Ich war dabei

Noch auf der Autobahn Richtung Dresden stand keineswegs fest, ob wir uns zu den Trauermärschlern der Jungen Landsmannschaft gesellen würden.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Bes­ser: inwie­fern den Ankün­di­gun­gen zu trau­en sei, daß es sich um eine wür­di­ge Gedenk­ver­an­stal­tung han­deln wür­de. Die Jah­re davor, so hat­ten uns Vete­ra­nen die­ser Ver­an­stal­tung berich­tet, sei das tat­säch­lich so gewe­sen. Das sei kein Glat­zen­auf­marsch, son­dern ein sehr stil­les, ja schweig­sa­mes „Gesicht­zei­gen“.

Von einem neu­tra­len Punkt aus kann man sich kein Bild machen. Und ver­läßt man sich in einer solch wich­ti­gen Fra­ge auf die Bericht­erstat­tung von außen?

Kurz nach der Auto­bahn­ab­fahrt die ers­te Stra­ßen­sper­re durch gro­ßes Poli­zei­auf­ge­bot. Bus­se und PKW vor uns waren her­aus­ge­wun­ken oder umge­lei­tet wor­den. „Wol­len Sie zum Umzug?“ „Umzug? Ist hier wegen Fasching die Höl­le los? Nee, wir haben Kar­ten fürs Machi­ne­head-Kon­zert.“ Wir park­ten drei, vier Kilo­me­ter vorm Neu­städ­ter Bahn­hof. Zu Fuß hat­ten wir ein paar Poli­zei­ab­sper­run­gen zu pas­sie­ren. „Wol­len Sie zum Trau­er­marsch?“ – „Ja“. – „Der fin­det in der Alt­stadt statt.“ – „Nö, der beginnt am Neu­städ­ter Bahn­hof!“ – „Na, wol­len Sie zum eigent­li­chen Trau­er­marsch oder zu den Nazis?“ – „Weder noch, wir wol­len zur Ver­an­stal­tung der JLO.“

Am Neu­städ­ter Bahn­hof hat sich vor dem Poli­zei­zelt als Schleu­se zur Ver­an­stal­tung eine Armee aus Pho­to­gra­phen pos­tiert. Zig Kame­ras wer­den uns vors Gesicht gehängt. Wie 99 Pro­zent der ande­ren Teil­neh­mer tra­gen wir kei­ne Son­nen­bril­len, allein dar­an lie­ßen sich schon vor­her auf der Stra­ße Lin­ke ganz gut von Rech­ten unter­schei­den – jeden­falls dort, wo’s zwei­fel­haft war. Ein Typ mit Paläs­ti­nen­ser­tuch und Pier­cings ohne Son­nen­bril­le dürf­te ein „Rech­ter“ sein, ein ähn­li­cher Typus mit Son­nen­bril­le eher ein Linker.

Dres­de­ner Neu­stadt: Wir haben hier selbst mal zwei Jah­re gewohnt. Die Damen und Her­ren Poli­zis­ten von der Klei­der- und Taschen­kon­trol­le sind nett bis zur Herz­lich­keit, „viel Ver­gnü­gen“ wün­schen sie leicht depla­ziert rund­um. Punkt zwölf – Ver­an­stal­tungs­be­ginn – ist der Platz noch ziem­lich leer. Eini­ge älte­re Leu­te, bür­ger­lich mit Hut und Loden­man­tel, ste­hen her­um, und viel­leicht 500 jün­ge­re, in schwar­zen Hosen und kur­zen schwar­zen Jacken ohne Auf­schrif­ten. Was ist los? „Die gan­zen Bus­se ste­cken fest“, heißt es auf Anfra­ge, die „Kame­ra­den“ sei­en poli­zei­lich an den Stadt­gren­zen an der Wei­ter­fahrt gehin­dert wor­den. Außer­dem hät­ten Gegen­de­mons­tran­ten Dut­zen­de Kilo­me­ter vor Dres­den die Schie­nen blockiert.

