“Linksfaschismus”

pdf der Druckfassung aus Sezession 29 / April 2009

von Karlheinz Weißmann

Zu den Irritationen im großen Gedenken an das Jahr ’68 gehörte die »Entlarvung« des Politologen und Vordenkers der APO, Johannes Agnoli, als Ex-Faschist. Auf einer Konferenz des Deutsch-Italienischen Zentrums Villa Vigoni im Dezember 2006 wies Wolfgang Kraushaar darauf hin, daß Agnoli, 1925 geboren und auf den Vornamen Giovanni getauft, nicht nur zu den Aktivisten des staatlichen Jugendverbandes der Ära Mussolini gehörte, sondern nach dem Kollaps des Regimes auf die Seite der »Sozialrepublik« und ihres deutschen Verbündeten trat. Über die Waffen-SS meldete er sich freiwillig zu einer Gebirgsjägereinheit der Wehrmacht, germanisierte seinen Namen zu »Johannes Aknoli« und nahm an Kämpfen gegen Partisanen in Jugoslawien teil.

Im Mai 1945 geriet er in bri­ti­sche Gefan­gen­schaft und wur­de in das ägyp­ti­sche Lager Moas­car gebracht. Erst im Som­mer 1948 ent­las­sen, ging er nach West­deutsch­land, leb­te und arbei­te­te zunächst in Baden, bis er 1949 ein Kriegs­teil­neh­mer­sti­pen­di­um erhielt und in Tübin­gen ein Stu­di­um auf­neh­men konn­te. Im Mai 1955 wur­de er deut­scher Staats­bür­ger, rei­ta­lia­ni­sier­te aller­dings sei­nen Nach­na­men zu »Agno­li«. Er enga­gier­te sich früh in der SPD, vor allem aber im Umfeld der »hei­mat­lo­sen Lin­ken« (Wolf­gang Abend­roth, spä­ter Ossip K. Flecht­heim) und im SDS, was ihm 1961 den Par­tei­aus­schluß ein­brach­te und in der Fol­ge den Auf­stieg zum Theo­re­ti­ker der Außer­par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­ti­on ermög­lich­te. 1972 erhielt Agno­li einen Lehr­stuhl für Poli­tik­wis­sen­schaft am Otto-Suhr-Insti­tut der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin. Zu dem Zeit­punkt war er längst eine bekann­te Grö­ße der radi­ka­len Linken.

Fünf Jah­re zuvor hat­te er ein Buch mit dem Titel Die Trans­for­ma­ti­on der Demo­kra­tie ver­öf­fent­licht, des­sen Kern eine schar­fe Abrech­nung mit dem par­la­men­ta­ri­schen Sys­tem bil­de­te, von dem Agno­li behaup­te­te, daß es ledig­lich der Mas­kie­rung von Kapi­tal­in­ter­es­sen die­ne, eine mas­sen­taug­li­che Fik­ti­on, die jeden­falls mit »Demo­kra­tie « nichts zu tun habe und jeder­zeit den Über­gang zu offe­nem Faschis­mus ermög­li­che. Damit ver­band Agno­li eine grund­sätz­li­che Legi­ti­mie­rung gewalt­sa­men Vor­ge­hens gegen das Sys­tem, wenn­gleich er davor zurück­scheu­te, offen zum Bür­ger­krieg aufzurufen.

Die eigent­li­che Poin­te der Argu­men­ta­ti­on von Kraus­haar war die The­se, daß Agno­li damit sei­nen ursprüng­li­chen anti­bür­ger­li­chen und anti­par­la­men­ta­ri­schen Affekt aus der faschis­ti­schen Zeit wie­der auf­ge­nom­men habe, der sich nur nicht mehr von »rechts« vor­brin­gen ließ, son­dern nur noch von »links«. Die Behaup­tung wur­de schon auf der Tagung als »Skan­dal« bezeich­net; Mar­tin Sab­row, Direk­tor des Zen­trums für Zeit­his­to­ri­sche For­schung in Pots­dam, erklär­te, der Vor­wurf Kraus­haars tref­fe »das Selbst­ver­ständ­nis der deut­schen Lin­ken här­ter als alle Vor­wür­fe des Uto­pis­mus, des Erlö­sungs­wahns, der poli­ti­schen Ver­blen­dung, weil sie ihren mora­li­schen, bis heu­te fort­wir­ken­den Impe­tus des radi­ka­len Anti­fa­schis­mus und der ver­drän­gungs­wü­ten­den Auf­leh­nung gegen die Eltern­ge­nera­ti­on ernst nimmt – und gegen die Acht­und­sech­zi­ger-Bewe­gung selbst kehrt.«

