Vom Siegen und Leiden: Väter und Söhne

pdf der Druckfassung aus Sezession 29/ April 2009

Die Großdebatte Rabenmütter vs. Heimchen ist durch. Resultat: alles geht. Besser, beides muß gehen, Mutterschaft und »Job«. Das Zeitfenster für Familienministerin von der Leyen, die zweite große Krippenoffensive einzuläuten, klaffte drum gerade in diesen Wochen wieder weit offen. Seit einiger Zeit wendet sich die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt den Vätern zu – und den Söhnen. Die Söhne sind – als Schulversager, Amokläufer, Zappelphilipps und Krawallmacher – ohnehin suspekt. Und über die »neuen« Väter (die seit ein paar Jahrzehnten im Kommen sind und nun peu à peu per Gesetz als solche verpflichtet werden) schrieb Christian Geyer in der FAZ einmal sinngemäß, die Zeiten würden kommen, da man die Achtbarkeit eines Politikers an den Spuckefleckchen auf seiner Jackett-Schulter bemesse. Wo mittlerweile ungezählte Zeitungen süßlichtolpatschige Väterglossen plazieren und Bücher verdienter Politik-Redakteure Überleben an der Wickelfront titeln, ist es Zeit, das Thema unter die Lupe zu nehmen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor Die­ter Tho­mä hat es getan und mit Sicher­heit das lesens­wer­tes­te Buch des Neue-Väter-Gen­res geschrie­ben. Fun­diert und flott im Ton hat er eine breit­an­ge­leg­te Phi­lo­so­phie­ge­schich­te des Vaters ver­faßt. Sophies Welt läßt eben­so grü­ßen wie, ja, Joa­chim Fer­n­au, denn Tho­mä (Selbst­be­zeich­nung: »Fana­ti­ker der Bestands­auf­nah­me«) ver­steht es, sei­nen Leser bei der Hand zu neh­men, ohne ihn für dumm zu ver­kau­fen. Die 19 Kapi­tel rei­chen vom »Nie­der­gang« bis zur »Wie­der­kehr« des Vaters. Ers­te­ren läu­tet er mit John Locke und der Todes­stun­de des Patri­ar­chats ein. Ab dem 17. Jahr­hun­dert habe man den Vater gleich drei­fach aufs Scha­fott geführt – den himm­li­schen, den poli­ti­schen und den Fami­li­en­va­ter. Den beharr­li­chen, durch wie­der­keh­ren­de Resti­tu­tio­nen sich unbeug­sam zei­gen­den Rest der Herr­schaft erle­dig­ten mit gro­ben Schnit­ten die fran­zö­si­sche und noch spä­ter die indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on. Der Vater und die durch ihn ver­kör­per­ten Attri­bu­te wur­den durch die Tren­nung von Arbeit und Woh­nen voll­ends aus den häus­li­chen Gefil­den ver­drängt. Eine Rück­kehr wohl­ver­stan­de­ner Väter­lich­keit hält Tho­mä gleich­wohl für mög­lich. Und so lau­tet sein letz­ter Satz. »Die Hel­den­ge­schich­te der Väter (…) endet damit, daß sie ihre Kin­der (frei­lich nicht: Söh­ne, E.K.) als Hel­den will­kom­men hei­ßen. « Ein Buch, das bis dato gefehlt hat.
Wer an Tho­mäs Buch die ganz kon­kre­te Zeit­ge­nos­sen­schaft ver­mißt (der Autor ist als Fünf­zig­jäh­ri­ger frei­lich nah, aber eben nicht unmit­tel­bar dran am unru­hi­gen Väter­puls der Zeit; sprich: er ist kein Trend­va­ter), darf sich an den ein Jahr­zehnt jün­ge­ren Grü­nen-Poli­ti­ker Robert Habeck wen­den. Neben sei­nem poli­ti­schen Tun pflegt Habeck eben­so wie sei­ne Frau Andrea Paluch – man lebt dörf­lich nahe der däni­schen Gren­ze – ein reges publi­zis­ti­sches Dasein. Das ist allein durch die­se offen­kun­di­ge Boden­haf­tung, durch das Argu­men­tie­ren aus dem pral­len Leben her­aus, authen­tisch und durch­aus role-model-taug­lich: Beruf­lich hoch­enga­gier­te Eltern, die dane­ben vier Söh­ne erzie­hen. Der sym­pa­thischs­te Satz des Buchs steht auch gleich vorn: Habeck wid­met das Buch sei­nen Söh­nen (»ohne die ich nicht wäre, was ich bin«) und sei­nem Vater (»der das für mich war«).

