politische Vorstöße auf zwei Ebenen. Zum einen ist da die “Identitäre Bewegung”, die sich als europaweites Aktionsbündnis begreift, junge Leute anspricht und sich die “Verteidigung des Eigenen” auf die Fahnen geschrieben hat. Zum andern ist der parteipolitische Ansatz der “Alternative für Deutschland” in den vergangenen Wochen regelrecht aufgeschossen. Ist das die Morgenröte?
STEIN: Es ist Bewegung in die Landschaft geraten. Unsere rechtsintellektuellen oder konservativen publizistischen Ansätze kranken daran, daß es wenig öffentlich wahrnehmbare Wirkung, Aktion, Versammlungen oder eine Partei gab, mit der man einen vernünftigen nationalkonservativen oder rechtsliberalen Ansatz in Verbindung bringen könnte. Das kann sich jetzt mit der „Alternative für Deutschland“ vielleicht schlagartig ändern, wobei sie eine Partei neuen Typs ist und tatsächlich aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Die „Identitären“ existieren in Deutschland offenbar primär virtuell im Netz, es zeigt niemand sein Gesicht, was ein deprimierender Umstand ist – im Gegensatz zu Österreich oder ganz zu schweigen Frankreich.
SEZESSION: Kann man diese beiden vollkommen unterschiedlichen Projekte überhaupt auf einen Nenner bringen?
STEIN: Die beiden Ansätze sind wirklich in vielerlei Hinsicht völlig verschieden. Die „Identitären“ sind eine in Frankreich geborene Bewegung, die jenseits der dort vorhandenen rechtsliberalen oder nationalpopulistischen Parteien das Thema Überfremdung und Identitätsverlust im vorpolitischen Raum mit neuen Aktionsformen in die Öffentlichkeit trägt. Der Versuch, außerhalb Frankreichs dieses Konzept zu „kopieren“ hat offenbar bis auf wenige Ansätze in Österreich bislang nicht getragen.
In Deutschland nun ist das Grundproblem die Nichtexistenz und Nichtakzeptanz eines rechten Flügels im öffentlich diskutierten demokratischen Spektrum. Jeder Organisationsversuch fängt hier wieder bei Null an. Jeder parteipolitische Ansatz, der ausdrücklich „von rechts“ käme, steht einer geschlossenen Abwehrfront gegenüber. Das klassische „rechte Lager“ ist am Ende. Es war logisch, daß eine Alternative, die Chancen haben will, die Schweigespirale zu durchbrechen, aus der „Mitte der Gesellschaft“ kommen mußte und daß Akteure auftreten werden, mit denen bis dahin keiner rechnete. Die Lage ist jetzt da.
SEZESSION: Politisch Recht haben demnach diejenigen, die sich in der Gesellschaft Positionen verschafften, um von dorther nun Politik zu machen? Falsch lagen wir, also Du und ich, weil wir dachten, es ginge auf anderem Wege …
STEIN: Ich bin kein Parteigründer und werde auch nicht mehr in die Parteipolitik einsteigen. Die Aufgabe der JUNGEN FREIHEIT sehe ich darin, unverändert jede politische Partei kritisch zu beobachten und darüber zu berichten. Jeder publizistische Ansatz, ob konservativ oder rechtsintellektuell oder was auch immer, nimmt durch die Formulierung und Verbreitung seiner Ideen Einfluß auf den Kreis derjenigen, die ihn lesen und weiterverbreiten. Parteipolitik ist etwas anderes als Publizistik.
SEZESSION: Jetzt weichst Du aus. Ich frage anders: Für wie groß hältst Du den Einfluß dessen, was Du und Deine Zeitung, was wir und unsere nochmals zugespitzte Zeitschrift vorgedacht haben, auf dieses aus der Mitte kommende Projekt AfD. Der Einfluß auf die Identitären ist ja sicher viel direkter festzumachen und von dorther auch bestätigt.
STEIN: Wir müssen bei allem, was wir machen, die Erwartung haben, daß wir nicht nur auf ein Projekt, hier eine Partei, sondern auf möglichst viele Gruppen in unterschiedlicher Intensität ausstrahlen. Ansonsten könntest Du Dich ja gleich zu einer Parteizeitung degradieren. Welche Entwicklung die AfD nehmen wird, ist im Moment noch ziemlich offen. Wir können nur registrieren, daß seit der Wiedervereinigung kein Parteiprojekt in unserem Umfeld eine solche Euphorie ausgelöst hat. Sie kann enttäuscht werden, und es wäre nicht das erste Mal.
SEZESSION: Was wäre denn eine Enttäuschung? Daß das, was aus der Mitte kommt, außer ein paar Reformen nichts wirklich Alternatives anzubieten hat?
STEIN: Für mich bedeuten schon zwei Dinge einen enormen Durchbruch: Erstens, daß es gelingt, das zentrale Thema der verantwortungslosen Euro-Rettung auf die Tagesordnung der Bundestagswahl zu setzen gegen eine Nationale Front aus CDU/CSU-FDP-SPD-Grüne. Mit der abenteuerlichen Euro-Rettung ist die endgültige Schleifung der nationalen Souveränität verbunden. Diese Frage wird durch die AfD an weichen Themen wie Frauenquote und Kindergartenplätzen vorbei ins Zentrum der Debatte gerückt. An diesem einen Punkt einen Durchbruch zu schaffen, wäre ein großer Schritt. Zweitens muß es endlich – durch wen auch immer – gelingen, das Monopol der CDU zu brechen, die hauptverantwortlich dafür ist, daß jede konservative, rechte Alternative in den letzten Jahrzehnten planiert wurde. Das Brechen dieses Monopols der CDU ist von übergeordnetem Interesse.
