Wie wichtig ist ein Begriff? – Teil 2 eines Gesprächs mit Dieter Stein und Karlheinz Weißmann

Die jäh in Internet-Foren aufgeworfene Frage nach Sinn oder Unsinn des politischen Begriffs "Neue Rechte" war Auslöser...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

eines Gesprächs mit Die­ter Stein (Jun­ge Frei­heit) und Karl­heinz Weiß­mann (Sezes­si­on) über die­se poli­ti­sche Bezeich­nung. Ich habe die­ses Gespräch Anfang Janu­ar geführt. Die Text­fas­sung (hier im pdf-For­mat) ist von bei­den Gesprächs­part­nern auto­ri­siert und zur Ver­öf­fent­li­chung frei­ge­ge­ben. Teil 1 erschien gestern.

SEZESSION: Mit „eigen­ar­ti­ger Selbst­be­zeich­nung“ meinst du jetzt also nicht nur „Neue Rech­te“, son­dern „rechts“ ins­ge­samt, und du trittst in dei­nem jüngs­ten Arti­kel für eine „Dekon­struk­ti­on“ der Begrif­fe links und rechts über­haupt ein. Karl­heinz: Was könn­te gewon­nen sein, wenn wir den­noch an solch eigen­ar­ti­gen Selbst­be­zeich­nun­gen festhalten?

WEISSMANN: Es gibt in Frank­reich die Rede­wen­dung: „Wenn jemand behaup­tet, daß die Unter­schei­dung links-rechts kei­ne Bedeu­tung mehr hat, ist er sicher kein Lin­ker“, und das stimmt. Nur die Nicht-Lin­ke redet seit über hun­dert Jah­ren von der Über­win­dung des Gegen­sat­zes, gelun­gen ist sie nicht. Er stellt sich auf immer neue Wei­se immer wie­der her, wes­halb es auch dau­ernd „neue Lin­ke“ (die nie ganz neu sind) und „neue Rech­te“ gibt. Das ist unab­än­der­lich, solan­ge es das Poli­ti­sche gibt; die von Die­ter so geschätz­te Frau Noel­le hat übri­gens sehr schön empi­risch nach­ge­wie­sen, dass die Mas­se der Bür­ger ganz genau weiß, ob sie eher „rechts“ oder „links“ ist. Das „Natio­na­le“ ist selbst­ver­ständ­lich gar kei­ne Ersatz­grö­ße: zum ers­ten weil auf die Idee natür­lich schon ande­re gekom­men sind – wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, wirbt die NPD regel­mä­ßig mit dem Slo­gan „Die Natio­na­len“, „Die natio­na­le Alter­na­ti­ve“ o. ä. –, zum zwei­ten weil die Nati­on, solan­ge sie als inte­gra­ti­ve Grö­ße aner­kannt wird, auf eine Ebe­ne ober­halb des poli­ti­schen Kamp­fes gehört, also inso­fern poli­tisch „neu­tra­li­siert“ ist (schon wie­der Schmitt). Hat sie die Aner­ken­nung ver­lo­ren, so wie jetzt, gehört sie wie jeder Ord­nungs­be­griff auto­ma­tisch nach „rechts“, des­halb der tra­di­tio­nel­le „Anti­pa­trio­tis­mus“ der Lin­ken und der ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gungs­ge­tön­te der Acht­und­sech­zi­ger. Die „Anti­deut­schen“ machen bloß Ernst mit dem, was auf der Haupt­spur der lin­ken Argu­men­ta­ti­ons­stre­cke sowie­so bestim­mend ist. Die Links­na­tio­na­len kom­men nur als Geis­ter­fah­rer auf die­ser Haupt­spur vor, sind iso­liert (Ammon), nicht sehr über­zeu­gungs­fest (Brandt) oder als Lin­ke gar nicht mehr iden­ti­fi­zier­bar (Ven­ohr). Was nun die Abkap­se­lung angeht, so habe ich sicher von uns bei­den die grö­ße­re Erfah­rung mit gro­ßen Foren, wo man auch eine Art Zugang zur All­ge­mein­heit hat. Ich habe vor dem Poli­ti­schen Club der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie in Tutz­ing gespro­chen und bei der Ade­nau­er-Stif­tung, im Club zu Bre­men und bei den Bei­rä­ten von Ban­ken und Ver­si­che­run­gen. Die Reso­nanz war eigent­lich immer sehr posi­tiv – übri­gens auch in Tutz­ing. Das lag ohne Zwei­fel an den Inhal­ten, die ich da ver­trat und die sich nicht von denen unter­schei­den, die ich heu­te ver­tre­te. Daß ich dort nicht mehr spre­chen kann, liegt kaum an der Qua­li­tät des­sen, was ich den­ke und sage. Es liegt ganz ein­fach an den Macht­ver­hält­nis­sen in die­sem Land. Wer glaubt, dass er die durch die Anpas­sung an Sprach­re­ge­lun­gen ver­än­dern kann, ver­su­che sein Glück. Mei­ne Pro­gno­se lau­tet, daß ihn die Macht­ver­hält­nis­se ver­än­dern wer­den. Eine prin­zi­pi­el­le Gegen­po­si­ti­on – also eine, die Prin­zi­pi­en ver­tritt – muß als sol­che kennt­lich und unter den gege­be­nen Umstän­den die Posi­ti­on einer Min­der­heit sein. Geh­len hat ein­mal davon gespro­chen, daß in aus­sichts­los erschei­nen­der Lage nichts so über­zeu­gend wirkt wie das über­zeu­gen­de Bei­spiel, Inte­gri­tät eben. Man mag trotz­dem mit Erfolg­lo­sig­keit bezah­len, aber da gilt dann das Her­ren­wort: „Was nutzt es dem Men­schen, wenn er die gan­ze Welt gewön­ne und näh­me doch Scha­den an sei­ner Seele?“

