Erstes Collegium Dextrum – Protokoll

Am letzten Wochenende fand in der Nähe Berlins der erste Kurs unseres Collegium Dextrum statt.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Das Insti­tut für Staats­po­li­tik hat­te 12 Stu­den­ten und Dok­to­ran­den ein­ge­la­den, sich an die­sen Tagen inten­siv mit dem The­ma “Welt­an­schau­ung” auseinanderzusetzen.

Grund­la­ge war eine umfang­rei­che Text­samm­lung, die die Teil­neh­mer vor­her durch­ar­bei­ten muß­ten. Es ging, ganz klas­sisch, um die poli­ti­schen Welt­an­schau­un­gen der Lin­ken, Mit­te und Rech­ten. Ein Teil­neh­mer hat ein Pro­to­koll ver­faßt. Dar­aus eini­ge Auszüge:

Unter der Lei­tung von Dr. Erik Leh­nert wur­de in der ers­ten Sit­zung die Fra­ge behan­delt, was Welt­an­schau­un­gen eigent­lich sind. Seit dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert bil­de­te man Welt­an­schau­ungs­ty­po­lo­gien, die auf der Annah­me beruh­ten, daß Welt­an­schau­un­gen nicht ableit­bar aus der psy­chi­schen Tota­li­tät des Men­schen her­vor­gin­gen und daher gewis­se Grund­ty­pen von Welt­an­schau­ung immer vor­han­den sei­en. Wenn in die­sem Sin­ne Welt­an­schau­ung die Kon­se­quenz aus der Ana­ly­se des eige­nen Welt­bil­des und des eige­nen Ver­hal­tens ist, dann sind – unab­hän­gig von der auch dis­ku­tier­ten Fra­ge nach dem Ver­hält­nis von Welt­an­schau­ung und Reli­gi­on – zwei wesent­li­che Erkennt­nis­se fest­zu­hal­ten: Ers­tens sind Welt­an­schau­un­gen nie­mals ein­fach eine Sys­te­ma­ti­sie­rung von unbe­streit­ba­ren Fak­ten; die Lücke zwi­schen der Welt, wie sie ist, und unse­rer Anschau­ung von ihr, ist nie­mals voll­stän­dig über­brück­bar. Zwei­tens aber gibt es gar kei­ne Alter­na­ti­ve zur Aus­bil­dung einer Welt­an­schau­ung, wenn man sich den­kend und han­delnd in der Welt ver­hal­ten will.

Prof. Dr. Peter Furth lei­te­te die Sit­zung über die poli­ti­sche Lin­ke, deren Attrak­ti­vi­tät nicht etwa aus der Ver­nünf­tig­keit ihrer Welt­an­schau­ung her­rüh­re. Ganz im Gegen­teil wur­de fest­ge­stellt, daß der Gleich­heits-Huma­nis­mus der Lin­ken nicht die Fol­ge, son­dern die Prä­mis­se lin­ken Den­kens sei, zusam­men mit einer tech­ni­schen Reduk­ti­on der Welt zur Umwelt. Dar­aus fol­gen dann die wei­te­ren Aspek­te lin­ker Welt­an­schau­ung: der Opti­mis­mus und die – indi­vi­du­el­le wie gat­tungs­nar­ziß­ti­sche – Phil­an­thro­pie; die Natu­ra­li­sie­rung des Huma­nen, die sich unter ande­rem in der Vor­stel­lung vom Reich­tum als poli­ti­scher Pro­blem­lö­sung äußert; die Ent­täu­schungs­in­dif­fe­renz und der von kei­nem Gegen­be­weis erschüt­ter­ba­re Glau­be an die Macht des Bewußt­seins sowie ins­ge­samt die Nut­zung des Neu­en als Sti­mu­lus des poli­ti­schen Han­delns. Die dar­aus fol­gen­den Pro­ble­me lin­ker Welt­an­schau­ung lie­gen auf der Hand; in ers­ter Linie han­delt es sich dabei um das „huma­nis­ti­sche Theo­di­ze­e­pro­blem“ – der Ver­such einer Durch­set­zung des Pos­tu­lats von der Per­fek­ti­bi­li­tät des Men­schen geht nicht ohne Ter­ror ab und erzeugt den unauf­heb­ba­ren Wider­spruch zwi­schen hedo­nis­ti­schem Zweck und ter­ro­ris­ti­schen Mit­teln – und die tota­le Feind­se­lig­keit gegen­über den­je­ni­gen, die die lin­ken Gleich­heits­vor­stel­lun­gen nicht tei­len. Prof. Furth brach­te den Unter­schied zwi­schen links und rechts mit dem Satz auf den Punkt, daß die Lin­ke Welt­ver­bes­se­rung anstre­be, wäh­rend es der Rech­ten um Daseins­ver­bes­se­rung gehe.

