Vom Heute her noch nicht gedeutet – Wolfgang Mattheuer zum 5. Todestag

pdf der Druckfassung aus Sezession 29 / April 2009

von Benjamin Jahn Zschocke

Der Tod des in Reichenbach/Vogtland gebürtigen Malers, Graphikers und Bildhauers Wolfgang Mattheuer jährt sich zum fünften Mal. Am 7. April 2004 verstarb er. Sein künstlerisches Erbe zählt zu den bedeutendsten Hinterlassenschaften der Nachkriegszeit. Der größte Teil seiner Arbeit entstand in der ehemaligen DDR. Anders als viele Künstler dieser Zeit hatte er sich thematisch weit vom staatlich geforderten »Sozialistischen Realismus« distanziert, welcher den Kunstschaffenden ab den 50er Jahren »Parteilichkeit « vorschrieb.

Mattheu­er wur­de 1927 gebo­ren, lern­te als Litho­graph, erleb­te Krieg und Gefan­gen­schaft. Ab 1946 besuch­te er die Kunst­ge­wer­be­schu­le in Leip­zig und wech­sel­te an die Leip­zi­ger »Hoch­schu­le für Gra­phik und Buch­kunst«. Dort war er bis 1974 künst­le­risch behei­ma­tet. Seit 1965 lehr­te Mattheu­er als Pro­fes­sor. Zusam­men mit den eben­falls dort täti­gen Malern Wer­ner Tüb­ke und Bern­hard Hei­sig for­mier­te er die zeit­kri­ti­sche Bewe­gung der bil­den­den Kunst – die »Leip­zi­ger Schu­le«. Die stil­le Abkehr vom par­tei­lich vor­ge­schrie­be­nen Kunst­emp­fin­den war The­ma zahl­lo­ser Aus­ein­an­der­set­zun­gen in Wort und Bild; eine immer­wäh­ren­de »Grat­wan­de­rung zwi­schen Ja und Nein«, wie es Mattheu­er selbst nannte.
Als sich die DDR 1949 selbst aus­rief, war Mattheu­er gera­de 22 Jah­re alt. Drei Jah­re zuvor hat­te er sei­ne spä­te­re Frau Ursu­la ken­nen­ge­lernt, mit der er bis zu sei­nem Tod zusam­men­leb­te. Mattheu­er wuchs also von Anbe­ginn in das sich ent­fal­ten­de Pro­blem­ge­flecht der DDR hin­ein, sah ihren Auf­stieg und erkann­te früh die sta­tik­ge­fähr­den­den Luft­ein­schlüs­se im Fun­da­ment die­ser Gesellschaft.
Ver­mit­tel­ten die ers­ten Auf­schwungs­jah­re des ent­ste­hen­den »Arbei­ter- und Bau­ern­staa­tes« mit ihrem beschei­de­nen Wohl­stand tat­säch­lich den Ein­druck einer lebens­fä­hi­gen Alter­na­ti­ve zum Kapi­ta­lis­mus, brach­ten spä­tes­tens die 60er Jah­re Sta­gna­ti­on und Resi­gna­ti­on. Auch die Künst­ler der »Leip­zi­ger Schu­le« blie­ben von die­ser Ent­wick­lung nicht unbe­rührt. Allen vor­an zeich­ne­te sich Mattheu­er stets als gegen­warts­kri­ti­scher Maler aus. Die von der zuneh­men­den Sinn­lo­sig­keit sei­nes Tuns her­vor­ge­ru­fe­ne »Flucht des Sisy­phos«, klar den Mythos der Zeit ent­lar­vend, ist heu­te eben­so berühmt wie sein Werk zum bibli­schen Bru­der­mord­mo­tiv. Immer wie­der spiel­ten für ihn auch all­ge­mei­ne sozia­le oder öko­lo­gi­sche Fra­gen eine ent­schei­den­de Rol­le. In sei­ner »Brats­ker Land­schaft« (1967) sieht man schein­bar fröh­li­che Frau­en auf einem Fern­wär­me­rohr tan­zen. Umrahmt wird die hei­te­re Sze­ne von einer zer­stör­ten und ero­die­ren­den Land­schaft. Der Him­mel teilt sich, das Däm­mer­licht des her­an­na­hen­den Abends läßt einen ungu­ten Aus­gang der Sze­ne erahnen.
Die 70er Jah­re wur­den sei­ne zeit­kri­tischs­te Epo­che. Wer­ke wie »Ein Blitz aus hei­te­rem Him­mel «, »Requi­em Vic­tor Jara«, »Hin­ter den sie­ben Ber­gen« und »Die Aus­ge­zeich­ne­te« ent­stan­den zwi­schen 1970 und 1975. Doch: Kei­nes die­ser offen­kun­dig ent­lar­ven­den Bil­der wur­de von den wich­ti­gen DDR-Kunst­aus­stel­lun­gen aus­ge­schlos­sen. 1973 erhielt Mattheu­er den Kunst­preis der DDR, ein Jahr spä­ter sogar den Natio­nal­preis II. Klas­se. Sein Hin­ein­wach­sen in das Gesell­schafts­expe­ri­ment DDR beding­te auch die von Anbe­ginn sei­nes Schaf­fens gül­ti­ge künst­le­ri­sche Spra­che: den Rea­lis­mus. Wäh­rend sich im Wes­ten vie­le Künst­ler in künst­le­ri­scher Abs­trak­ti­on arti­ku­lier­ten, waren die Span­nun­gen und Wider­sprü­che inner­halb der Gren­ze zu stark, zu bren­nend, als daß sie abs­trakt hät­ten zuta­ge geför­dert wer­den kön­nen. Der Wert des Rea­lis­mus war in der Kunst der DDR ohne­hin nicht weg­zu­den­ken. Allein die Bezeich­nung »Sozia­lis­ti­scher Rea­lis­mus« macht deut­lich, wo die Prä­mis­se lag.
Auch die Künst­ler der »Leip­zi­ger Schu­le« wer­den von der BRD-Kunst­leh­re auf­grund ihrer zeit­lich-loka­len Ein­ord­nung sowie einem ähn­li­chen Mal­duk­tus gern als dem »Sozia­lis­ti­schen Rea­lis­mus« zuge­hö­rig ein­ge­stuft. Was heu­te ein Pro­blem in der Wahr­neh­mung ist, war es auch zu Zei­ten Mattheu­ers. Genau dar­in lag die List, das Poten­ti­al. Der for­ma­le Rea­lis­mus ein­te, was inhalt­lich nicht ver­ein­bar war: ein Grund für Wolf­gang Mattheu­ers Son­der­rol­le inner­halb des Regimes.