Vor allem aber hat die Ent­lar­vung unter den Weg­ge­fähr­ten und Anhän­gern Agno­lis hef­ti­ge Pro­tes­te aus­ge­löst und brach­te Kraus­haar, der selbst aus dem lin­ken Lager stammt, den Vor­wurf des Ver­rats ein. Inter­es­san­ter als die­se Que­r­e­le ist aller­dings die Fra­ge nach deren sach­li­chem Gehalt, also: »Wie faschis­tisch waren die Acht­und­sech­zi­ger?« Daß die ihre poli­ti­schen Geg­ner als »Faschis­ten« bezeich­ne­ten und sich selbst natür­lich als »Anti­fa­schis­ten«, ist satt­sam bekannt, weni­ger, daß es eini­ge Bür­ger­li­che gab, die früh die Auf­fas­sung äußer­ten, die Roh­heit und Rück­sichts­lo­sig­keit, das Irra­tio­na­le und die Jugend­lich­keit des Pro­tes­tes erin­ner­ten an den Squa­dris­mus oder das Auf­tre­ten der SA, fast ganz in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist, daß aus­ge­rech­net einer, der als Par­tei­gän­ger der Acht­und­sech­zi­ger galt und gilt, Jür­gen Haber­mas, früh­zei­tig auf die Gefahr eines »lin­ken Faschis­mus« hin­ge­wie­sen hat.

Am 9. Juni 1967 fand im Anschluß an die Beer­di­gung Ben­no Ohnes­orgs in Han­no­ver eine öffent­li­che Dis­kus­si­on zwi­schen Haber­mas und Rudi Dutsch­ke statt, an der mehr als 5.000 Stu­den­ten teil­nah­men. Nach­dem Dutsch­ke sei­ne Stra­te­gie ent­wi­ckelt hat­te, ant­wor­te­te Haber­mas: »Herr Dutsch­ke hat als kon­kre­ten Vor­schlag nur vor­ge­tra­gen …, daß ein Sitz­streik statt­fin­den soll. Das ist eine Demons­tra­ti­on mit gewalt­lo­sen Mit­teln. Ich fra­ge mich, war­um er das nicht so nennt und war­um er eine drei­vier­tel Stun­de dar­auf ver­wen­det hat, um eine vol­un­t­a­ris­ti­sche Ideo­lo­gie hier zu ent­wi­ckeln, die man im Jahr 1848 uto­pi­schen Sozia­lis­mus genannt hat, die man aber unter heu­ti­gen Umstän­den – jeden­falls glau­be ich, Grün­de zu haben, die­se Ter­mi­no­lo­gie vor­zu­schla­gen – ›lin­ken Faschis­mus‹ nen­nen muß.«
Man kann aus­schlie­ßen, daß Haber­mas das Dik­tum »lin­ker Faschis­mus« ein­fach her­aus­ge­rutscht ist, es ging ihm auch nicht nur um eine pole­mi­sche For­mel oder den Ver­blüf­fungs­ef­fekt. Ganz sicher kann­te er die Quer­ver­bin­dun­gen zwi­schen der radi­ka­len Lin­ken und dem his­to­ri­schen Faschis­mus, des­sen Füh­rer zu einem Teil Ex-Sozia­lis­ten (Mus­so­li­ni, Mos­ley, Deat, de Man) oder Ex-Kom­mu­nis­ten (Dori­ot) waren, die nicht ein­fach kon­ver­tier­ten, son­dern ihre ent­täusch­ten Revo­lu­ti­ons­hoff­nun­gen mit­brach­ten. Das erklärt etwas vom »Blan­qu­is­mus« der Kampf­grup­pen, der jako­bi­ni­schen Recht­fer­ti­gung des Ter­rors, der Ten­denz zur »direk­ten Akti­on«, dem Mythos der Gewalt, dem Füh­rer­kult, der Ver­ach­tung für die »for­ma­le Demo­kra­tie« und dem Glau­ben an den »neu­en Menschen«.