SEZESSION: Es sind unter ande­rem wir Her­aus­ge­ber der Sezes­si­on, denen du, Die­ter, man­geln­de Distanz zum Begriff der „Neu­en Rech­ten“ vor­wirfst. Ich ver­ste­he nun nicht, war­um du dich aus Angst vor einer Instru­men­ta­li­sie­rung durch die Begrif­fe „Neue Rech­te“ und „rechts“ indi­rekt doch sehr instru­men­ta­li­sie­ren läßt: Du ver­wirfst mög­li­che Selbst­ver­or­tun­gen ohne Not und läßt dich zu Ein­engun­gen des Mein­ba­ren hinreißen.

STEIN: Da haben wir uns miß­ver­stan­den. Ich habe nicht behaup­tet, daß es mutig ist, den Begriff einer „Neu­en Rech­ten“ für sich beset­zen zu wol­len. Ich mei­ne viel­mehr, daß es sinn­los und ver­fehlt ist. Es sei denn, man iden­ti­fi­ziert sich mit poli­ti­schen Posi­tio­nen, die nach domi­nie­ren­dem Ver­ständ­nis zu einer „Neu­en Rech­ten“ pas­sen. Da habt ihr auto­ma­tisch Klä­rungs­be­darf. Ich sage, daß der Begriff unbrauch­bar ist, und der Ver­such, ihn im wohl­ver­stan­de­nen Sin­ne beset­zen zu wol­len, in eine Sack­gas­se führt. Man kann das ja machen, wenn man sich unbe­dingt ver­ren­nen will. Der von mir eben­falls sehr geschätz­te Staats­recht­ler Hel­mut Qua­rit­sch stell­te in sei­nem Buch „Posi­tio­nen und Begrif­fe Carl Schmitts“ fest: „Im Kampf der Geis­ter ist die Beset­zung eines Begriffs so wich­tig wie im Krie­ge die Erobe­rung einer Fes­tung.“ Der Begriff der „Neu­en Rech­ten“ ist eine sol­che Fes­tung. Ihn „posi­tiv“ beset­zen zu wol­len, gleicht der Schlacht um Ver­dun. Anders aus­ge­drückt: Ich bin evan­ge­li­scher Christ. Falls man 25 Jah­re lang über mich behaup­ten soll­te, ich sei katho­li­scher Sedis­va­kan­tist, wer­de ich mich auch dann nicht selbst so bezeich­nen. Auch nicht als katho­lisch. Apro­pos vakant: Für mich wird der poli­tisch-publi­zis­ti­sche Stand­ort „kon­ser­va­tiv“ in Deutsch­land durch kei­ne eta­blier­te Par­tei oder ein Medi­um ver­tre­ten. Weder FAZ, Sprin­ger-Pres­se, Rhei­ni­scher Mer­kur noch CDU oder CSU beset­zen die­sen Begriff offen­siv oder wol­len ihn prä­gen. Wenn ihr es nicht sein wollt, gibt es kei­ne kon­ser­va­ti­ve Theo­rie­zeit­schrift oder ein wis­sen­schaft­li­ches Insti­tut, das sich die­sem Begriff ver­schreibt. Der Begriff des Kon­ser­va­ti­ven ent­fal­tet einen präch­ti­gen welt­an­schau­li­chen Kos­mos, der nicht für Homo­ge­ni­tät, son­dern Dif­fe­renz steht. Der Begriff der „Neu­en Rech­ten“ steht für eine geis­ti­ge Eng­füh­rung. Wer zwingt euch eigent­lich, eine sol­che kate­go­risch-ideo­lo­gi­sche Selbst­ein­ord­nung vor­zu­neh­men? Was ist damit gewon­nen? Und: Wes­halb habt ihr euch für den Begriff ent­schie­den, obwohl Alain de Benoist schon vor Jah­ren für sei­ne Grup­pe in Frank­reich die Ein­schät­zung getrof­fen hat, daß es ein Feh­ler war, den Begriff der „Nou­vel­le Droi­te“ als Selbst­be­schrei­bung ange­nom­men zu haben?