SEZESSION: Unter anderem die JF ist gegen die AfD bereits als Hebel benutzt worden. Man warf der Partei ein unverkrampftes Verhältnis zu Deiner Zeitung vor. Bist Du zufrieden mit der Reaktion der AfD?
STEIN: Man setzt jede neue nicht-linke Partei, übrigens auch die CDU!, unter Druck, in dem man ihr mangelhafte Abgrenzung nach rechts vorwirft. Die JF ist nun eine Art Lackmustest. Daß sich eine demokratische Partei zu Extremisten abgrenzt, ist logisch. Interessant wird es, wenn mit der JF endgültig die Relevanz einer konservativen, rechtsintellektuellen Publizistik jenseits des Mainstreams anerkannt und sie nicht mehr vom Diskurs ausgeschlossen wird. Die AfD hat bisher positive Akzente gesetzt und gezeigt, daß sie nicht alle Rituale der political correctness mitmachen will, sondern im Gegenteil das Thema Meinungsfreiheit zu ihrem Thema machen will.
SEZESSION: Die „Identitären“, um auf diese zweite, derzeit im Sog der AfD in den Windschatten geratene Bewegung zu kommen, haben ja ein aggressiveres, revolutionäres Programm, betonen aber beinahe manisch ihre Distanz zum rechten Rand (zu dem ich uns natürlich nicht zähle) und zu einem denunziatorisch eingesetzten Vokabular. Klagt sich an, wer sich verteidigt? Sind diese Gefechte um eine reine Weste strategisch klug? Du hast ja ähnliche Erfahrungen gemacht.
STEIN: Es ist illusorisch und unpolitisch, wenn man glaubt, einen „rechten“ oder „nationalen“ politischen Ansatz vortragen zu können, ohne das Verhältnis zur deutschen Vergangenheit und politischem Totalitarismus zu klären. Jeder Formation werden in dieser Hinsicht Fragen gestellt, und das ist auch in Ordnung so. An einer aufrichtigen Beschäftigung damit kommt man nicht vorbei! Es mit Ausblendung dieser Frage oder gestanzten Formeln bewenden zu lassen, wird einem früher oder später auf die Füße fallen.
SEZESSION: Du empfiehlst also, das in Deutschland wohl notwendige Frage-und-Antwort-Spiel mitzuspielen: Möchten Sie alle Ausländer vertreiben? Halten Sie Hitler für einen großen Staatsmann? Zwei Mal „Nein“ und man darf ans Buffet? Und wenn ich zwei Mal „Nein“ sage, was mir nicht schwerfällt: Vermutet da die Gesinnungspolizei nicht hinter dem „Nein“ das klammheimliche „Ja“? Also: Wer ist der Schleusenwächter, warum darf die AfD mitspielen?
STEIN: Diese Frage ist sinnlos, weil mir selbst diese zwei Fragen in 25 Jahren so nicht gestellt wurden. Wem es lästig ist, sich zur deutschen Vergangenheit zu erklären, soll etwas anderes als Politik machen.
SEZESSION: Ich glaube, Du weißt, was ich mit dieser polemischen Überspitzung meine: Ist es nicht eine Beleidigung für Dich, daß man Dir und Deiner Zeitung nicht von vornherein ansieht, daß Du kein Nazi bist und keine Sympathien für totalitäre Entwürfe hegst? Für mich ist es jedesmal eine Beleidigung, also neige ich dazu, solche Fragestellungen von links nicht zu akzeptieren.
STEIN: Jenseits der Primitivität, daß jemand als Nazi bezeichnet wird, nur weil er „irgendwie rechts“ ist und jenseits eines totalitäre Formen annehmenden und staatlich abgestützten „Kampfes gegen rechts“ darf man sich nicht zur Auffassung verleiten lassen, es sei völlig egal, welche Haltung man zur Vergangenheit hat. Jemand, der die Nation verteidigen will, muß erklären können, welche deutsche Tradition er für positiv hält und welchen Vorbildern er sich verpflichtet fühlt. Und daran scheiden sich die Geister.
SEZESSION: Stell zum Abschluß bitte eine Prognose: Wo steht die AfD nach der Bundestagswahl? Was reißen die Identitären noch?
STEIN: Zunächst zu den Identitären: Ich habe keine Einblicke, ich kenne keine Akteure, sie sind für mich in Deutschland eine „Black Box“. Was die AfD angeht: Wenn der Trend anhält, haben wir im nächsten Bundestag eine AfD-Fraktion und es wird fraglich sein, ob es ihr gelingt, sich der Absorption durch die Union zu widersetzen, wie es früher unter Adenauer mit der Deutschen Partei und Vertriebenparteien geschehen ist. Es geht um bürgerliche Karrieren, es geht um gesellschaftliche Reputation – wer gibt einer sich dynamisch entwickelnden Formation den „Spin“? Wer hält dem sicher einsetzenden „Kampf gegen Rechts“ stand? Endet es in Anpassung und Auflösung oder in der Festigung einer konservativ-freiheitlichen Partei? Für Skepsis gibt es tausend gute Gründe – ich habe die Hoffnung, daß unser Parteienspektrum eine dringend notwendige Ergänzung erfährt.
(Sezession-Sonderheft Alternativen für Deutschland hier einsehen und bestellen)
Irrlicht
Interessant sind weniger die Aussagen über Identiäre oder AfD, sondern die Selbstauskünfte, vor allem der auf (rechts-)konservativer/rechter Seite allenthalben praktizierte Abgrenzungsritus. Für Dieter Stein ist die alles entscheidende Frage "welche deutsche Tradition er [der Patriot] für positiv hält und welchen Vorbildern er sich verpflichtet fühlt", m.a.W. wer nicht Stauffenberg huldigt ist Extremist.