Kei­nes die­ser Ele­men­te war genu­in faschis­tisch und ganz sicher nicht rechts im Sinn der kon­ser­va­ti­ven Welt­an­schau­ung, son­dern Erbe der Lin­ken des 19. Jahr­hun­derts. Das blieb vor allem im roma­ni­schen Faschis­mus immer viru­lent. Erin­nert sei nur an die radi­ka­len Plä­ne des Urfa­schis­mus – Abschaf­fung der Mon­ar­chie, voll­stän­di­ge Tren­nung von Staat und Kir­che, Liqui­die­rung der Orden, Sozia­li­sie­rung der gro­ßen Betrie­be und Schaf­fung von tech­ni­schen Sowjets – oder an die Erklä­rung Hen­drik de Mans von 1940, daß mit dem Ein­marsch der deut­schen Trup­pen in Brüs­sel der Arbei­ter über den Bour­geois tri­um­phie­re, an die Äuße­rung Jac­ques Dori­ots, daß der Faschis­mus das Erbe von 1789 bewah­re, oder an die offe­ne Bewun­de­rung Drieu la Rochel­les für Sta­lin, dem er bei Kriegs­en­de den Sieg an Stel­le des bür­ger­li­chen Wes­tens wünschte.
Ange­sichts die­ser his­to­ri­schen Last durf­te Haber­mas die Radi­ka­li­sie­rung der APO, das Revo­lu­ti­ons­ge­re­de von Dutsch­ke und ande­ren eben­so beun­ru­hi­gen wie deren Bewun­de­rung für die mili­tan­ten Bewe­gun­gen der Zwei­ten und die Gue­ril­la der Drit­ten Welt. Daß ein unter den Stu­den­ten ein­fluß­rei­cher Ideo­lo­ge wie Frantz Fanon von dem Wunsch getrie­ben war, die euro­päi­sche Zivi­li­sa­ti­on oder die Zivi­li­sa­ti­on über­haupt aus­zu­lö­schen, konn­te eben­so­we­nig einem Zwei­fel unter­lie­gen wie der Ras­sis­mus der Black Pan­ther Par­ty oder der Sozi­al­na­tio­na­lis­mus des Viet­cong, der Paläs­ti­nen­ser und all der ande­ren Befreiungsbewegungen.

Die Äuße­rung von Haber­mas fand damals ein außer­ge­wöhn­li­ches Echo und selbst­ver­ständ­lich viel »Bei­fall von der fal­schen Sei­te«. Das hat ihn dazu bewo­gen, sie nicht zu wie­der­ho­len, auf Nach­fra­ge zu rela­ti­vie­ren und schließ­lich (fast) zurück­zu­neh­men. Daß er von sei­ner Ein­schät­zung tat­säch­lich abge­gan­gen ist, muß man aller­dings bezwei­feln. Sein Ver­hal­ten bei der Beset­zung des Frank­fur­ter Insti­tuts für Sozi­al­for­schung spricht eben­so dage­gen wie sei­ne Ein­las­sun­gen zum Aspekt der Refor­mier­bar­keit des »Sys­tems«. Es wur­de ihm nur bis zum Beginn der sieb­zi­ger Jah­re deut­lich, daß die Gefahr einer wei­te­ren Eska­la­ti­on begrenzt, die Wahr­schein­lich­keit aber groß war, den Druck der APO auf das Estab­lish­ment der Bun­des­re­pu­blik nut­zen und sich gleich­zei­tig in den Ruf des Gemä­ßig­ten brin­gen zu kön­nen, der wahl­wei­se den Neo­mar­xis­ten oder den Links­li­be­ra­len gab. Das moch­te einem aktu­ell den Vor­wurf der Halb­heit ein­tra­gen, mit­tel­fris­tig war so wesent­lich mehr zu errei­chen. Der Gesamt­vor­gang ist auch des­halb lehr­reich, weil er deut­lich macht, wie­viel Wit­te­rung und Geschick dazu gehör­te, den Weg zu gehen, den Haber­mas gegan­gen ist, um sich schließ­lich als maß­ge­ben­de Instanz der Bun­des­re­pu­blik zu etablieren.

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