Briefwechsel zwischen Claus Leggewie und Götz Kubitschek (Teil I)

Von Ende Februar bis Mitte April des vergangenen Jahres führten der Politikwissenschaftler Claus Leggewie und ich einen Briefwechsel. Leggewie hatte ihn angestoßen.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Mit­te April blieb der Aus­tausch ste­cken – Leg­ge­wie ant­wor­te­te nicht mehr. Daß er genug gesam­melt hat­te, um dar­aus ein Süpp­chen zu kochen, ist mir seit ges­tern klar: Da las ich näm­lich in jener Map­pe, die mir einer mei­ner Mit­ar­bei­ter stets in der ers­ten Woche des Monats vor­legt und in der alle Arti­kel gesam­melt sind, in denen es auf irgend­ei­ne Wei­se um uns geht.

Einen Bei­trag, den die taz bereits im Sep­tem­ber ver­öf­fent­licht hat­te, fand ich erst jetzt, als ich zurück­blät­ter­te: Ich hat­te ihn bis­her über­se­hen, er han­delt davon, wie Claus Leg­ge­wie sein neu­es Buch im taz-Café prä­sen­tier­te.

Die Über­schrift: »Auf der Schwel­le zum Faschis­mus«, die Unter­über­schrift: »Radi­ka­le Iden­ti­tä­re bedro­hen Euro­pa« und über mich am Schluß fogen­der Absatz:

Schließ­lich sprach Leg­ge­wie noch von einem span­nen­den Mail­wech­sel mit dem AfD-Akti­vis­ten und Rechts­pu­bli­zis­ten Götz Kubit­schek. Die­ser sei ver­gleich­bar mit der RAF-Ter­ro­ris­tin Ulri­ke Mein­hof: „Die Iden­ti­tä­ren, die AfD, ste­hen auf der Schwel­le zum Faschismus.“

Von der Vor­gest­rig­keit die­ses Voka­bu­lars ein­mal abge­se­hen: Den Mein­hof-Ver­gleich ver­bat ich mir im Brief vom 2. März, und weil Leg­ge­wie das alles so lücken­haft und ten­den­zi­ös wie­der­gibt, muß nun der gan­ze Brief­wech­sel ans Licht. Hier ist Teil 1, Teil 2 folgt morgen.


Essen, 24. Febru­ar 2016

Sehr geehr­ter Herr Kubitschek,

Beim Durch­se­hen der Publi­ka­tio­nen und Ver­an­stal­tun­gen des IfS fällt mir der ver­mehr­te Gebrauch des Wor­tes »Wider­stand« auf. Geis­ti­ge Oppo­si­ti­on in der bestehen­den poli­ti­schen Kul­tur ist ihre Grup­pe ja von vorn­her­ein und grund­sätz­lich, mir scheint aber, dass sich mit der bewuss­ten Set­zung die­ses Begriffs nun eine aktio­nis­ti­sche Kom­po­nen­te ver­stärkt, nach­dem sie bis­lang eher rhe­to­ri­scher Natur geblie­ben war. Drän­gen Sie jetzt zur Tat, weil sich die Ver­hält­nis­se aus Ihrer Sicht so ent­schie­den ver­schlech­tert haben, weil sich eben­falls aus Ihrer Sicht die Bun­des­re­gie­rung genau wie der loka­le Staat als unfä­hig erwei­sen? Oder blei­ben Sie bei der bekann­ten Reser­ve der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tio­nä­re, etwa Ernst Jün­gers, der Wider­stän­di­ges in der pro­gram­ma­tisch so genann­ten Zeit­schrift Ernst Nie­kischs Der Wider­stand publi­zier­te und sei­ne Ideen Adolf Hit­ler zusand­te, sich aber mit der damals auf­stre­ben­den natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Bewe­gung dann doch nicht gemein machen woll­te? Mit ande­ren Wor­ten: Bleibt Wider­stand bei Ihnen ein ver­ba­ler Radi­ka­lis­mus, der die Gedan­ken schär­fen und zuspit­zen soll, oder ist da die Ver­su­chung, sich akti­ver in den Tumult ein­zu­mi­schen, sei es nun in einer rech­ten Par­tei oder in einer außer­par­la­men­ta­ri­schen Bewe­gung, bei Straßendemonstrationen?

