu­gung, daß die Welt nicht abs­trakt sei. Dem ent­sprach nun die Brei­te des Inter­es­ses, die ihn in jedes Muse­um, vor jeden Bücher­schrank und in jede Dis­kus­si­on zog. Von 1964 bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung lei­te­te Moh­ler die Carl Fried­rich von Sie­mens Stif­tung in Mün­chen, und wer sich den viel­fäl­ti­gen For­schungs- und Vor­trags­be­trieb ansieht, der sich unter der Ära Moh­ler dort ent­wi­ckel­te, kann über so viel Frei­heit des Geis­tes und der Debat­te nur staunen.
Man kann Moh­lers unor­tho­do­xe Pla­nung auch unter tak­ti­schen Gesichts­punk­ten stu­die­ren und dabei ler­nen, was es heißt, nicht oder nur sehr schwer bere­chen­bar zu sein. Trotz aller Offen­heit war Moh­ler jedoch zuletzt fürs Estab­lish­ment eine per­so­na non gra­ta. Uns hat er damit gelehrt, daß das Non­kon­for­me eben nie nur die Ver­brä­mung eines oppor­tu­nen Geis­tes sein darf – son­dern daß dahin­ter ech­te Lust an der Viel­falt ste­hen muß.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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