Ansons­ten zeigt sich Habeck als zwar auf­ge­weck­ter, aber unterm Strich theo­re­tisch junglin­ker Kon­for­mist. Er beklagt die angeb­lich kon­ser­va­ti­ve Domi­nanz in der Ver­ein­bar­keits­de­bat­te (Kin­der und Beruf) und zitiert als »Beleg« für sein doch recht gen­der­mä­ßi­ges Geschlech­ter-Rol­len­ver­ständ­nis einen Text der deut­schen Hip-Hop-Kapel­le »Fet­tes Brot«, die im übri­gen auf der glei­chen Net­tig­keits­stu­fe (also: pas­sa­bler, weil immer­hin mit­den­ken­der main­stream) ran­gie­ren wie Habeck selbst. Die Väter­lich­keits­kri­se ist für ihn im Kern ein mate­ria­lis­ti­sches Pro­blem. Die not­wen­dig zu dre­hen­den Stell­schrau­ben loka­li­siert er auf dem Arbeits­markt: Wenn alle – Männ­lein wie Weib­lein; Kate­go­rien, die er für immer­hin begründ­bar, aber über­holt hält – durch wohl­fahrts­staat­li­che Abfe­de­rung weni­ger arbei­ten müß­ten und pri­vat­häus­li­ches Enga­ge­ment »schick« wäre und «eine geach­te­te soli­da­ri­sche Hal­tung«, wür­den nicht nur Arbeits­plät­ze geschaf­fen. Zugleich könn­ten Män­ner dadurch end­lich »die Eman­zi­pa­ti­on der Frau­en voll­enden« und Vater­schaft selbst »als Mög­lich­keit, alte Frei­hei­ten neu zu erlan­gen« begrei­fen. Daß Habeck aus der Posi­ti­on eines gelin­gen­den Lebens her­aus und nicht ent­lang der »abs­trak­ten Richt­schnur ›Gerech­tig­keit‹« argu­men­tiert, macht die Lek­tü­re zu einem Gewinn. Über­haupt: Scheint so, als sei Vater­schaft eine Art Glücks­ga­rant. Was ja bei den Müt­tern kei­nes­wegs so ist, betrach­tet man nur den Rum­mel, der in die­sen Wochen um Bücher wie jenes Unaus­sprech­li­che der schwe­di­schen Miß­mutter Maria Sve­land getrie­ben wird. Eltern­schaft scheint den schrei­ben­den Müt­tern (Char­lot­te Roches Hel­din ließ sich gleich bei Errei­chen der Voll­jäh­rig­keit ste­ri­li­sie­ren) eine Bür­de, den Vätern eine Zier. Das gilt auch für den ame­ri­ka­ni­schen Punk­rock-Vete­ran Jim Lind­berg, der als Vater drei­er Töch­ter ein intel­lek­tu­ell gänz­lich unbe­leck­tes, aber über­aus lebens­klu­ges und lie­bens­wür­di­ges Büch­lein dar­über geschrie­ben hat, wie es sich anfühlt, als altern­der Sze­ne­star einer Anti-Bewe­gung die Rol­le des ver­ant­wor­tungs­vol­len Erzie­hers zu meistern.