Gruß,
Claus Leggewie

 

Schnell­ro­da, 29. II. 2016

Sehr geehr­ter Herr Pro­fes­sor Leggewie,

dan­ke für Ihre Zei­len, wir sind also gleich beim neur­al­gi­schen Punkt. Vor­weg: Daß unser – das rechts­in­tel­lek­tu­el­le – Milieu “von vorn­her­ein und grund­sätz­lich” in der bestehen­den poli­ti­schen Kul­tur “geis­ti­ge Oppo­si­ti­on” sei, stimmt inso­fern, als wir an Gesell­schafts­expe­ri­men­ten per se nichts Gutes fin­den kön­nen und in der kin­di­schen Art der Gegen­warts­deut­schen, sich in einem Post-His­toire zu wäh­nen und die Moral mit der Poli­tik zu ver­wech­seln, eine äußerst fahr­läs­si­ge Fehl­hal­tung zu den Erfor­der­nis­sen der Zeit sehen.

Mit Ihrer Annah­me haben Sie recht: Man muß sich »ver­hal­ten« in einer sol­chen Zeit, und weil unser Ansatz schon immer ein enga­gier­ter, kein bloß beschrei­ben­der war, gera­ten wir nun wie von selbst in die Rol­le eines nicht mehr nur grund­sätz­li­chen, meta­po­li­ti­schen Akteurs. Aktiv zu wer­den, ein­zu­grei­fen, mit­zu­ma­chen, den Ball nicht nur zu beschrei­ben, son­dern ihn zu spie­len – das ist eine Chan­ce zur Aus­wei­tung. Wir wer­den sogar dazu auf­ge­for­dert, jetzt nicht abseits zu tre­ten. Wir haben in unse­rem nicht klei­nen Milieu den Ruf, maß­ge­bend zu sein, expe­ri­men­tier­freu­dig, ein­falls­reich, tat­säch­lich set­zend: Vie­le, die uns seit Jah­ren ken­nen und lesen, erwar­ten nicht län­ger nur unse­ren beson­de­ren Ton und ein paar Umset­zungs­ideen, son­dern poli­ti­sches Ein­grei­fen, Betei­li­gung, direk­te Aktion.

Sie, Herr Pro­fes­sor, stel­len Ihre Fra­ge nun genau in der Pha­se, in der sich ent­schei­den wird, wie weit wir gehen. Das Vor­zeich­nen und Vor­den­ken mög­li­cher Wider­stands­schrit­te, das Erar­bei­ten einer Stu­die zum grund­ge­setz­lich ver­an­ker­ten Wider­stands­recht, die Klä­rung der Lage in ein­fa­chen Wor­ten vor tau­sen­den Demons­tran­ten, eine Wider­stands­aka­de­mie mit 130 Stu­den­ten in Schnell­ro­da – es ist die­se Mischung aus Wis­sen­schaft, Struk­tur und Akti­on, die uns als Takt­ge­ber legi­ti­miert und uns die not­wen­di­ge Auto­ri­tät ver­schafft. Wir hal­ten unse­re Köp­fe hin, aber eben längst nicht über­all und nicht für die geschei­ter­ten Ansät­ze von vor­ges­tern, und die­se Beur­tei­lungs­si­cher­heit wirkt ord­nend und mobi­li­sie­rend zugleich, das neh­men wir wahr.

Selbst­be­wußt aus­ge­drückt: Der Wider­stand und die Ver­tei­di­gung des Eige­nen fin­den dort ihre ange­mes­se­ne, aus­ge­wo­ge­ne Form, wo wir uns betei­li­gen! Was mei­nen Sie? Ist das dann bloß Ver­bal­ra­di­ka­lis­mus oder doch hand­lungs­ge­deck­te Theorie?