Hat­te Prof. Furth dafür plä­diert, den Libe­ra­lis­mus eben­falls als letzt­lich links zu ver­ste­hen, da er mit der Lin­ken den Anthro­po­zen­tris­mus, die Zukunfts­fi­xie­rung und die Natu­ra­li­sie­rung des Men­schen tei­le, so ver­such­te Prof. Dr. Stef­fen Dietzsch zu zei­gen, daß es sich beim Libe­ra­lis­mus um eine eige­ne, „erwei­ter­te“ Den­kungs­art hand­le, die par­ti­ell auch für Kon­ser­va­ti­ve anschluß­fä­hig sei. Zwei wesent­li­che Grund­zü­ge des Libe­ra­lis­mus arbei­te­te Prof. Dietzsch her­aus: das Eigen­tum und die Frei­heit, bei­des ver­stan­den als Mit­tel zur Selbst­er­hal­tung. Die Fixie­rung auf den Reich­tum durch das Eigen­tum tei­le der Libe­ra­lis­mus zwar mit der Lin­ken, aber im Gegen­satz zum lin­ken Kon­zept einer Umver­tei­lung als sub­stan­ti­el­ler Ermög­li­chung des Reich­tums, der wie­der­um Vor­aus­set­zung für die Frei­heit sei, set­ze der Libe­ra­lis­mus kon­se­quent die Auf­klä­rung fort mit dem Kon­zept des Mark­tes als funk­tio­na­ler Ermög­li­chung des Reich­tums. Der zwei­te Grund­zug, die Frei­heit, sei des­halb auch Vor­aus­set­zung und nicht erst Ergeb­nis poli­ti­schen Han­delns, und zwar aus Grün­den öko­no­mi­scher Effi­zi­enz. Der Libe­ra­lis­mus erschei­ne daher als letz­te gro­ße Leis­tung der Auf­klä­rung, indem er die Kon­se­quenz aus dem Pos­tu­lat zie­he, der Ein­zel­ne müs­se sich selbst theo­re­tisch auch an jede ande­re Stel­le des poli­ti­schen Gemein­we­sens set­zen kön­nen, und indem er als rein funk­tio­na­lis­ti­sche Denk­wei­se ohne poli­ti­sche Theo­lo­gie aus­kom­me. Letz­te­res unter­schei­det den Libe­ra­lis­mus vom Kon­ser­va­tis­mus und macht zugleich die zen­tra­le Schwä­che der libe­ra­len Welt­an­schau­ung deut­lich, die auf – illi­be­ra­len – Vor­aus­set­zun­gen beruht, die der Libe­ra­lis­mus selbst nicht her­stel­len und auch nicht auf­recht­erhal­ten kann.

