Elitendebatte

pdf der Druckfassung aus Sezession 30 / Juni 2009

von Karlheinz Weißmann

Die Wiederkehr des Elitebegriffs gehörte zu den am wenigsten erwarteten Diskursveränderungen der letzten Jahre. Der Terminus galt nach ’68 wahlweise als »belastet« oder »gefährlich«, jedenfalls als unvereinbar mit den Prinzipien einer »demokratischen« Gesellschaft. Wer anderer Meinung war, äußerte das nur im kleinen Kreis, am besten Lions oder Rotary. Wenn es noch Elitäres gab, dann gehörte es abgeschafft, überwunden im Namen der großen Gleichheit, die keiner »Erwählten« bedurfte.

Wer sich an die Sprach­re­ge­lun­gen und an den ega­li­tä­ren Jar­gon gewöhnt hat­te und mein­te, daß es wenigs­tens zum all­ge­mei­nen Duz-Kom­ment und »fla­chen Hier­ar­chien«, manage­ment by love und der Ver­wand­lung von »Unter­ge­be­nen « in »Mit­ar­bei­ter« kom­men wer­de, sah sich am Ende des letz­ten Jahr­hun­derts mit der Tat­sa­che kon­fron­tiert, daß die Not­wen­dig­keit von Eli­ten plötz­lich all­ge­mein aner­kannt, mehr noch, daß die Bil­dung von Eli­ten ver­langt wur­de. Von Begab­ten­för­de­rung im Kin­der­gar­ten bis zur Schaf­fung von Exzel­lenz-Clus­tern, vom Auf­tre­ten der high poten­ti­als bis zur Selbst­be­stim­mung der Poli­ti­schen Klas­se als Eli­te gab es von einem Augen­blick zum ande­ren eine Infla­ti­on eli­tä­rer Ansprüche.
Wahr­schein­lich hat­te das mit einem gewis­sen Rea­li­täts­schub zu tun. Nach der gro­ßen Uto­pie im Osten waren auch die vie­len klei­nen im Wes­ten geschei­tert. Die Lin­ke befand sich ideo­lo­gisch auf dem Rück­zug, die Fak­ten spra­chen zu offen­sicht­lich gegen die Annah­me, daß ganz ohne Füh­rungs­schicht aus­zu­kom­men sei. Das stärk­te dem Rest- und Neu­en Bür­ger­tum den Rücken. Man sah sich bestä­tigt und erwar­te­te die Wie­der­kehr des gesun­den Men­schen­ver­stands. Hei­ke Schmolls Lob der Eli­te (Mün­chen: Beck 2008. 174 S., geb, 17.90 €) ist ein Sym­ptom die­ser Ten­denz. Der Umschlag zeigt ein klu­ges Mäd­chen (im Fal­ten­rock!), das auf dem Gra­nit­bo­den vor einer gedie­ge­nen Bücher­wand (Paschen wahr­schein­lich) steht und einen Leder­fo­li­an­ten umarmt. Die Eli­te, um die es hier geht, heißt das, ist eine der Bil­dung, eine, die nicht nur die Macht hat, son­dern auch Ver­ant­wor­tung über­nimmt, aus einer bestimm­ten Tra­di­ti­on – bevor­zugt der huma­nis­ti­schen und christ­li­chen – stammt und dadurch an Wer­te gebun­den ist, die für die Erzie­hung der Nach­kom­men, aber auch für die Vor­bild­funk­ti­on der Eli­te bürgt: »Denn das klas­si­sche Bil­dungs­bür­ger­tum hat sich mit gro­ßer Selbst­ver­ständ­lich­keit immer als Eli­te ver­stan­den und die Zugän­ge zum Bil­dungs­sys­tem als eigent­li­che Pfor­ten zur Eli­te ver­tei­digt. … Aller­dings war Bil­dung für das Bil­dungs­bür­ger­tum weni­ger eine Vor­aus­set­zung für öko­no­mi­schen Erfolg als ein Wert an sich, der mit sozia­ler und wirt­schaft­li­cher Aner­ken­nung belohnt wer­den sollte.«
Was dann folgt, Schmolls Kri­tik der »kul­tu­rel­len Ent­eig­nung des Bil­dungs­bür­ger­tums« oder ihre Aus­ein­an­der­set­zung mit den »Pseu­do-Eli­ten«, ist glei­cher­ma­ßen sym­pa­thisch. Trotz­dem hin­ter­läßt die Lek­tü­re ein Unge­nü­gen. Das hat ein­mal zu tun mit der sehr kon­ven­tio­nel­len Deu­tung der deut­schen (Eliten-)Geschichte des 20. Jahr­hun­derts, aber mehr noch mit dem naiv anmu­ten­den Ent­wurf von Alter­na­ti­ven. Das gilt vor allem für die Idee, sich am fran­zö­si­schen Modell der Eli­ten­re­kru­tie­rung zu ori­en­tie­ren, so als ob die »Enar­chen« tat­säch­lich ein über­zeu­gen­des Bei­spiel für jene »ech­te Eli­te« dar­stel­len, die Schmoll vorschwebt.