Es grüßt
Götz Kubitschek

Essen, 1. März 2016

Sehr geehr­ter Herr Kubitschek,

dan­ke für die Offen­heit. Es ist gut Bescheid zu wis­sen, wenn Ihr Milieu erwägt, das „bloß beschrei­ben­de“, die Meta­po­li­tik ver­las­sen und in direk­ter Akti­on poli­tisch ein­grei­fen zu wol­len. Sie nen­nen drei oder vier Eska­la­ti­ons­stu­fen von der staats­recht­li­chen Stu­die zum Wider­stands­recht über die aka­de­mi­sche Dis­kus­si­on mit Gleich­ge­sinn­ten bis zur Rede auf öffent­li­chen Plät­zen, womit wohl auch Ihre eige­nen Auf­trit­te vor Pegi­da gemeint ist – Wis­sen­schaft, Struk­tur, Akti­on. Lage­be­schrei­bung und Rede­wei­se erin­nern mich an ana­lo­ge Situa­tio­nen in einem ande­ren Milieu, das Ihnen ob sei­ner „Gesell­schafts­expe­ri­men­te“ (wor­auf ich noch zurück­kom­men möch­te) zwei­fel­haft, ja abscheu­lich vor­kom­men dürf­te. »Pro­test ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht. Wider­stand ist, wenn ich dafür sor­ge, daß das, was mir nicht paßt, nicht län­ger geschieht. Pro­test ist, wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit. Wider­stand ist, wenn ich dafür sor­ge, daß alle andern auch nicht mehr mit­ma­chen.« Auf­ge­schnappt hat den Satz Ulri­ke Mein­hof 1968 auf einem Teach-in von Black Pan­thern in Ber­lin, und sie ver­schärf­te ihren Ton nach dem Mord­an­schlag eines Ultra­rech­ten auf Rudi Dutsch­ke, sie mach­te sich auf den Weg in den Unter­grund in einen Wider­stand, bei dem als­bald „natür­lich geschos­sen“ wer­den durfte.

Das war gewiß nicht die Regel, aber eine gedank­li­che Abwä­gung, die sei­ner­zeit vie­le beweg­te, die sich spä­ter mehr oder weni­ger ent­schie­den von der „Baa­der-Mein­hof-Grup­pe“ absetz­ten. Auch „68er“ berie­fen sich auf jenen Art 20, Absatz 4, mit dem sich Ihre Win­ter­aka­de­mie befasst hat und Ihr Milieu offen­bar wei­ter beschäf­ti­gen will: »Gegen jeden, der es unter­nimmt, die­se ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung zu besei­ti­gen, haben alle Deut­schen das Recht zum Wider­stand, wenn ande­re Abhil­fe nicht mög­lich ist.« Die in Deutsch­land sta­tio­nier­ten Atom­spreng­köp­fe waren spä­ter ein wei­te­rer Anlass, Wider­stands­recht zu rekla­mie­ren oder, was etwas ande­res ist, zivi­len Ungehorsam.

Die APO hat­te sich ange­sichts der Not­stands­ge­setz­ge­bung der Gro­ßen Koali­ti­on in eine Situa­ti­on hin­einfan­ta­siert, in der sie einen »Angriff auf die grund­le­gen­de Ord­nung als sol­che« wit­ter­te (gegen die, noch eine Ana­lo­gie?, sie grund­sätz­li­che Ein­wän­de hat­te) und alle ande­ren lega­len Mög­lich­kei­ten einer Gegen­wehr für aus­ge­schöpft erklär­te, als stün­de der Faschis­mus vor der Tür.

Wenn man Ihre Adres­sen an Dresd­ner Bür­ger und Bur­schen­schaft­ler ernst neh­men soll, kön­nen sie eine ähn­lich kapi­ta­le Fehl­wahr­neh­mung und Selbst­über­schät­zung kaum aus­schlie­ßen, und was mich atmo­sphä­risch noch mehr inter­es­siert ist, was Ihnen durch den Kopf geht, wenn Ihre Volks-Reden auf dem Neu­markt in Dres­den das Stak­ka­to »Wider­stand, Wider­stand!« auslösen?