Zur Zeit kom­men auf jeden „Trau­er­mär­sch­ler“ geschätzt andert­halb Poli­zis­ten. Unter den Odnungs­hü­tern sind ganz ver­ein­zelt Frau­en, unter den Kund­ge­bungs­leu­ten auf­fal­lend vie­le – viel­leicht 20 Pro­zent? Neben bür­ger­lich wir­ken­den Damen auch zahl­rei­che jun­ge Mäd­chen, zum klei­ne­ren Teil gepierc­te mit auf­fal­lend gefärb­ten Haa­ren, in der Mehr­zahl sol­che mit Rock und eng tail­lier­ten Jacken. Zuge­wand­te Gesich­ter, freund­li­ches Zulä­cheln und über­haupt: Im Ver­gleich zur durch­schnitt­lich bun­des­deut­schen Fuß­gän­ger­zo­ne schnei­det das Publi­kum recht güns­tig ab. Auch die paar bul­li­gen Män­ner mit täto­wier­ten Köp­fen hal­ten sich an Tee­be­chern fest: Es gilt strik­tes Alko­hol­ver­bot. Aus den zwei Hub­schrau­bern, die weit­räu­mig über dem Ort krei­sen und gele­gent­lich für Vier­tel­stun­den ver­schwin­den, sind gegen zwei Uhr sechs gewor­den. Der Platz füllt sich.

Von einem Bekann­ten kommt eine SMS: Er und sei­ne Freun­de haben in Rade­beul (!) den Zug ver­las­sen müs­sen, nun blo­ckie­ren über­all Lin­ke den Weg. Bis­lang wur­de der Platz ver­an­stal­ter­seits mit Wagn­er­klän­gen und pathe­tisch-getra­ge­ner Film­mu­sik beschallt, den Leu­ten gefällt das ganz gut.

Frank Ren­ni­cke, der „natio­na­le Bar­de“ greift zum Mikro­phon. Die Anspra­che, die er hält, mit hel­ler, schnei­den­der Stim­me hat er in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren so ähn­lich schon hun­der­te­mal gehal­ten. Es geht um die „kor­rup­ten Poli­ti­ker“, die „Polit­ma­fia“, die “Links­fa­schis­ten” und so fort, neben­bei natür­lich auch um Dres­den 1945. Dann greift er zur Klamp­fe und singt sei­ne alten Schla­ger. „Deutsch­land, Deutsch­land über alles – und das Volk wird neu erste­hen“ und so was. Als drit­tes das Ost­preu­ßen­lied, kei­ner singt mit, die Roto­ren der Hub­schrau­ber erschwe­ren zusätz­lich das Ver­ständ­nis. Am Ende wen­det sich Ren­ni­cke – auch das ein gän­gi­ger Topos sei­ner Reden – an die „jun­gen Män­ner und Frau­en“ der Poli­zei. Er selbst jeden­falls habe sei­ne sechs Kin­der nicht des­halb in die Welt gesetzt, damit sie die­sem Staa­te die­nen, die jun­gen Leu­te in Grün mögen mal drü­ber und über das “Sys­tem” nach­den­ken. Und mit Blick zum Him­mel: „Wie schön, daß wir hier einer Mili­tär­übung bei­woh­nen dürfen!“

Gegen 15 Uhr ist der Platz gut gefüllt, viel­leicht 4000 Leu­te? Nichts „bro­delt“, es herrscht Gelas­sen­heit. An einen Beginn des Trau­er­mar­sches ist nicht zu den­ken. Von Unwil­len ist wenig spür­bar, der Geg­ner frie­re sich sit­zend „den Arsch ab“, man selbst habe zwar lang­sam kal­te Füße, aber eine gute Stim­mung. Einer sagt: „Ist aber auch kraß, daß die mit ihren Heli­ko­ptern grad heu­te üben. – Der Herr Rei­ni­cke hat doch gesagt, daß heut zufäl­lig eine Übung stattfindet!“

Der Bekann­te ist mitt­ler­wei­le ange­kom­men, es sei ein „recht beschis­se­ner“ Weg gewe­sen. Man habe schon unter­wegs die Fah­nen (schwar­ze und sol­che mit Län­der­wap­pen) geschwenkt, viel­leicht sei das der eigent­li­che Trau­er­marsch gewe­sen. Von Bahn­brü­cken habe es mas­si­ve Stei­ne geha­gelt auf die fast 1000 Mann, in deren Zug er sich beweg­te, aus ein­zel­nen Häu­sern sei­en Bier­fla­schen geflo­gen, es habe Ver­letz­te gegeben.

Auch Felix Men­zel (blauenarzisse.de) ist ein­ge­trof­fen und bringt ein paar Bil­der mit: 300 Meter ent­fernt bren­ne eine Stra­ßen­bahn, mit­ten im Pulk der Lin­ken. Die Poli­zei set­ze mitt­ler­wei­le Was­ser­wer­fer und Trä­nen­gas gegen gewalt­tä­ti­ge Blo­ckie­rer ein, über­all umge­wor­fe­ne Müll­ton­nen. Ein ande­rer, dezent lang­haa­rig mit Karo­hemd unter anzugs­ähn­li­cher Jacke zeigt Krat­zer an der Backe. Mit erho­be­nen Hän­den sei er durch Bar­ri­ka­den gegan­gen, er wis­se nicht, wie oft er bespuckt und getre­ten wor­den sei.

