… wenn man ihren Lebenslauf mit Interesse verfolgt hat. Irgendwann verschwinden sie, ziehen sich freiwillig zurück, aus Altersgründen, weil sie ihre letzten Jahre in Ruhe verbringen wollen, beschränken sich auf eine private Existenz.
Dem Verfasser ist es so mit Melita Maschmann gegangen, deren Todesanzeige am vergangenen Freitag erschien. Im Alter von 91 Jahren ist sie gestorben, Nachrufe fehlen, vielleicht folgen sie noch, aber sicher ist das nicht. Daß diese Journalistin und Buchautorin vergessen ist, liegt daran, daß sie nur einmal hervortrat, allerdings mit erheblicher Wirkung, durch Veröffentlichung des Buches Fazit, in dem sie 1963 einen Bericht über ihre Zeit in der Hitler-Jugend beziehungsweise dem BDM lieferte, ihre Motive, ihre Hitler-Begeisterung, den raschen Aufstieg zur hauptamtlichen Mitarbeiterin, Leiterin der Pressestelle im “Warthegau”, schließlich Referentin der Reichsjugendführung.
Daß das Buch den Untertitel “Kein Rechtfertigungsversuch” trug, zeigte schon an, daß die Autorin aus Distanz schrieb, ausdrücklich auch ihr eigenes Versagen – gemessen an sehr hohen Maßstäben – thematisierte und insofern zur “Bewältigung” der deutschen Vergangenheit beitragen wollte. Allerdings ist das, was sie vorlegte, unendlich weit entfernt von dem heute üblichen Moralisieren und Sentimentalisieren der einschlägigen Literatur. Der tragende Eindruck nach der Lektüre von Fazit ist das bemerkenswerte Maß an Ehrlichkeit und Bereitschaft, Auskunft über die Vergangenheit zu erteilen und darüber, welche Macht der Idealismus hat, auch und gerade dann, wenn er mißbraucht wird.
Wahrscheinlich hat mich die Lektüre des Buches von Melitta Maschmann unter anderem nachhaltig beeindruckt, weil sie mir eine interessante Erfahrung eintrug. Bei Gelegenheit kam ich mit einer Dame über die NS-Zeit ins Gespräch und sie begann reflexartig mit Entschuldigungen, obwohl sie 1945 gerade sechzehn Jahre alt war. Als ich sie beruhigen wollte und äußerte, daß sie doch aufgrund ihrer Jugend gar keine Verantwortung trage, sagte sie: “Aber ich habe meiner Mädelführerin alles geglaubt, und die hat Hitler alles geglaubt.”
Ich empfahl ihr, das Fazit zu lesen, und wir hatten Gelegenheit, uns darüber bei anderer Gelegenheit zu unterhalten. Sie meinte dann, die Lektüre habe ihr geholfen, besser zu begreifen, was ihre BDM-Führerin bewegte und zu verstehen, daß es dem Regime gerade nicht darum gegangen sei, die schlechten, sondern die edelen Kräfte des Menschen auszunutzen.
Als Fazit zuerst erschien, war die Aufnahme allgemein positiv, als der Deutsche Taschenbuchverlag 1979 eine Neuauflage brachte, gab es sofort Kritik wegen des “unpolitischen Charakters” dieser Art von Lebensbilanz, der Tendenz, die historischen Umstände zur Geltung zu bringen und den eigenen Irrweg mit Hilfe tradierter Normen – christlicher und humanistischer Prägung – zu deuten. Trotzdem wurde der Band immer wieder aufgelegt, stand einmal in jeder gut geführten Schulbibliothek. Heute scheint man darauf verzichten zu können, – nicht zu unserem Vorteil.