Gruß,
Claus Leggewie

 

PS: Auf dem Weg nach Karls­ru­he zum Par­tei­ver­bots­ver­fah­ren gegen die NPD, die eben Poli­zis­ten und Sol­da­ten auf­ge­for­dert hat, dar­über nach­zu­den­ken, wem ihre Soli­da­ri­tät gel­ten wer­de, wenn das deut­sche Volk akti­ven Wider­stand dem­nächst gegen die Bun­des­re­gie­rung leis­te. Die Par­tei erin­nert an die Situa­ti­on 1989 in der DDR, als es ähn­lich gewe­sen sei. Ihre Rede?

 

Schnell­ro­da, 2. III. 2016

Sehr geehr­ter Herr Pro­fes­sor Leggewie,

ich gehe davon aus, daß Sie sehr genau wis­sen, wie unstatt­haft es ist, mein Han­deln, mei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen und mei­ne Reden und Vor­trä­ge mit dem zu ver­glei­chen, was Ulri­ke Mein­hof als Theo­re­ti­kern äußer­te und spä­ter als Ter­ro­ris­tin tat. Wenn Sie den fun­da­men­ta­len Unter­schied zwi­schen mei­nen mas­sen­haft unter­stütz­ten, fried­li­chen und ange­mes­se­nen Wider­stands­schrit­ten und einer mit­mor­den­den RAF-Ter­ro­ris­tin bewußt auf­he­ben, müs­sen wir nicht wei­ter­dis­ku­tie­ren. Wenn Sie mich indes nur pro­vo­zie­ren woll­ten, dann erklä­re ich Ihnen mei­net­hal­ben noch ein­mal, was Sie sowie­so schon wis­sen: Inner­halb einer Situa­ti­on plan­lo­sen Regie­rungs­han­delns gehö­re ich zu den­je­ni­gen, die das Min­des­te for­dern und zu ver­tei­di­gen bereit sind: die Rechts­ord­nung unse­res Staa­tes und vor allem sei­ne Ver­fas­sungs­iden­ti­tät, die das deut­sche Volk als nicht ver­han­del­ba­ren Sou­ve­rän vorsieht.

Also noch­mal: Der Wider­stand und die Ver­tei­di­gung des Eige­nen fin­den dort ihre ange­mes­se­ne, aus­ge­wo­ge­ne Form, wo wir uns betei­li­gen, das schrieb ich im vor­he­ri­gen Brief bereits, und das bedeu­tet nichts ande­res, als daß ich der Ent­hem­mung der Aus­ein­an­der­set­zung um die Asyl­ka­ta­stro­phe mit Grau­sen und Ver­zweif­lung ent­ge­gen­bli­cke: Sie war nicht not­wen­dig, ist nun aber kaum mehr auf­zu­hal­ten (so zumin­dest mei­ne Pro­gno­se). Die Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit des Regie­rungs­han­delns sprengt alles, was ich mir vor­stel­len konn­te, und selbst Sie wer­den ver­blüfft sein über die unbe­ein­druck­te Art und Wei­se, mit der Mer­kel und ande­re sich über Geset­ze und Ver­fah­rens­we­ge hin­weg­set­zen. Das ist arro­gan­te Macht im Mensch­lich­keits­män­tel­chen, oder? Dage­gen muß das Volk macht­voll auf­tre­ten, und dem hel­fe unter ande­rem ich den Weg zu bahnen.

Wenn wir auf die­ser Grund­la­ge dis­ku­tie­ren kön­nen und ohne wei­te­re unstatt­haf­te Unter­stel­lun­gen aus­kom­men, kann unser Gespräch wei­ter­ge­hen. Die Ange­le­gen­heit ist zu ernst für künst­li­ches Feu­er, es brennt sowie­so schon lich­ter­loh. Die Ent­schei­dung liegt bei Ihnen!