Es ist sym­pto­ma­tisch, daß die zeit­ge­nös­si­schen Vater­er­zäh­lun­gen sel­ten ernst­haft mit den Erkun­dun­gen der Jun­gen­welt in eins fal­len. Alex­an­der Mit­scher­lichs Ver­lust der Väter­lich­keit von 1963 harrt drin­gend einer Fort­schrei­bung. (In den eso­te­ri­schen Bereich mag mei­net­we­gen die viel­fa­che Beob­ach­tung gehö­ren, daß Mann-Män­ner sich vor­wie­gend in Töch­tern repro­du­zie­ren…) Das Gen­re der Aben­teu­er- und Werk­bü­cher für Jungs erlebt zwar aktu­ell erfreu­li­chen Zulauf, und klu­ge Psy­cho­päd­ago­gen wie der omni­prä­sen­te Wolf­gang Berg­mann kom­men auf viel­fäl­ti­gen Kanä­len zu Wort. Eine umfas­sen­de his­to­ri­sche Bestands­auf­nah­me der heu­ti­gen Kna­ben­so­zia­li­sa­ti­on steht aber noch aus. Sie hät­te die geschicht­li­che Bedingt­heit zu berück­sich­ti­gen, unter der die vier­te männ­li­che Gene­ra­ti­on der Welt­kriegs­ver­lie­rer auf­zu­wach­sen hat. Erzie­hung unter dem Vor­zei­chen sexu­el­ler (also femi­nis­ti­scher) Kor­rekt­heit fin­det ihren Nie­der­schlag zwar auch in den Sie­ger­staa­ten – die Knu­te des patri­ar­cha­len Ver­dachts aber drückt von Land zu Land mit unter­schied­li­cher Vehemenz.

Auch Arne Hoff­mann, rüh­ri­ger Publi­zist in Diens­ten der Män­ner­be­we­gung, rich­tet sein Augen­merk mehr auf die Aus­wüch­se des Staats­fe­mi­nis­mus denn auf des­sen his­to­ri­sche Ursa­chen. Hier muß man ein­gangs fra­gen, ob es eigent­lich ein Zufall ist, daß unter den hier vor­ge­stell­ten Autoren mit Hoff­mann aus­ge­rech­net der ein­zi­ge Kin­der­lo­se das pes­si­mis­tischs­te Bild unse­rer Gegen­wart zeich­net? In sei­nem neu­en Buch nimmt der Medi­en­wis­sen­schaft­ler vor allem die Bil­dungs­po­li­tik und schu­li­sche Rea­li­tät ins Visier. Jungs sei­en die »neu­en Bil­dungs­op­fer«. Er sieht sie in Lebens­wel­ten auf­wach­sen, die für sie befremd­lich sei­en, »in denen ihre Eigen­schaf­ten und Qua­li­tä­ten nicht geschätzt, son­dern her­ab­ge­wür­digt und zurück­ge­wie­sen wer­den.« Natür­lich hat Hoff­mann mit sei­ner abwä­gen­den (sein Anlie­gen nennt er »nicht frau­en­feind­lich, son­dern jun­gen­freund­lich«) Beur­tei­lung recht: Was bei Mäd­chen als »tem­pe­ra­ment­voll« und »durch­set­zungs­fä­hig« geprie­sen wird, wird bei glei­chem Aus­druck bei Jungs als »Aggres­si­vi­tät« oder »Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­keit « kri­ti­siert. Die Zwick­müh­le für Kna­ben ist schier unaus­weich­lich: Wäh­rend flei­ßi­ge und bra­ve Schü­le­rin­nen sozi­al unauf­fäl­lig blei­ben und neben­bei her­vor­ra­gen­de Noten ein­fah­ren, fin­den die fach­li­chen Inter­es­sen begab­ter Jungs wenig Nie­der­schlag in einem Lehr­plan, der auf soft skills wie Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keit und vor­wie­gend mäd­chen­af­fi­ne Inhal­te setzt (in der Tat: unse­re Sechst­kläß­le­rin liest im gym­na­sia­len Deutsch­un­ter­richt