WEISSMANN: Fan­gen wir von hin­ten an: Ich schät­ze de Benoist als unab­hän­gi­gen Kopf, aber sei­ne Welt­an­schau­ung tei­le ich nicht: nicht sei­ne Aver­si­on gegen das Chris­ten­tum, nicht sei­nen Nomi­na­lis­mus, nicht sei­ne Sym­pa­thie für die Kul­tur­kri­tik der Frank­fur­ter Schu­le, um es kurz zu machen. Also sehe ich auch kei­ne Ver­an­las­sung, ihm in die­sem Punkt zu fol­gen. Etwas ver­blüf­fend fin­de ich natür­lich, daß du, Die­ter, die Posi­tio­nen de Benoist als der­art maß­geb­lich betrach­test, – aber nun ja. Dann noch ein­mal zum Kon­ser­va­ti­ven. Es ist eben nicht so, daß es kei­ne Bemü­hun­gen gibt, den Begriff zu beset­zen. Von Wolf­ram Wei­mer bis zu Paul Nol­te und Andre­as Molau fin­den sich ent­spre­chen­de Ver­su­che, nicht zu ver­ges­sen der Vor­stoß der Uni­ons­nach­wuchs­eli­te um Phil­ipp Miß­fel­der. Die Attrak­ti­vi­tät erklärt sich aus zwei Moti­ven: ers­tens der Unver­bind­lich­keit die­ser Art Kon­ser­va­tis­mus, dem gan­zen Gere­de über „Wer­te“, das noch nie zu irgend etwas geführt hat, und dann aus der Mög­lich­keit für die­se „neu­en Bür­ger­li­chen“, sich ganz kon­ser­va­tiv auf Besitz­stands­wah­rung zu kon­zen­trie­ren. Da erklä­re ich aller­dings ent­schie­den mei­nen Dis­sens und möch­te nicht ver­wech­selt wer­den, was auch immer freu­dig akzep­tiert wird, wenn ich erklä­re, daß ich nicht nur kon­ser­va­tiv bin, son­dern rechts. Womit nun gar nicht bestrit­ten sei, daß ich mich unter den Denk­fa­mi­li­en der Neu­en Rech­ten eben weder den Natio­na­lis­ten noch den Tra­di­tio­na­lis­ten noch der Nou­vel­le Droi­te zurech­ne, son­dern jener Über­lie­fe­rung, die von den „Neu­kon­ser­va­ti­ven“ der Kai­ser­zeit über die Kon­ser­va­tiv-Revo­lu­tio­nä­ren der Zwi­schen­kriegs­jah­re bis zu den kon­ser­va­ti­ven Ein­zel­gän­gern der Nach­kriegs­zeit reicht, etwa Arnold Geh­len, Kon­rad Lorenz, Her­bert Gruhl, Robert Spae­mann, Gerd-Klaus Kal­ten­brun­ner und Armin Moh­ler, womit dann auch eine Abgren­zung voll­zo­gen wäre zu den „Gele­gen­heits-Kon­ser­va­ti­ven“, neh­men wir als Bei­spie­le Alex­an­der Gau­land, Wolf Jobst Sied­ler, Jörg Schön­bohm. Wir ste­hen also vor dem Pro­blem, daß es ent­we­der gar kei­ne Mög­lich­keit der Selbst­be­zeich­nung gibt, eine unschar­fe – kon­ser­va­tiv – oder eine trenn­schar­fe – rechts. Und wenn wir schon mar­tia­lisch wer­den: es geht um die Alter­na­ti­ven Kapi­tu­la­ti­on, Kol­la­bo­ra­ti­on oder Gue­ril­la. Da bin ich dann zuge­ge­be­ner­ma­ßen für Gue­ril­la – also den klei­nen Krieg; dazu gehört Beweg­lich­keit, Deckung nut­zen, Angriffs­lust und selbst­ver­ständ­lich Pro­vo­ka­ti­on des Gegners.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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