Es grüßt
Götz Kubitschek

 

Essen, 2. März 2016

Sehr geehr­ter Herr Kubitschek,

da Sie offen­bar ein Nacht­ar­bei­ter und ich ein Früh­auf­ste­her bin, kreu­zen sich unse­re Zei­len fast in Echt­zeit. Zum Umgang mit­ein­an­der eine Bit­te: »unstatt­haft« soll­te in einem Dia­log von Anti­po­den, die wir sind und blei­ben, die aber die Argu­men­te der ande­ren Sei­te respek­tie­ren und zu mehr Klar­heit über die geis­ti­ge Situa­ti­on der Zeit drän­gen – unstatt­haft sein. Allein die Tat­sa­che, dass wir mit­ein­an­der kor­re­spon­die­ren, gilt in mei­nem wie Ihrem Milieu als unstatt­haft – sie schrei­ben sich ja mit dem Impor­teur (nicht Erfin­der) des Begriffs »Mul­ti­kul­ti«, was mich in den Augen man­cher zum Unbe­rühr­ba­ren macht. Und ich kämp­fe, was die Remi­nis­zenz an die RAF betrifft, schon lan­ge den anschei­nend ver­geb­li­chen Kampf eines Kom­pa­ra­tis­ten, für den ver­glei­chen eben nicht gleich­set­zen ist, son­dern heißt: die Unter­schie­de her­aus­strei­chen. Das ist kein künst­li­ches Feu­er, das ist der Königs­weg der Erkenntnis.

Las­sen wir also die Un-Per­son Mein­hof aus dem Spiel und kom­men zum Kern der Fra­ge, die ich Ihnen gestellt habe. Sie betrifft den exis­ten­zi­el­len und poli­tisch-emo­tio­na­len Punkt, an dem Sie, wenn ich Kubit­schek (via you­tube) reden höre, doch ganz offen­bar sind: Wie kommt man vom dis­kur­si­ven Pro­test, vom ver­ba­len Dage­gen­sein, in den radi­ka­le­ren, ris­kan­te­ren Modus der ver­än­dern­den Akti­on, also zum täti­gen Ver­hin­dern des Übels, das Sie (ich nicht) in der Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit des Regie­rungs­han­delns erblicken?

Mein zeit­his­to­ri­scher Exkurs in die Sech­zi­ger Jah­re ging ja genau in die Rich­tung, dass es die Pro­pa­gan­da der Tat nicht ist, also auch nicht ein Ter­ror von rechts, wie ihn der unsäg­li­che NSU insze­niert hat, oder Vor­läu­fer, die mit Mor­den und Schre­cken ein Fanal set­zen woll­ten, also auch nicht die „Akti­on Wider­stand“, die sich 1970 im Ver­falls­pro­zeß der NPD bil­de­te, um die Brandt­sche Ost­po­li­tik zu ver­hin­dern. Das war für die dama­li­ge Rech­te ein eben­so ver­ant­wor­tungs­lo­ses Regie­rungs­han­deln, wie sie es heu­te bei Mer­kel ent­de­cken. Da das kaum noch jemand in Erin­ne­rung hat (die Bespre­chung der aktu­el­len Lage ist ins­ge­samt völ­lig unhis­to­risch), sei dar­an erin­nert (und bit­te: wie­der nicht gleich­ge­setzt!), dass sich bei dem Besuch von DDR-Minis­ter­prä­si­dent Wil­li Stoph in Kas­sel aus einer Demons­tra­ti­on eine klei­ne Grup­pe Wider­stands­wil­li­ger her­aus-ent­wi­ckel­te, die „mehr“ woll­ten als Paro­len, näm­lich Wider­stand leis­ten. Das war ein Sam­mel­be­cken alter Nazi-Hau­de­gen wie Arthur Ehr­hardt, aber auch der Impuls zu Grün­dung der „Jun­gen Natio­nal­de­mo­kra­ten“, die aktio­nis­tisch aus­ge­rich­tet und dabei deut­lich von der Stu­den­ten­re­vol­te inspi­riert waren. Als auch das im San­de ver­lief, bil­de­ten sich die genann­ten NSU-Vor­läu­fer, Küh­nen, Bus­se et al. Auch Man­fred Roe­der, der in den Unter­grund ging.