Die Schwä­che des Buches von Schmoll ist vor allem eine ana­ly­ti­sche. Sie hat auch damit zu tun, daß ihr Begriffs­ge­rüst wie ihre Vor­stel­lung von der Ent­wick­lung der Eli­ten­de­bat­te in den Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ten unzu­rei­chend ist. Ein Vor­wurf, den man dem »Eli­ten­for­scher« Deutsch­lands, Micha­el Hart­mann, kaum machen kann. Hart­mann hat mit sei­nem letz­ten Buch – Eli­ten und Macht in Euro­pa. Ein inter­na­tio­na­ler Ver­gleich (Frank­furt a. M.: Cam­pus 2008. 268 S., kart, 19.90 €) – noch ein­mal sei­nen Ruf bestä­tigt, ohne Rück­sicht auf die neue Kon­junk­tur des Eli­tä­ren einen Blick auf die sozia­len Tat­sa­chen zu wer­fen. Ihm geht es vor allem um die Infra­ge­stel­lung der Behaup­tung, daß in der west­li­chen Welt nach oben kommt, wer sich das durch Leis­tung ver­dient hat. Fak­tisch, so Hart mann, sind unse­re Funk­ti­ons­eli­ten geschlos­se­ne Gebil­de, die sich im wesent­li­chen über einen bestimm­ten »sozia­len Habi­tus« rekru­tie­ren. Indi­vi­du­el­le Befä­hi­gung kann, muß aber kei­ne ent­schei­den­de Rol­le spie­len. Hart­mann wider­spricht vor allem der Idee, daß wir in »Meri­to­kra­tien « leben, in denen der Tüch­ti­ge sei­nen Weg macht. Er betont, daß sich unse­re Eli­ten wie alle frü­he­ren durch Koopt­a­ti­on ergän­zen und dabei gebüh­rend miß­trau­isch gegen­über Außen­sei­tern sind. Des­halb ist der ver­sier­te Umgang mit der Wein­kar­te, eine bestimm­te Art sich zu klei­den oder ein bestimm­ter Ton­fall sehr wohl von Belang, um über Zuge­hö­rig­keit oder Nicht­zu­ge­hö­rig­keit zur Grup­pe der Alpha­tie­re zu ent­schei­den. Fak­to­ren, die jeden­falls aus­schlag­ge­ben­der sind als Schul- oder Examensnoten.
Hart­mann genießt den Ges­tus des Ent­lar­vers, zumal er selbst aus jenem deut­schen Bür­ger­tum kommt, das sei­ner Mei­nung nach bis heu­te den Zugang zur »Ober­schicht« regu­liert, und früh den Ent­schluß zur Rebel­li­on gefaßt hat. Der klas­sen­kämp­fe­ri­sche Zug in sei­nen Schrif­ten ist also kein Zufall, son­dern der Tat­sa­che geschul­det, daß es sich um einen der letz­ten beken­nen­den Mar­xis­ten unter den deut­schen Uni­ver­si­täts­leh­rern han­delt. Das erklärt aber auch den blin­den Fleck in sei­nen Unter­su­chun­gen, oder bes­ser: sei­ne Nei­gung, das von ihm empi­risch erho­be­ne zum Aus­gangs­punkt von Revo­lu­ti­ons­for­de­run­gen zu machen. Sei­ne Vor­stel­lun­gen erschei­nen inso­fern ver­staub­ter als die jener Eli­te­theo­re­ti­ker, die in der unmit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit der Fra­ge nach­gin­gen, auf wel­chem Weg man in Deutsch­land wie­der zu einer adäqua­ten Eli­te kom­men kön­ne. Mor­ten Reit­may­er hat in sei­nem Buch Eli­te. Sozi­al­ge­schich­te einer poli­tisch-gesell­schaft­li­chen Idee in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik (Mün­chen: Olden­bourg 2009. 629 S., geb, 74.80 €) einen Teil der damals geführ­ten Dis­kus­sio­nen nach­ge­zeich­net. Bemer­kens­wert erscheint in dem Zusam­men­hang, daß der Eli­ten­be­griff unmit­tel­bar nach dem Ende des NS-Regimes weni­ger belas­tet erschien als in den Fol­ge­jahr­zehn­ten. Das hat­te mit einer gewis­sen kon­ser­va­ti­ven Gestimmt­heit der Ade­nau­er­zeit zu tun, aber auch mit einer deut­li­chen Mäßi­gung der kon­ser­va­ti­ven Demo­kra­tie­kri­tik. Reit­may­er weist dar­auf hin, daß es einen brei­ten Kon­sens gege­ben habe, nach dem Schei­tern der Kon­zep­te »Füh­rer« und »Neu­adel« eine Lösung für die Sta­bi­li­sie­rung der Mas­sen­ge­sell­schaf­ten zu fin­den, die auf­grund der his­to­ri­schen Erfah­run­gen als aus­ge­spro­chen labil gal­ten und außer­dem schwer in der Lage, aus eige­ner Kraft Eli­ten her­vor­zu­brin­gen. Im Grun­de schien es nur zwei Wege zu geben, um das Pro­blem einer Lösung zuzu­füh­ren: Schaf­fung einer Eli­te durch Erzie­hung oder Rück­griff auf die bereits vor­han­de­nen Funk­ti­ons­eli­ten, die ihre Kom­pe­ten­zen im Bereich der Wirt­schaft unter Beweis gestellt hat­ten. Reit­may­er spricht hier mit leich­tem Spott vom »kal­ten Blick der kon­ser­va­ti­ven Avant­gar­de«, aber man wird schwer bestrei­ten kön­nen, daß wir bis dato nicht sehr viel wei­ter sind als Frey­er, Geh­len oder Forsthoff.

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