Gegen halb vier trifft eine zwei­und­sieb­zig­jäh­ri­ge Sezes­si­on-Lese­rin ein, die uns gleich erkennt. Sie sei im Mor­gen­grau­en zu Hau­se auf­ge­bro­chen, nun sei sie end­lich hier, nach unge­wollt lan­gem Fuß­marsch, und Punkt fünf fah­re ihr Zug wie­der ab. Mitt­ler­wei­le hat Dr. Björn Cle­mens, Spre­cher und juris­ti­scher Bei­rat der JLO, zum zwei­ten Mal zu einer Anspra­che ange­setzt. Vor fünf Jah­ren habe er an glei­chem Ort pro­phe­zeit, daß die offi­zi­el­le Opfer­zahl der alli­ier­ten Bom­ber­an­grif­fe, die sich einst auf 250.000 belie­fen, bald die damals „gül­ti­gen“ 35.000 unter­lau­fen wür­den. Noch bevor sei­ne dama­li­ge „Rede ver­hallt“ sei, sei man bei maxi­mal 25.000 Opfern ange­langt, Ten­denz: fal­lend. In zehn Jah­ren wer­de man von ca. 12.000 Toten spre­chen, und in zwan­zig Jah­ren davon, daß es kei­ne Bom­bar­die­rung gege­ben habe, son­dern Wehr­machts­sol­da­ten eine Brü­cke gesprengt und damit ein Groß­feu­er ent­facht hätten.

Cle­mens läßt sich nicht brem­sen; dies hier müs­se er noch aus­füh­ren, beschei­det er einem Mit­or­ga­ni­sa­tor: Die Rede kommt aufs „Grund­ge­setz, das unse­re Poli­ti­ker wie eine Mons­tranz vor sich her tra­gen“, und wel­che Arti­kel dadurch tan­giert wür­den, daß hier und jetzt der Rede­frei­heit und dem Demons­tra­ti­ons­recht kein Platz ein­ge­räumt wer­de. Und wei­ter: Daß der Holo­caust eine Zivil­re­li­gi­on gewor­den sei, und wie bit­ter das ihm, Björn Cle­mens, der kei­nes­falls den Holo­caust leug­nen oder beschö­ni­gen wol­le, auf­sto­ße. Holo­caust, Holo­caust, von mor­gens bis abends schal­le ihm das um die Ohren. Horst Mahler müs­se für eine Mei­nung elf Jah­re im Gefäng­nis schmo­ren; das schaf­fe kein Mes­ser­ste­cher. „Frei­heit für Horst Mahler!“ don­nert Cle­mens. Ver­hal­te­ner Applaus, auch Kopf­schüt­teln. Wozu sind wir noch mal hier? Es ist uns kurz ent­fal­len. Wegen Mahler oder wegen Dres­den? Wegen Dres­den natür­lich, das betont Cle­mens noch­mals, bevor er wie­der über etwas ande­res spricht. Die Rede endet dann mit einem Anru­fen Got­tes und letzt­lich mit einem „Amen“.

Ande­re Anspra­chen, anschei­nend Gedicht­re­zi­ta­tio­nen und ein Sprech­spiel für drei Stim­men, ent­ge­hen uns akus­tisch. Um kurz nach vier ver­las­sen wir den Ort, durch eini­ge Poli­zei­sper­ren. „Wohin wol­len Sie?“- „Zum Auto.“ Bei wel­cher Ant­wort wäre uns der Durch­gang ver­wei­gert wor­den? Bei „Fla­sche Schnaps holen“? „Uns bewaff­nen?“ Gleich drauf im Radio hören wir, daß „gewalt­tä­ti­ge Rech­te in Dres­den“ die Stadt in einen Aus­nah­me­zu­stand ver­setzt hät­ten. Anschei­nend eine Ver­an­stal­tung, die uns ent­gan­gen ist. Und, daß am Nach­mit­tag der Trau­er­zug der JLO sich doch noch in Bewe­gung setz­te. Auf ande­rem Pro­gramm, daß eine Kund­ge­bung ver­hin­dert wur­de. Wir wis­sens jetzt besser.

Bald, gegen fünf, macht das Gerücht – per SMS – die Run­de, daß es noch schlim­me Aus­schrei­tun­gen gege­ben hät­te, mit zwei Toten auf „natio­na­ler“ Sei­te. Die Nach­rich­ten wis­sen nichts davon, auch im Inter­net fin­det sich kei­ne Bestätigung.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.