Mit Armin Moh­ler habe ich das Ver­hält­nis von rech­ten Intel­lek­tu­el­len zu Tätern dis­ku­tiert und er sag­te mir damals: „Dem Man­fred Roe­der gegen­über habe ich oft ein schlech­tes Gewis­sen gehabt, auch sei­ne toll­küh­ne Art bewun­dert, die er hat­te. Hät­te ich ihn ken­nen­ge­lernt, wäre ich vor sei­ner Unbe­dingt­heit aber sicher zurück­ge­schreckt. Ich mache mir nichts vor: ich bin kein Tat-Mensch.“ Heu­te kön­ne man, „höchs­tens ver­su­chen, geis­tig stramm zu sein.“ So inter­pre­tie­re ich Ihre Hoff­nung, rich­tungs­wei­send zu sein und zusam­men mit dem Behar­ren auf „fried­li­chen und ange­mes­se­nen Wider­stands­schrit­ten” und der Distan­zie­rung, die Sie bei Ihrer Pegi­da-Rede im Okto­ber, ersicht­lich etwas cont­re-coeur, ange­bracht haben: von den­je­ni­gen, „die einen gewalt­tä­ti­gen Auf­stand des Vol­kes for­dern oder sich dar­an berau­schen, daß man zu den Waf­fen grei­fen soll­te. Ich bit­te Euch drin­gend: Wehrt sol­che For­de­run­gen ab, ver­bie­tet sol­chen Auf­wieg­lern den Mund, von Ver­rück­ten oder von Pro­vo­ka­teu­ren las­sen wir uns nichts sagen.“ Hören die Leu­te auf Sie? Alle?

Damit ist das geis­ti­ge Anbah­nen wohl abge­steckt: fried­li­cher zivi­ler Unge­hor­sam auf der nor­ma­ti­ven Basis des Art 20 (4) GG, aber eben auch mehr als ein Leit­ar­ti­kel in der FAZ oder der Jun­gen Frei­heit? Über den Zwi­schen­raum, die ris­kan­te Grau­zo­ne, soll­ten wir uns etwas genau­er unterhalten.

Gruß,
Claus Leggewie

Schnell­ro­da, 3. III. 2016

Sehr geehr­ter Herr Pro­fes­sor Leggewie,

Sie irren sich: In “mei­nem Lager” gilt es nicht als unstatt­haft, daß ich mit Ihnen kor­re­spon­die­re, son­dern als über­fäl­lig. Man wünscht sich ja kei­ne Geg­ner von der Preis­klas­se Bednarz, Gie­sa, Speit und Aug­stein, son­dern Kon­tra­hen­ten, die Ver­ständ­nis­lü­cken stop­fen und Grau­be­rei­che aus­leuch­ten wol­len Und ob Sie nun den Begriff “Mul­ti­kul­ti” impor­tiert haben – geschenkt: Unser Land ist voll von ideo­lo­gi­schem Ramsch. Ihr Import ist nicht das ein­zi­ge fahr­läs­si­ge Expe­ri­ment, vor dem die plau­dern­de Klas­se nun sitzt und leug­net, was sich der Ver­suchs­an­ord­nung wie­der und wie­der nicht ein­fü­gen las­sen will: Iden­ti­tät, Durch­set­zungs­wucht, Glau­be, Unver­träg­lich­keit, his­to­ri­sche Exis­tenz, Irrationalität.

Die Kom­pa­ra­tis­tik las­sen wir also sein, Kubit­schek mit Mein­hof zu ver­glei­chen, die “Neue Rech­te” mit der RAF, ein Fahr­rad mit einem Fisch – das trägt nichts aus. Aber Ihre Kern­fra­ge trägt etwas aus, die Fra­ge näm­lich, was jemand wie ich ris­kiert, wenn er nicht mehr nur schreibt, son­dern ver­än­dernd agiert. Sie nen­nen die Zone, in der ich mich neben ande­ren auf­hal­te, die »ris­kan­te Grau­zo­ne«, und ich habe die­sen Bereich in vie­len Bei­trä­gen und Reden abge­steckt, nann­te ihn irgend­wann Die Spur­brei­te des schma­len Grats.