Mattheu­er war es außer­dem gelun­gen, auch im Wes­ten Gehör zu fin­den. 1977 konn­te er gemein­sam mit Hei­sig und Tüb­ke an der docu­men­ta 6 in Kas­sel teil­neh­men und gleich­zei­tig im Ham­bur­ger Kunst­ver­ein aus­stel­len. Die sozia­lis­ti­schen Funk­tio­nä­re waren sich sei­ner Bedeu­tung bewußt. Mattheu­er erober­te sich mit Kön­nen und Beson­nen­heit einen Frei­raum, von dem vie­le DDR-Künst­ler nur träu­men konnten.
Kein ande­rer Künst­ler und Pro­fes­sor der »Leip­zi­ger Schu­le« wag­te auf zeit­kri­ti­schem Wege so viel wie Mattheu­er. Ein bei­spiel­haft kri­ti­sches Werk ist »Horizont«(1970). Das Ölge­mäl­de offen­bart dem Betrach­ter eine düs­te­re Sze­ne­rie. Wie häu­fig bei Mattheu­er spielt auch die­se Alle­go­rie vor dem Hin­ter­grund einer sti­li­sier­ten Land­schaft. Die­se steht sym­bo­lisch für sein Land. Alle oben genann­ten Schlüs­sel­wer­ke bedie­nen sich die­ses Quer­ver­wei­ses auf den ganz kon­kre­ten Hei­mat­bo­den. Weder »Kain« noch »Sisy­phos« oder eine der vie­len Pro­me­theus-Adap­tio­nen spie­len im luft­lee­ren Raum.
In »Hori­zont« fin­den wir das brei­te Quer­for­mat in kla­rer hori­zon­ta­ler Glie­de­rung geord­net. Dem hel­len, farb­lich opti­mis­tisch gestimm­ten obe­ren Vier­tel steht eine den Haupt­teil des Bil­des ein­neh­men­de blau-graue Farb­flä­che ent­ge­gen. Die­ser Abschnitt ist von einer düs­ter-melan­cho­li­schen Grund­stim­mung erfaßt und wird nur im obe­ren Teil der hüge­lig mit dem Hori­zont ver­schmel­zen­den Flä­che von leich­ten Licht­re­fle­xen erhellt. Eine Bespit­ze­lungs­ap­pa­ra­tur domi­niert die Sze­ne. Wir sehen in einer alle­go­ri­schen Zusam­men­füh­rung Täter und Opfer vor dem Hin­ter­grund einer gro­ßen auf­ge­schla­ge­nen Zei­tung und dem all­ge­gen­wär­ti­gen »lau­schen­den Ohr«. Die­sem Ohr kommt im Wer­ke Mattheu­ers eine Schlüs­sel­funk­ti­on zu, wel­che einer­seits für die Kri­tik am Über­wa­chungs­staat, ande­rer­seits eben­so für die all­ge­mein­gül­ti­ge Sen­si­bi­li­tät des Künst­lers steht. Die Haupt­sze­ne zeigt einen schla­fen­den jun­gen Mann, der, an einen Spit­zel gerückt, im Traum spricht. Offen­kun­dig ist ihm der Spit­zel bekannt, an den er wie an einen Vater gelehnt sorg­los däm­mert. Der hält die Augen auf ein Schrift­stück gehef­tet, wohl einen Abhör­be­richt, wäh­rend sei­ne ande­re Hand bereits zum Tele­fon greift. Bei­de befin­den sich über einem Abgrund, der – von Gewürm erfüllt – sowohl Unru­he als auch Zer­set­zung sym­bo­li­sie­ren könn­te. Die gesam­te Sze­ne ist in grau-ver­wa­sche­nen Tönen gehal­ten: Däm­me­rung. Obgleich der gut­mü­tig Schla­fen­de nichts von sei­ner Gefahr bemerkt, könn­ten doch zumin­dest die dem Tag zuströ­men­den Jugend­li­chen am Hori­zont von die­ser Ange­le­gen­heit infor­miert sein.