ihrer koedu­ka­ti­ven Schu­le gera­de Mathe, Streß und Lie­bes­kum­mer aus einer Fre­che Mäd­chen-Rei­he). Und: Folg­sa­me Jungs (oft die intel­lek­tu­ell ansprech­bars­ten) zah­len ihr »sehr gut« in den Kopf­no­ten meist mit Dre­sche oder Hän­se­lei­en auf dem Schul­hof. Als der Amok­lauf von Win­nen­den geschah, war das Buch bereits im Druck. Hoff­mann weist aller­dings dar­auf hin, daß sol­che blind­wü­ti­gen Mas­sen­mor­de fast aus­schließ­lich von Jungs ver­übt wer­den, und daß das gehäuf­te Auf­tre­ten sol­cher Vor­fäl­le zeit­lich mit der Femi­ni­sie­rung unse­rer Erzie­hungs­kul­tur zusam­men­fal­le. Daß der Autor das durch Medi­en und Poli­tik ange­fach­te gesell­schaft­li­che Kli­ma in bezug auf die Geschlech­ter­the­ma­tik »fast tota­li­tär« nennt, mögen nur die­je­ni­gen für eine Über­trei­bung hal­ten, die Hoff­manns hier in beängs­ti­gen­der Viel­falt zusam­men­ge­tra­ge­ne Bei­spie­le aus Medi­en, Wer­bung und Poli­tik nicht ken­nen. Die umge­kehrt zahl­rei­chen Star­ke-Mäd­chen-Kam­pa­gnen könn­ten übri­gens zu einem para­do­xen back­lash füh­ren. Hoff­mann sieht sich als Mit­glied einer Gene­ra­ti­on, die »durch­aus zu einem neu­en Geschlech­ter­ver­trag« bereit gewe­sen wäre. Eine Uni­ver­si­täts­stu­die unter 14- bis 16jährigen Jun­gen habe aber gezeigt, daß sich die Mehr­zahl der Her­an­wach­sen­den zuver­läs­si­ge und ange­paß­te Frau­en als Gefähr­tin­nen wün­sche – drei­vier­tel der Befrag­ten lehn­ten »durch­set­zungs­star­ke« Mäd­chen­ty­pen ab. Klar, hier haben augen­schein­lich erst­mal die Jungs ein Pro­blem! Ihre Schwie­rig­keit, den eige­nen Stel­len­wert zu for­mu­lie­ren, liegt an feh­len­den Leit­bil­dern. Wir haben das medi­al ver­mit­tel­te Weich­ei, den Jam­mer­lap­pen und Voll­trot­tel und des­sen eben­so ein­fäl­ti­ge Umkeh­rung, das Groß­maul auf den Plau­der­plät­zen des Inter­net und die Bal­ler­fi­gu­ren aus Com­pu­ter­spie­len. Ob sich die sol­cher Medi­en­welt aus­ge­setz­ten Jungs den Schlapp­schwanz- Schuh anzie­hen oder den vir­tu­el­len Kampstie­fel: Gesun­des kann dabei nur schwer her­aus­kom­men, statt­des­sen Bor­der­line-Per­sön­lich­kei­ten und neu­ro­ti­sche Maul­hel­den. Hoff­mann for­dert, end­lich wie­der auch klas­si­sche männ­li­che Rol­len­bil­der (mit posi­tiv ver­stan­de­ner Aggres­si­vi­tät, Dis­zi­plin und Durch­set­zungs­stär­ke als Wesens­zü­gen) zum Zug kom­men zu las­sen. »Per­fi­de« nennt er die kalt­lä­cheln­de Behaup­tung Ursu­la von der Ley­ens, wonach Män­ner, die sich nicht den neu­en, »gegen­der­ten« Ver­hält­nis­sen anpas­sen, »kei­ne Part­ne­rin mehr fin­den« wür­den. Unge­zähl­te Unter­su­chun­gen haben das Gegen­teil erwie­sen: Frau­en wol­len Män­ner, und kei­ne Homun­ku­li aus dem Bau­kas­ten von Sozialingenieuren.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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