Zunächst nun his­to­risch, gera­de weil das immer wie­der als Denun­zia­ti­ons­be­griff auf uns ange­wen­det wird: Vie­le tra­gen­de Per­sön­lich­kei­ten der »Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on« haben sich im Nach­gang gefragt, war­um die eige­nen, im Ver­gleich zum Natio­nal­so­zia­lis­mus maß­vol­len, also kon­ser­va­ti­ven Ideen und Gesell­schafts­ord­nungs­plä­ne sich nicht durch­setz­ten, son­dern eben der NS. Der Grund ist, daß Hit­ler die Wie­der­auf­rich­tung der Nati­on nach Ver­sailles mas­sen­kom­pa­ti­bel und letzt­lich am bil­ligs­ten ver­kauf­te, wäh­rend die Ansät­ze der KR in ihrer Dif­fe­ren­ziert­heit ein Eli­te­pro­jekt blie­ben. Hin­zu kom­men die Durch­set­zungs­wucht und die Skru­pel­lo­sig­keit, mit denen die NSDAP agier­te. Ein Bei­spiel: Als in den letz­ten Mona­ten des Jah­res 1932 eine Regie­rungs­über­ga­be an Hit­ler immer wahr­schein­li­cher wur­de, erar­bei­te­te ein KR-Kreis für Gene­ral v. Schlei­cher das Kon­zept einer Prä­si­di­al­re­pu­blik, die in der Ver­fas­sung so nicht vor­ge­se­hen war, aber einen maß­vol­len natio­na­len »Füh­rer« mit der auf die Reichs­wehr gebau­ten Macht aus­ge­stat­tet und so den Kampf gegen die Abschaf­fung der Repu­blik durch radi­ka­le Kräf­te wir­kungs­voll gemacht hät­te. Frucht die­ser letz­ten Ver­su­che, Hit­ler zu ver­hin­dern, ist unter ande­rem die Schrift Lega­li­tät und Legi­ti­mi­tät aus der Feder Carl Schmitts. Aber: Das Legi­ti­me zu tun, um den Staat vor dem Tota­li­ta­ris­mus zu ret­ten, ging gegen das Gewis­sen und die Rechts­treue der KR-gefüt­ter­ten Poli­tik, und nach dem 30. Janu­ar 1933 bewies dann der NS, wie gna­den­los man aus der Ver­fas­sung her­aus agie­ren konn­te (Ermäch­ti­gungs­ge­setz usf.).

Ich ver­glei­che das nun mit unse­rer Lage: Dut­zen­de Juris­ten (bis hin zu ehe­ma­li­gen Ver­fas­sungs­rich­tern) bezeich­nen das Regie­rungs­han­deln der letz­ten andert­halb Jah­re als »schlei­chen­den Staats­streich«. Die mas­sen­haf­te, plan­lo­se, ille­ga­le Ein­wan­de­rung gefähr­de in hohem Maße die Ver­fas­sungs­iden­ti­tät Deutsch­lands, das Volk (der Sou­ve­rän) sei eben kei­ne kon­stru­ier­ba­re, belie­big ergänz­ba­re und aus­tausch­ba­re Mas­se, son­dern eine his­to­risch und eth­no­kul­tu­rell umris­se­ne Grö­ße und Soli­dar­ge­mein­schaft, die das Demo­kra­tie­prin­zip gera­de auf­grund ihrer rela­ti­ven Homo­ge­ni­tät ver­wirk­li­che, undsoweiter.