Sie sind es! Die gegen­sei­ti­ge Kennt­nis zwi­schen der unbe­fan­ge­nen, viel­leicht sogar »staats­treu­en « Jugend und dem alp­traum­haf­ten Bespit­ze­lungs­ap­pa­rat ist unver­kenn­bar. Jedoch hat eine Ver­än­de­rung statt­ge­fun­den. Die spitzt die Aus­sa­ge des Wer­kes zu und ver­leiht ihm auch den Namen. Die dem »Hori­zont« zustre­ben­de Jugend kehrt sich vom Betrach­ter ab. Wenn sie auch nicht direkt in Flucht begrif­fen ist, so doch zumin­dest im Fort­ge­hen. Der schma­le Hori­zont ver­deut­licht eine Anhö­he, nach deren Über­schrei­ten man die Nacht ver­läßt und hin­ab in ein – viel­leicht blü­hen­des – Tal schrei­ten kann. Farb­lich steht die­ser Hori­zont für Früh­ling, für Licht, Hoff­nung. Das beleb­te und fröh­li­che Ges­ten­spiel der dort viel­leicht sogar tan­zen­den Men­schen ver­leiht ihrer Befrei­ung Aus­druck, wäh­rend im rück­wär­ti­gen Tal das Gewürm wei­ter­ar­bei­tet und zersetzt.
Mattheu­ers Bild­aus­sa­ge ist inso­fern klar, als sie den Kon­trast zwei­er Zustän­de, das Ver­las­sen eines alten und uner­träg­li­chen hin zu einem neu­en, lebens­wer­te­ren Zustand doku­men­tiert. Es muß sich hier­bei nicht exklu­siv um eine DDR-Pro­blem­stel­lung han­deln. Moder­ni­siert man die Klei­dung der Per­so­nen, fügt man dem Tele­fon in Gedan­ken einen Com­pu­ter hin­zu, ist man bei­na­he in der Gegenwart.
Wolf­gang Mattheu­er selbst sah sich nie als »Polit­künst­ler«. Sei­ne her­aus­ra­gen­de künst­le­ri­sche Posi­ti­on in ganz Deutsch­land liegt in zwei Tat­sa­chen begrün­det: In sei­ner immer­wäh­ren­den, dabei form­wah­ren­den und nie all­zu spe­zi­el­len Zeit­kri­tik und sei­nem rein künst­le­risch­kom­po­si­to­ri­schen Kön­nen. Eine Stig­ma­ti­sie­rung als »DDR-Künst­ler«, und sei es als »kri­ti­scher«, ist unge­nü­gend, ja unzu­tref­fend. Mattheu­ers Bedeu­tung lei­tet sich bis heu­te aus der Viel­schich­tig­keit und Fül­le sei­nes Wer­kes ab. Der Wunsch nach Frei­heit ist heu­te eben­so aktu­ell wie die Kri­tik an Bevor­mun­dun­gen und Bespit­ze­lun­gen durch den Staat. Eine meis­ter­haf­te Farb-Form-Kom­po­si­ti­on ist heu­te eben­so wert­voll wie 1960. Lei­der hat es die BRD bis­lang nicht ver­stan­den, die­ses Werk selbst­kri­tisch zu erschließen.

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