Das wich­tigs­te, weil an Schu­le und Uni­ver­si­tät nahe­zu voll­kom­men tabui­sier­te, The­ma des Semi­nars war die poli­ti­sche Rech­te, die unter der Lei­tung von Dr. Karl­heinz Weiß­mann in den Blick genom­men wur­de. Die nega­ti­ve Umwer­tung der Rech­ten, so Dr. Weiß­mann, sei auch dar­um so fatal, weil der natür­li­che Vor­zug der rech­ten Sei­te unbe­strit­ten und auch die poli­ti­sche Zuord­nung bereits vor der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on ent­spre­chend gewe­sen sei. Ernst Nol­tes Behaup­tung, so etwas wie eine „ewi­ge Rech­te“ gebe es nicht, weil die Rech­te immer reak­tiv sei, stell­te Dr. Weiß­mann die Kon­ti­nui­tät und Ein­heit der Denk­mo­ti­ve der Rech­ten gegen­über, die sich in ers­ter Linie an drei Ele­men­ten zei­ge: dem Men­schen­bild, der Feind­be­stim­mung und der Zukunfts­er­war­tung. Daß die Rech­te immer wie­der eine von den ande­ren voll­kom­men unter­schied­li­che, aber regel­mä­ßig zutref­fen­de Wahr­neh­mung von dem hat­te, was kom­men wür­de, wur­de exem­pla­risch an Edmund Bur­kes „Betrach­tun­gen über die Revo­lu­ti­on in Frank­reich“ deut­lich, in denen Bur­ke 1790 bereits die Tötung des Königs und die Errich­tung einer Mili­tär­dik­ta­tur voraussagte.Nachdem Bur­kes Pro­gno­sen über die Revo­lu­ti­on ein­ge­trof­fen waren, posi­tio­nier­te er sich neu: eine gemein­eu­ro­päi­sche Gegen­re­vo­lu­ti­on zur Nie­der­schla­gung des revo­lu­tio­nä­ren Frank­reichs sei nötig, und danach ein gewalt­sa­mer Neu­an­satz, so etwas wie eine orga­ni­sche Kon­struk­ti­on. Über­haupt mach­te Dr. Weiß­mann deut­lich, daß die Ein­sicht in die Unmög­lich­keit des pro­blem­lo­sen Fest­hal­tens an alten Bestän­den und damit ver­bun­den die Aus­bil­dung wesent­li­cher kon­ser­va­ti­ver Denk­op­tio­nen bereits in der ers­te Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts vor­han­den war. Natio­na­lis­mus, Faschis­mus und auch die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on ver­such­ten dar­auf ein Ant­wort zu geben, was mit dem zuneh­men­den Sub­stanz­ver­lust immer schwie­ri­ger wur­de. Daß die Rech­te immer die Wirk­lich­keit auf ihrer Sei­te hat, muß im All­tag immer wie­der aufs Neue erprobt werden.

Es ist an sich schon bemer­kens­wert, wenn Stu­den­ten ein gan­zes Wochen­en­de „opfern“, um sich mit Grund­satz­fra­gen des Geis­tes zu befas­sen, und das ohne davon irgend­ei­nen ver­wert­ba­ren Nut­zen etwa in Form einer anre­chen­ba­ren Stu­di­en­leis­tung zu bekom­men. Die­ses ers­te Semi­nar des Col­le­gi­ums Dex­trum war aber dar­über hin­aus noch bemer­kens­wer­ter, weil es dem Teil­neh­mer stän­dig den Ein­druck eines voll­stän­di­gen Ana­chro­nis­mus ver­mit­tel­te: Fach­lich und päd­ago­gisch kom­pe­ten­te Dozen­ten arbei­te­ten mit an der Sache inter­es­sier­ten und intel­lek­tu­ell hoch­schul­fä­hi­gen Stu­den­ten – so wie man es sich eigent­lich an jeder deut­schen Uni­ver­si­tät wün­schen wür­de; allein, wer kennt so etwas schon noch aus eige­ner Erfahrung?

Die nächs­ten bei­den Kur­se des ers­ten Col­le­gi­um Dex­trum fin­den im Novem­ber und Dezem­ber statt.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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