Die Fra­ge lau­tet: Wie ver­hal­te ich mich, wenn ich den schlei­chen­den Staats­streich nicht nur kom­men­tie­rend beglei­ten will, weil ich weiß, daß die­ses Kom­men­tie­ren nicht hin­rei­chen wird? Wie ver­hal­te ich mich, wenn ich sehe, daß Bewe­gun­gen wie die Pegi­da oder Par­tei­en wie die AfD kri­mi­na­li­siert, jeden­falls auf eine einer Demo­kra­tie so unwür­di­gen Art bekämpft wer­den, daß von staat­li­cher Neu­tra­li­tät kei­ne Rede mehr sein kann? Wie ver­hal­te ich mich, wenn der Staat zur Beu­te jener gewor­den ist, die sei­nen inne­ren Frie­den und sei­ne Staat­lich­keit an sich in so hohem Maße gefähr­den? Und wie ver­hal­te ich mich, wenn ich weiß, daß die expe­ri­men­tier­freu­di­ge Klas­se selbst stets alle Schäf­chen im Tro­cke­nen hat, daß also die­je­ni­gen, die uns allen die Sup­pe ein­bro­cken, nie dort sind, wo sie aus­ge­löf­felt wer­den muß? Was ist Ver­ant­wor­tungs­ethik, was Gesin­nungs­ethik in unse­rer Lage? Und zuletzt: Was ist, wenn der ange­mes­se­ne Wider­stand wie­der­um unter­liegt, weil er zu zag­haft war, und dann tat­säch­lich ein gewalt­tä­ti­ger, punk­tu­ell bra­chia­ler und ent­hemm­ter Wider­stand gegen die Regie­rungs­po­li­tik sich Bahn bricht?

Das ist die Ver­hal­tens­fra­ge inner­halb der Grau­zo­ne, in der ich mich bewe­ge: Nicht das Not­wen­di­ge zu tun, wäre ver­ant­wor­tungs­los, und die­ses Not­wen­di­ge hat eben eine dop­pel­te Front­stel­lung. Es ist zum einen not­wen­dig, den schlei­chen­den Staats­streich zu ver­hin­dern und es ist zum andern not­wen­dig, dies der Lage ange­mes­sen und fried­lich zu tun, also zu ver­hin­dern, daß der Wider­stand genau dort lan­det, wo ihn die Betrei­ber des Staats­streichs haben möch­ten: In gewalt­tä­ti­gen, häß­li­chen, maß­lo­sen Aus­brü­chen Ein­zel­ner oder gan­zer Grup­pen, die den Nutz­nie­ßer der Lage (den Asy­lant) mit dem Ver­ant­wort­li­chen (der Regie­rung) verwechseln.

Ich war vor einem Jahr kon­ster­niert über die Ver­leum­dung einer so fried­li­chen Bür­ger­be­we­gung wie der Pegi­da und ich neh­me heu­te fas­sungs­los die Ent­hem­mung der Spra­che und der Feind­mar­kie­rung durch lin­ke Kräf­te wahr. Ein Jakob Aug­stein kann im Spie­gel ein­fach schrei­ben: “Rechts und intel­lek­tu­ell, das passt schlecht zusam­men. Bei den Rech­ten wer­den Bücher eher ver­brannt als gele­sen.” Bit­te: Was soll ich auf eine sol­che iro­nie­frei vor­ge­tra­ge­ne Bos­heit, zu einem sol­chen zün­deln­den Jün­gel­chen noch sagen? Mir bleibt die Über­zeu­gung, daß selbst in einer sol­chen Atmo­sphä­re ein beson­ne­nes Wort doch etwas aus­rich­tet. Daß unse­re Geg­ner das Beson­ne­ne für Tak­tik hal­ten, gehört zu deren Tri­bu­nal­men­ta­li­tät. Indes, ich mei­ne es ernst: Die klei­ne Ord­nung ver­let­zen, um die gro­ße Ord­nung zu ret­ten – das ist die Quint­essenz einer mei­ner Wider­stands­re­den, die Quint­essenz der Beschäf­ti­gung mit dem 20/4er GG, und ich bekom­me die zugleich mobi­li­sie­ren­de wie ord­nen­de Wir­kung die­ser mas­sen­taug­li­chen For­mel sehr oft bestä­tigt. Und wenn die Leu­te dann »Wider­stand, Wider­stand« rufen, dann ist das für mich ein Zei­chen dafür, daß die not­wen­di­ge Ent­schlos­sen­heit neben der Fried­fer­tig­keit ihren ange­mes­se­nen Platz ein­zu­neh­men beginnt.

Es grüßt
Götz Kubitschek

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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